Gegen den Herrn Bemerker in Philippi's »literarischem Merkur«.

[217] (15. Febr. 1820.)


»Angriffe auf meine Persönlichkeit, wären sie auch noch bitterer und unterhaltender ausgesprochen, als von dem Herrn Bemerker geschehen, würden mich wahrlich nicht vermögen, die Feder zur Gegenrede zu ergreifen, wenn nicht der Herr Bemerker es mit einer wahrhaft bewundernswürdigen Dreistigkeit gewagt hätte, ein paar derbe Unwahrheiten in so bestimmtem Tone hinzustellen, daß man nur zu deutlich die Absicht erkennt, er wolle mit diesem Gewaltstreiche die Stimme des Publikums für sich gewinnen.

So eine Zusammenstellung von Wahrem und Unwahrem, halb Erzähltem und ganz Verschwiegenem bedarf also einer Beleuchtung vor der dem Künstler am höchsten stehenden Instanz, vor den Augen des richtenden Publikums.

Der Herr Bemerker beginnt mit folgender groben Unwahrheit oder geflissentlichen Entstellung meines Strebens zum Guten.

›Sobald Herr v. W. nach Dresden kam, begann er auch, unzufrieden mit dem musikalischen Geschmacke des dasigen Publikums, wie früher in Prag, das Kunst-Urtheil zu lenken, und Jeden im Voraus zu überzeugen, daß nur die Compositionen, welche er empfahl und beschützte, Lob und Bewunderung verdienten.‹ –

Habe ich das wirklich gethan? Da hätte ich ja wahrhaft übermenschliche Kraft auf die Gemüther zu wirken gehabt.

Aber ich verstehe wohl, was Herr Bemerker meint: ich werde es wohl nur gewollt haben sollen; denn hätte ich es wirklich zuwege gebracht, so müßte ja der Herr Bemerker auch mit überzeugt worden sein, und hätte nie seine Bemerkungen bemerket, wie ich ja recht gern gesehen.

Welche dreiste Verdrehung oder Vergessenheit dessen, was ich 14 Tage nach meiner Ankunft in Dresden (in einer Zeitschrift, in der wohl Niemand den Geschmack eines Publikums beurtheilen lernen,[217] also damit weder zufrieden noch unzufrieden sein kann) drucken ließ. (Siehe Abendzeitung No. 25. 1817.)

Wie kann man so eine Anmaßung aus obenbenanntem Aufsatze herauslesen. Ich erlaube mir, hier das Wesentlichste davon zu wiederholen, und der Unbefangene urtheile.17

Ferner sagt der Herr Bemerker: – ›Seinen (des v. W.) Lieblingen nur sollte man huldigen.‹

Wo steht das geschrieben? oder: aus was geht das hervor? Vielleicht aus den Werken, die ich bis jetzt aufzuführen die Mittel und Gelegenheit hatte?

Laßt uns doch diese Meister besehen, um meine Einseitigkeit und Liebhaberei kennen zu lernen. Mehul, Fischer, Gretry, Weigl, Cherubini, Catel, Boieldieu, Isouard, Mozart, Dittersdorf, Schmidt, Dallayrac, Spontini, Himmel, Solié, Fränzl, etc.

Nun, das sind eben keine schlechten Leute, ich hätte mich meiner Lieblinge nicht gerade zu schämen; und sie wären wohl auch genug mannigfaltiger Art. Oder hätte ich vielleicht Rossini'sElisabeth und Italiana in Algeri nicht mit derselben Sorgfalt und Eifer aufzuführen gesucht, wie die andern Opern? Nein, ich ehre gewiß alles Gute, es komme von welchem Volke es wolle. Ja, ich suche mich bei Beurtheilung desselben auch immer auf den Standpunkt zu setzen, von dem der Erzeuger des Werkes ausgegangen, um ihn gerecht würdigen zu können. Aber blind abgöttische Verehrung der einen oder andern Gattung muß man keinem Künstler zumuthen, und noch weniger die Verleugnung seiner Ansichten und des Glaubens an dasjenige, was seiner Ueberzeugung nach der Wahrheit – und es giebt nur eine – am nächsten gelangt ist, oder sie gar erreicht hat.

Was der Herr Bemerker von Haydn, Mozart etc. sagt,[218] ist mir aus der Seele gesprochen, und unterschreibe ich von ganzem Herzen. Aber er mißversteht mich mit Gewalt (was überhaupt seine Liebhaberei zu sein scheint), wenn er glaubt, daß ich Herrn Meyerbeer deßhalb so hoch stelle, weil er so schreiben konnte. Ach nein, ich muß es nur ehrlich heraussagen: daß er das wollen konnte, hat mir schmerzlich wehe gethan, und ich glaube es nicht, daß man nur dadurch in Italien gefallen könne; denn wer wird so unsinnig sein, behaupten zu wollen, daß in dem Wiegenlande des ächten Gesanges und schmelzenden Gefühles nicht unter den Bessergebildeten noch der wahre Geschmack sich eben so finden müßte, wie in Wien, Dresden, Berlin, München? Daß aber in Italien, wie in den eben genannten Städten, der große Hause lieber ein Feuerwerk, als ein Gemälde von Raphael sieht, wird Niemand leugnen.

Wer wird nicht gern Rossini's lebendigem Ideensturme, dem pikanten Kitzel seiner Melodieen lauschen? Wer wird aber auch verblendet sein, ihm dramatische Wahrheit einräumen zu wollen? oder meint der Herr Bemerker, daß die ein dramatischer Componist nicht brauche? Da würde er den ältern italienischen Meistern Paisiello, Cimarosa etc. ein schönes Kompliment machen.

Aber wo gerathe ich hin!? Der Herr Bemerker will ja nicht Kunst-Ansichten austauschen und um der Kunst willen reden, ich soll nur nicht davon sprechen. Oder soll man überhaupt gar nicht mehr wagen dürfen, auch nur zu vermuthen, daß der Geschmack jetzt in Italien verdorben sei? weiter habe ich doch nichts gethan. Da lese der Herr Bemerker die italienischen Blätter selbst, und andere deutsche Zeitschriften.

Mir scheint aber, ich werde mir es schwerlich auf diese Art verbieten lassen.

Giebt es eine Grund-Idee in seinem Aufsatze, so ist es nur die, das Publikum zur Partei gegen meine Ansichten zu stimmen, und dann freilich wehe Dir, armer Alimelek, über den der Herr Bemerker sich so viel Halbes erzählen ließ. Er hat meinen Aufsatz in der Prager Zeitung schwerlich gelesen, oder, that er es, so hat er sehr Unrecht, zu verschweigen, was ich darin[219] sagte. Aber er ist ja so flink mit Citaten aus der ihm wohlbekannten Leipziger musik. Zeitung. Warum citirt er denn nicht meinen Aufsatz über Alimelek in eben dieser Zeitschrift, den ich nach den ersten drei Vorstellungen dieser Oper in Prag den 22., 24. und 30. Octbr. 1815 in derselben abdrucken ließ? Wahrscheinlich, weil das, was er darin bemerkte, nicht zu für ihn jetzt eben brauchbaren Bemerkungen Anlaß gab. Ich werde mir also die Freiheit nehmen müssen, ihm bei seinen Citaten zu helfen. und das möge er nur gütigst annehmen, denn sobald möchte er mich nicht wieder zum Gehülfen bekommen.

Auf die Leipziger musikal. Zeitung, als allgemein gekannt, verweise ich unmittelbar die Theilnehmenden, und führe hier die Prager Zeitung an, die dasselbe in andern Worten enthält.

Wie es nun dem Alimelek hier ergehen wird, wer kann es wissen? An Versuchen, ihn schon im Voraus dem Publikum gehässig zu machen, fehlt es ja augenscheinlich nicht. Der Herr Bemerker wird aber doch wohl gestehen, daß einige Ueberzeugung dazu gehört, eine Oper, die in der Hauptstadt Wien miß fallen hatte, gleich darauf in der Schwesterstadt Prag auf die Bühne zu bringen? Der Erfolg hat bewiesen, daß ich dem richtigen Gefühle des ruhig abwartenden Publikums nicht mit Unrecht vertraut hatte. Uebrigens bin ich weit entfernt, Alimelek für ein vollendetes Werk zu halten (wie viele giebt es überhaupt deren?); aber für das eigenthümliche Erfindungs-Vermögen des Componisten zeugt er gewiß.

Was will denn nun aber der Herr Bemerker eigentlich? Die Tugenden der Italiener auf Kosten seiner Landsleute – denn er scheint doch, Einiges in seinem Geschreibe hin und wieder abgerechnet, ein Deutscher zu sein – erheben?

Die Italiener sind als Nation eben so achtungswerth als jede andere, haben aber, trotz der ihnen eigenen Billigkeit und Freundlichkeit gegen Ausländer, schon manchen, z.B. den sel. Himmel, ausgepfiffen; hingegen die Nachsicht gegen Meyerbeer bis zur einige und siebenzigmal wiederholten Aufführung der Emma getrieben (nach der Wiener Theater-Zeitung); wie[220] kommt das? – da sie nach dem Urtheile des Herrn Bemerkers nur ein zusammengestoppeltes Ding ist?

Doch nun genug, um meine hohe Achtung für alles der Oeffentlichkeit Angehörige ausgesprochen zu haben, und vom ersten bis letzten Buchstaben zu viel, wäre es um meinet- oder des Herrn Bemerkers willen geschehen. Deßhalb möge er es auch gütigst verzeihen, wenn es mir gar nicht darum zu thun ist, mit ihm über jede seiner Zeilen mündlich mich zu besprechen. Da ich weiß, wie er einsieht, bin ich gar nicht begierig zu wissen, wie er aussieht.

Nur noch die trübe Bemerkung kann ich nicht unterdrücken, wie schmerzlich es doch für den deutschen Künstler sein müßte, sähe er seine wahrhaft aus dem reinsten Willen für das Gedeihen der Sache überhaupt hervorgehenden Bestrebungen durchaus so gewaltsam verkannt und angefeindet, bis zur pasquillantenhaften Persönlichkeit.

Das Talent, was Gott mir vielleicht verliehen, selbst wägen zu wollen, wäre Frevel gegen die Gaben-Vertheilung des Gebers alles Guten. Die Welt wird es an den Platz stellen, wohin es gehört. Meine Pflicht war nur, das mir Anvertraute durch Fleiß, Studium und unermüdete Anstrengung so viel möglich auszubilden. Dies nach meiner besten Kraft, Ausdauer und mit rücksichtslosem Streben gethan zu haben, fühle ich beruhigend in der Brust, und werde so fort und fort wandeln, nach meiner Ueberzeugung, eben so gern jeden ächten Tadel ehrend, als bloße hämische Anfälle verachtend.«

Quelle:
Weber, Max Maria von: Carl Maria von Weber. Ein Lebensbild. Band 3, Leipzig: Ernst Keil, 1866, S. 217-221.
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