[690] Eine je größere Anzahl der Zwecke, um derentwillen Weber diese verhängnißvolle Reise, diesen Kampf auf Leben und Tod unternommen hatte, sich mehr oder weniger vollkommen erreicht vor seiner Seele ad acta legten, und dieser gestatteten, sich zu Lust und Qual mit ihrem eigensten Fühlen und Denken in Selbstverkehr zu setzen, um so überwältigender absorbirte ein Empfinden alles andere. Je matter die Hoffnung des Sterbenden wurde, die heißgeliebten Seinen noch einmal an's Herz zu drücken, um so unablässiger und quälender wurde die Sehnsucht nach ihnen, nach der Heimath. Wenigstens dort sterben wollte er. Wir begegnen ihren Kundgebungen auf jedem Schritte seines Dornenpfades. Als Fürstenau in treuer Sorge dem todesmatt am Morgen nach der Oberon-Aufführung im Lehnstuhl Ruhenden ein neu zubereitetes Medicament brachte, sagte er, matt lächelnd:

»Gehen Sie! gehen Sie! alles Herumkuriren an mir hilft Nichts mehr. Ich bin eine zusammengerüttelte Maschine. Gott wenn sie nur zusammenhielte, bis ich Lina und die Buben wieder umarmt hätte!! –«

In vielen Briefen an Caroline durchbricht dieß gewaltige Gefühl, für dessen verderbliche Nährung die englische Lebensweise, die ihn erst spät am Nachmittag in Anspruch nahm, und dem Schlaflosen, Athemlosen, das Todesnagen der Krankheit qualvoll Belauschenden, zum düstern Brüten lange Stunden gewährte, oft alle Schranken der zarten Rücksicht und füllt sie mit erschütternden Ausrufungen.

Sie schrieb ihm von dem Fragen seiner Knaben, warum der Vater so lange nicht heim komme, und Thränen zittern in den Worten, als er erwiedert:

»Ja wohl bleibt der Vater lange aus – und wie lang wird ihm diese Zeit. Ach Gott, das ist nicht zu beschreiben, wie ich jeden Tag zähle – und mit mir der gute Fürstenau! etc.« (14. April.)[690]

Und später an andern Orten:

»Dann in's Theater und den 5. Oberon abgearbeitet; sehr volles Haus, ging gut – großer Beifall – ich habe nun den guten Mann schon so satt – daß ich recht nachzähle bis das Dutzend voll ist, um loszukommen.« (18. April.)

»Heut ist ein Tag zum Todtschießen! Ein solcher dunkelgelber Nebel, daß man kaum im Zimmer ohne Licht bestehen kann. Die Sonne ist ohne Strahlen, nur ein rother Punkt im Nebel, es ist ordentlich schauerlich. etc. etc. Was ich dabei für eine Sehnsucht nach Hosterwitz und dem freien Himmel bekomme, ist ganz unbeschreiblich. Geduld! Geduld! es haspelt sich ja ein Tag nach dem andern ab!« (18. April.)

»Gott segne Euch ††† Ihr innigst Geliebten. Wie zähle ich die Tage, Stunden, Minuten bis zu unserm Wiedersehen. Wir sind doch sonst auch getrennt gewesen und haben uns gewiß auch lieb gehabt, aber diese Sehnsucht ist ganz unvergleichbar und unbeschreiblich. Geduld! Geduld!« (28. April.)

»Uebrigens ist es so, wie die letzte Zeit in Dresden. Große Reizbarkeit, Athemlosigkeit, Husten ganz periodisch, oft krampfhaft, dann wieder gar nicht. – Und allerdings mein Gemüth ist der größte Sünder. Nach allen diesen Erfolgen gehe ich herum wie einer der gehangen werden soll. – Meine Sehnsucht nach Hause ist über alle Beschreibung und ich verbrüte allerdings ganze Tage, die ich besser benützen könnte. Nun meine gute Alte habe ich dir alle meine Leiden recht von Herzen geklagt im Vertrauen auf deine Vernunft, daß du daraus nicht neuen Stoff zu Angst und Sorge suchst, sondern höchstens die arme Männe bedauerst, die wirklich zum Leiden geboren ist.« (8. Mai.)

»Höre einmal, du hast es doch eigentlich zu gut. Ich habe die Arbeit und Plage und du läßt dir gratuliren und cassirst das Angenehme von der Sache ein. Ach Gott, so ist es ja Recht. Alle Freude und Segen über dich!!! – –« (10. Mai.)

Fast immer folgt diesen Klagen, die sich unwiderstehlich Luft[691] machen, ein liebliches und liebendes Wort der Beruhigung, das oft so ehrlich klingt, als wäre es von einem Strahle gütiger, selbsttäuschender Hoffnung eingegeben, z.B.:

»Der Husten ist lose, wie er nie gewesen und jetzt sehr selten krampfhaft. Die Kurzathmigkeit ist dieselbe wie zu Hause, ich kann nicht weit gehen und muß also immer fahren. Appetit erträglich, Schlaf und Humor nicht sonderlich. Sehnsucht sehr groß. – Du siehst, ich male nicht in's Schöne, deshalb kannst du mir aber auch glauben wenn ich sage – du kannst ganz ruhig sein. etc.«

Wie schwer mußte es einem Manne mit dieser Welt von Liebe im Herzen werden, von denen zu scheiden, die er so sehr liebte!

Die Huldigungen des fremden, großen Volks, von denen der Kranke sagt, daß sie ihn so wenig zu erheitern und zu beglücken vermöchten, waren in der That außerordentlicher Art, denn nicht allein daß er sich bei jeder der zwölf Vorstellungen des »Oberon«, die er (am 12., 13., 14., 15., 17., 18., 19., 20., 21., 22., 24., 25.) selbst leitete, auf's Neue gefeiert sah, sondern sie gaben sich am ergreifendsten bei einer Gelegenheit kund, die von Gegnern geschaffen worden war, um seinen Erfolgen ein Paroli zu biegen. Eine Partei in der englischen Musikwelt, die sich die natio nal-englische nannte und zu der ein großer Theil der Aristokratie gehörte, hatte sich schon während der Anwesenheit Rossini's, und jetzt auch Weber gegenüber, mit großen Opfern von Mühe und Geld befleißigt, ihren Landsmann Henry Rowley Bishop zum Rivalen dieser großen Meister emporzuwinden.

Bishop war ein Componist nicht ohne Begabung, der im Jahre 1809 mit einer Oper: »Die Cirkassische Braut«, mit Glück debütirt, seitdem für die Musikbestrebungen in London viel Thätigkeit entwickelt, schließlich aber durch die empörende »Zerarbeitung« von »Figaro« und »Freischütz« eine traurige Berühmtheit erlangt hatte.

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 2, Leipzig: Ernst Keil, 1866, S. 690-692.
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