Romanze: »Arabien! mein Heimathland!« G moll (Nr. 16)

[678] Nicht genug zu bewundern ist die Gewalt und triumphirende Kraft, mit der der Meister, dem jeder Athemzug zur schweren Arbeit wurde, mitten im Wirbel der Geschäfte mit den Proben zu »Oberon« und mit der Leitung der Concerte und der Geselligkeit, unter Täuschungen[678] aller Art und dem lähmenden Einflusse einer von Tag zu Tag steigenden, bis zum körperlichen Schmerz geschärften Sehnsucht nach Daheim, Seelen- und Körperanstrengungen, die den Gesundesten erschüttert haben würden, seinen Genius so heimisch bei sich machen konnte, daß er ihm in all' dem Geräusch vernehmlich seine süßesten Weisen zuzuflüstern im Stande war. An das Finale des dritten Akts wurde vor der Leitung des letzten »Oratorien- Concertes«, am 19. März, die letzte Feile gelegt, und am 23. und 24. Hüon's etwas langes und den Gang der Oper nicht förderliches, daher oft weggelassenes, aber lebhaftes und glänzendes Rondo (Es dur) im dritten Akt: »Ich juble in Glück und Hoffnung neu«, concipirt und instrumentirt. Trägt dieß Musikstück vielleicht auch Spuren geistiger Ermattung, die geringeren Reichthum an Ideen durch Manier zu decken sucht. so zeigt sich hingegen Weber's Talent in seiner schönsten Blüthe in Rezia's am 25. und 26. März componirter Cavatine: »Traure, mein Herz« (F moll), und noch leuchtender und specifischer in Fatime's Romanze: »Arabien! mein Heimathland!« (G moll). Jene Cavatine ist ein liebliches Seitenstück zu Mozarts: »Ach ich fühl's, es ist verschwunden«, nur noch wehmüthiger und affektloser, ein meisterhafter Ausdruck einsamer Klage und heißer Sehnsucht, Spiegelbild der seine ganze Seele erfüllenden Empfindungen. Nichts ist charakteristischer für ein Mädchenherz, in dem Weh und Lust, Sehnsucht und Schmerz, Blumen und Perlen so nahe beisammen liegen, als Fatime's Romanze. Für das Bild dieses anziehenden Geschöpfes hat Weber die letzten frischen Farben, die letzten Jubelrufe, die seine kranke Seele besaß, aufgespart, in dieser Romanze das letzte Aufflackern seiner Hoffnungen gemalt. Welche Pracht des orientalischen Colorits und welche Gluth der Sehnsucht in dem ferneschauenden Andante, welcher Rhythmus hoffnungsreichen Dahinfliegens mit dem Geliebten, der Heimath und Welt ersetzt, im so unbeschreiblich originellen Allegro! Das Stück gehört mit zu denen, die Weber vor allen zu dem gemacht haben, was er war.

Der für Braham und auf dessen Bitte componirten und statt der ersten eingelegten Arie gedachten wir bereits.

Nach deren Vollendung schreibt er an Caroline:[679]

»etc. Ich versprach mir die Erlaubniß, an dich schreiben zu dürfen nur dann, wenn ich mit meiner Arie für Braham fertig würde. Da war ich denn recht fleißig, sie ist fertig (nun nur noch ein Theil der Ouverture) und eine Oper ist abermals zur Welt gebracht. Gott gebe, daß sie was taugt. – Ich mach mir nicht viel daraus, wie mir überhaupt täglich meine Musik widerwärtiger wird. – – Im Ganzen befinde ich mich hier eben so wie zu Hause. Dieselbe Unlust an der Welt und Allem was sie mir bietet, dieselbe Unzufriedenheit mit mir selbst darüber und ein gut Theil Sehnsucht, die ich zu Hause nicht habe. etc.«

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 2, Leipzig: Ernst Keil, 1866, S. 678-680.
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