Weber's Auftreten in London

[662] Beherrscht von der täglich zunehmenden Mattigkeit seines Körpers, namenloser Heimathsehnsucht, seine Kräfte weit übersteigender Arbeit und der Schlichtheit und Einfachheit seines groß und stolz angelegten Naturells, fühlte sich Weber körperlich und geistig absolut unfähig in denjenigen Formen vor dem englischen Volke zu erscheinen, welche dazu geeignet gewesen wären, dem Enthusiasmus für seinen Namen auch den Respekt vor seinen Mitteln, seiner Stellung und seinem Selbstbewußtsein beizufügen, den der Engländer da nicht gern entbehrt, wo er das Maß seiner Ehrfurcht vor einer Individualität durch das Maß seines Zahlens bekunden soll. Er verstand es nicht, wie Rossini, mit gepuderten Lakaien auf donnernder Carosse vor den Palästen der Großen vorzufahren und zu maßlosen Preisen Concertbillete mit so insolentem Aplomb, so fürstlichem Anstande zu verkaufen, daß sich die Herrschaften der ihnen erzeigten Ehre, von so stolzem Maëstro geprellt zu werden, kaum werth hielten. Der bescheidene Meister,[662] klein, unscheinbar, hinfällig von Gestalt, ging zu Fuß, fuhr im schlichten Cab, vermochte dem Volke nicht zu imponiren, die Großen nicht zu brüskiren. Wenn der kranke, einfache Mann seine Visiten fuhr, forderte kein galant vom Bock springender, an die Thür donnernder Lakai, kein Ordenskreuz, keine gewaltige, hochgetragene Gestalta priori zum tiefen Griffe in den Beutel auf.

So kam es, daß sein Erscheinen seiner Einnahme eher Abbruch that, als Vorschub leistete.

Die Aristokratie fand, daß er denn doch ein etwas zu wenig glänzendes Joujou für die Salons sei und hielt sich ihm, der es verschmähte, mit Bücklingen um ihre Guineen zu werben, fern. Und auch das Volk, an das Gebrause der Reklame gewöhnt, wurde bald des Anblicks des stillen Meisters müde, der in Nichts als in himmlischen Tönen zu ihm sprach.

Selten hielten Equipagen vor dem ernsten, dunkeln Hause der stillen Great-Portland-Street, und keine beflissenen Jünger, Bewunderer, Anbeter, Reklamenschmiede und wie der laute Hofstaat berühmter Künstler sonst seine Chargen nennt, drängten sich vor der kleinen grünen Thür, durch die er müde aus- und einschritt.

Wenn er sich aber täglich mehr von der Masse schied, die ihn verließ, so reichte er um so wärmer die immer schwächer werdende Hand dem Freundeskreise, der sich um seinen Armstuhl sammelte und ihm in der Fremde einen Hauch von Heimath fühlen ließ. Da war der wackere und edelmüthige Sir George Smart, dessen liebevolle Sorgfalt wir Weber eben selbst schildern ließen, der treffliche Regisseur des Covent-Garden-Theaters Fawcett; der gefeierte, von Weber als Mensch wie als Künstler gleich hoch gestellte Tenorsänger Braham, sein »Hüon«; der redliche und geistvolle Kemble, Unternehmer des Covent-Garden-Theaters und einer der ersten Schauspieler Englands; der liebenswürdige, damals schon berühmte Pianist Moscheles und Weber's treuer Geleiter und Freund, Fürstenau. Diesen gesellte sich später der junge Dr. Kind, Neffe des Dichters, dessen Behandlung sich Weber mit Vorliebe anvertraute und über den er an Caroline am 12. Mai schreibt:[663]

»Fürstenau ist mein täglicher Morgenbesuch und mein Dr. Kind ein Mann, mit dem ich sehr gern plaudre, weil er in allem zu Hause ist, auch Dresden und alles was drum und dran hängt kennt und eben so gut die Londoner und ihre Natur studirt hat. Es wäre freilich kein übler Ruhm für den jungen Mann, wenn er mich herstellen könnte – aber lieber Gott, ich glaube an Nichts mehr, als an Ruhe und die Natur selbst. etc.«

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 2, Leipzig: Ernst Keil, 1866, S. 662-664.
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