Roux, Wilhelm

Roux, Wilhelm
Roux, Wilhelm

[1438] Roux, Wilhelm, zu Halle a. S., geb. 9. Juni 1850 zu Jena, studierte, mit einjähr. Unterbrechung durch den Krieg 1870/71, Naturwissenschaften und, nachdem er das Gymnasial-Abiturienten-Examen nachgemacht hatte, seit 1873 Med. in Jena, Berlin und Strassburg, besonders als Schüler von E. Haeckel und Virchow. 1877 zu Jena approbiert, studierte er noch 1 Jahr Philosophie und arbeitete zugleich seine Doktor-Dissert. »Ueber die Verzweigungen der Blutgefässe«, in welcher die hydrodynamisch bedingten Gesetze der Gestaltung[1438] des Lumens der Verzweigungen der Blutgefässe dargelegt wurden. 1878 zu Jena promoviert, war R. 1878 bis 79 Assistent am pathol.-chem., zugleich hygien. Institut der Univ. zu Leipzig, darauf am anat. Institut zu Breslau, bis er das 1888 für ihn daselbst gegründete Institut für Entwickelungsgeschichte und Entwickelungsmechanik übernahm. 1880 habilitierte er sich in Breslau für Anatomie und 1886 wurde er Prof. e. o., 1889 Prof. ord. der Anatomie in Innsbruck, wo er bis zu seiner 1895 erfolgten Berufung nach Halle wirkte. R. ist Mitgl. der Acad. Medico-Chirurgica di Perugia (seit 1897), und der k. Akad. der Wiss. zu Turin (seit 1898). Der erwähnten Doktor-Dissert. folgten eine Reihe von Arbeiten über die von R. sog. »Functionelle Anpassung« (die Anpassung der Organismen an veränderte Funktionen durch Ausübung derselben), darunter unter dem Titel: »Der Kampf der Theile im Organismus« (Leipzig 1881) eine Theorie der funktionellen Anpassung, welche zugleich eine wesentliche Vervollständigung der Darwin'schen Descendenzlehre darstellt. Seit 1885 verfasste R. eine Reihe von Beiträgen zur Entwickelungsmechanik des Embryo. Alle bis 1894 erschienenen Abhandlungen wurden unter dem Titel: »Gesammelte Abhandlungen über Entwickelungsmechanik« (Leipzig 1895, 2 Bde.) vereinigt, neu herausgegeben. Er gründete 1894 das »Archiv für Entwickelungsmechanik«, von dem bis 1898 7 Bde. erschienen sind. In diesem sind auch seine[1439] neueren Arbeiten veröffentlicht, unter denen besonders zu nennen sind: »Ueber den Cytotropismus der Furchungszellen« (1894, I) – »Ueber die Selbstordnung (Cytotaxis) sich berührender Furchungszellen durch Zellenzusammenfügung, Zellentrennung und Zellengleiten« (1896, III), sowie die auch gesondert erschienene Schrift: »Programm und Forschungsmethoden der Entwickelungsmechanik der Organismen« (V u. Leipzig 1897). Nicht in seinem Arch. sind publiziert eine Mitteilung über die von ihm erfundene Methode, vollkommen abgeschliffene Prägung von Münzen auf elektrischem Wege wieder deutlich sichtbar zu machen, ferner eine Untersuchung: »Ueber die Dicke der statischen Elementartheile und über die Maschenweite der Substantia spongiosa der Knochen« (Ztschr. f. orthopäd. Chir. IV; 1896), sowie einige Mitteilungen »Ueber die polare electrische Erregung der lebend. Substanz« (Pflüger's Arch. LXIII u. LXVI). R. hat als erster die Erforschung der direkten Gestaltungsursachen der tier. Organismen in method. Weise in Angriff genommen und durch eine Anzahl von Untersuchungen fortgeführt. Er hat dadurch anregend auf viele jüngere Forscher gewirkt, und wird infolgedessen als Begründer einer neuen morphol. Disziplin: der Entwickelungsmechanik anerkannt. Es ist sein Ziel, die Ursachen, resp. die »gestaltenden Wirkungsweisen« des organ. Geschehens und ihre Wirkungsgrössen zu ermitteln, und erstere danach möglichst weit auf die im Bereiche des Anorganischen vorkommenden physik. und chem. Wirkungsweisen zurückzuführen. Um ersterem Ziele sich zu nähern, hat er zunächst die analyt. Vorfragen nach der Zeit, dem Sitz und der Grösse der einzelnen Gestaltungsursachen in Angriff genommen, ist dabei aber auch schon den Wirkungsweisen einiger solcher Ursachen näher getreten. So ermittelte er die elementare Wirkungsweise, auf welcher die funktionelle Anpassung beruht: Die trophische Wirkung des funktionellen Reizes (resp. der Vollziehung der Funktion), aus der unendlich viele und mannigfaltige, direkt zweckmässige Einzelgestaltungen der Organismen in allen Organen hervorgehen; ferner die Bestimmung der Richtung der Medianebene des Embryo im Froschei durch die[1440] Copulationsrichtung des Eikernes und des Spermakernes; die Möglichkeit der künstlichen Hervorbringung halber vorderer oder seitlicher Froschembryonen aus dem Ei, die anziehende Wirkung, welche in geringem Abstande von einander befindliche Furchungszellen aufeinander ausüben; sowie das Vermögen zur Selbstordnung einander berührender Furchungszellen etc. Auch hat er die Definition des Wesens des Lebens verbessert (im »Kampf der Theile«, Kap. V).

Quelle:
Pagel: Biographisches Lexikon hervorragender Ärzte des neunzehnten Jahrhunderts. Berlin, Wien 1901, Sp. 1438-1441.
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