Rossini in Wien 1823

[489] Es trug nicht wenig dazu bei, Weber's Stand in Wien zu erschweren, daß Rossini mit seinem kaum weniger liebenswerthen Freunde, dem geistvollen Caraffa, längere Zeit dort verweilt und seine Opern, die er indeß nicht selbst dirigirte, einstudirt hatte. Aber auch welcher Contrast zwischen den beiden Meistern! Hier der Deutsche: klein, unansehnlich, von frühster Jugend auf ringend und kämpfend, der Gunst der Großen und des Reichthums ermangelnd, kränklich, nur durch den Zauber seines Geistes in kleinen Kreisen liebenswerth, ganz nur durch sein großes Seelenleben bedeutend, – dort der prächtige, große, wohlgebaute Italiener (dessen Oberkopf dennoch merkwürdiger Weise Aehnlichkeit mit dem Weber's zeigte), zum Freunde der Fürsten geboren, den Gräfinnen als lieblichen Cherubin in die süßesten Geheimnisse des Lebens eingeweiht hatten, der Gatte einer schönen Sängerin, durch die er einst einen mächtigen König beherrscht hatte, ein Gewinner des großen Looses im Lotto der Natur, den Geld, Liebe, Ehre dienstbar umtanzten, der lachend überall das ihn anlachende Leben besiegte, und selbst seine unterliegenden großen Gegner Cimarosa, Paësiello, Fioravanti sich zu Freunden zu gewinnen wußte.

Das war die furchtbare Gegnerschaft, mit der Weber hier, nur »auf Gott und seine ›Euryanthe‹ vertrauend«, ringen sollte und stolzen Muthes wollte.

Weber empfing gleich den vollen Eindruck dieser Macht, als er kaum in Wien angekommen war, wo er Frau v. Chezy, die in Baden die Bäder gebrauchte und an dem Schauspiel »Rosamunde« mit Franz Schubert arbeitete, und Carl von Holtei antraf. Er schreibt an Caroline:[489]


»Wien, 20. Sept. 1823.


etc. Der junge Barbaja und andere, überfiel mich gleich. und schleppte mich zu seinem Vater, der noch immer krank ist. Dieser wollte mich sogleich bereden, von hier aus nach Neapel zu gehen, und eine Oper zu schreiben, was ich natürlich vor der Hand von mir wies. Von da ging's in die italienische Oper : Matrimonio segreto. Ja, meine geliebte Mukkin, ein Paar Künstler, wie die Fodor und Lablache sind mir noch nicht vorgekommen. Hier ist die höchste, reinste Vollendung, das Herrlichste und Grandioseste, was die Natur au Stimme geben kann, und Alles, was nur als Künstler verlangt werden kann. Ich war unendlich ergriffen, und eine eingelegte Arie sang die Fodor so herrlich, daß ich überzeugt bin, wenn sie die Euryanthe sänge, man könnte toll werden. Dieses tiefe, leidenschaftliche Gefühl, und dabei die nie vergessene Herrschaft und Besonnenheit über alle Mittel. Was hätte ich darum gegeben dich herzaubern zu können. Du hättest dich in Thränen aufgelöst.

Die Chezy saß im Parterre und zerriß sich bald mit Grüßen zu mir in die Loge heraus. Uebrigens war es leer, obwohl nur noch 3 Vorstellungen sind. Heut der Barbier von Sevilla, dann Donna del Lago, etc. Leider sehe ich die Fodor und Lablache in keiner großen Oper mehr, da sie morgen abreisen. Nach dem Theater wurde noch viel über Euryanthe conferirt mit Duport. Alles wird gut gehen, bis auf die streitige Eglantine. Ich will nun, ehe ich die Rollen vertheile, noch einige Vorstellungen abwarten. Man wollte sogleich eine Oper von Riotte, die zu dem 3. October gegeben werden soll, Geburtstag des Kaisers, zurücklegen. Ich verbat es aber, erstlich um keinen braven Künstler an etwas lang Ersehntem zu hindern, zweitens, um das Personale besser kennen zu lernen. Uebrigens ist es wirklich höchst wohlthuend, mit welch unverstellter, herzlicher Freude ich empfangen werde, und ich sehe, daß meine Aktien nicht gesunken sind. Nun, wie Gott will! etc.«


»Den 26. Sept. 1823.


etc. Vorgestern Abend hörte ich denn also die Semiramis.[490] Von der Musik kann ich weiter nichts sagen, als daß sie von Rossini ist. Aber nun die Aufführung!!! Ja wenn so gesungen und gespielt wird, da muß alles wirken, die Fodor und Lablache waren unübertrefflich. Du weißt wenn einen so die gewisse Gänsehaut über den Rücken läuft, da ist es das wahre. Ein Duett besonders, was die beiden hatten, so in der Art (nur etwas anders), als – Dein schwarzes Herz durchwühle – war ganz herrlich und mußte auch wiederholt werden. Ich mußte ihr noch versprechen, nach Neapel zu kommen, um für sie zu schreiben, was ich bedingungsweise that, und gestern früh ist sie mit Barbaja abgereist. etc.«


»1. October.


etc. Daß diese italienische Oper Enthusiasmus erregen mußte ist gewiß! Ich ärgere mich hinfort mehr über die Deutschen als die Italiener. etc.«


»4. October.


etc. Ich hörte den 1. Akt des Tankred, wo die Grünbaum sehr schön sang und das Publikum es auch anerkannte. Freilich ist sie keine Fodor!! etc. etc. Es ist in jedem Falle sehr gut, daß sich meine Oper hinausschiebt, damit die italienische aus den Ohren kommt. etc.«


Auch Holtei erzählt eine ergötzliche Geschichte von der Wirkung, welche die Leistungen der italienischen Sänger, ganz gegen seinen Willen, auf Weber machte. Die kleine Historie mag hier eine Stelle finden, weil sie die tiefe und leidenschaftliche Antipathie gegen seines Rivalen Rossini Musik charakterisirt, die nur in der scharfen Ausprägung seiner Richtung, die den Gegensatz absolut negirte, ihre Begründung und Entschuldigung finden darf.


»Weber hatte eine Loge zu seiner Disposition und liebte es, wenn wir ihn darin besuchten. Dies geschah denn auch einmal, während der Aufführung der ›Cenerentola‹. Signora Comelli-Rubini in der Titelrolle hätte, mit aller Achtung vor ihrer schönen Altstimme und guten Schule, sei es gesagt, ein Bischen jünger, dünner, zierlicher aussehen dürfen. Alles Uebrige dagegen mußte man vollkommen nennen,[491] und Lablache wie Ambrogi von einer Vollendung in Gesang, Parlando, Spiel, Komik, daß ich immer noch vor Freude zappeln möchte, wenn ich nur daran denke. In Weber's Loge aber durften wir an's Zappeln nicht denken, weder meine Frau, noch ich; denn wir wollten den reizbaren Freund nicht kränken. Wir schluckten also unser Entzücken, so gut es gehen wollte, hinunter und zappelten inwendig; was uns auch während des ersten Aktes leidlich gelang. Im zweiten jedoch, beim Duett zwischen ›Dandini und Magnifico‹, welches, mag es immerhin eine Nachahmung Cimarosa's heißen, nichtsdestoweniger ein Meisterwerk genannt werden muß, trieben Ambrogi und Lablache ihre Buffonaden so in's Erhabene, daß wir Weber's Nachbarschaft vergaßen und in das Jauchzen des überfüllten Hauses einstimmten. Als wir wieder zur Besinnung kamen, war Er verschwunden. Am nächsten Morgen – wir sahen uns öfters beim Frühmahl.– befragte ihn meine Frau, warum er gestern so plötzlich aufgebrochen, und ob er unwohl gewesen sei? Nein, antwortete er, ich wollte nicht länger bleiben. Denn wenn es diese verfluchten Kerls schon so weit bringen, daß solches nichtswürdiges Zeug mir zu gefallen anfängt, da mag der Teufel dabei aushalten. Wir schrien laut auf, dies sei die größte Lobeserhebung, die der italienischen Oper noch zu Theil geworden. Zuletzt mußte er selbst noch lachen über seinen Ingrimm.«


Weber hätte nicht der Adept in der tiefsinnigen Wissenschaft von den wunderbaren Beziehungen zwischen Bühne und Publikum sein müssen, zu dem ihn ein lebenslanges Umhersteuern im klippenvollen Meere der Theaterwelt gemacht hatte, er hätte auch nicht einer der Mitbegründer des harmonischen Bundes zu gegenseitiger Kritik sein dürfen, wenn er, den Zauberkräften der italienischen Oper gegenüber, nicht auch diejenigen seiner Streitkräfte, die außerhalb der Vortrefflichkeit seines Werkes lagen, kennen zu lernen und streitbar und kampflustig zu machen gesucht hätte. Sein geübter und klarer Blick fand und ermaß dieselben schnell.

Zum Glück für ihn, seinen Ruhm und die Kunst zeigten sie sich ihm nur in Sphären, in denen Intelligenz, Bildung, Geschmack und[492] warme Kunstliebe heimisch waren, und an Personen gebunden, mit denen im Bündniß zu stehen keine Unehre bringen konnte, deren Hülfe daher ohne Skrupel angenommen werden konnte.

Er ist erwähnt worden, wie Weber erkannt hatte, daß. der Kern seines Publikums zunächst aus den Kreisen der Wiener Bevölkerung bestehen werde, die z.B. Schuppanzigh's geistvolle Quartettcyclen füllten, und daß nur durch deren Vermittlung erst das Werk dann in noch weiteren Sphären zur Geltung kommen könne. Es galt also, sich in der Neigung, Liebe und Achtung dieses Publikums durch alle gebotenen, edeln Mittel zu festigen.

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 2, Leipzig: Ernst Keil, 1866, S. 489-493.
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