Die Journale Wiens über »Euryanthe«

[534] Die Urtheile der Journale Wiens, an deren Spitze damals (cosa rara!) fast lauter hochgebildete Schriftsteller und Denker standen, die überdieß zum Theil »Ludlamiten« waren, hatte Weber eher für als gegen sich. Der derbe, oft cynische aber geistvolle Kanne liefert in seiner »Musikalischen Zeitung« in kleinem Raum das Beste, was überhaupt über »Euryanthe« in Wien geschrieben worden ist. Sein nicht boshafter aber treffender Spott kennzeichnet mit unfehlbarem Takte die Mängel der Stoffbehandlung, welche die musikalische Leistung nicht ausgleichen konnte und die daher Schwächen des ganzen Werks geblieben sind; aber er rügt und spottet nur, um gleichsam dem Ehrenkranze Glanz und Folie zu geben, den er mit kundiger Hand dem Componisten der »Euryanthe« um das Haupt windet, seine Instrumentation, seine feinen Effekte, seine edle Charakterzeichnung, seine schöne Färbung preist, ohne daß er jedoch schließlich läugnet, daß der Eindruck des Ganzen nicht so tief und warm sei, als dieß nach dem Aufgebot solcher Kunst- und Talentmittel zu erwarten gewesen wäre.

Der Ritter Seyfried beklagt in Portenschlag's »Sammler«, daß das Mühsame und Tendenziöse der Arbeit in der »Euryanthe« den Meister des »Freischütz« verhindert habe, die Melodienfülle zu entwickeln, in der er sonst mit Mozart und den großen älteren Italienern wetteifere, beklagt, daß die Geisterwelt hier mit eben so wenigem als im »Freischütz« vielem Glück herbeigerufen sei, beklagt ferner, daß in[534] Bezug auf die Aufführung die großen Leistungen der italienischen Oper dem Publikum noch zu sehr im Sinne lägen, zollt aber der höhern Vollendung des eigentlichen Kunstwerks bei der »Euryanthe« im Vergleich zum »Freischütz« volle Anerkennung, preist besonders die hohe, ernste Weihe der Schönheit, die durch das gesammte Werk weht und Weber's Meisterschaft in der instrumentalen Technik, den Reichthum der Erfindung, und bezeichnet einzelne Nummern als Meisterstücke größten Werths.

Großen Raum widmet die Wiener »Zeitung für Literatur. Kunst, Theater und Mode« der »Euryanthe«, ist ihr aber weniger wohlgesinnt als die andern Blätter. Sie sagt, daß der Componist der »Euryanthe« mit diesem Werke aus der ihm von seinem Talente angewiesenen Sphäre getreten und seine Besorgniß, unter den früheren Leistungen zu bleiben, ihn zur Bizarrerie verleitet habe, die reichen und schönen Ideen, denen es an Einheit und Klarheit mangele, durch Arbeitsmühe gedeckt erschienen, die Charakteristik der echt musikalischen Entwickelung von Melodie und Harmonie in den Weg getreten sei. Mangel an Melodie zeige sich da gerade am meisten, wo sie am ehesten zu erwarten gewesen wäre, z.B. in der Cavatine Adolar's etc. Der Weg, den der Meister im Recitative gewählt, führe nicht zunächst zum Ziele. Volle Gerechtigkeit läßt das Blatt dem festlichen, ritterlichen Glanze der Ouverture, der Schönheit der Gegensätze, der Malerei der Geistereinwirkung, der Charakteristik von Unschuld und Liebe, der Schärfe der Contourzeichnung der Persönlichkeiten, dem Pomp und männlichen Kraft der Chöre, der Meisterschaft der musikalischen Behandlung im Allgemeinen und der Herrlichkeit der Instrumental-Effekte widerfahren.

Griesinger, der Referent der »Abendzeitung«, bezeichnet den Abend, an dem die »Euryanthe« gegeben wurde, als den Morgen der neuen dramatischen Musik, er schilt die Wiener, die nicht einathmig das Werk vergöttern wollten, weil man nicht aus allen Piecen Walzer machen könne, bezeichnet die Oper als rein heroisch deutsch und tief original. als einen hellen Juwel in Deutschlands musikalischer Ehrenkrone. »De ist kein Anklang von sich selbst aus früheren Werken, nein nur Töne von Gott selbst eingehaucht.« Es ist nicht der Tondichter des »Freischütz«,[535] der hier schuf, sondern eben der der »Euryanthe«. Er rühmt die Drastik der Färbung und Zeichnung der Charaktere, die geschlossene Abrundung des Ganzen, die Vollendung des Kunstwerks als solches. Weber huldigt keiner Schule, sondern nur der Wahrheit. Deutschland muß hören und bewundern. Schließlich rügt er nur einige Längen und zu häufige Wiederholungen.

Die Leipziger Musikzeitung stellt die »Euryanthe« über Cherubini's »Medea« und Beethoven's »Fidelio«, verlangt, wie für diese Wunderwerke, Zeit, um sie verständlich werden zu lassen, dringt auf das Absehen von allem Vergleiche mit dem »Freischütz«, folgt dem Werke Satz für Satz, schildert die einzelnen Nummern mit einer Begeisterung, die an das Bestreben streift, Musik durch Worte malen zu wollen, bewundert allenthalben an den betreffenden Stellen die musikalische Schilderung von Lieblichkeit, Unschuld, Liebe, Zorn, Rache, den prachtvollen Effekt der orchestralen Behandlung, die Meisterschaft in der Charakteristik der Individuen und Chöre, die hier wirklich den Eindruck des griechischen Chors als unfehlbare öffentliche Stimme machen, das Geschick bei Herbeiführung von Glanzpunkten in den Finales, und weiß des Tadelnden eigentlich Nichts aufzubringen.

Wir müssen davon absehen, diese Referate über Referate zu vermehren, nur darf nicht unerwähnt bleiben, daß sie alle einstimmig der tiefen Spaltung und der Meinung und Meinungsäußerung des Publikums über das Werk gedenken, den Erfolg als einen solchen bezeichnen, den die Liebe des Wiener Publikums hier dem Meister des »Freischütz«, der Drang nach all' den Huldigungen, die den Italienern dargebracht worden waren, einen deutschen Componisten, ein deutsches Werk wieder einmal mit aller Macht zu feiern, der augenblicklichen Ueberzeugung abgerungen habe und nur von einem Theile der Bevölkerung Wiens, der allerdings als der intelligenteste aber auch kleinste zu bezeichnen sei, ausgegangen wären.

Der Erfolg bekräftigte diese Ansicht. Kaum hatte Weber Wien verlassen, so wich mit einem Zauberschlage aller Segen von dem Werke. Die bestellten Plätze wurden zurückgegeben, oft sogar unbenutzt gelassen. Schon bei der achten Vorstellung war das Haus halb leer.

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 2, Leipzig: Ernst Keil, 1866, S. 534-536.
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