Musikzustand in Wien 1823

[485] Kein Zeitpunkt, ein Vierteljahrhundert vor- und nachher gerechnet, war für die Empfängniß dieses Werks in Wien ungeeigneter, als der Herbst 1823. So wie in Berlin nationale Stimmung, persönliche Beziehungen, musikalische Richtung sich vereinigt hatten, seinem »Freischütz« eine gute Statt zu bereiten und ihn wie einen Funken in eine mit Enthusiasmus gefüllte Mine fallen zu lassen, so einte sich 1823 in Wien Alles, um seinem Werke die Bahn zu Herz und Ohr des Volks schwer zu machen.

Schärfer als je zuvor hatte sich in jenem Jahre die Masse derjenigen, die mit Musik verkehrten, in die beiden Parteien gespalten, die sich feindlicher als jemals gegenüber standen, so daß der Kunstgeist in die gehässigsten persönlichen Streitigkeiten ausartete.

Zwar hatte die deutsche Partei den größten Theil der Intelligenz, die Journale und die historische Tradition der großen Meister für sich, Kanne, Schickh, Bäuerle, Castelli schwangen ihre Banner, und als Streiter mit dem feurigen Schwert der Töne standen, außer dem über den Parteien wandelnden Beethoven, Franz Schubert, Conradin Kreuzer, Weigl, Schuppanzigh, Seyfried, Mayseder, Carl Maria v. Bocklet und andre geharnischt in Reih und Glied, aber die deutsche Oper hatte soeben erst im Durchfallen von Weigl's »Eiserner Pforte« und durch den schwachen Erfolg von Kreuzer's »Libussa« eine empfindliche Niederlage erlitten.

Diese war ohne Zweifel um so unheilvoller für Weber, als beide Meister (besonders aber Weigl) in diesen Opern offenbar bestrebt gewesen waren, mit den Formen und durch den Styl zu wirken, die im »Freischütz« so energische Effekte erzielt hatten. Die Molltonarten, Horneffekte, langen Vorhalte u.s.w., waren bis zur Ueberhäufung in diesen Opern angebracht. Magie, geheimnißvolle Schicksalsverkettungen, Hereinragen der Geisterwelt, Waldesdüster, durchwebten ihre Fabeln bis zum Ueberdruß, und die genielose Verwendung des Weber'schen edeln Gewürzes durch die Nachahmer hatte den Gaumen[485] des Publikums gegen den Hautgout der Richtung überhaupt verstimmt.

Hierzu kam die materielle Beschränkung der deutschen Oper, welche die Italiener fast ganz vom Kärnthnerthortheater verdrängten, wo ihr nur der Donnerstag jeder Woche gelassen wurde, so daß sie sich auf das Theater an der Wien zurückziehen mußte.

Für dieß hatte Graf Palffy, dem am Gewinne eines guten, deutschen Musikwerkes gelegen war, eben die Musik zu dem romantischen Schauspiele der Frau von Chezy, »Rosamunde«, bei Franz Schubert bestellt. Der Versuch, den großen Liedersänger auf die Bühne zu führen, mißrieth; das Werk, im folgenden Jahre aufgeführt, gefiel nicht, wie Weber dem genialen Componisten, der es ihm vorlegte, vorausgesagt hatte.

So hatte die deutsche Partei den Kampf auf der Schaubühne fast ganz aufgegeben, sich stolz in ihr Bewußtsein, das Echte und Wahre allein zu haben und zu verstehen, drappirt, und, faute de mieux, den Gegner verachtend, den sie zur Zeit nicht besiegen konnte, mit ihrer Hauptmacht in den Concertsaal, hinter die unbesiegbaren Schwadronen Haydn'scher, Beethoven'scher und Cherubini'scher Meisterwerke, zurückgezogen, während die alten Wiener Meister, Salieri, Umlauf, Gyrowetz und Seyfried, die in Mozart's, Gluck's und Haydn's Schule erwachsen, dem himmelstürmenden Tonwerk der neuen deutschen Instrumental-Titanen und der Leichtfertigkeit des Machwerks der neuen Italiener gleich abhold, von den ersten an Tiefe, von den letzten an Glanz und Lieblichkeit übertroffen, finster und abgeschlossen in der Mitte zwischen den Parteien standen.

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 2, Leipzig: Ernst Keil, 1866, S. 485-486.
Lizenz:
Kategorien: