Musikzustand bei Weber's Ankunft

[414] Als Weber in Wien eintraf, fand er das Musikleben daselbst eben in reger Lebendigkeit, da Barbaja seine, später so unvergleichlich gewordene, italienische Truppe rekrutirte und Rossini's Eintreffen in Aussicht stand.

In vier von den fünf Theatern Wiens wurde die Oper gepflegt.

Im Kärnthnerthortheater beherrschte noch Rossini, mit allen Nuancen seines großen Genius den Geschmack so ausschließlich, daß es nur mit Hülfe eines berühmten Namens oder gewichtiger Connexionen gelang, neben seinen Werten und den üblichen Repertoiropern älterer Meister neuere Schöpfungen zur Darstellung zu bringen, da die an der kaiserlichen Bühne fungirenden Capellmeister Salieri, Weigl, Umlauf und Gyrowetz die wenigen Gelegenheiten, die sich hierzu boten, für ihre Werke in Anspruch nahmen.

Salieri stand in mächtigem Ansehen, das etwas Orakelhaftes hatte. Von seinem 1766 gebornen, talentvollen Schüler, Weigl, waren »Schweizerfamilie« und »Waisenhaus« auf dem Repertoire. Von dem alternden Gyrowetz, der sich aus einem guten Juristen zu einem so fruchtbaren Musiker gemacht hatte, daß von ihm 30 Opern und Singspiele und 45 Ballets existiren, die indeß alle vergessen sind, wurde nur die »Agnes Sorel« und der »Augenarzt« gegeben. Der greise Umlauf machte keinen Anspruch mehr darauf, seine veralteten, kleinen Operetten erscheinen zu lassen.

So kam es denn, daß die talentvollsten fremden Musiker, die nicht gerade der Rossini-Barbaja'schen Coterie angehörten, ihre Werke im Theater an der Wien zur Aufführung bringen mußten, wie z.B. Winter sein berühmtes »Unterbrochenes Opferfest« dort einstudirte und mit Beifall gab, weil es ihm unmöglich gemacht wurde, es im Hoftheater vorzuführen, und hier der Capellmeister Ritter Ignaz von Seyfried dem stolzen Manne freundlich entgegen gekommen war.[414]

Sonst aber lebte das Publikum im Theater an der Wien im wunderlichsten Quodlibet des Geschmacks. Horschelt's unendlich lieblichen, aber entsittlichenden und den Menschenfreund entsetzenden Kinderballets entzückten heut, wo morgen Caraffa, Paër oder Cherubini ein aufmerksames Ohr fanden, oder Rossini's »Moses« Taumel des Beifalls hervorrief, oder der »Hund des Aubry« alle Herzen gewann, oder der »Hungerthurm Ugolinos«. von Seyfried achtzehn Mal hintereinander gegeben wurde. Nebenbei ergötzte man sich von Herzen an sentimentalen französischen Melodramen.

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 2, Leipzig: Ernst Keil, 1866, S. 414-415.
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