Paetz, Albrecht

[1245] Paetz, Albrecht, Sanitätsrat zu Rittergut Alt-Scherbitz bei Schkeuditz (Halle-Leipzig), geb. zu Winzig in Schlesien 15. Jan. 1851, studierte in Berlin und Halle, wurde 1874 in Berlin mit der Diss. »Ueber Thoracocentese bei Pleuritis« promoviert, 1875 in Halle approbiert. Schon vor seiner Approbation, 1874, war er als Volontärarzt in die damals unter Koeppe's Leitung stehende Provinzial-Irrenanstalt Nietleben bei Halle a. S. eingetreten, an der er vom Tage seiner Approbation an als Assistenzarzt fungierte. 1876 siedelte er in der Stellung eines zweiten Arztes mit den ersten, von Nietleben entnommenen Kranken nach dem von der Provinz Sachsen für die Errichtung einer neuen Irrenanstalt angekauften Rittergute Alt-Scherbitz über, wohin 1877 auch Koeppe übersiedelte, nachdem er bis dahin die Direktion von Nietleben aus wahrgenommen hatte. Nach dessen Tode (1879) erhielt P. die Direktion, anfangs kommissarisch, später definitiv. Die von Koeppe in ihren[1245] ersten Anfängen errichtete »Central-Anstalt« erweiterte P. um die ersten, ad hoc geschaffenen »Überwachungs-Stationen« und andere zur Durchführung der »Bettbehandlung« bestimmte Abteilungen, um deren Einführung und Verbreitung sich P. als einer der ersten verdient machte. Er errichtete sodann im Anschluss an die vorhandene Gutswirtschaft eine grosse landwirtschaftliche Kolonie im Pavillon- und Villenstyle und schuf durch die Vereinigung derselben mit der Centralanstalt die erste »koloniale Irrenanstalt.« Hierdurch wie durch den grundsätzlichen Verzicht auf Mauern und Gitter wie alle sonstigen Beschränkungen, durch den Verzicht auf das Korridorsystem und das nach schottischem Vorgange zum ersten Male auf dem Kontinente durchgeführte »Offen-Thür-System« wurde Alt-Scherbitz vorbildlich als neues Anstalts-System und als solches im In- und Auslande allgemein acceptiert und nachgebildet. Auf dem Terrain von Alt-Scherbitz wurde von P. ausserdem das Siechenasyl »Kaiser Wilhelm-Augusta-Stiftung« errichtet, das gleichfalls unter seiner Direktion steht. Mitteilungen über die Grundsätze und Einrichtungen der Anstalt legte P. ausser in den veröffentlichten Verwaltungsberichten nieder in Vorträgen, welche er auf dem VIII. intern. med. Kongr. in Kopenhagen, auf den Naturforscher-Vers. in Magdeburg und Wiesbaden, wie auf dem Kongr. des deutschen Vereins für Armenpflege und Wohlthätigkeit zu Cassel hielt. P. veröffentlichte weiterhin: »Die Kolonisirung der Geisteskranken in Verbindung mit dem Offen-Thür-System, ihre historische Entwickelung und die Art ihrer Durchführung auf Rittergut Alt-Scherbitz« (Berlin). Von auswärtigen Behörden wird P. vielfach als Gutachter für Errichtung neuer Anstalten konsultiert.

Quelle:
Pagel: Biographisches Lexikon hervorragender Ärzte des neunzehnten Jahrhunderts. Berlin, Wien 1901, Sp. 1245-1246.
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