Mueller, Johannes

Mueller, Johannes
Mueller, Johannes

[1166] Mueller, Johannes, der bekannte geniale Biolog, eines der Häupter der neueren Physiologie, 14. Juli 1801 zu Coblenz als Sohn eines Schuhmachers geb., schon als Knabe ungewöhnlich veranlagt und von dem derzeitigen Leiter der Schulen in den Rheinlanden, dem späteren vortragenden Rat im preuss. Unterrichtsministerium Joh. Schulze auf alle Weise gefördert, studierte seit 1819 in Bonn und erwarb bereits als Student einen Fakultätspreis mit der Arbeit: »Über die Respiration des Fötus«, die er 1 Jahr nach seiner 1822 erfolgten Promotion in Leipzig als selbständige Schrift veröffentlichte. Zum Zweck der Ablegung des med. Staatsexamens begab er sich nach Berlin und trat hier während eines 1 1/2jähr. Aufenthaltes zu Rudolphi in nähere Beziehungen, was für M.'s Ausbildung von wohlthätigem Einfluss insofern war, als M. nach eigenem[1166] Geständnis von Rudolphi der naturphilos. Richtung entfremdet und der unbefangenen Naturbetrachtung, speziell den anat. Studien, zugeführt wurde. Nach seiner Rückkehr aus Berlin habilitierte M. sich 1824 in Bonn als Privatdozent, wurde 1826 a. o., 1830 ord. Prof. und 1833 als ord. Prof. der Anatomie und Physiologie, sowie als Direktor des anat. Theaters und anat.-zootom. Museums an Rudolphi's Stelle berufen. Hier wirkte er als eine der Zierden der Berliner Fakultät und Univ. bis zu seinem 28. April 1858 ziemlich plötzlich an Herzleiden erfolgten Tode. M. wird mit Recht als glorreiches Haupt und anerkannter Führer einer biol. Schule verehrt. Als Forscher und Lehrer vielseitig und bahnbrechend wie selten jemand, hat er in beiden Beziehungen namentlich auf den Gebieten der vergl. Anatomie u. Physiologie eine geradezu überwältigende Thätigkeit entwickelt und diese Disziplinen mit zahllosen Neuerungenbereichert. Am populärsten sind M.'s physiol. Arbeiten, die er allmählich seinem klassischen »Handbuch der Physiologie des Menschen« (Coblenz 1833 bis 44, II) einverleibt hat, einem Werke, das noch heute zu den Zierden der deutsch-med. Litteratur gehört und obwohl die Thatsachen längst durch die neueren Ergebnisse überholt sind, wegen seiner klaren und lebendigen, durch Beispiele aus der Litteratur und Geschichte gewürzten Darstellung und wegen der darin entwickelten Methodik und Auffassung für alle Zeiten seinen Wert behalten wird. Den riesigen Umfang von M.'s Leistungen und seine geradezu titanenhafte Arbeitskraft bezeugt am besten die Zahl seiner Veröffentlichungen, die sich nach einer Feststellung seines grossen Schülers und Nachfolgers du Bois-Reymond für einen Zeitraum von 34 Jahren auf 267 Nummern und 950 Druckbogen beläuft. Erwägt man dazu die vielumfassende Lehrthätigkeit M.'s, der eine Zeit lang an der Berliner Univ. deskriptive,[1167] vergleichende Anat., Physiologie, Embryologie, pathol. Anat., alles in seiner einen Person vertrat, ferner die Thatsache, dass er als Verwalter des Berliner anatom. Museums, dessen Inhalt von 7000 Nummern in 25 Jahren auf 12380 Stück brachte, so wird man sich daraus ungefähr ein Bild von M.'s Schaffen machen können. Nach Waldeyer's schöner Biographie im älteren Lexikon ist M. vor allem die erste genaue Darstellung der Lehre von den Reflexbewegungen, von den Mitempfindungen und vom Gesetz der exzentr. Empfindung zu verdanken, ferner der erste exakte Beweis des Bell'schen Lehrsatzes durch Experimente am Frosch, Studien über die sogen. phantast. Gesichtserscheinungen, die Aufdeckung der Analogie der menschl. Tonbildung im Kehlkopf mit derjenigen in häutigen Zungenpfeifen, die Entdeckung des Chondrins, der Nachweis der Arteriae helicinae u.s.w. M. muss als der Begründer der heutigen Lehre vom feineren Bau der Geschwülste angesehen werden, er hat die Bedeutung und Notwendigkeit histol. Untersuchung in nachhaltigster Weise betont und in seiner berühmten Monographie: »De glandularum secernentium structura penitiori eorumque prima formatione« (Leipzig 1830) bewiesen. Über die Struktur des Knochen- u. Knorpelgewebes, über das Fett, über das »Bindegewebe«, wie er es statt »Zellgewebe« nannte, hat er wichtige und ergebnisreiche Studien gemacht; er hat unabhängig von W. Bowman die Harnkanalkapseln entdeckt, die Embryol. (»Müllersche Gang«) und vor allem auch die vergl. Anatomie mit zahlreichen Einzelthatsachen erweitert. Bezüglich dieser müssen wir jedoch auf das ältere Lexikon verweisen, ebenso bezüglich der Titel der übrigen Publikationen M/s. Als Lehrer war M. von faszinierender Gewalt. »Obgleich ihm die Gabe der eigentl. Unterweisung fehlte und es schwer war, ihm näher zu treten« (Waldeyer), wirkte M.[1168] doch ungemein anregend und fesselnd. Zu seinen Füssen sassen eine Reihe von Männern, die später selbst als ruhmreiche Forscher und Pfadfinder in den biolog. Wissenschaften hervorgetreten sind, Schwann, Henle, Brücke, E. du Bois-Reymond, remak, virchow, helmholtz. Am 7. Okt. 1899 wurde das Denkmal von M. in seiner Vaterstadt Coblenz feierlich enthüllt.

Quelle:
Pagel: Biographisches Lexikon hervorragender Ärzte des neunzehnten Jahrhunderts. Berlin, Wien 1901, Sp. 1166-1169.
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