Lister, Baron Joseph

Lister, Baron Joseph
Lister, Baron Joseph

[1018] Lister, Baron Joseph, in London, 5. April 1827 zu Upton Essex bei London geb., stammt gleich manchem anderen ausgezeichneten englischen Arzt aus einer Quäkerfamilie. Sein Vater Joseph Jackson L. (1786 bis 1869), ein Weinhändler, beschäftigte sich in seiner Mussezeit viel mit dem Studium der Optik und machte sich schon als 38jähr. Mann durch Arbeiten über das achromat. Mikroskop sehr bekannt, wurde auch Fellow der Royal Society of Lond., worüber der Sohn in einem Artikel des »Dictionary of national biography« Nachricht gegeben hat. Lord[1018] Lister's Mutter Isabella, Tochter von Anthony Harris aus Maryport (Cumberland), seit 1818 verheiratet, starb 1864. Seine Ausbildung erhielt L. auf der Quakerschule von Twickenham, danach am University Coll. in London, wo er 1847 zum B. A. befördert wurde. Schon während der Studienzeit beschäftigte sich L. mit mikroskop. Arbeiten mit besonderer Vorliebe; seine hauptsächlichsten Lehrer waren hier Graham, Sharpey und Wharton Jones, später Walshe, Erichsen (während der Hospitalthätigkeit), Lindley, Ellis, Jenner und Parkes. 1852 zum Bachelor of Med. graduiert, wurde L. resident assistant am Univ. Coll. Hosp. und Fellow des R. C. S. Engl. Während eines Herbstaufenthalts in Schottland besuchte L. Edinburg und erlangte hier zunächst die Stellung als »supernumerary dresser« an der Infirmary, dann als House-Surgeon unter Syme (1854), dessen Tochter Agnes L. heiratete und mit der er in glücklicher, kinderloser Ehe bis zu deren 1893 in Italien erfolgtem Tode lebte. In Edinburg publizierte L. eine lange Artikelserie v. »Lectures of clinical surgery during the winter session of 1854/55 by James Syme Esq.« (Lancet 1855) und widmete sich besonders der Augenheilkunde, der er schon in London unter Wharton Jones sein Interesse zugewendet hatte. 1856 wurde er Assistant Surgeon an der Royal Infirmary in Edinburg und begann gleichzeitig Privatvorlesungen über Chir., auch an der Univ., zu halten. Während dieser Zeit erschienen auch die ersten selbständigen Publikationen von L.: »On the contractile tissue of the iris« (1853) – »On the muscular tissue of the skin« (1853) – »Minute structure of involuntary muscular fibre« (1857) und zus. mit Sir Will. Turner: »Structure of nerve fibres« (1859), dazu verschiedene Mitteilungen in den Verhandl. d. R. S. of Lond., wie: »The parts of the nervous system which regulate[1019] the contraction of arteries« (1857) – »The cutaneous pigmentary system of the frog« (1857) – »On the early stages of inflammation« (1857); diese drei Aufsätze aus den Philosoph. Transactions erschienen vereinigt u. d. T.: »Contributions to physiology and pathology« (London 1859). 1858 erschien noch: »Function of the visceral nerves« (Proceed. R. S. Lond.). 1860 wurde L. Fellow der R. S. L., 1860 folgte er einem Ruf als Prof. der Chir. nach Glasgow, bald danach wurde er zum Croonian Lecturer von der R. S. gewählt und hielt als solcher 1863 die erste Vorlesung: »On the coagulation of the blood«. Kurz vorher hatte er noch für Holmes' system of surgery (1862) die beiden Artikel: »Anaesthetics« und »Amputation« bearbeitet. Es folgte: »A new method of excising the wrist« (Lancet 1865); auch gab er ein besonderes Tourniquet zur Kompression der Aorta abd. an. Die erste Publikation in betreff seiner so berühmt gewordenen antiseptischen Wundbehandlung findet sich im Lancet 1867 u. d. T.: »On a new method of treating compound fractures, abscess etc. with observations in the conditions of suppuration«. Doch hatte L. schon vorher während seines Unterrichts als Univ.-Lehrer in Glasgow in einer systemat. und abgeschlossenen Reihe von Vorlesungen seine bezüglichen Ansichten in so denkwürdiger Form mitgeteilt, dass sich die damaligen Schüler ihrer noch lange danach erinnerten, und L. selbst hat in einer weiteren Publikation 1867 im Lancet mitgeteilt, wie er schon 6 Jahre vorher seinen Hörern an der Univ. Glasgow zunächst die Ansicht vorgetragen habe, dass das Auftreten von Eiter in einer Wunde und dessen Verbreitung über gesunde Granulationen von dem Einfluss zersetzender organischer Materie bestimmt wird. Gestützt auf Pasteur's bekannte Versuche betonte L. damals schon die Notwendigkeit des Luftabschlusses von[1020] der Wundfläche. (Wie sehr gerade die wichtigen Experimente Pasteur's L.'s Gedankengang beeinflusst hatten, ist von diesem in einer Adresse an Pasteur zu dessen Jubelfeier 1892 eingeräumt worden). Doch war die Pasteur'sche Methode zur Sterilisierung und Zerstörung der Luftkeime für L. nicht verwertbar. Vielmehr fühlte sich dieser veranlasst, besondere chemische Agentien zu diesem Zweck ausfindig zu machen. Nach Vorversuchen mit Chlorzink, das von Campbell de Morgan als mächtiges Antiseptikum empfohlen war, dann mit Sulfiten (empfohlen von Polli in Mailand), verfiel L. auf die Karbolsäure. Doch ist der Gebrauch dieses Mittels missverständlicherweise als das Wesentliche der L.'schen Methode angesehen worden. L hat vielmehr das Verdienst, die schon vorher von James Whitehead und Thomas Turner in Manchester gebrauchte Karbolsäure zielbewusst und auf Grund experiment. Prüfung mittels des bekannten Spray (ohne übrigens die Arbeiten der erwähnten Autoren zu kennen) verwendet und die bekannte Technik seines Occlusivverbandes ausgebildet zu haben. Sogleich bei seinen ersten Untersuchungen machte L. selbst einen strengen Unterschied zwischen »aseptisch« und »antiseptisch«; er wies zuerst darauf hin, dass keine Asepsis möglich sei ohne Gebrauch antisept. Stoffe, wie Alkohol, Terpentin, Karbolsäure, Sublimat. Jodoform. Ein weiteres Verdienst L.'s besteht auch darin, dass er bestrebt war, seine Methode so auszubilden, dass sie für Arme und Reiche gleichermassen zu verwerten war (»Aeque pauperibus prodest, locupletibus aeque«). Eine Vervollkommnung seiner Methode bildet die in »Observations on the ligature of arteries on the antiseptic system« (Lond. 1869) empfohlene Katgutligatur, die L. vorher am Pferd und Kalb erprobt hatte. Den Beweis des günstigen Einflusses seiner Methode brachte ihm der Umschwung in der Salubrität der Krankenhäuser, worauf er in der Publikation »On the effects of the antiseptic system of treatment upon the salubrity of a surgical hospital« (Edinb. 1870) hinwies. Des weiteren bezogen sich auf seine Methode folgende Publikationen: »Natural history of Bacteria and the germ. theory of fermentative charges« (Quart.[1021] Journ. Microsc. Sc. Lond. 1873) – »Contribution to germ. theory of putrefaction« (Trans. Roy. Soc. Edinb. 1875) – »Lacticfermentation and its bearings on pathology« (Trans. Path. Soc. of Lond. 1878) – »Relation to micro-organismus to disease« (Quart. Journ. Microsc. Sc. 1881) – »On the coagulation of the blood in its practical aspects« (Lancet 1891) – »The present position of antiseptic surgery« (Verh. d. Intern. Kongr., Berlin 1890) – »Principles of antiseptic surgery« (Virch. Festschr. III, Berlin 1891). 1869 siedelte L. als Nachfolger seines Schwiegervaters auf dem. Lehrstuhl der klin. Chir. nach Edinburg über, wo er bekanntlich durch seine Methode der Univ. zu besonderem Glanz verhalf. 1877 erhielt er einen Ruf an das Kings Coll. in London, an dessen Hospital er bis 1892 lehrte, um seitdem von. der Lehrthätigkeit zurückzutreten und sich in das Privatleben zurückzuziehen. L. war ein ausgezeichneter Lehrer, seine frei gehaltenen Vorträge sind klar, angenehm, ohne rhetorischen Schmuck. Seine Ausführungen rufen ohne weiteres den Eindruck vollster Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit hervor. Bei der Antivaccinationsdebatte 1898 im Oberhause trat L. als. Redner hervor. 1883 wurde er zum Baronet, 1897 zum Baron ernannt, schon in Edinburg war er zum Surgeon of the Queen in Scotland ernannt worden, jetzt ist er Serj. Surg. Ihrer Majestät. Seit J896 ist L. Präsident der Roy. Soc, seit 1898 Ehrenbürger von Edinburg, ausserdem besitzt er die Ehrendoktorwürde von Edinburg, Glasgow, Dublin, Cambridge, Oxford, der Victoria University von Toronto, Würzburg, Bologna, Budapest, ist Mitglied und Ehrenmitglied zahlreicher gel. Gesellschaften, Inhaber der Cothenius-Medaille von der k. Leopold Carol. Akad. d. Naturf., Ritter zahlreicher hoher englischer und auswärtiger Orden etc.

Quelle:
Pagel: Biographisches Lexikon hervorragender Ärzte des neunzehnten Jahrhunderts. Berlin, Wien 1901, Sp. 1018-1022.
Lizenz:
Faksimiles:
1018 | 1019 | 1020 | 1021 | 1022
Kategorien:

Buchempfehlung

Lessing, Gotthold Ephraim

Miß Sara Sampson. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen

Miß Sara Sampson. Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen

Die tugendhafte Sara Sampson macht die Bekanntschaft des Lebemannes Mellefont, der sie entführt und sie heiraten will. Sara gerät in schwere Gewissenskonflikte und schließlich wird sie Opfer der intriganten Marwood, der Ex-Geliebten Mellefonts. Das erste deutsche bürgerliche Trauerspiel ist bereits bei seiner Uraufführung 1755 in Frankfurt an der Oder ein großer Publikumserfolg.

78 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon