[66] ANSELM: Daß die vernunftbegabte Natur von Gott gerecht erschaffen worden sei, um in seinem Genusse selig zu sein, darf nicht bezweifelt werden. Denn dazu hat die Vernunft, damit sie unterscheide zwischen gerecht und ungerecht, zwischen gut und bös, zwischen mehr und minder gut; außerdem wäre sie vergeblich mit Vernunft begabt worden. So besteht denn kein Zweifel, daß sie zu diesem Zwecke mit Vernunft begabt worden. Aus gleichen Grunde beweist sich, daß sie die Fähigkeit, zu unterscheiden, nur zu dem Ende erlanget, um das Böse zu hassen und zu meiden, das Gute zu lieben und zu wählen, ja auch um das Bessere mehr zu lieben und eher zu wählen. Wiederum hätte ihr Gott sonst vergeblich jene Fähigkeit des Unterscheidens verliehen, weil das Unterscheiden eitel, würde sie nicht in Gemäßheit des Unterscheidens lieben oder aber meiden. Nimmer doch ziemte sich, daß Gott eine so weitreichende Fähigkeit vergeblich verliehen hätte. Es steht darum fest, daß die Natur um deswillen mit Vernunft begabt worden, auf daß sie das höchste Gut über alles liebe und er wähle, nicht um eines andern, sondern um seiner selbst willen; denn thäte sie es um eines andern willen, so würde sie nicht jenes selbst, sondern dieses andere lieben. Solches kann aber hinwieder nur ein gerechtes Wesen thun. Damit es also seine Vernunft nicht umsonst besitze, muß es zu diesem Zwecke zugleich mit Vernunft und Gerechtigkeit begabt worden sein. Ist es nun gerecht erschaffen worden, um das höchste Gut zu wählen und zu lieben, so ist es zu dem weitern Ende erschaffen, entweder einstens das zu erlangen,[66] was es liebt und erwählt, oder aber mit Absehung hievon. Wäre es aber nicht um deswillen gerecht erschaffen worden, damit es das erlange, was es liebt und erwählt; so wäre es vergeblich so geschaffen worden, jenes lieben und erwählen zu können; und es wäre kein Grund mehr vorhanden, daß es jenem jemals nachstreben sollte. Denn solange die gerechte Natur durch Lieben und Erwählen des höchsten Gutes ihrer Bestimmung nachkäme, müßte sie unglücklich sein, weil gegen ihren Willen in Dürftigkeit, indem sie das nicht hätte, wonach sie verlangt – was doch eine zu große Ungereimtheit in sich schlösse. So ist denn die vernunftbegabte Natur gerecht erschaffen worden, um im Genusse des höchsten Gutes, d.h. Gottes – selig zu sein; und ist der Mensch als ein vernunftbegabtes Naturwesen zu dem Ende gerecht erschaffen worden, damit er im Genusse Gottes selig sei.
ANSELM: Daß er aber auch so erschaffen wurde, um von der Notwendigkeit des Todes befreit zu sein, folgt leicht daraus, weil, wie schon gezeigt, es der Weisheit und Gerechtigkeit Gottes widerspricht, daß sie den Menschen ohne sein Verschulden zwingen würde, den Tod zu erleiden, nachdem sie in Gerechtigkeit ihn erschaffen für eine ewig dauernde Seligkeit. Es ergibt sich hiemit, daß, wenn er nie gesündigt hätte, er auch nie sterben würde.
ANSELM: Damit ist zugleich für die künftige Auferstehung der Toten der Beweis erbracht. Denn wenn der Mensch vollkommen wiederhergestellt werden muß, so muß er ganz in dem Zustande vor der Sünde wiederhergestellt werden.
BOSO: Anders kann es nicht sein.
ANSELM: Sowie ferner der Mensch,[67] falls er nicht gesündigt, mit seinem jeweiligen Leibe zur Unverweslichkeit hätte verwandelt werden müssen, muß er auch nunmehr bei seiner Wiederherstellung mit dem nämlichen Leibe bekleidet werden, den er in diesem Leben hatte.
BOSO: Und was werden wir antworten, wenn uns jemand entgegenhält, daß solches wohl in betreff derjenigen geschehen werde, in denen das Menschengeschlecht zur Wiederherstellung gelangt, daß es keineswegs jedoch auch in betreff der Verworfenen geschehen müsse?
ANSELM: Nichts begreift sich ja als gerechter und angemessener, als dies, daß wie im Falle des Verharrens in der Gerechtigkeit der ganze Mensch, mit Leib und Seele, ewig selig wäre; so im Falle des Verharrens in der Ungerechtigkeit der ganze Mensch ähnlicher Weise ewig unglückselig sei.
BOSO: Bündig hast du mich hierüber zufrieden gestellt.
ANSELM: Aus dem Gesagten ziehen wir leicht den Schluß, Gott werde in betreff der menschlichen Natur entweder vollenden, was er angefangen; oder er hätte zwecklos eine so erhabene Natur, für ein so großes Gut bestimmt, ins Dasein gerufen. Hat jedoch Gott nichts Kostbareres geschaffen, als die vernunftbegabte Natur – um sich an ihr zu erfreuen; so ist es undenkbar, daß er auch nur irgend eine vernunftbegabte Natur vollends werde zu Grunde gehen lassen.
BOSO: Kein vernünftiger Mensch kann anderer Ansicht sein.
ANSELM: Dann ist es also unabweisbar, daß er im betreff der Menschennatur das vollende, was er angefangen; das aber kann, wie wir sagten, nur geschehen durch vollständige Sühne für die Sünden, die ein Sünder selbst nicht leisten kann.
BOSO: Ich begreife nunmehr die Notwendigkeit, daß Gott vollende, was er angefangen, damit es nicht wider Gebühr den Anschein gewänne, als hätte er seinen ursprünglichen Plan aufgegeben.
[68] BOSO: Wenn dem aber also ist, scheint es, als sähe sich Gott mit Notwendigkeit gezwungen – um eine Unziemlichkeit zu vermeiden – für das Heil der Menschen Sorge zu tragen. Wie wird sich daher verneinen lassen, daß er das mehr um seiner selbst, als um unsertwillen thue? Und wenn dem so wäre, welchen Dank schuldeten wir ihm noch für etwas, was er um seinetwillen thut? Wie werden wir ferner unsere Rettung seiner Gnade beilegen, wenn er mit Nötigung uns rettet?
ANSELM: Es gibt allerdings eine Nötigung, welche dem Wohlthäter den Dank entzieht oder abschwächt; es gibt aber auch eine Nötigung, zufolge welcher nur um so größerer Dank für eine Wohlthat gezollt wird. So nämlich jemand, nur weil er einer Nötigung gehorcht, also wider Willen eine Wohlthat spendet, wird er entweder keinen oder höchstens geringen Dank zu beanspruchen haben. Wenn er nun aber aus freien Stücken die Nötigung zum Wohlthun sich auferlegt und dieselbe sogar mit Freuden fortwährend empfindet; dann gewiß darf er um so größern Dank für seine Wohlthat ansprechen. Eigentlich läßt sich dann auch nicht mehr von Nötigung sprechen, als vielmehr von Gnade, soferne er die Nötigung sich auferlegte und fortempfindet nicht infolge irgendwelchen Zwanges von außen her, als vielmehr aus Gnade. Wenn du heute aus freien Stücken versprichst, morgen eine Schankung zu vollziehen, so vollziehst du mit derselben Willensgesinnung morgen jene Schankung; wiewohl du gehalten bist, im Falle du kannst, morgen das Versprechen einzulösen, da du sonst ein Lügner wärest, so schuldet dir nichtsdestoweniger derjenige, welchem du die Schankung machtest, für die gespendete Wohlthat denselben Dank, wie wenn du sie ihm nicht versprochen hättest, weil du ungezwungen handeltest, als du vor der Zeit der Schankung dich ihm gegenüber verbindlich machtest. Es ist der gleiche Fall, wenn jemand aus freien Stücken das Gelübde heiliger Zurückgezogenheit macht. Ist er auch nach abgelegtem Gelübde mit Nötigung verbunden, dasselbe zu halten, um nicht der Verdammung eines Abtrünnigen anheimzufallen, und könnte er auch, falls er es nicht[69] halten wollte, an seine Pflicht erinnert werden: so ist er doch, sobald er nun freiwillig hält, was er gelobt hatte, Gott nicht minder, sondern mehr angenehm, als wenn er gar kein Gelübde gemacht hätte; soferne er nicht bloß die gewöhnliche Lebensweise, sondern sogar die Erlaubtheit, zu derselben je zurückzukehren, aus Liebe zu Gott sich versagt hat. Und man wird nun nicht sagen dürfen, er führe gezwungenerweise ein Gott geweihtes Leben, im Gegenteile führt er es mit derselben Freiheit, womit er das Gelübde abgelegt hatte. Wieviel mehr' erst müssen wir, wenn Gott beim Menschen das Gute, was er begonnen, zu Ende führt – wiewohl es auch für ihn kaum ziemend wäre, vom einmal begonnenen Guten abzulassen – das Ganze der Gnade beilegen, nachdem schon der Beginn dieses Guten unsert-, nicht seinetwegen geschah, soferne er niemandens bedarf. Gott wußte wohl, was der Mensch thun würde, wenn er ihn geschaffen; nichtsdestoweniger hat er sich dadurch, daß er ihn schuf, in seiner Güte gewissermaßen freiwillig gebunden, das begonnene Gute zu Ende zu führen. Endlich vollbringt Gott schlechterdings nicht aus Nötigung, da er auf keine Weise gezwungen oder aber gehindert wird, etwas zu thun. Mögen wir daher auch sagen, Gott thue etwas »gleichsam« aus Nötigung, nämlich eine Unziemlichkeit zu vermeiden, die er wahrlich nicht zu besorgen hat; so ist das vielmehr dahin zu verstehen, daß er es thut in der Notwendigkeit, das ihm Ziemende festzuhalten; eine Notwendigkeit, die zuletzt nichts anderes ist, als eben die Umwandelbarkeit jenes Ziemenden, das von ihm selbst lediglich und von niemand anderm bestimmt wird. Insoferne mögen wir immerhin sagen, es sei notwendig, daß Gottes Güte ihrer Unwandelbarkeit wegen in betreff des Menschen zu Ende führe, was sie begonnen, wiewohl das Ganze, was er an Gutem vollbringt,[70] schließlich Sache seiner Gnade ist!
BOSO: Ich erkläre mich einverstanden.
ANSELM: Jenes vermag aber nur zu geschehen, wenn jemand Gott für die Sünde des Menschen etwas entrichtet, das größer ist als alles, was außer Gott vorhanden.
BOSO: So scheint es ausgemacht.
ANSELM: Ebenso muß auch derjenige, welcher Gott von dem Seinigen etwas wird geben können, was alles unter Gott Stehende übertrifft, notwendig größer sein, als alles, was nicht Gott ist.
BOSO: Das wagte ich nicht in Abrede zu stellen.
ANSELM: Nichts steht jedoch über allem, was Gott nicht ist, außer Gott.
BOSO: Sehr wahr.
ANSELM: Mithin kann nur Gott solche Sühne leisten.
BOSO: Das folgt mit Notwendigkeit.
ANSELM: Und doch sollte sie niemand leisten, als der Mensch, da sonst nicht der Mensch die Genugthuung leistet!.
BOSO: Nichts, was mir gerechter schiene.
ANSELM: Ist somit, wie feststeht, die Notwendigkeit gegeben, daß in betreff des Menschen jene obere Gemeinde zur Vollendung geführt werde, und kann solches nicht statthaben, ohne daß die vorbesprochene Sühne vorausgehe, welche niemand leisten kann – außer Gott, und niemand leisten soll – außer der Mensch; so muß der, welcher sie wirklich leistet, offenbar Gott-Mensch sein.
BOSO: Gott sei Dank! Großes schon haben wir mittels unserer Untersuchung festgestellt; so fahre denn fort, wie du angefangen! Denn ich hoffe, Gott werde uns seinen Beistand nicht versagen.
ANSELM: Die Frage lautet nunmehr, wie kann Gott Mensch werden? Denn die göttliche und die menschliche Natur können sich nicht eine in die andere verwandeln, so daß die göttliche zur menschlichen, oder die menschliche zu göttlichen würde; und sie lassen sich auch nicht so vermengen, daß eine neue dritte[71] aus beiden hervorgienge, die dann weder ganz göttlich, noch ganz menschlich wäre. Überhaupt würde ja, wenn das geschehen könnte, daß die eine in die andere aufgienge, entweder nur Gott und kein Mensch, oder nur mehr der Mensch und kein Gott übrig bleiben. Oder falls sie so vermengt würden, daß aus den beiden verstümmelten eine dritte Natur hervorgienge (wie von zwei Tierindividuen verschiedener Arten, einem Männchen und Weibchen, ein drittes geboren wird, das weder die ganze Natur des Vaters, noch die der Mutter hat, sondern eine aus beiden gemischte dritte); so wäre diese weder Gott, noch Mensch. Der Gott- Mensch, bei welchem wir göttliche und menschliche Natur fordern, kann folglich nicht entstehen durch Verwandlung der einen Natur in die andere; auch nicht durch eine stümmelhafte Vermengung beider zu einer dritten, weil all' das entweder unmöglich, oder, wenn möglich, bedeutungslos wäre für das, was wir verlangen. Sollten aber auch die beiden Gesamtnaturen auf irgend eine Art etwa in der Weise verbunden werden, daß doch ein Anderer – Mensch und wieder ein Anderer – Gott wäre und folglich nicht der Nämliche Gott wäre, welcher Mensch ist; so können unmöglich die beiden leisten, was zu leisten unerläßlich. Denn Gott wird es nicht leisten, weil er es nicht zu leisten braucht; der Mensch aber wird es nicht leisten, weil er es nicht zu leisten vermag; damit das also der Gott- Mensch leiste, wird es notwendig sein, daß er ebensowohl vollkommen Gott, als auch vollkommen Mensch sei, indem er eine Genugthuung vollbringt, welche nur er vollbringen kann – als wahrer Gott; und zugleich vollbringen soll – als wahrer Mensch. Während mithin ein Gott-Mensch gefunden werden muß[72] – unbeschadet der Vollständigkeit beider Naturen –, thut es doch nicht minder not, daß die bei den vollständigen Naturen in Einer Person sich begegnen, sowie der Leib und die vernünftige Seele in Einem Menschen zusammentreffen, da es nur auf diesem Wege möglich, daß ein- und derselbe vollkommener Gott und vollkommener Mensch sei.
BOSO: Das alles leuchtet mir ein, was du da vorträgst.
ANSELM: Es erübriget nunmehr, zu untersuchen, woher und wie Gott menschliche Natur annehmen werde. Denn entweder wird er sie von Adam nehmen, oder er wird einen neuen Menschen schaffen, gerade so wie er den Adam nicht aus einem andern Menschen gestaltet hat. Allein wenn er den neuen Menschen nicht aus Adams Geschlecht macht, so wird er nicht zu jenem Geschlecht gehören, das aus Adam geboren worden; er wird mithin auch nicht für dasselbe Genugthuung leisten dürfen, weil er nicht aus demselben geboren sein wird. Denn so gut es Rechtens ist, daß für die Schuld des Menschen der Mensch Genugthuung leiste; ist es geboten, daß der Sühnende derselbe sei, wie der Sündigende oder wenigstens des nämlichen Geschlechtes; ansonst weder Adam, noch dessen Geschlecht Genugthuung für sich leisten wird. Gleichwie daher von Adam und Eva die Sünde auf alle Menschen übergegangen[73] ist, so mag kein anderer für die Sünden der Menschen Genugthuung leisten, außer diese selbst oder wer aus ihnen hervorgeht. Und nachdem sie selbst hiezu unvermögend sind, wird derjenige, welcher hiezu vermögend ist, wenigstens aus ihrer Nachkommenschaft genommen sein müssen. Noch mehr: Gleichwie Adam und sein ganzes Geschlecht durch sich Bestand gehabt hätte, ohne Beihilfe eines andern Geschöpfes, im Falle es nicht gesündigt hätte; so folgt notwendig, daß, wenn dasselbe Geschlecht von seinem Falle wiederum aufsteht, es durch sich aufstehe und wieder erhoben werde. Durch wen es nun immer in seinen Zustand zurückgeführt werden mag, jedenfalls wir es durch denjenigen seinen Bestand haben, durch den es in den früheren Zustand neuerdings eintritt. Gott hat auch, als er die menschliche Natur ursprünglich in Adam allein schuf und die Frau, damit die Menschen in beiden Geschlechtern sich vervielfältigten, nur aus Jenem nehmen wollte, klar gezeigt, daß er nur aus Adam habe machen wollen, was er an menschlichen Wesen überhaupt hervorbringen wollte. Würde daher Adams Geschlecht durch einen Menschen wieder erhoben, welcher nicht desselben Geschlechtes wäre, so würde dieses nicht in jene frühere Würde, welche es inne haben sollte, falls Adam nicht sündigte, und eben darum auch nicht vollständig zurückversetzt und Gottes Absicht würde unverwirklicht zu bleiben scheinen – was zwei Unzukömmlichkeiten in sich schlösse: und darum ist es nötig, das aus Adam der Mensch genommen werde, durch welchen wiederhergestellt werden soll das Geschlecht des Adam.
BOSO: Wenn wir, eingedenk unseres Vorsatzes, bei der Vernunftbegründung stehen bleiben, so muß sich das unausweichlich also verhalten.
ANSELM: Prüfen wir jetzt weiter, ob Gott die Menschennatur von Vater und Mutter anzunehmen hatte, gleich den übrigen Menschen, oder vom Manne ohne das Weib, oder aber vom Weibe ohne den Mann! Denn auf welche von den drei angegebenen Arten das geschehen mag, so wird er von Adam und Eva abstammen, von denen jeder Mensch beiderlei Geschlechtes abstammt; und keine der bezeichneten drei Arten ist für Gott etwa leichter als die übrigen beiden, so daß er gerade auf eine bestimmte Art Fleisch annehmen müßte.
BOSO: Du fährst gut weiter.
ANSELM: Und hiebei werde ich nicht erst viele Mühe brauchen zu zeigen, daß jener Mensch auf eine reinere und schicklichere Weise entweder vom Mann oder vom[74] Weibe allein hervorgebracht werden wird, als durch eine Vermischung beider nach Weise der übrigen Menschenkinder.
BOSO: Deine Andeutung genügt schon.
ANSELM: Er wird folglich vom Manne allein oder vom Weibe allein Fleisch anzunehmen haben.
BOSO: Nicht anders kann es sein.
ANSELM: Nun kann Gott den Menschen auf vierfache Art hervorbringen: entweder aus Mann und Weib, wie die ununterbrochene Regel bestätigt; oder weder aus dem Manne noch aus dem Weibe, wie er den Adam erschuf; oder aus einem Manne ohne das Weib, wie er Eva geschaffen; oder auch aus dem Weibe ohne den Mann, wie er bis dahin noch nicht gethan. Um daher zu zeigen, daß auch diese Art der Hervorbringung seiner Macht unterliege und gerade für dieses Werk aufgespart worden sei; so erscheint doch nichts geziemender, als daß er den uns fraglichen Menschen aus dem Weibe ohne den Mann nehme. Ob solches weiterhin mit mehr Angemessenheit aus einer Jungfrau geschehe, bedarf keiner Erörterung; vielmehr werden wir unbedenklich behaupten, daß aus einer Jungfrau der Gottmensch geboren sein müsse.
BOSO: Du sprichst mir vollends aus dem Herzen.
ANSELM: ist es mithin etwas Feststehendes, was wir ausgesprochen, oder eitel Dunst, der Wolke vergleichbar, wie laut deiner eigenen Aussage die Ungläubigen uns vorrücken?
BOSO: Etwas durchaus Feststehendes.
ANSELM: Weg also mit Vorstellungen, welche auf leerer Einbildung beruhen, statt auf gesicherter Wirklichkeit! Und behaupte nur wie vollkommen zutreffend es sei, wenn, gleichwie die Sünde des Menschen und die Ursache unserer Verdammnis vom Weibe ihren Ausgang nahm, so hinwieder auch das Heilmittel wider die Sünde und die Ursache unserer Erlösung aus dem Weibe ihren Anfang nehme; zugleich muß auch, damit das weibliche Geschlecht nicht verzweifle in betreff seines Anteiles am Lose der Seligen, nachdem vom Weibe so großes Unheil ausgegangen, zur Wiederbelebung seiner Hoffnung auch vom Weibe ein so großes Heil ausgehen. Stelle dir ferner vor: Wenn es eine Jungfrau war, welche dem menschlichen Geschlechte so großes[75] Unheil verursachte, so ist es sicherlich wohl mit größerem Recht hinwieder eine Jungfrau, welche demselben ein so großes Heil verursacht. Auch das stelle dir vor: Wenn das Weib, welches Gott aus dem Manne nahm – ohne Beisein eines Weibes – aus einem Jüngling folglich genommen wurde; so paßt es sich gewiß sehr, daß auch der Mann, der aus dem Weibe genommen werden soll, – ohne Beisein eines Mannes –, aus einer Jungfrau folglich genommen werde. Übrigens möge das nun genügen rücksichtlich der Vorstellungen, welche wir uns darüber machen können, daß der Gottmensch aus einer Jungfrau geboren sein müsse.
BOSO: Ich finde diese Vorstellungen so anziehend als vernunftgemäß.
ANSELM: Nun muß man aber doch auch fragen, in welcher Person Gott, der ja dreipersönlich ist, Menschengestalt annehmen solle. Denn mehrere Personen können nicht einen und denselben Menschen zur Einheit der Person annehmen. Deshalb kann nur in einer einzigen Person solches zutreffen. Indes über diese Einheit der Person des Gottmenschen und in welcher göttlichen Person dieselbe vorzugsweise statthaben müßte, habe ich in der Zuschrift an den heiligen Vater Urban »über die Menschwerdung des Logos« mich verbreitet, was ich auch für die gegenwärtige Untersuchung hinreichend erachte.
BOSO: Berühre gleichwohl auch hier kurz, weshalb in höherem Grade die Person des Sohnes vor jener des Vaters und des heiligen Geistes Mensch werden sollte!
ANSELM: Wenn irgend eine andere Person Mensch würde, wären fortan zwei Söhne in der Trinität; der Sohn Gottes nämlich, welcher vor aller Fleischwerdung Sohn ist, und derjenige, welcher nach der Fleischwerdung der Sohn der Jungfrau sein würde; und es wäre nun in den Personen, welche sich doch immer gleich sein müssen, eine Ungleichheit in betreff der Würde ihrer Geburten. Denn der aus Gott Geborene würde ja eine höhere Geburt darzeigen, als der aus der Jungfrau Geborene. Ja wenn z.B. der Vater Fleisch geworden, so würden zwei Enkel[76] in der Trinität sein, weil alsdann der Vater Enkel wäre seitens der Eltern der Jungfrau, durch die Annahme der Menschennatur; und der Logos, wiewohl er nichts von einem Menschen hätte, wäre dennoch Enkel der Jungfrau, als der Sohn ihres Sohnes. Alles das aber sind Unzukömmlichkeiten, welche mit der Menschwerdung des Logos wegfallen. Noch ein anderer Grund, warum der Sohn passender als die übrigen Personen Fleisch angenommen, liegt darin, weil es doch passender klingt, wenn der Sohn zum Vater betet, als irgend eine Person zu der anderen. Ferners hatten der Mensch, für den er beten soll, und der Satan, den er bekämpfen soll, beide mit freiem Willen eine falsche Gottähnlichkeit sich angemaßt. Somit hatten sie ganz besonders gegen die Person des Sohnes gesündiget, welcher als die wahre Abbildlichkeit des Vaters geglaubt wird. Demjenigen aber, gegen den ganz besonders die Unbill geschieht, wird auch die Strafe oder aber die Verzeihung der Schuld passend zugeteilt. Hat uns demnach ein unwiderleglicher Vernunftgrund dargethan, daß notwendigerweise die göttliche und die menschliche Natur in Eine Person zusammenfalle; und kann solches nicht mit mehreren göttlichen Personen geschehen; und liegt es endlich offen zu Tage, daß mit der Person des Logos dasselbe passender geschehe als mit den übrigen Personen: so muß notwendig im Logos der Gottmensch in einer Person sich vereinen.
BOSO: Wirklich ist der Weg, auf dem du mich führst, derart mit Vernunftgründen auf allen Seiten umzäunt, daß ich nicht sehe, wie ich zur Rechten oder zur Linken davon abgleiten könnte.
ANSELM: Nicht ich führe dich; sondern derjenige, von welchem wir reden, ohne welchen wir nichts vermögen, führt uns immer da, wo wir den Pfad der Wahrheit einhalten.
ANSELM: Ob aber jener Mensch schuldigermaßen zu sterben hat, sowie alle übrigen Menschen schuldigermaßen sterben, brauchen wir nicht weiter zu untersuchen; denn wenn sogar Adam vom Tode befreit geblieben wäre, im Falle er zu sündigen unterlassen hätte, so wird sicherlich Jener um so weniger den Tod erleiden müssen, in welchem eine Sünde nicht denkbar sein wird, da er Gott ist.
BOSO: Hierin möchte ich dich nun aber doch ein wenig aufhalten; denn ob es nunmehr von ihm heißt, daß er sündigen konnte, oder aber, daß er nicht sündigen konnte: im einen wie im anderen Falle entsteht mir ein nicht unerhebliches Bedenken.[77] Heißt es nämlich von ihm, daß er nicht sündigen konnte, so scheint das schwer glaublich; denn um nicht, wie bisher, sozusagen von demjenigen zu sprechen, der nie gewesen, sondern nur um einmal ein Wort zu sprechen von demjenigen, den wir nach seiner Person und seinen Handlungen kennen; wer vermöchte in Abrede zu stellen, daß derselbe vieles hätte thun können, was wir Sünde nennen? Um von anderem zu schweigen, wie möchten wir z.B. behaupten, daß er nie hätte lügen können, was doch immer eine Sünde bleibt? Denn wenn er zu den Juden in betreff seines Vaters äußert: »Sagte ich, ›(ich) kenne ihn nicht‹, so wäre ich gleich euch ein Lügner« und hiebei die Worte gebraucht: »(ich) kenne ihn nicht«; wer möchte behaupten, er hätte nicht die nämlichen drei Ausdrücke verbringen können, ohne die andern Worte, so daß er wirklich gesagt: »(Ich) kenne ihn nicht?« Thäte er aber das, so wäre er nach seiner eigenen Aussage ein Lügner, was darauf hinausliefe; ein Sünder. Weil er nun solches konnte, konnte er sündigen.
ANSELM: Er konnte solches sagen und konnte dabei doch nicht sündigen.
BOSO: Wie das möglich, erkläre mir!
ANSELM: Jegliches Können richtet sich nach dem Wollen. Sage ich: Ich kann reden oder gehen, so muß man hinzudenken – vorausgesetzt, daß ich will. Denn wäre nicht die Voraussetzung des Wollens hinzugedacht, so würde nicht mehr von einem Können, sondern von einem Müssen die Rede sein. Denn wenn ich sage, daß ich wider meinen Willen gezwungen oder bezwungen werden kann, so ist da nicht mehr von meinem Können die Sprache, sondern von meinem Müssen und dem KönnenKönnen eines andern. Es bedeutet alsdann der Ausdruck: Ich kann gezogen oder bezwungen werden, nichts anderes als: Ein anderer kann mich ziehen oder bezwingen. Wir können daher von Christus sagen, daß er lügen konnte, hinzugedacht, wenn er wollte; soferne er jedoch nicht lügen konnte, ohne daß er wollte; er den Willen zu lügen aber niemals hatte, läßt sich gewiß ebensogut von ihm sagen, daß er nicht lügen konnte. So konnte er lügen und konnte er es auch nicht.
BOSO: Bescheiden[78] wir uns wiederum dahin, daß wir, wie früher, bezüglich Jenes – unangesehen seiner wirklichen Existenz – unsere Forschung aufnehmen! Ich behaupte dem gemäß: Kann derselbe nicht sündigen, weil er, wie du sagst, nicht sündigen will; so wird er notwendig die Gerechtigkeit bewahren müssen und wird er darum nicht zufolge freier Willensentscheidung gerecht sein. Welcher Dank sollte ihm deswegen um seiner Gerechtigkeit willen zu zollen sein? Pflegen wir doch sonst zu sagen, gerade darum habe Gott die Engel und die Menschheit so geschaffen, daß sie sündigen könnten, damit sie, wenn sie – statt die Gerechtigkeit zu verlassen – dieselbe freiwillig bewahrten, Dank und Ehrung verdienten, welche ihnen, sobald sie mit Notwendigkeit gerecht waren, nicht gebühren.
ANSELM: Sind die Engel, welche jetzt nicht mehr sündigen können, also keines Preises würdig?
BOSO: Im Gegenteil; allein was sie jetzt nicht mehr können, haben sie ja gerade dadurch verdient, daß sie konnten und dennoch nicht wollten.
ANSELM: Wie urteilst du denn von Gott, der nicht sündigen kann und zwar, ohne solches durch Bewährung in der Sündfähigkeit verdient zu haben? Ist er vielleicht nicht zu preisen ob seiner Gerechtigkeit?
BOSO: Hier wünsche ich, daß du an Stelle meiner die Antwort übernehmest; denn sage ich, er verdiene keinen Preis, so weiß ich mich einer Lüge schuldig; sage ich aber, er verdiene Preis, so besorge ich, meinen in betreff der Engel angegebenen Vernunftgrund zu entkräften.
ANSELM: Die Engel sind nicht deshalb in betreff ihrer Gerechtigkeit preiswürdig, weil sie sündigen konnten, vielmehr, weil sie durch das Sündigenkönnen es gewissermaßen aus sich haben, daß sie nicht mehr sündigen können; worin sie bis zu einem gewissen Grade Gott ähnlich sind, der aus sich alles hat, was er hat. Man sagt, derjenige gebe etwas, welcher beläßt, was er nehmen könnte; und derjenige mache, daß etwas sei, welcher, wenn schon er dessen Existenz verhindern könnte, dies gleichwohl nicht thut. Wenn demnach der Engel sich der Gerechtigkeit berauben konnte, und solches dennoch nicht that; so wird ja wohl mit Recht von ihm behauptet, daß er die Gerechtigkeit sich gegeben, und auch, daß er sich gerecht gemacht habe. In diesem Sinne also hat er die Gerechtigkeit[79] aus sich (wie sie denn ein Geschöpf nicht auf andere Weise aus sich haben kann) – und deshalb ist er wegen seiner Gerechtigkeit preiswürdig und ist er nicht aus Nötigung, sondern aus freiem Willen gerecht; wie denn nur im uneigentlichen Sinne das Wort »Nötigung« gebraucht wird, wo weder ein Zwang noch ein Hemmnis vorhanden. Gott daher, weil er vollkommenerweise aus sich hat, was er hat, ist im höchsten Grade preiswürdig ob all' des Guten, was er hat und bewahrt – nicht infolge irgend einer Nötigung, sondern, wie oben gezeigt wurde, infolge eigener und ewiger Unveränderlichkeit. So also wird auch jener Mensch, welcher zugleich Gott sein wird, weil er alles Gute, was ihm nur immer eigen, aus sich haben wird, nicht durch Nötigung, sondern durch Freiheit und aus sich selbst gerecht und eben aus diesem Grunde preiswürdig sein. Denn wenn nun auch die menschliche Natur das, was sie hat, der göttlichen Natur verdankt, so wird doch er, (weil in ihm beide Naturen zu Einer Person vereiniget sind), auch das aus sich selber haben.
BOSO: Du hast mir mit diesem Genüge gethan, und ich sehe nun klar, daß er nicht wird sündigen können und gleichwohl preiswürdig sein wird wegen seiner Gerechtigkeit. Allein nun, meine ich, sollte man untersuchen, weshalb Gott, da er doch einen solchen Menschen schaffen konnte, nicht auch die Engel und das erste Menschenpaar so erschuf, daß sie gleichfalls nicht sündigen konnten und nichtsdestoweniger wegen ihrer Gerechtigkeit Preis verdienten.
ANSELM: Weißt du auch, was du sagst?
BOSO: Ich glaube allerdings, und deswegen frage ich, warum er sie nicht so geschaffen?
ANSELM: Weil es weder geschehen konnte, noch durfte, daß ein jeder aus ihnen Gott gleich wäre, wie wir das von dem in Rede stehenden Menschen behaupten; und frägst du, warum Gott nicht rücksichtlich so vieler, als Personen in Gott sind, oder wenigstens rücksichtlich Eines dies gethan, so antworte ich: Weil durchaus kein Grund dieses gebot, ein solcher im Gegenteile (da Gott nichts ohne Grund thut) es verbot.
BOSO: Ich erröte jetzt, so gefragt zu haben; fahre deshalb nur du in demjenigen fort, was du sagen wolltest!
ANSELM: Wir werden daher sagen, daß er nicht dem Tode unterworfen sein wird, weil er nicht sündigen wird.
BOSO: Das muß ich zugestehen.
[80]
ANSELM: Nun übriget aber, zu erforschen, ob er nach seiner menschlichen Natur sterben kann, da er ja nach seiner göttlichen Natur immerdar unverweslich sein wird.
BOSO: Warum sollen wir daran zweifeln, da er ja wahrer Mensch sein soll, jeder Mensch aber seiner Natur nach sterblich ist?
ANSELM: Ich glaube nicht, daß die Sterbfähigkeit zur unversehrten, sondern daß sie nur zur versehrten Natur des Menschen gehöre. Denn hätte der Mensch nicht gesündigt, und wäre seine Sterbunfähigkeit unabänderlich feststehend geworden: so würde er darum doch nicht minder wahrhaft Mensch sein; und werden die Sterblichen dereinst in Unverweslichkeit auferstehen, so werden sie darum nicht minder wahrhaft Mensch sein; gehörte dagegen die Sterbfähigkeit zur wahren Natur des Menschen, so könnte ja durchaus nicht Mensch sein, wer sterbunfähig wäre; folglich gehört zur Wesenheit der Menschennatur weder die Verweslichkeit noch die Unverweslichkeit, soferne keine von beiden den Menschen als solchen begründet oder aufhebt, vielmehr nur die eine zu seiner Unseligkeit, die andere zu seiner Seligkeit beiträgt. So ferne es freilich in Wirklichkeit keinen Menschen gibt, der nicht dem Tode unterworfen, wird allerdings das Moment der Sterblichkeit in die Begriffsbestimmung des Menschen von Philosophen aufgenommen, welche nicht glaubten, daß der ganze Mensch jemals unsterblich sein konnte oder sein kann. Zu beweisen, daß jener Mensch sterblich sein müsse, reicht also die Aufstellung nicht aus, »weil er nur in diesem Falle wahrhaft Mensch sein würde.«
BOSO: So suche denn du einen andern Vernunftgrund, da ich keinen weiß, wenn du nicht weißt, wie sich die Möglichkeit des Todes jenes beweisen läßt.
ANSELM: Ohne Zweifel wird er, da er Gott sein wird, allmächtig sein.
BOSO: Das wird er.
ANSELM: Sobald er daher will, wird er sein Leben dahingeben oder aber es wieder zurücknehmen können.
BOSO: Könnte er das nicht, so schiene er nicht allmächtig zu sein.
ANSELM: Demnach würde er niemals sterben können, wenn er es so will; ebenso wird er aber auch sterben und auferstehen können.[81]
Und ob er sein Leben dahin gibt ohne Einwirkung eines andern, oder ob ein anderer bewirkt, daß er es hingibt – unter eigener Einwilligung – in Bezug auf das Können wird dies keinen Unterschied machen.
BOSO: Kein Zweifel.
ANSELM: Willigt er also ein, wird man ihn töten können; wo nicht, wird man es nicht können.
BOSO: Dazu führt uns unabweichlich vernünftige Schlußfolgerung.
ANSELM: Weiterhin hat die Vernunft uns gelehrt, daß er etwas besitzen müsse, was größer als alles Gott Untergeordnete ist, damit er es aus freien Stücken und nicht schuldigermaßen Gott darbiete.
BOSO: So ist es.
ANSELM: Und zwar darf jenes weder unter, noch außer ihm gesucht werden.
BOSO: Ganz richtig.
ANSELM: In ihm selbst muß es also gesucht werden.
BOSO: Das ist die notwendige Folge.
ANSELM: Entweder wird er also sich selbst oder einen Teil seines Selbst dahingeben.
BOSO: Ich könnte es mir nicht anders denken.
ANSELM:[82] Es frägt sich nunmehr, welcher Art diese Gabe zu sein haben wird. Denn weder wird er sich, noch einen Teil von sich Gott so geben können, als besäße dieser noch nicht, sondern müßte er erst ihm zu eigen werden; zumal alles Geschaffene Gott gehört.
BOSO: So ist es.
ANSELM: Jenes Geben wird daher notwendig so zu verstehen sein, daß er entweder sich auf irgend eine Weise zur Verherrlichung Gottes dahingibt, oder etwas ihm Gehöriges, was er zu geben nicht schuldet.
BOSO: Das folgt aus unseren früheren Behauptungen.
ANSELM: Sagten wir, daß er sich zum Gehorsame Gott dahingibt, um durch fortdauernde Bewahrung der Gerechtigkeit sich seinem Willen unterzuordnen, so wäre das kein Geben, welches Gott nicht gebührendermaßen von ihm forderte. Denn jedes vernünftige Geschöpf schuldet Gott einen derartigen Gehorsam.
BOSO: Unleugbar.
ANSELM: Deshalb wird er auf irgend eine andere Weise sich oder von dem Seinigen Gott geben müssen.
BOSO: So verlangt es die Vernunft.
ANSELM: Sehen wir zu, ob jene Leistung nicht vielleicht darin liegt, daß er sein Leben dahingibt oder preisgibt oder daß er sich dem Tode ausliefert zur Verherrlichung Gottes. Denn das wird Gott nicht als eine Schuldleistung von ihm fordern; da ja keine Sünde in ihm sein wird, wird er auch nicht sterben müssen, wie wir bereits gesagt haben.
BOSO: Anders kann ich mir das nicht denken.
ANSELM: Erwägen wir nun noch, ob solches vernünftigerweise ihm gezieme.
BOSO: Sprich du, und ich will gerne den Zuhörer spielen.
ANSELM: Wenn der Mensch durch Weichlichkeit gesündiget hat, ziemt es sich dann nicht, daß er durch Entbehrung Genugthuung leiste? Und wenn er so leichten Kaufes vom Satan sich überwinden ließ, Gott durch Sündigen zu entehren, daß es nicht leichter hätte geschehen können; erscheint es dann nicht gerecht, daß der für die Sünde Gott Genugthuung leistende Mensch mit so großer Schwierigkeit den Satan überwinde zur Ehre Gottes, daß eine größere Schwierigkeit sich nicht denken ließ? Oder paßt es sich nicht, daß der Mensch, welcher durch die Sünde Gott so viel entzogen, daß er mehr ihm nicht entziehen konnte, so viel auf dem Wege der Genugthuung Gott gebe, daß er mehr ihm gar nicht geben könnte?
BOSO: Nichts ist vernunftentsprechender.
ANSELM: Nun aber kann der Mensch nichts Beschwerlicheres oder Schwierigeres zu Gottes Ehre freiwillig und ungeschuldetermaßen erleiden, als den Tod,[83] und auf keine Weise vermag sich der Mensch mehr Gott hinzugeben, als da er sich dem Tode weiht zu dessen Verherrlichung.
BOSO: Alles das hat seine Richtigkeit.
ANSELM: Folglich muß, wer für die Sünde des Menschen Genugthuung leisten will, sterben können, sobald er es will.
BOSO: Ich begreife, daß der von uns geforderte Mensch ganz und gar die Eigenschaft besitzen müsse, daß er nicht aus Nötigung stirbt, weil er allmächtig sein wird; daß er jedoch freiwillig sterben kann, weil das notwendig sein wird.
ANSELM: Noch aus vielen anderen Gründen ziemt ihm sehr, daß er, die Sünde ausgenommen, Ähnlichkeit und Art mit den Menschen gleich habe; nur daß solches klarer und deutlicher aus seinem Leben und Wirken selbst offenbar wird, als es durch die Vernunft allein, sozusagen von der Wirklichkeit abgesehen, nachgewiesen werden kann. Denn wer vermöchte deutlich zu machen, wie weise, wie notwendig es gefügt war, daß derjenige, welcher die Menschen erlösen und vom Todes- und Verderbenspfade durch Unterricht auf den Weg des Lebens und der ewigen Seligkeit führen sollte, mit den Menschen verkehre und in diesem Verkehre selbst, während er mündlich sie belehrte, wie sie leben müßten, als Beispiel sich ihnen darbot? Und wie konnte er sich den Schwachen und Sterblichen als ein Beispiel darbieten, daß sie trotz Unbilden und Schimpf und Schmerz und Tod die Gerechtigkeit nicht verlassen dürften, wofern sie ihn nicht dieses selbst alles empfinden sahen?
BOSO: Alles das beweist offenkundig, daß er sterblich sein und an unseren Gebrechlichkeiten teilhaben muß. Indes all' das rührt von unserem Elende her: wird also auch er unglücklich sein?
ANSELM: Nicht zum mindesten; denn sowenig es zum Glücke gehört, daß jemand wider seinen Willen eines Vorteiles genieße, sowenig ist es ein Unglück, mit weisem Vorbedacht ohne Nötigung sich willig ein Ungemach aufzuladen.
BOSO: Das muß man zugestehen.
BOSO: Aber sage nun, ob er vermöge der Ähnlichkeit, welche er mit den übrigen Menschen teilen muß, auch die Unwissenheit, sowie unsere übrigen Schwächen haben wird?
ANSELM: Wie kannst du bei Gott zweifeln, daß er alles weiß?
BOSO: Weil er, obschon unsterblich nach seiner göttlichen, dennoch sterblich sein wird nach seiner menschlichen Natur. Warum sollte er nun nicht auf ähnliche Weise ein im Wissen wahrhaft beschränkter Mensch[84] sein können, so gut er ein wahrhaft sterblicher sein wird?
ANSELM: Jene Aufnahme des Menschen in die Einheit der göttlichen Person wird von der höchsten Weisheit nur weise gefügt werden; und darum wird sie nichts von dem Menschen aufnehmen, was auf keine Art förderlich, sondern lediglich nachteilig sein müßte für das Werk, welches jener Mensch zu vollbringen hat. Unwissenheit könnte ihm zu nichts nütze, wohl aber bei vielem schadhaft sein; denn wie vermöchte er die vielen und großen ihm obliegenden Leistungen ohne die höchste Weisheit auszuführen? Oder wie werden die Menschen ihm glauben, wenn sie wissen, daß sein Wissen ein beschränktes ist? Wissen sie es aber auch nicht, welchen Nutzen sollte jene Wissensbeschränktheit ihm selbst eintragen? Sodann wenn man nur dasjenige liebt, was man kennt, so wird es nichts Gutes geben, was er nicht kennt, gleichwie es nichts Gutes gibt, was er nicht liebt. Nun kennt niemand das Gute vollkommen, außer wer es vom Bösen zu scheiden weiß; aber auch diese Scheidung kann keiner machen, der das Böse nicht kennt. Mithin wird jener, von welchem wir reden, nicht minder das Böse kennen, als er vollkommen jegliches Gute kennt. Und so wird ihm alle Kenntnis zu eigen sein, mag er sie im Verkehr mit den Menschen auch nicht immer offenbaren.
BOSO: Was du sagst, scheint für das reifere Alter zuzutreffen; allein für die Kindheit wird es weder nötig noch passend sein, daß er solche Weisheit besitze, da sie ja auch nicht die geeignete Zeit ist, selbe hervortreten zu lassen.
ANSELM: Sagte ich nicht, daß jene Menschwerdung weise gefügt werden wird? Denn weise wird sich Gott der Sterblichkeit unterwerfen, wovon er weisen, weil höchst nutzbringenden Gebrauch machen wird. Hingegen wird er sich die Wissensbeschränktheit nicht auf eine weise Art gefallen lassen können, weil selbe niemals nützlich, sondern immer schädlich wirkt, den Fall ausgenommen, daß durch sie der böse Wille, der bei jenem ohnehin nie vorhanden, vom Handeln zurückgehalten wird. Denn würde sie keinen anderen Schaden zufügen, sie würde schon dadurch allein schaden, daß sie das Gut der Erkenntnis raubt; und um deine Frage kurz zu erledigen, von dem Augenblicke seiner Menschwerdung an wird jener von Gott und sich selbst stets gleich sehr erfüllt sein; mithin wird er niemals bestehen ohne Gottes Macht und Stärke und Weisheit.
BOSO: Obschon ich nie zweifelte, daß das bei Christus immer so gewesen,[85] wollte ich dennoch fragen, um deine Begründung darüber zu vernehmen. Oftmals sind wir ja von etwas überzeugt, ohne daß wir es zu begründen verstehen.
BOSO: Nun ersuche ich dich um Belehrung, wieferne sein Tod der Zahl und Größe sämtlicher Sünden überlegen sei, da du doch eine einzige Sünde, (die wir so leicht erachten,) als etwas so Ungeheueres darstellst, daß, würde die ungeheure Zahl der Welten, die so vollgepropft mit Geschöpfen, wie die gegenwärtige, danebengehalten, und ließen sich dieselben nicht anders vor dem Zerfalle in nichts bewahren, es sei denn daß jemand einen einzigen Blick gegen Gottes Willen sich erlaubte, solches dennoch unterbleiben sollte.
ANSELM: Setzen wir den Fall, jener Mensch würde zugegen sein, und du wüßtest, wer er wäre, und man sagte dir: wenn du jenen Menschen nicht tötest, so wird diese ganze Welt hier zu Grunde gehen und alles, was nicht Gott ist; würdest du es thun, um den Preis der Erhaltung aller übrigen Geschöpfe?
BOSO: Ich thäte es nicht, und würde mir die ungeheure Zahl der Welten gegenübergestellt.
ANSELM: Und wenn man dir wiederum sagte: Entweder mußt du jenen töten, oder alle Sünden der Welt werden auf dich fallen?
BOSO: Ich antwortete, lieber wollte ich alle Sünden auf mich laden, die vergangenen und die zukünftigen, und was darüber hinaus noch gedenkbar, als jene einzige Handlung vornehmen. Und zwar glaube ich, diese Antwort zu schulden nicht allein betreffs seiner Tötung, sondern auch betreffs der geringsten Verletzung, welche jenem zugefügt werden sollte.
ANSELM: Du urteilst richtig; aber gestehe mir, warum dein Herz so urteilt, daß es vor der Einen Sünde bei Verletzung dieses Menschen mehr zurückbebt, als vor allem anderen, was nur immer denkbar, da doch alle begangenen Sünden gegen ihn gerichtet sind?
BOSO: Weil die Sünde, welche an seiner Person begangen wird, ohne Vergleich alle diejenigen übersteigt, welche außerhalb seiner Person sich denken lassen.
ANSELM: Was erwiderst du darauf, daß häufig jemand gewisse Behelligungen an seiner Person zuläßt, um nur von seinem Eigentume noch größere abzuwenden?
BOSO: Daß Gott solches Zulassen nicht nötig hat, da seiner Gewalt alles untersteht, wie du selbst mir früher auf eine meiner[86] Fragen geantwortet.
ANSELM: Treffend antwortest du; wir sehen dem nach, daß mit der Verletzung des Leibeslebens dieses Menschen keine Ungeheuerlichkeit noch Größe der Sünden außerhalb der Person Gottes verglichen werden kann.
BOSO: Ganz augenscheinlich.
ANSELM: Wie groß erscheint dir ein Gut, dessen Zerstörung etwas so Böses ist!
BOSO: Im Falle sein Wesen so gut, als seine Vernichtung böse ist; so ist es ohne Vergleich mehr ein Gut, als jene Sünden etwas Böses sind, welche durch dessen Vernichtung vollends in den dunkelsten Schatten gestellt würden.
ANSELM: Du sprichst die Wahrheit. Erwäge ferner, daß die Sünden nur insoweit gehäßig sind, als sie etwas Böses sind, gleichwie jenes Leben nur insoweit der Liebe würdig, als es gut ist. Dann ergibt sich die Folgerung, daß jenes Leben weit mehr der Liebe wert ist, als die Sünden des Hasses wert sind.
BOSO: Ich muß das wohl einsehen.
ANSELM: Glaubst du nun, daß ein so großes und der Liebe wertes Gut hinreichend sein möchte, um für die Sündenschuld der ganzen Welt genugzuthun?
BOSO: Gegentheils in unbegrenztem Maße.
ANSELM: Du begreifst also, wie dieses Leben allen Sünden das Übergewicht hält, woferne es für sie dahingegeben wird.
BOSO: Gewiß.
ANSELM: Wenn nun Leben dahingeben gleichbedeutend ist mit Tod auf sich nehmen, so muß, gleichwie die Dahingabe dieses Lebens auch die Übernahme des Todes allen Sünden der Menschen das Übergewicht halten.
BOSO: Daß das nun von allen Sünden gelte, welche die Person Gottes nicht berühren, steht fest. Allein nun komme ich auf eine andere Frage. Wenn es etwas so Böses ist, ihn zu töten, wie gut ist alsdann sein Leben? und wie kann sein Tod den Sünden seiner Mörder das Übergewicht halten und dieselben austilgen? Oder wenn er die Sünde Eines aus ihnen tilgt, wie kann er nicht auch die der übrigen Menschen tilgen? Wir glauben ja, daß viele aus ihnen gerettet werden, daß aber auch unzählige andere nicht gerettet werden.
ANSELM: Die Antwort auf diese Frage gibt der Apostel, wenn er sagt, »daß sie, woferne sie ihn erkannt hätten, den Herrn der Herrlichkeit nicht würden gekreuziget haben.« So groß ist der Unterschied zwischen der wissentlich begangenen Sünde und der nicht wissentlich begangenen, daß[87] das Böse, welches seiner Ungeheuerlichkeit wegen nicht begangen würde, im Falle die Erkenntnis vorhanden, nachlaßbar ist, weil es aus Unkenntnis geschehen ist. Denn kein Mensch könnte wissentlich Gott auch nur töten wollen; und darum sind auch jene, welche, ohne es zu wissen, ihn (den Gottmenschen nach seiner menschlichen Natur) wirklich töteten, nicht in die entsetzliche Sünde gefallen, womit keine andere sich vergleichen läßt. Wir haben eben deren Größe, bei Prüfung der Vortrefflichkeit seines Lebens, nicht von dem Gesichtspunkte aus in Betracht gezogen, als wäre die Sünde unwissentlich begangen worden; vielmehr wie wenn sie wissentlich begangen würde, was freilich in Wirklichkeit nie jemals vorgekommen ist, noch jemals vorkommen konnte.
BOSO: Mit einem Vernunftsgrund hast du dargethan, wie die Mörder Christi zur Vergebung ihrer Sünde gelangen konnten.
ANSELM: Was fragst du nun weiter? Bereits erkennst du, wie aus vernunftgemäßer Notwendigkeit erhellt, daß die Menschen den oberen[88] Staat vollenden müssen, und daß solches nur möglich nach Vergebung der Sünden, welche aber kein Mensch erlangen kann, es sei denn durch jenen Einen Menschen, der zugleich selber Gott ist und durch seinen Tod die sündigen Menschen mit Gott aussöhnt. So hätten wir denn deutlich gefunden, wie Christus, den wir als den Gott-Menschen bekennen, um unseretwillen gestorben ist; und zwar bleibt uns hiebei über jeglichen Zweifel erhaben, daß alles, was er sagt, gewiß ist, weil Gott nicht lügen kann; ebensowenig besteht ein Zweifel, daß alles mit Weisheit gefügt worden, was er gethan, mag auch die Begründung dessen von uns nicht erkannt sein.
BOSO: Die Wahrheit redest du; und ich hege nicht den geringsten Zweifel an der Nichtigkeit dessen, was er gesagt, sowie an der Vernünftigkeit dessen, was er gethan hat. Allein um das bitte ich dich, mir zu erklären, auf welche Weise dasjenige geschehen soll oder kann, was, wie die Ungläubigen meinen, im christlichen Glauben weder vorkommen soll, noch vorkommen kann; nicht, als ob du mich im Glauben erst zu stärken brauchtest, sondern damit du mich, den bereits Bestärkten, durch den Einblick in die Wahrheit selbst ergötzest.
BOSO: Sowie du mir von den bisher besprochenen Materien den Vernunftgrund aufgehellt, so ersuche ich dich, auch von den noch zu besprechenden den Vernunftgrund anzugeben. Fürs erste also, wie Gott aus der sündhaften Masse, d.h. aus dem menschlichen Geschlechte, das doch gänzlich durch die Sünde angesteckt war, einen sündenlosen Menschen, wie einen Ungesäuerten aus dem Durchsäuerten, herausgenommen. Denn mag auch die Empfängnis dieses Menschen rein und von der Sünde der fleischlichen Begierde frei sein, so ist ja doch die Jungfrau, aus welcher er genommen worden, in Sünden empfangen und hat in Sünden sie ihre Mutter empfangen und ist sie mit der Erbsünde behaftet geboren worden, da ja auch sie in Adam sündigte, in welchem alle gesündiget haben.
ANSELM: Nachdem einmal feststeht, daß jener[89] Mensch – Gott und der Sünder Vermittler ist, unterliegt es auch keinem Zweifel, daß er von Sünden frei sei; das kann er aber nur sein, im Falle er ohne Sünde aus der sündigen Masse genommen. Sollten wir indes auch nicht fassen können, auf welche Weise Gott das gefügt, so dürfen wir uns darüber doch nicht wundern, sondern müssen wir mit Ehrerbietung annehmen, es unterlaufe hierbei ein so großes Geheimnis, daß wir nichts Näheres wissen. Denn allerdings hat Gott die menschliche Natur wunderbarer wiederhergestellt, als er sie das erstemal hergestellt hat; beides ist eben für Gott gleich leicht; allein als der Mensch noch nicht war, hatte er noch nicht gesündiget, so daß das Wiederherstellen nicht hätte notwendig werden sollen. Nachdem er jedoch geschaffen war, verdiente er durch die Sünde, zu verlieren, was und wozu er geworden war, wenn er gleich, was er geworden war, nicht ganz einbüßte, damit ein Gegenstand der Bestrafung, oder aber der Erbarmung für Gott vorhanden bliebe. Beides war nicht gegeben, im Falle der Mensch in nichts zerfiel. Um soviel wunderbarer hat Gott ihn demnach wiederhergestellt im Vergleich mit der ersten Herstellung, als er die Wiederherstellung am Sünder gegen sein Verdienst; die Herstellung aber am Sündefreien nicht gegen dessen Verdienst vornahm. Was ist es endlich Großartiges, Gott und Mensch so zur Einheit sich begegnen zu sehen, daß unbeschadet der Vollständigkeit beider Naturen Ein und derselbe wie Mensch so Gott ist! Wer möchte sich daher erdreisten,[90] auch nur zu denken, daß der menschliche Verstand ergründen könnte, wie weise, wie wunderbar ein so undurchforschliches Werk geschehen sei?
BOSO: Ich gebe zu, daß kein Mensch in diesem Leben ein so großes Geheimnis vollständig aufzuhellen vermag, und ich mute auch dir nicht zu, was kein Mensch zu thun imstande ist, sondern nur, was deine Kraft leisten kann. Denn sicher wirst du mehr die Überzeugung erwecken, daß noch höhere Vernunftgründe hierin verborgen liegen, sobald du nur gezeigt hast, daß du einen derselben wahrgenommen, als wenn du durch Schweigen zu erkennen gegeben, daß du keine Vernunftbegründung finden konntest.
ANSELM: Ich sehe wohl, daß mich deiner Zudringlichkeit nicht zu erwehren vermag; übrigens gelingt es mir, irgendwie die von dir gewünschte Darlegung zu bieten, so wollen wir Gott Dank sagen. Gelingt es mir nicht, so muß das bereits früher Bewiesene ausreichen. Denn steht einmal fest, daß Gott Mensch werden muß, so besteht zugleicherzeit kein Zweifel, daß jenem so viel Weisheit und Macht zur Verfügung ist, daß dieses ohne Sünde vor sich geht.
BOSO: Diese Annahme lasse ich mir gerne gefallen.
ANSELM: So mußte es auch sein, damit jene Erlösung, welche Christus vollbrachte, nicht allein seinen Zeitgenossen nützte, sondern auch den übrigen. Setzen wir den Fall, es lebte ein König, gegen den die ganze Bevölkerung einer Stadt, mit Ausnahme eines einzigen, der gleichwohl zu dem nämlichen Geschlechte gehört, in der Weise sich verfehlt hat, daß keiner das Todesurteil von sich abwenden könnte; und nun besäße jener, der allein schuldlos ist, so hohe Gunst beim Könige, daß er imstande, und so große Liebe zu den Schuldigen, daß er des Willens wäre, alle, so seinem Rate glauben, durch einen bestimmten dem Könige besonders angenehmen Dienst mit diesem auszusöhnen, welchen Dienst er an einem durch den Willen des Königs festgestellten Tag vollbringen würde! Und weil nun nicht alle der Versöhnung Bedürftigen an jenem Tage zugegen sein könnten, so willigt der König um der Größe jenes Dienstes halber ein, daß auch alle, welche vor oder nach jenem Tage bekennen, durch das an der festgesetzten Frist geleistete Werk Verzeihung zu begehren und dem dort abgeschlossenen Vertrage beizutreten, von jeder vorausgehenden Schuld freigesprochen seien; ferners daß sie, woferne sie nach jener Verzeihung wiederum sündigten, unter der Bedingung würdiger Genugthuung und fortgesetzter[91] Besserung in Kraft jenes Vertrages aufs neue Verzeihung erlangen sollen, so jedoch, daß keiner des Königs Palast betreten darf, ohne daß seine Schuldbarkeit zuvor gemildert wird! Gemäß dieses Gleichnisses lag, weil ja auch nicht alle erlösungsbedürftigen Menschen gegenwärtig sein konnten, als Christus jene Erlösung vollbrachte, eine solche Kraft in seinem Tode, daß deren Wirkung sich nicht minder auf die zeitlich oder räumlich Abwesenden hinauserstreckt. Daß übrigens jener Tod nicht allein den Gegenwärtigen nützen sollte, folgt leicht daraus, daß nicht so viele bei seinem Tode gegenwärtig sein konnten, als zur Bevölkerung der himmlichen Gemeinde nötig sind; selbst angenommen, daß alle, welche um die Zeit jenes Todes allerorts lebten, zu jener Erlösung hinzugelangten. Denn die Zahl der gefallenen Geister ist größer als jene der Menschen, die an diesem Tage lebten und aus deren Zahl doch die Ergänzung für erstere genommen werden soll. Und weiterhin erscheint es doch nicht glaublich, daß seit der Existenz des Menschen eine Zeit vorhanden war, in welcher diese Welt samt allen zum Dienste der Menschen geschaffenen Kreaturen so in Blöße gewesen, daß nicht einer aus dem menschlichen Geschlechte in ihr lebte, der den Endzweck des Menschen erfüllt hätte. Denn es scheint unwürdig, wenn Gott auch nur Einen Augenblick hindurch zugegeben, daß das Menschengeschlecht und alles, was er für die Zwecke der künftigen Himmelsbürger ins Dasein gerufen, gewissermaßen umsonst existiert hätte. Solch' eine verfehlte Existenz aber müßte man anscheinend solange voraussetzen, als die Dinge im Widerspruche mit ihren ursprünglichen Zweckbestimmung zu bestehen schienen.
BOSO: Mittels eines unumstößlichen Wahrscheinlichkeitsgrundes beweisest du, daß es seit Erschaffung des Menschen keinen Augenblick gegeben, ohne irgendwen, der im Zusammenhange gestanden mit jener Versöhnung, ohne welche die Menschen insgesamt vergeblich wären erschaffen worden; ja wir dürfen schließen, daß das nicht allein passend, sondern sogar notwendig war. Denn ist es einmal so passender und vernunftgemäßer, als wenn auch nur einige Zeit keiner gelebt hätte, an welchem die Absicht Gottes in betreff der Erschaffung des Menschen zur Erfüllung gelangte, und läßt sich dieser Begründung nichts entgegenstellen; so ist es geradezu notwendig, daß jederzeit irgend einer im Zusammenhange mit der früher erwähnten Wiederversöhnung gestanden. Und so unterliegt es[92] keinem Zweifel, daß auch auf Adam und Eva jene Erlösung sich ausdehnte, obwohl die göttliche Autorität solches nicht ausdrücklich klar verkündet.
ANSELM: Es scheint auch völlig unglaublich, daß Gott, nachdem er sie doch erschaffen, und unabänderlich festgesetzt hat, daß alle Menschen, welche die himmlische Stadt bevölkern sollen, von ihnen abstammen, gerade sie beide von diesem Heilsratschlusse ausgenommen wissen wollte.
BOSO: Im Gegenteile muß man glauben, daß er sie (die Stammeltern) zumeist zu dem Ende erschaffen habe, damit sie denjenigen (den Abkömmlingen nämlich) zugehören, um deren willen sie (als Stammeltern) erschaffen wurden.
ANSELM: Eine gewiß richtige Erwägung. Übrigens konnte vor Christi Tod keine Seele in das himmlische Paradies eingehen, wie ich früher bezüglich des königlichen Palastes auseinandergesetzt.
BOSO: Daran halten wir fest.
ANSELM: Die Jungfrau jedoch, aus welcher der in Rede stehende Mensch Fleisch angenommen, gehörte zu jenen, welche vor ihrer Geburt durch ihn von Sünden rein wurden, und auf Grund dieser ihrer Reinheit selbst hat er von ihr Fleisch angenommen.
BOSO: Das würde mir schon einleuchten, wenn es nicht schiene, als hätte er, dem doch aus sich die Reinheit von der Sünde eignen sollte, diese nun von seiner Mutter, und als wäre er somit nicht durch sich rein, sondern durch jene.
ANSELM: Dem ist nicht so. Vielmehr weil die Reinheit seiner Mutter, durch welche auch er rein ist, lediglich von ihm berührt, so ist hinwieder auch er durch sich und aus sich rein.
BOSO: Hiemit hat es denn seine Richtigkeit. Allein eine andere Frage möchte ich an dich richten. Oben nämlich[93] sagten wir, daß er nicht notwendig sterben mußte, und jetzt sehen wir, daß seine Mutter erst in Kraft seines nachfolgenden Todes rein gewesen, was zudem die unerläßliche Voraussetzung bildete, wenn jener nämlich dem Fleische nach aus ihr sollte hervorgehen können. Ist denn aber nur derjenige nicht mit Notwendigkeit gestorben, der nur, weil er sterben wollte, sein konnte? Denn hätte er nicht sterben wollen, so wäre die Jungfrau, von welcher er empfangen worden, nicht rein gewesen, was sie überhaupt nur sein konnte im Glauben an seinen wirklichen Tod; jener aber hätte anders nicht von ihr empfangen werden können. Starb er daher nicht mit Notwendigkeit, nachdem er von der Jungfrau empfangen worden; so konnte er nicht von der Jungfrau empfangen sein, nachdem er von ihr empfangen war, was einfach absurd ist.
ANSELM: Würdest du das früher Gesagte richtig erwogen haben, so hättest du meines Erachtens deine Frage wohl schon darin beantwortet gefunden.
BOSO: Ich verstehe nicht, wie.
ANSELM: Zeigten wir denn nicht in unserer Untersuchung, ob jener hätte lügen können, daß beim Lügen (um auf dem Beispiele stehen zu bleiben) zwei Fähigkeiten festzuhalten habe, die eine des Lügenwollens, die andere des wirklichen Lügens; und daß er zu rühmen sei um der Gerechtigkeit willen, womit er die Wahrheit festgehalten, da er es aus sich hatte, nicht lügen zu wollen, obschon mit der Fähigkeit ausgestattet, lügen zu können?
BOSO: Allerdings.
ANSELM: Ähnlich gibt es bei Erhaltung des Lebens eine Fähigkeit, dasselbe erhalten zu wollen und eine Fähigkeit, dasselbe auch wirklich zu erhalten. Frägt es sich daher, ob derselbe Gott-Mensch sein Leben habe erhalten können, so daß er nie gestorben; dann herrscht kein Zweifel, daß er immer die Macht besessen, dasselbe zu erhalten, wiewohl er den Willen nicht haben konnte, es zu erhalten, so daß er nicht gestorben wäre; und da ihm ja auch dieses aus sich eignete, daß er einen solchen Willen nicht haben konnte, so hat er mithin nicht aus Zwang, sondern in freier Befähigung sein Leben dahingegeben.
BOSO: Indes nicht ganz auf dieselbe Weise waren in jenem die Befähigungen vorhanden, zu lügen oder aber sein Leben zu erhalten. Dort eben folgt, daß, wenn er wollte, er lügen konnte; hier aber scheint es, daß wenn[94] er nicht sterben wollte, er gleichwohl ebensowenig dem Tode entrinnen konnte, als er das, was er war, sein mußte. Dazu war er ja Mensch, um zu sterben, und nur umwillen des Glaubens an seinen künftigen Tod konnte er, wie du früher gesagt hast, von der Jungfrau empfangen werden.
ANSELM: So gut du glaubst, jener hätte nicht nichtsterben können oder er sei notwendig gestorben, weil er sein mußte, was er war; könntest du auch behaupten, jener hätte das Nichtsterbenwollen nicht gekonnt, oder er hätte das Sterbenmüssen gewollt, da er ja, was er war, sein mußte; denn nicht anders ist er Mensch geworden mit der Bestimmung, zu sterben, als um sterben zu wollen. Wie du deshalb nicht fragen darfst, er habe das Nichtsterbenwollen nicht gekonnt oder habe das Sterbenmüssen gewollt, so ist es auch unerlaubt zu sagen, er habe nicht nichtsterben können, oder er sei notwendig gestorben.
BOSO: Aber gerade weil Sterben und Sterbenwollen auf die gleiche Begründung hinausläuft, so scheint beides bei ihm mit Notwendigkeit zugetroffen.
ANSELM: Wer war denn derjenige, welcher aus freien Stücken sich zum Menschen machen wollte, um nicht demselben unabänderlichen Willen zu sterben, damit auch durch den Glauben an solche Gewißheit die Jungfrau rein würde, aus welcher jener Mensch dem Fleische nach genommen würde?
BOSO: Es war Gott, der Sohn Gottes.
ANSELM: Ist dem aber nicht früher der Beweis erbracht worden dafür, daß Gottes Wille durch keine Nötigung bestimmt werde, er sich vielmehr in seiner freigewollten Unabänderlichkeit erhalte, auch wenn man von ihm den Ausdruck gebrauche, daß er notwendig etwas thue?
BOSO: Das wurde wirklich bewiesen. Allein wir sehen doch im Gegenteile, daß, was Gott unabänderlich will, nicht nichtsein kann, sondern notwendig sein muß. Also wenn Gott wollte, daß jener Mensch stürbe, so konnte er nicht mitsterben.
ANSELM: Daraus, daß der Sohn Gottes jenen Menschen angenommen in der Willensmeinung zu sterben, beweisest du, daß dieser selbe Mensch das Nichtsterben nicht gekonnt habe.
BOSO: So verstehe ich's.
ANSELM: Aber leuchtet denn aus dem, was gesagt worden, nicht ähnlich hervor, daß Gottes Sohn und der angenommene Mensch nur Eine Person bilden, so daß Ein und derselbe Gott und Mensch ist, Sohn[95] Gottes und Sohn der Jungfrau?
BOSO: Allerdings.
ANSELM: Folglich mußte dieser Mensch mit seinem Willen sterben, wie er denn wirklich gestorben ist.
BOSO: Nicht leugnen kann ich das.
ANSELM: Indem jedoch Gottes Wille nichts unter äußerem Zwange thut, vielmehr kraft eigener Machtvollkommenheit, und der Wille jenes der Wille Gottes war, so ist er unter keinerlei äußerem Zwange gestorben, sondern einzig in Kraft eigener Machtvollkommenheit.
BOSO: Deinen Begründungen wüßte ich nichts entgegenzusetzen; nicht deine Vorder-, noch deine Folgesätze vermöchte ich irgendwie zu entkräften. Allein auf der andern Seite drängt sich mir doch auch immer wieder auf, was ich schon sagte: daß, woferne er nicht sterben wollte, er dies nur insoweit konnte, als er auch nicht sein konnte, was er doch war; denn in Wahrheit wollte er ja sterben, hätte er nicht in Wahrheit sterben wollen, so wäre auch nicht wahr gewesen der Glaube an seinen künftigen Tod, durch welchen doch die Jungfrau, von der er geboren worden, und unzählige andere der Sünde ledig wurden. Wäre er aber (der Glaube) nicht wahr gewesen, so hätte er auch nichts nützen können. Konnte er mithin auch nichtsterben, so konnte er auch nicht wahr machen, was doch wahr gewesen.
ANSELM: Warum ist es wahr gewesen, daß er sterben wollte, noch ehe er (wirklich) starb?
BOSO: Weil er dieses selbst freiwillig wollte, und zwar mit unabänderlichem Willen,
ANSELM: Also wenn er, wie du sagst, deshalb das Nichtsterben nicht konnte, weil er wirklich sterben sollte und er deshalb wirklich sterben sollte, weil er dies selbst freiwillig wollte und zwar unabänderlich wollte; nun so folgt ja, daß er aus keinem anderen Grunde das Nichtsterben nicht gekonnt, als weil er eben mit unabänderlichem Willen sterben gewollt.
BOSO: Das verhält sich freilich so; welches übrigens die Ursache gewesen sein mag, wahr bleibt dennoch, daß er nicht nichtsterben gekonnt, sondern daß er sterben gemußt.
ANSELM: Du hängst dich allzusehr an ein Nichts, oder wie man zu sagen pflegt, du suchst einen Knoten an der Binse.
BOSO: Hast du etwa vergessen, was ich zu Anfang unseres Gespräches deinen Ausflüchten entgegenhielt, nämlich daß du, um was ich bat,[96] nicht vor Gelehrten thuest, sondern vor mir und den mit mir vereinigten Bittestellern? Nimm es deswegen geduldig hin, wenn ich entsprechend der Langsamkeit und Stumpfheit unseres Geistes Fragen an dich richte, damit du mir und ihnen sogar in kindlichen Fragen, wie von vornherein, Genüge leistet.
ANSELM: Wir sagten schon, daß man von Gott nur im uneigentlichen Sinne sage, er könne etwas nicht oder er müsse es thun. Ist ja alle Nötigung und alle Unmöglichkeit seinem Willen gleichmäßig unterthan. Umgekehrt ist sein Wille keiner Nötigung oder Unmöglichkeit unterworfen. Denn es gibt nichts Notwendiges oder Unmögliches, außer wenn er es so will; daß er selbst aber etwas wolle oder nicht wolle aus irgend einer Nötigung oder einem Nichtanderskönnen, ist entschieden unrichtig. Da er nun alles thut, was er will, und nur, was er will, so geht auch seinem Thun oder Nichtthun sowenig eine Nötigung oder ein Nichtkönnen voran, als eine solche seinem Wollen oder Nichtwollen vorangeht, obschon er vielerlei unabänderlich will und thut. Und sowie Gott, wenn er etwas thut, sobald dieses geschehen ist, selbes nicht mehr ungeschehen machen kann, sondern immer wahr bleibt, daß es geschehen; und man gleichwohl nicht mit Recht sagen könnte, es sei für Gott unmöglich, das Vergangene nicht vergangen zu machen; denn nirgendwie ist hiebei thätig die Nötigung, nicht zu handeln, oder die Unmöglichkeit, zu handeln; sondern ausschließlich der Wille Gottes, der, (weil er selbst die Wahrheit ist,) immer will, daß die Wahrheit unabänderlich sei, wie sie ist: so ist Gott, wenn er sich vorsetzt, unabänderlich etwas zu thun, wiewohl das, was er sich vorsetzt, ein Künftiges sein muß, noch ehe es geschieht, dennoch keine Nötigung vorhanden, es zu thun, oder keine Unmöglichkeit, es nicht zu thun, weil einzig sein Wille hiebei thätig wirkt. So oft man also sagt, Gott könne nicht, wird ihm nicht irgend eine Fähigkeit abgesprochen, vielmehr eine unbesiegliche Macht und Kraft ausgesprochen. Denn so ist das zu verstehen: Nichts vermag zu bewirken, daß er das thue, was er ausgesprochenermaßen nicht thun kann. Es ist nämlich eine häufig gebrauchte Redewendung, daß man sagt, ein Gegenstand könne, nicht weil an ihm, sondern weil an einem anderen das Können liegt; und er könne nicht, nicht weil an ihm, sondern weil an einem anderen das Nichtkönnen liegt. So sagen wir z.B. jener Mensch kann[97] besiegt werden, anstatt: es kann ihn jemand besiegen; wiederum: Jener kann nicht besiegt werden, anstatt: Keiner kann ihn besiegen. Denn nicht ein Können ist es, wenn man besiegt werden kann, sondern ein Nichtkönnen; und nicht ein Nichtkönnen ist es, wenn man nicht besiegt werden kann, sondern ein Können. Ebenso sagen wir nicht, Gott thue etwas aus Nötigung in dem Sinne, als wäre in ihm irgendwelche Nötigung vorhanden, sondern weil, wie ich gerade zuvor hinsichtlich des Nichtkönnens sagte, es an einem andern liegt, wenn bei Gott von einem Nichtkönnen die Rede ist. Nun ist jede Nötigung entweder Zwang oder Hemmnis; beide Nötigungen aber heben sich gegenseitig auf, wie notwendig und unmöglich. Denn was gezwungen ist, zu sein, ist gehindert, nicht zu sein, und was gezwungen ist, nicht zu sein, ist gehindert, zu sein; wie dasjenige, was notwendig ist, unmöglich nicht ist, und was notwendig nicht ist, unmöglich ist – und umgekehrt. Woferne wir indes sagen, daß bei Gott notwendig etwas sei oder nicht sei, so ist das nicht in dem Sinne zu nehmen, als wäre in ihm irgend eine zwingende oder hemmende Nötigung vorhanden, sondern es wird damit ausgedrückt, daß in allen übrigen Dingen eine Nötigung vorliegt, sei es eine ihre Thätigkeit hemmende oder einen ihre Unthätigkeit erzwingende; im Widerspruche mit dem, was von Gott ausgesagt wird. Denn sagen wir z.B., daß Gott notwendig immer die Wahrheit sage und daß er notwendig niemals lüge, so bedeutet dies nichts anderes, als so groß in ihm die Beharrlichkeit beim Festhalten an der Wahrheit, daß nichts im stande ist, ihn von der Wahrheit abzubringen oder aber zu einer Lüge zu bestimmen. Deshalb wird auch, indem wir sagen, jener Mensch, der vermöge persönlicher Einheit (laut früherer Darlegung) identisch mit Gottes Sohn und Gott ist, konnte nicht nichtsterben oder nichtsterben wollen, sobald er einmal von der Jungfrau geboren worden, damit keineswegs ausgedrückt, daß ihm irgendwelche Unfähigkeit eignete, sein Leben vor dem Tode zu bewahren oder bewahren zu wollen, sondern daß sein Wille unabänderlich war, kraft dessen er aus freien Stücken Mensch wurde in der Absicht, bei derselben Willensgesinnung verharrend zu sterben, und daß nichts seinen Willen umstimmen konnte. Es wäre ja[98] auch mehr ein Nichtkönnen als ein Können, könnte er lügen oder betrügen oder seinen Willen ändern wollen, den er doch zuvor unveränderlich wissen wollte. Und wenn, ich habe das oben ausgeführt, von einem Menschen, der freiwillig etwas Gutes zu thun sich vornimmt und späterhin mit der gleichen Gesinnung zu Ende führt, was er vorgenommen, nicht gesagt werden könnte, daß er gezwungen thue, was er thut, sondern mit derselben Freiheit des Willens, womit er seinen Entschluß gefaßt, trotzdem, im Falle derselbe nicht wollte, er gezwungen werden könnte, sein Versprechen zu lösen; man kann eben nicht behaupten, durch Zwang oder Nichtkönnen komme etwas zustande oder auch nicht zustande, wo weder Zwang noch Nichtkönnen zur Geltung gelangen, sondern das Wollen; – wenn, sage ich, bei dem Menschen es sich also verhält, so darf ja gewiß weit weniger bei Gott von einem Zwange oder einem Nichtkönnen auch nur entfernt gesprochen werden, bei Ihm, der nur thut, was Er will, und dessen Willen keine Gewalt zwingen oder hemmen kann. Dazu nämlich diente die Verschiedenheit der Naturen in Christo bei der Einheit der Person, daß die göttliche Natur dasjenige, was zur Erlösung der Menschen nötig war, vollbrachte, sobald die menschliche sich dessen nicht gewachsen zeigte; und daß, wenn hinwiederum der göttlichen Natur etwas ganz und gar nicht gemäß war, die menschliche hiefür eintrat; und daß es nicht jedesmal ein anderer, sondern stets Ein- und Derselbe war, der als wesenhaft Einer vermöge seiner menschlichen Natur das zahlte, was diese schuldete und zufolge seiner göttlichen das vermochte, was nur immer von Nutzen war. Endlich glaubte auch die Jungfrau, welche durch den Glauben rein geworden, so daß jener aus ihrer Gestalt gewinnen konnte, nur an einem freiwilligen Tod von seiner Seite; wie sie vom Propheten unterrichtet ward, der in betreff dessen Ausspruch gethan: »Er ist geopfert worden, weil er selbst gewollt.« Und weil nun der Glaube ein wahrer gewesen, mußte es sich also verhalten, wie sie glaubte. Solltest du dich neuerdings daran stoßen, daß ich sage, es mußte, so bedenke nur, nicht die Wahrhaftigkeit des jungfräulichen Glaubens war die Ursache, daß jener freiwillig starb; vielmehr umgekehrt, weil dieses sich so verhalten sollte,[99] darum war ihr Glaube ein wahrer. Heißt es also, er starb notwendig mit seinem bloßen Willen, da der Glaube ein wahrer gewesen oder die Weissagung, wie sie in betreff dessen vohergegangen; so ist das ebensoviel, als wenn du sagtest, es habe so kommen müssen, weil es so gekommen ist; eine Notwendigkeit solcher Art aber erzwingt nicht die Existenz einer Sache, sondern die Existenz der Sache ergibt deren Notwendigkeit. Es besteht nämlich eine vorausgehende Notwendigkeit, welche Ursache ist, daß eine Sache existiert, und eine nachfolgende Notwendigkeit, deren Ursache die existierende Sache ist. Eine vorausgehende und bewirkende Notwendigkeit wäre es, wenn z.B. jemand sagte, der Himmel drehe sich, weil er sich drehen müsse. Eine nachfolgende und nicht bewirkende, vielmehr bewirkte Notwendigkeit wäre es, wenn ich sagte, du sprichst notwendig, eben weil du sprichst. Denn mit diesem Ausdrucke sage ich nur, daß nichts dich vom Reden abzuhalten vermag, solange du redest, keineswegs jedoch, daß ein anderer dich zum Reden zwinge. Dort bei der Drehung des Himmelsfirmamentes tritt ein unabänderliches Naturgesetz in Kraft; dich dagegen treibt keine unabweisbare Nötigung zum Reden. Wo deshalb nur immer eine vorausgehende Nötigung statthat, besteht zu gleicher Zeit auch eine nachfolgende; nicht aber ist umgekehrt, wo von einer nachfolgenden Nötigung die Rede, sogleich auch eine vorausgehende zu denken. Wir können nämlich wohl sagen, der Himmel muß sich drehen, weil er sich dreht; aber nicht in dem gleichen Sinne wäre es richtig, daß du sprichst, weil du mit unumgänglicher Notwendigkeit sprechen müßtest. Diese nachfolgende Notwendigkeit erstreckt sich auf alle Zeiten folgendergestalt: Was gewesen ist, hat sein müssen; was ist, muß sein; was sein wird, hat ein Zukünftiges sein müssen. Es ist das jene Notwendigkeit, welche nach Aristoteles, wo er von den besonderen und zukünftigen Bestimmtheiten (Kategorien) handelt, irgend ein Anderssein aufzuheben und alles auf Notwendigkeit zu begründen scheint. Kraft dieser nachfolgenden,[100] durchaus unwirksamen Notwendigkeit – eben weil der Glaube oder die Weissagung in Bezug auf Christus wahr gewesen, daß er freiwillig und ungezwungen sterben sollte, mußte es so sich verhalten – kraft ihrer ist er Mensch geworden, kraft ihrer that und litt er, was er gethan und gelitten; kraft ihrer wollte er, was er nur irgendwie gewollt hat. Insoferne also war alles notwendig, weil es sein sollte; es sollte sein, weil es war; und es war, weil es war; kurz, willst du die wirkliche Notwendigkeit all seiner Thaten und Leiden erkennen, so wisse, deshalb war alles mit Notwendigkeit, weil er selbst gewollt hat. Seinem Willen aber ging ganz und gar nicht eine Nötigung voraus. Was daher nur war, weil er es wollte, wäre nicht gewesen, hätte er nicht gewollt. Mithin hat niemand sein Leben ihm entrissen, sondern selbst gab er es dahin und nahm es wieder an sich, weil er laut Selbstzeugnis die Befugnis hatte, sein Leben dahinzugeben und es wieder an sich zu nehmen.
BOSO: Du hast mir nun überzeugend dargethan, wie sich nicht beweisen läßt, jener habe aus irgend einem Zwange den Tod erduldet; und es gereut mich jetzt erst recht nicht, in diesem Punkte dir lästig gefallen zu sein.
ANSELM: Wie bieten, glaube ich, eine verlässige Begründung dafür, wie Gott aus der sündigen Masse einen sündenlosen Menschen ausgehoben; allein hiemit dürfte meines Erachtens zum wenigsten geleugnet werden, daß außer der angeführten noch eine weitere (Begründung) denkbar sei, nur daß sich Gottes Thun der menschlichen Fassungskraft überhaupt entzieht. Da mir indes einmal die erstere ausreichend zu sein scheint und ich zur Untersuchung einer neuen erst forschen müßte, was die Erbsünde sei und wie sie von den Stammeltern auf das gesamte Menschengeschlecht, den in Rede stehenden ausgenommen, sich fortverpflanzt habe; und noch etliche andere Fragen zu behandeln hätte, welche ihren eigenen Traktat fordern; so wollen wir, mit der vorgeführten Begründung zufrieden, in dem weiter fahren, was uns von der angefangenen Aufgabe noch übriget.
BOSO: Nach deinem Belieben; jedoch unter der Bedingung, daß du späterhin unter Gottes Beistand jene andere Begründung, welcher du für jetzt aus dem Wege gehst, gleichsam schuldigermaßen nachholst.
ANSELM: Nachdem[101] ich mich selbst mit dieser Absicht trage, schlage ich deine Bitte nicht ab; weil ich jedoch die Zukunft nicht vorauskenne, so wage ich kein Versprechen, sondern stelle das der göttlichen Vorsehung anheim. Übrigens laß uns nun hören, was dir bezüglich der anfangs gestellten Frage, deren halber viele Nebenfragen sich eingemengt, für Bedenklichkeiten noch vorliegen!
BOSO: Die Hauptfrage drehte sich darum, weshalb Gott Mensch geworden, durch seinen Tod die Menschen zu erlösen, da er scheinbar wenigstens auch auf einem andern Wege zu gleichem Ziele gelangen konnte. Hinsichtlich dessen hast du nun in deiner Erwiderung durch viele und zwingende Belege dargethan, daß die Wiederherstellung der menschlichen Natur nicht unterbleiben sollte, daß dieselbe jedoch nicht anders erfolgen konnte, als indem der Mensch seine Sündenschuld Gott abtrug; eine Schuld, die freilich so groß war, daß, während nur der Mensch sie abtragen sollte, dennoch nur Gott sie abtragen konnte, weswegen der Zahlende Gott und Mensch zugleich sein mußte. Sohin war es unerläßlich, daß Gott menschliche Natur annahm und zwar diese mit der göttlichen zu persönlicher Einheit verbunden, damit, während in den Naturen ein Gegensatz sich herausstellte zwischen Abtragensollen und können, in der Person dieser Gegensatz sich ausgliche. Endlich wiesest du nach, daß aus einer Jungfrau und von der Person des Gottes- Sohnes jener Mensch, der Gott sein sollte, zu nehmen war; und auch das hast du bewiesen, wie er sündelos aus der sündhaften Masse genommen werden konnte. Das Leben dieses Menschen vollends hast du als ein so erhabenes, so kostbares ganz klar und deutlich hingestellt, daß es wohl ausreichend befunden werden mag, zu sühnen, was für die Sünden der ganzen Welt geschuldet wird, und noch darüber bis ins Unendliche. Demgemäß bleibt nur noch zu zeigen übrig, auf welche Weise jenes Leben für der Menschheit Schuld Gott geopfert werden sollte.
ANSELM: Woferne er um der Gerechtigkeit willen nicht töten ließ, hat er alsdann sein Leben zu Gottes Ehre dahingegeben?
BOSO: Wenn ich fassen kann, was ich nicht bezweifle, sowenig ich auch jetzt einsehe, wie er das vernünftigerweise[102] gekonnt, so will ich gerne gestehen, jener habe Gott zu seiner Ehre freiwillig etwas der Art gegeben, womit – außer Gott – nichts sich vergleichen läßt und was für alle Schuld der gesamten Menschheit Ersatz bietet, trotzdem er die Gerechtigkeit ungebrochen und sein Leben ununterbrochen zu erhalten vermochte.
ANSELM: Erkennst du denn nicht, daß, wenn er die Unbilden, Kränkungen und den Kreuztod in Gesellschaft von Räubern (Schächern), die ihm, wie wir früher ausgeführt, um der gehorsam erfüllten Gerechtigkeit willen zustießen, mit geduldiger Sanftmut übertrug, er der Menschheit dadurch ein Beispiel gab, daß sie trotz alles nur erdenkbaren Ungemachs von der Gott schuldigen Gerechtigkeit nicht abweichen dürfte; während er ein solches Beispiel wahrlich nicht gegeben hätte, würde er kraft der ihm zustehenden Machtvollkommenheit einen aus solchem Grunde verhängten Tod zu erdulden sich geweigert haben?
BOSO: Es scheint indes, daß er nicht nötig hatte, ein derartiges Beispiel zu geben, nachdem viele vor dessen Ankunft und der Täufer Johannes auch nach dessen Ankunft und noch vor dem Tode desselben dadurch, daß sie für die Wahrheit standhaft gestorben, hinlänglich in dieser Beziehung ein Muster vorhielten.
ANSELM: Allein niemals hat je ein Mensch, jenen ausgenommen, durch seinen Tod Gott etwas gegeben, was er nicht doch einst gezwungen hätte verlieren müssen, oder etwas gezahlt, was er nicht ohnehin schuldete. Jener aber brachte dem Vater aus freien Stücken zum Opfer, was er niemals notwendig zu Verlust tragen mußte und zahlte zu der Sünder Gunsten, was er für seine Person niemals schuldete. Deswegen gab jener um so viel mehr ein Beispiel, daß ein jeglicher das, was er späterhin doch einmal verlieren müßte, gegebenen Falles freiwillig und ohne Bedenken Gott zum Opfer brächte; ihm, der ohne für sich es zu bedürfen oder für andere, denen er lediglich Bestrafung schuldete, gezwungen zu sein, gleichwohl ein so kostbares Leben, ja sich selbst, eine solche Persönlichkeit mit solcher Willensgesinnung, dahingab.
BOSO: Du kommst der Lösung meiner Bedenken sehr nahe; dennoch erlaube, eine Frage dir vorzulegen, welche dir zwar albern vorkommen mag, deren Beantwortung mich indes doch in augenblickliche Verlegenheit setzen würde. Du behauptest,[103] daß er, da er starb, etwas gab, was er nicht schuldete. Nun möchte ich wohl niemand leugnen, daß er das Bessere that, indem er ein solches Beispiel gegeben, und Gott etwas Gefälligeres, als im Unterlassungsfalle; noch auch möchte wohl jemand behaupten, daß er hätte unterlassen sollen, was er doch als das Bessere und Gott Wohlgefälligere erkannte. Wie könnten wir also behaupten, er habe Gott nicht geschuldet, was er gethan, d.h. was er als das Bessere, Gott mehr Gefällige erkannte, nachdem doch das Geschöpf Gott alles schuldet, was es nur ist und weiß und kann?
ANSELM: Wiewohl das Geschöpf aus sich nichts hat, so verleiht ihm Gott doch, indem er demselben zugesteht, erlaubterweise etwas zu thun oder aber auch zu unterlassen, daß beides so ganz dessen Belieben angehört, daß weder das Eine noch das Andere bestimmt verlangt wird, mag selbst das Eine besser sein als das Andere; sondern ob das Geschöpf nun das Bessere thun, oder dessen Gegenteil, in beiden Fällen heißt es, daß es thun solle, was es thut; und thut es das Bessere, mag es selbst Lohn ansprechen, weil es freiwillig thut, was ihm in die Wahl gestellt wird. Obgleich z.B. die Jungfräulichkeit der Ehe vorzuziehen, so ist doch weder diese noch jene dem Menschen zur ausdrücklichen Pflicht gemacht; im Gegenteile sagt man sowohl von dem, welcher lieber den Ehestand wählt, als auch von dem, welcher die Jungfräulichkeit zu bewahren vorzieht, er thue, was er thun solle. Behauptet doch niemand, daß man die Jungfräulichkeit oder aber den Ehestand nicht erwählen dürfte; im Gegenteile sagen wir, noch ehe der Mensch zwischen beiden eine Wahl getroffen, daß er das thun solle, was ihm besser dünkt; und nur, wenn er für die Jungfräulichkeit sich entscheidet, erwartet er eine Belohnung für das freiwillige Opfer, was er Gott bringt. Wenn du daher behauptest, das Geschöpf schulde Gott, was es als das Bessere kennt und nun, so ist das nicht immer zutreffend, sobald du es als Pflichtschuldigkeit verstehst, ohne die stille Voraussetzung, woferne es Gott ausdrücklich befiehlt. Soll der Mensch ja keineswegs, wie ich schon dargelegt, die Jungfräulichkeit pflichtschuldig bewahren, sondern mag er wenn er lieber will, in den Ehestand eintreten.[104] Ist es nun das Wort »sollen«, woran du dich stößest, und kannst du dir dieses Wort nicht denken, ohne daß es irgend einen Pflichttitel ausdrückt; so wisse, gerade wie man von Können, Nichtkönnen und Müssen bisweilen spricht, nicht als ob diese Begriffe von den treffenden Gegenständen selbst gälten, während sie vielmehr auf ein anderes passen; ebenso verhält es sich mit Sollen. Indem wir nämlich sagen, die Armen sollen von den Reichen Almosen empfangen, ist der Sinn kein anderer, als: die Reichen sollen den Armen Almosen spenden; nicht vom Armen, sondern vom Reichen ist das Sollen hier einzulösen. So heißt es auch von Gott, er solle über allem sein, nicht als wäre er hierin irgendwie Schuldner, sondern soferne alles unter ihm sein soll; und er solle das thun, was er will, weil das, was er will, sein soll. Auf gleiche Weise heißt es, wenn ein Geschöpf etwas thun will, was zu thun oder nicht zu thun demselben freisteht; es solle das thun, weil das, was es will, sein soll. Vom Herrn Jesus aber gilt, da er, wie gesagt, den Tod erdulden wollte, obschon es ihm unbenommen war, zu leiden und nicht zu leiden, daß er thun sollte, was er gethan, weil, was er wollte, geschehen sollte; und daß er es nicht thun sollte, soferne er nicht dazu verhalten war. Indem er nämlich Gott und Mensch zugleich ist, hat er nach seiner menschlichen Natur seit Eintritt der Menschwerdung von der zu unterscheidenden göttlichen Natur alles zu eigen überkommen, was er hatte, so daß er nichts zu geben schuldete, wenn er nicht wollte; in Ansehung seiner Person vollends hatte er von sich selber, was er hatte, und war so vollkommen sich selbst genug, daß er weder einem andern etwas zu erstatten brauchte, noch etwas zu geben nötig hatte, damit es ihm zurückgegeben würde.
BOSO: Deutlich sehe ich jetzt ein, daß er keineswegs geschuldetermaßen sich dem Tode preisgab, wie meine schwache Vernunft anzunehmen sich unterfieng, sondern daß er zu Gottes Ehre sich dahingab, und daß er dennoch thun sollte, was er that.
ANSELM: Jene Ehre kömmt übrigens der gesamten Dreifaltigkeit zu; denn da er eben Gott ist – Sohn Gottes –, so hat er auch zu seiner eigenen Ehre, wie dem Vater und dem heiligen Geiste, selber sich zum Opfer gebracht; das will sagen, seine Menschheit der Gottheit, welche mit einer der drei Personen zusammenfällt. Um uns jedoch, indem wir bei dieser Wahrheit stehen bleiben, deutlicher[105] auszudrücken, wollen wir mit Beibehaltung des Sprachgebrauches sagen, daß der Sohn freiwillig seinem Vater sich opferte; denn auf diese Weise wird recht deutlich ausgedrückt: einmal, daß in Einer Person der ganze Gott, dem er nach seiner Menschheit sich geopfert, einbegriffen wird; sodann wird durch den Namen des Vaters und des Sohnes in den Herzen derer, die diesen Namen hören, die Empfindung unendlicher Kindlichkeit geweckt, indem solcher Weise der Sohn als Fürsprecher für uns beim Vater dargestellt wird.
BOSO: Das erkenne ich recht bereitwillig an.
ANSELM: Untersuchen wir nunmehr, soweit unsere Kraft hiezu ausreicht, mit wieviel Grund hieraus die Erlösung des Geschlechtes gefolgert wird.
BOSO: Darnach verlange ich von Herzen; denn obgleich ich dies einzusehen meine, möchte ich doch, daß du in ihrem Zusammenhange die Begründung darlegtest.
ANSELM: Wie groß das Opfer sei, welches der Sohn gebracht, brauche ich nicht weiter zu erörtern.
BOSO: Klar genug das.
ANSELM: Daß aber derjenige, welcher Gott freiwillig ein so großes Geschenk hingibt, ohne Vergeltung bleiben sollte, wirst du kaum vermuten wollen.
BOSO: Im Gegenteile sehe ich wohl, daß der Vater notwendig dem Sohne vergilt, sonst schiene er ungerecht zu sein, wenn er nicht wollte; unmächtig, wenn er nicht könnte, was bei Gott gleich sehr undenkbar.
ANSELM: Wer einem Anderen vergilt, gibt ihm entweder, was jener nicht hat; oder erläßt ihn, was von jenem gefordert werden könnte. Allein ehe der Sohn so Großes vollbrachte, war alles, was dem Vater gehörte, schon Eigentum des Sohnes; und schuldete derselbe nichts, was ihm hätte erlassen werden können. Was wird daher demjenigen, der nichts bedarf, vergolten werden können; demjenigen, welchem sich auch nichts geben noch erlassen läßt?
BOSO: Auf der einen Seite erkenne ich die Notwendigkeit der Vergeltung, auf der anderen zugleich deren Unmöglichkeit, indem nämlich Gott vergelten muß, was sich gebührt und doch niemand ist, dem er vergälte.
ANSELM: Wenn nun so großer um so sehr geschuldeter Lohn weder ihm noch jemand anderen erstattet wird, so scheint der Sohn wohl umsonst so Großes gethan zu haben.
BOSO: Aber das zu denken wäre doch Unrecht.
ANSELM: Mithin ist es unabweislich, daß irgend einem Dritten gegeben werde, was sich [106] ihm nicht geben läßt.
BOSO: Das ist eine unabweisliche Folgerung.
ANSELM: Wollte nun der Sohn das ihm Gebührende auf einen andern übertragen, konnte dann der Vater mit Recht ihn daran hindern oder einem Dritten die Schenkung versagen?
BOSO: Ich finde es im Gegenteile recht und notwendig, daß vom Vater dem, welchem der Sohn schenken will, auch erstattet werde; sowohl weil der Sohn sein Eigentum verschenken kann, als auch der Vater nur einem Dritten die Schuld abzutragen vermag.
ANSELM: Wem könnte er nun füglicher Frucht und Lohn seines Todes zuwenden, wenn nicht jenen, um deren Erlösung willen er (nach Lehre der Vernunftswahrheit) Mensch geworden, und denen er (wie wir sagten) durch sein Sterben ein Vorbild der Sterbens für die Gerechtigkeit gegeben? Vergeblich würden ihm ja diejenigen nachahmen, welche ohne Teilnahme an seinem Verdienste bleiben. Oder wen sollte er mit mehr Recht zu Erben seines ihm selbst unnotwendigen Guthabens und seines übergroßen Reichtums einsetzen, außer die Verwandten und Brüder, die er da mit vielen und schweren Schulden belastet in einem Abgrunde von Elend schmachten sieht, damit ihnen nachgelassen werde, was sie für ihre Sündenschulden, und gegeben werde, was sie wegen ihrer Sünden missen?
BOSO: Vernünftigeres, Süßeres, Wünschenswerteres kann die Welt nicht vernehmen. Ich wenigstens für meinen Teil schöpfe daraus solche Zuversicht, daß ich schon jetzt nicht sagen kann, von welcher Freude mein Herz erhebt. Denn es kommt mir vor, als ob Gott keinen Menschen zurückstoßen würde, der unter diesem Namen ihm nahen will.
ANSELM: So ist es auch, wenn man in der rechten Weise ihm naht. Wie man aber zur Teilnahme an so hoher Gnade nahen und nach geschehener Zulassung sich verhalten müsse, lehrt uns aller Orten die heilige Schrift, welche auf die unumstößliche Wahrheit, von der wir mit Gottes Beistand einen Bruchteil erkannt haben, als auf ein festes Fundament gebaut ist.
BOSO: Gewiß, was auf dieses Fundament gebaut ist, erscheint auf festen Felsen gebaut.
ANSELM: Ich bin immerhin der Ansicht,[107] zur Lösung deiner Zweifel irgendwie beigetragen zu haben, so sehr auch ein Befähigter es besser machen könnte als ich, und der Gründe für diesen Gegenstand überhaupt gewichtigere und zahlreichere sind, als mein, oder sagen wir kurz, als der menschliche Geist sie nur zu fassen vermag. Thatsache bleibt fernerhin, daß Gott nicht im geringsten das zu thun nötig hatte, was wir anführten; sondern die unveränderliche Wahrheit heischte es so; denn muß auch gesagt werden, daß, was jener Mensch (Christus) gethan, er als Gott that, um der Einheit der Person willen; so hatte Gott dennoch nicht nötig, zur Überwindung des Satans vom Himmel herniederzusteigen, noch auch aus Gründen der Gerechtigkeit zur Befreiung des Menschen wider jenen aufzutreten; vielmehr hatte Gott an den Menschen die Forderung zu stellen, daß er den Satan überwände und, nachdem er durch die Sünde Gott beleidigt, durch die Gerechtigkeit ihm Genugthuung böte. Dem Satan folglich schuldete Gott höchstens Bestrafung, der Mensch Vergeltung, insoferne er, der von ihm besiegte, hinwieder nun ihn besiegen sollte; allein was immer von dem Menschen gefordert wurde, er schuldete Gott, nicht dem Satan.
ANSELM: Allein Gottes Barmherzigkeit, welche dir erstorben zu sein schien, als wir die Gerechtigkeit Gottes und die Sünde des Menschen betrachteten, finden wir nunmehr in einer Erhabenheit und Übereinstimmung mit der Gerechtigkeit, daß sie erhabener und gerechter gar nicht gedacht werden kann. Denn was ließe sich noch Erbarmungsreicheres begreifen, als daß Gott der Vater zum Sünder, der zur ewigen Qual verurteilt, außer stand war, selber sich zu helfen, spricht: Nimm hin meinen Eingebornen und gib ihn statt deiner; desgleichen der Sohn selbst: Nimm mich hin und erlöse dich? So nämlich sprechen sie gleichsam, indem sie uns zum christlichen Glauben rufen und ziehen. Was ließe sich aber auch zugleich Gerechteres vorstellen, als daß derjenige, dem ein über alle Schuld erhabener Preis gezahlt wird, alle Schuld erläßt, sobald der Preis mit entsprechenden Gesinnung gezahlt wird?
[108]
Die Versöhnung des Teufels indessen, bezüglich deren du gefragt hast, wirst du als unmöglich begreifen, sobald du jene des Menschen in sorgfältige Erwägung ziehst. Gleichwie eben der Mensch nur versöhnt werden konnte durch einen Gottmenschen, der sterblich war, durch dessen Gerechtigkeit Gott erstattet wurde, was ihm durch die Sünde des Menschen zu Verlust gegangen war; so könnten die verdammten Engel nur gerettet werden durch einen Gottengel, der sterblich wäre und durch seine Gerechtigkeit Gott ersetzte, was die Sünden anderer entrissen. Und gleichwie der Mensch durch einen anderen Menschen, der nicht zu demselben Geschlechte gehörte, wenn er auch von derselben Natur wäre, nicht wieder emporgehoben werden könnte, so soll kein Engel durch einen anderen Engel erlöst werden, mögen sie auch alle dieselbe Natur besitzen, weil sie nicht Eines Geschlechtes sind, wie die Menschen. Denn nicht auf die gleiche Weise stammen alle[109] Engel von einem Engel her, wie alle Menschen von Einem Menschen herstammen. Auch das ist ihrer Wiederherstellung hinderlich, daß so, wie sie fielen, ohne daß ein Dritter ihren Fall verschuldete, sie auch wieder aufstehen sollen, ohne daß ein Dritter ihnen zu Hilfe kömmt, was für sie zu den Unmöglichkeiten zählt. Auf keine andere Art nämlich können sie in die ihnen ursprünglich zugedachte Würde wiederum eingesetzt werden; da sie eben auch ohne fremde Beihilfe zufolge ihnen verliehener Eigenkraft in der Wahrheit standgehalten hätten, im Falle sie nicht gesündigt haben würden. So einer deshalb vermutet, die Erlösung unseres Heilandes werde sich dereinst auch auf sie ausdehnen, kann er mit Vernunftgründen überführt werden, weil sein Irrtum wider die Vernunft läuft. Ich behaupte solches nicht in dem Sinne, als wenn der Wert seines Todes in Ansehung der Größe nicht die Sünden aller Menschen und Engel aufwöge, sondern soferne ein unumstößlicher Vernunftgrund der Wiedererhebung gefallener Engel engegensteht.
BOSO: Vernunftsmäßig und unwiderlegbar erscheint mir alles, was du da aufstellst; und aus der Beantwortung einer einzigen hingeworfenen Frage sehe ich wohl, daß alles bestätigt ist, was den Inhalt des neuen und des alten Testamentes ausmacht. Denn, indem du dergestalt den Beweis lieferst in[110] betreff der Notwendigkeit einer Menschwerdung von seiten Gottes, daß du, auch wenn das wenige, was du aus unsern Büchern geschöpft hast, (wie was du hinsichtlich der drei göttlichen Personen und des Adam berührt hast) hinweggenommen würde, du gleichwohl nicht bloß den Juden, sondern den Heiden sogar durch die bloße Vernunftbegründung genügen würdest; indem ferner ein und derselbe Gott- Mensch ein neues Testament begründet und das alte bestätiget; kann Einer wohl ebensowenig die Wahrhaftigkeit des Inhaltes beider Testamente leugnen, als er die Wahrhaftigkeit Gottes ja doch wohl bekennen muß.
ANSELM: In wieweit das von mir Gesagte einer Verbesserung bedürftig, nehme ich dieselbe recht gerne an, wenn sie nur mit Gründen belegt wird. In wieweit aber das, was wir auf dem Wege vernünftigen Forschens gefunden zu haben glauben, in dem Zeugnisse der Wahrheit seine Bestätigung findet, dürfen wir nicht uns, sondern müssen wir Gott die Ehre geben, der hochgelobt sei in Ewigkeit! Amen.[111]
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