Wiener Censur

[398] Während eines Strudels von Geselligkeit, der Weber den Verkehr mit allen Notabilitäten Wiens bot, die ihm mit der liebenswürdigsten und achtungsvollsten Zuvorkommenheit begegneten und meist zuerst aufsuchten, wurde der Text der »Euryanthe«, deren zweiten[398] und dritten Akt Weber von der Chezy nach Wien erhalten hatte, der furchtbaren Wiener Censur übergeben. Diese Censur, die. zum Theil wenigstens, Schuld an der Mutilation seines »Freischütz« war und sein »Leyer und Schwert« in Oestreich unmöglich gemacht hatte, war Gegenstand des bittersten Spottes für Weber. Er schilderte sie der Chezy mit folgenden treffenden Zügen: »Sie gehen auf den Markt und kaufen zwei Gänse. Das sieht ein Censurbeamter oder Graf Sedlnitzky (Chef der Censur) selbst. Er denkt, wozu braucht die Frau in ihrem kleinen Haushalt 2 Gänse? Dahinter steckt etwas! Und eine Gans wird Ihnen gestrichen! –«

Es war daher Wasser auf seine Mühle, als in jener Zeit die Censur die Aufführung des »Tell« verbot, obgleich der Kaiser gesagt hatte: »Ich weiß nicht, warum man das Stück verbietet? Was hat man denn dagegen?«

Der Spott, den er unverhohlen äußerte, zog ihm manche Warnung seiner Freunde zu, unter denen sich Castelli, Treitschke und Duport als die beflissensten zeigten.

Und Weber bedurfte ihrer, denn er war nicht um müssig zu sein, nach Wien gekommen. Wollte er doch gleichsam seine noch zu schaffende Oper schon aus den Kehlen der Wiener Sänger mit den Ohren der Wiener hören. Und er war seit 1812 nicht in Wien gewesen, während einer Periode, wo der Einfluß des Wirkens großer Meister der Tonwelt die Bevölkerung jener Stadt der Musik daran gewöhnt hatte, an jede künstlerische Leistung den allerhöchsten Maßstab zu legen, wo der Zusammenfluß der größten Fertigkeiten und Virtuositäten den Gaumen für alles nicht ganz Außerordentliche und Reizende abzustumpfen begonnen hatte.

Jene zehn Jahre hatten den Sinn der Wiener durchaus neu besaitet, und der harmlos frohe Volksgeist, der sonst aus innerster Tiefe der Lieblichkeit und Schönheit Mozarts, der rührenden Einfalt und Heiterkeit Haydn's wiedertönte, hatte Organe zum Fluge mit Beethoven's Feuerseele, zum rasenden Tanz in Rossinis Bacchantenzügen erhalten.

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 2, Leipzig: Ernst Keil, 1866, S. 398-399.
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