Ueber das Oratorium: »Gott und die Natur«

[30] von G. Meyerbeer.


(Berlin 24. Juni 1811.)8


Unter den mancherlei Kunstprodukten, die uns seit einiger Zeit erfreuten oder langweilten, steht das in des Herrn Kapellmeisters[30] Weber Concert aufgeführte Oratorium von Scheile: »Gott und die Natur« mit Musik von Meyerbeer so hoch und ausgezeichnet in jeder Hinsicht da, daß es Ihnen, bester Freund, angenehm sein wird, etwas Ausführlicheres über die Arbeit dieses vielversprechendes Künstlers, der so viel wissenschaftliche Bildung mit der vollkommenen Beherrschung aller musikalischen technischen Erfordernisse in sich vereint, zu hören. Der Plan des Ganzen ist mit reicher Mannichfaltigkeit und ohne das Gesetz der Einheit zu stören, entworfen. Glühendes Leben, herzliche Lieblichkeit, und besonders die ächte Kraft des empor flammenden Genies ist darin unverkennbar. Der erste Chor C dur und die darauf folgenden Fugen, sind sehr weislich ganz mezzo tinto gehalten, nur fielen mir einige kleine Text-Verstümmelungen auf. Nr. 2. 3. Rec. u. Arie Es für Baß; das Recitativ höchst sprechend und wahr, an das sich die Arie schließt, von deren großer Lieblichkeit man beinah sagen möchte, es sei Schade, daß ein Bassist sie zu singen habe, wenn nicht Herr Gern sie vorgetragen, und mich überzeugt hätte, daß Lieblichkeit in seinem Munde an ihrer Stelle sei. In dieser Nummer ist die Stelle, »da winkt er dem Licht, es schwebt hernieder,« sehr glücklich ganz entfernt gehalten von Haydn's: »es werde Licht« durch einen überraschenden gehaltenen E-Accord der Blas-Instrumente.

Nr. 4. 5. Rec. u. Arie in B, gesungen von Hrn. Eunicke, wurde das Lieblingsstück des Publikums. Man könnte sagen, es sei Schade, daß zwei Arien und Recitative von zwei Männerstimmen gleich Anfangs auf einander folgen, aber der Effekt des Blumen-Chors Nr. 6, von bloßen Weiberstimmen vorgetragen, tritt dagegen wie eine freundliche Lichtgestalt hervor, und wurde das zweite Lieblingsstück des Publikums, ja veranlaßte ein eignes Sonett auf den Componisten (so wie überhaupt mehrere Gedichte auf den Dichter und Componisten in der Berliner Zeitung stehen); die Harfenbegleitung war leider so schwach, daß man sie kaum hörte.

Nr. 7. Disc. Arie C dur worin für eine Sopran-Arie seltene Kraft (mir beinah das liebste Stück) und in eben diesem Geiste von Mad. Schmalz vorgetragen.[31]

Daß diese Sopran-Arie nach dem Weiber-Chore folgt, ist, glaube ich, ein gegründeter Vorwurf, der dem Componisten zu machen ist. Beide Stücke verlieren dadurch. Hätte doch können getauscht werden mit einer der früheren Männer-Arien, allenfalls der Baß-Arie.

Nr. 8. Chor der vier Elemente. Ein ächt contrap. Meisterstück; Luft, Sopr.; Feuer, Alt; Erde, Tenor; Wasser, Baß. Jedes trägt erst seinen eigenen Gesang mit dem es charakterisirenden Accompagnement vor, am Ende vereinigen sich alle vier Gesänge mit ihren 4 Accompagnements, also acht Themata. Sehr logisch consequent, besonders von hoher Wirkung da, wo das ganze allmächtige Essemble pianissimo wiederholt wird (in F dur) – benutzt, und so fließend und natürlich behandelt, mögen wohl allein derlei harmonische Kunststücke auf ihrer Stelle stehen und wirken, was sonst selten der Fall ist.

Nr. 9. Baß. Recit. Nr. 10. Chor. »Er war, er ist, und er wird sein.« Schöne rhetorische Durchführung eines choralmäßigen vierstimmigen Gesanges, mit untermischten Soli zu vieren der vier Hauptsingstimmen in Es.

Nr. 11. Duett zwischen einem Zweifler und einem Gottesläugner, Tenor und Baß, wozwischen ein Chor von Männern Zuversicht und Glauben predigt. Die verschiedenen Cavatinen sind ungemein treffend geschildert, und das Ganze sehr zu einem Gusse verbunden, so wie es auch sehr schön und philosophisch gedacht ist, diesen ernsten Gegenstand blos von Männern unter sich abhandeln zu lassen. – In G moll. An dieses Stück schließt sich der Chor C dur; »hörst Du die Posaun' erklingen,« wo es mich sehr freute, daß der Componist nicht die Plattitude beging, Posaunen hören zu lassen. Von hier fängt er an immer größer und höher zu werden bis an's Ende. Der Text wendet sich zur Auferstehung der Welt, wo alles Gestorbene wieder zu leben anfangen wird. Sopran-Solo tritt solissimo; nur von einem Paukenwirbel begleitet, nach der spannenden Stille einer Fermate ein.[32]


Ueber das Oratorium: »Gott und die Natur«

Endlich schlägt die Schlußfuge los, deren Thema


Ueber das Oratorium: »Gott und die Natur«

die Posaunen per augmentationem so vortragen:


Ueber das Oratorium: »Gott und die Natur«

und womit er dann eine feurige Bewegung der Violinen verbindet, und mit einer ungeheuern Kraft auf das Ende losgeht.

Die Instrumentirung ist durchaus gut berechnet, originell und neu, nie überladen. Alle Melodieen, selbst die schmeichelndsten, bleiben in den Gränzen des ernsten Styles, daß man wirklich mit Herrn Gern, dem man in der Probe zurief, er habe gesungen wie ein Engel, ausrufen kann: die Musik dazu kommt ja aber auch aus dem Himmel! Möge Herr M.B. auf dem Pfade der Kunst mit der Ausdauer, dem Fleiße und der Bescheidenheit fortwandeln, die man bisher an ihm so hochschätzen durfte, und wir haben der Kunst reiche Früchte von diesem Genius zu prophezeien.[33]

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 3, Leipzig: Ernst Keil, 1866, S. 30-34.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Paoli, Betty

Gedichte

Gedichte

Diese Ausgabe fasst die vier lyrischen Sammelausgaben zu Lebzeiten, »Gedichte« (1841), »Neue Gedichte« (1850), »Lyrisches und Episches« (1855) und »Neueste Gedichte« (1870) zusammen. »Letzte Gedichte« (1895) aus dem Nachlaß vervollständigen diese Sammlung.

278 Seiten, 13.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon