Die Enthüllung des Monuments C. M. v. Weber's

[722] Am 11. October 1860, bei tiefgrauem Himmel, Sturm und strömendem Regen, bewegte sich die Musikwelt Dresdens, Capelle, Vereine etc., in langem Festzuge nach dem Platze, auf dem das Monument verhüllt ragte. Tribünen umgaben ihn. Im reichdecorirten Zelte vor[722] der Rückwand des Theaters hatte die königliche Familie, das diplomatische Korps, die hohen Behörden, nothdürftig Schutz vor der Un-gunst des Wetters gefunden. Das Comité, zusammengesetzt aus den Herren Professor Hettner, Direktor Schnorr v. Carolsfeld, Professor Löwe. Capellmeister J. Rietz, Tonkünstler Brauer, Banquier Lötze. Anwalt Flemming une, F. Heine, viele alte, Freunde und Verehrer und dic Mitglieder der, Familie Weber's. bestehend aus dessen Sohne Mar Maria, seiner Schwiegertochter Katharina, seinen Enkelinnen Maria Caroline und Caroline Maria, befanden sich auf den Tribünen zur Seite des königlichen Zeltes, wäorend der einzige Enkel Webers, der achtjährige Carl Maria, am, Fuß des Monuments stehend. die Schnure in der Hand hielt, die dessen Hülle fallen machen sollte. Ein Festgesang von Gustav Kühne, von einem der würdigsten Nachfolger Webers, dem trefflichen Tonmeister Julius Rietz2, geist- und effektvoll componirt. erscholl. Treffender, tiefer und origineller ist Weber's Wirken nie geschildert worden, als in der darauf folgenden Rede des Vorsitzenden des Comité's, des geistoollen Herrmann Hettner. Die städtische Behörde übernahm das Standbild, und beim Einsatz der mächtigen Tonmasse des pompösen, festlichen Marsches aus Oberon, zog Weber's Enkel die Schnur, die Hülle rauschte herab und da stand der Meister, dem Schauplatz seines treuesten Wirkens, dem Dresdner Theater, zugewendet und emporlauschend nach den himmlischen Melodieen, die er uns verkündet.


Die Hülle, die von dem ehrenen Standbilde, welches die dankbare Nachwelt dem wohllautvollen Meister errichtet hat, fällt, bilde den Vorhang, der zum Schluß über dieses Bild seines Lebens herniederwallt.[723]

Die Akten über die musikalische Wirksamkeit Weber's waren geschlossen, das Urtheil über das, was er als Künstler erstrebt und gegeleistet, lag gefällt in den Archiven der Kunstgeschichte, die Welt hatte den unvergänglichen Lorbeer um die Rollen seiner Lieder geschlungen, ehe wir unser Gemälde zu entrollen begannen.

Was Weber als schöpferischer, als ausübender, als leitender Künstler, als Virtuos und Dirigent werden konnte und sollte, ist er geworden und Angesichts des Herrlichen was er war, geziemt kein weichlich klagendes Betrachten dessen, was er hätte werden können.

Wie sein künstlerisches Schaffen in der Welt des Schönen befruchtend, Neues zeugend, den Sinn für das Echte erhaltend fortwirkt, das zu erzählen ist Sache der Kunstgeschichte.

Das Evangelium, die Historie seines Genius, hat er selbst in der Sprache geschrieben, in der es allein ganz verständlich verkündbar ist. In jedem andern Idiom kann von ihm nur gestammelt werden.

Was er gesungen, hat die Welt entzückt von einem Pole bis zum andern, es hat die Herzen schlagen machen, ohne daß man ihnen gesagt hat, warum es schön sei. Der Versuch dieß für den Kreis der Denker und Forscher zu thun, mag zum Amt der Aesthetiker der Tonkunst gehören, unser Amt aber war, und es war so süß als schwer zu erfüllen, die Geschichte der Wechselwirkung zwischen Weber's Genius und den Einflüssen der Welt zu schreiben. Schwer war es, weil die Schwingungen in der Menschenseele, vom Anstoße der derbkörperlichen Erscheinung des äußern Lebens an, bis zum begeisterten Aufwallen des Herzens, bis zum befruchteten Zucken des Gehirns, gar so geheimnißvoll rinnen; süß aber, weil jeder der verfolgten Schritte des geliebten Meisters so sichtlich nach Oben führte, daß der Tod nur wie der Fall des ersten Strahles vom ersehnten Lichte auf seine bleiche Stirne erscheint.

Selten erscheint der Prozeß der Läuterung eines Lebens so stetig, so rein entwickelt, so parallel im Künstler und Menschen laufend, wie in Weber's kurzer Laufbahn. Selten treten uns im Bilde einer Existenz[724] die moralischen Kräfte so aller äußeren Bundesgenossenschaft bar, und doch so siegreich im Kampfe mit den Einflüssen der Außen- und Innenwelt entgegen. Wir sehen Weber schon als Kind die Schädlichkeit einer systemlosen Erziehung, des Zerfahrenseins, der Wüstheit des Schauspielerlebens damaliger Zeit, durch instinktive Pflege rastlosen Bildungssinnes und natürlichen Dranges nach Ordnung und psychischer wie physischer Sauberkeit paralysiren. Dann stößt der edle Gährungsstoff in des Knaben Seele nicht allein alle zweideutigen Elemente energisch aus, die ihn auf die wirksamste aller Weisen, durch das Beispiel des Vaters, infiltrirt worden sind und die sich um so gefährlicher zeigen, ie geistvoller und geliebter dieser Vater ist; sondern er wandelt sie, gewaltig negirend, sogar in ihre reinen und heilsamen Gegensätze um.

Die Freiheit einer langen Künstlerfahrt durch eine reiche Jugend, läßt seinem klaren Schauen nicht die Losgebundenheit von sittlicher Lebensgestaltung als Grundbedingung der Künstlerexistenz finden, sondern zeigt ihm, als Basis alles Seins und Leistens, die streng formelle Durchbildung des äußern und innern Seins, die bewußte Umgrenzung des Wollens und Wirkens in bestimmten Sphären, weckt in dem Heimathlosen die veredelnde Sehnsucht nach Heimath, Haus und Heerd. Den jungen, nach Ruhm feurig verlangenden Meister, sehen wir dann ferner, unbeirrt durch das Beispiel von lieben Genossen, die den ersehnten Kranz auf von ihm verneinten Seitenpfaden zu erreichen scheinen, selbst um den Preis des schmerzlichsten Verkanntbleibens, auf dem Wege bleiben, den er für den wahren nach Oben hält. Nur mit seinem Genius im Bunde, stellt er sich dem herrischen Zeitgeschmack in der dramatischen Kunst entgegen und nimmt das Märtyrerthum der Apostel des Echten willig auf sich.

Auf die Höhen seines Lebens als Mensch und Künstler aber tritt er, als eine edle, starke Liebe Herz und Sitten von den Schlacken unbestimmten Verlangens, gegenwechselnder Leidenschaften reinigt und gleichzeitig sein vielversuchender Genius im Nationalbewußtsein seines Volkes, des deutschen Volkes, seine Heimath findet.[725]

Nur ein so gearteter, so entwickelter Künstler, konnte der populärste Componist werden.

In seinen Weisen findet nun das deutsche Volk den Ausklang für ein reichstes, ihm eigenthümliches Fühlen, für das ihm bisher das Wort fehlte, das es bedurfte und das die romantische Dichterschule vergeblich gesucht hatte. Darum jubelt es ihnen entgegen, darum liebt und versteht es sie.

Deutschland's Fühlen und Weber's Lieder sind nicht mehr ohne einander denkbar.

Dann sehen wir dieß reiche, farbenfrische Leben abwelken. Sein Theil des Kampfes, den seit allen Zeiten das Genie mit Engherzigkeit, Neid und unebenbürtigen Verhältnissen schlägt, ermattet das zarte irdische Organ des unerschrockenen Streiters. Tückische Krankheit gesellt sich hinzu und nicht ungestraft wird in dem täglich morscher werdenden Tempel die heilige Flamme des Schaffens fortgenährt. Plötzlich erblickt der Meister den Markstein seines Lebens in erschreckender Nähe.

Da, Angesichts des Todes, drängt das stärkste und menschlichste Gefühl, die Liebe zu Weib und Kind, alles Andere zur Seite!

Kunst und Ruhm wandeln auf den letzten, müden Schritten nur noch als Schatten mit. Die Sorge für die Seinen, der Blick auf ihr Darben, wenn er von dannen gegangen, die allmächtige Liebe hält den letzten Athemzug in der schwachen Brust zurück, der mit der letzten Kraft, dem letzten Ringen ausgemünzt werden muß zum Segen für die, die er unaussprechlich liebt. – –

Alle Herrlichkeit des Genius fällt von dem Meister ab; er stirbt, indem die Seele die kranke Hülle abstreift, welche die Heimathreise hindert und in Liebe verklärt kehrt die Seele des großen Menschen zu Dem zurück, in Dem er immer gewandelt ist


Wie Gott will!

Fußnoten

1 Sie stellte sich später zu 96 Liv. Sterl. 11 Shill. Netto-Gewinn heraus.

D. Verf.


2 Nicht umhin kann ich, diesem ausgezeichneten Tonkünstler und Gelehrten, ganz am Schlusse meines Werkes, noch den allerwärmsten Dank für den erleuchteten Rath auszusprechen, mit dem er mir gütig und unermüdlich bei Bearbeitung des vorliegenden II. Bandes zur Seite gestanden hat.

D. Verf.

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 2, Leipzig: Ernst Keil, 1866.
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