b) Die hochherzige Gesinnung und ihre Gegensätze

[76] Daran schließt sich wohl am nächsten eine Ausführung an über die Hochherzigkeit in Geldsachen; denn auch diese stellt sich als eine in Geldfragen zur Erscheinung kommende löbliche Eigenschaft dar. Indessen erstreckt sie sich nicht wie das was wir eben als vornehme Gesinnung behandelt haben, auf alle Betätigungen in Geldangelegenheiten, sondern nur auf diejenigen, bei denen es sich um einen beträchtlichen Aufwand handelt und in diesen überragt sie die bloße Freigebigkeit durch die Größe der Opfer, die sie bringt. Wie schon der Name (megaloprepeia, Großartigkeit im Tun des Geziemenden) andeutet, so ist sie ein Aufwand in großem Maßstab, den man geziemenderweise macht; Größe aber ist etwas Relatives. Der Aufwand ist nicht derselbe für einen der ein Kriegsschiff und für einen der eine Festgesandtschaft ausrüstet. Was geziemend ist, das richtet sich nach der Person, nach dem Gegenstande und nach dem Zwecke. Wer in kleinen Dingen oder in Dingen von mäßiger Bedeutung seinen Aufwand nach seiner Stellung bemißt, den nennt man nicht großherzig, wie etwa den Mann, der (bei Homer) sagt: »Oft hab' ich dem Bettler gegeben,« sondern nur den der in großen Dingen so verfährt. Dem Hochherzigen eignet vornehme Gesinnung: aber deshalb bedeutet Vornehmgesinntsein noch keineswegs Hochherzigkeit. Die Gesinnung, die in dieser Art von Leistungen unter dem rechten Maße zurückzubleiben pflegt, nennt man Engherzigkeit, diejenige die zu Übertreibungen neigt, Protzentum, ungebildetes Wesen, und was es sonst an derartigen Eigenschaften gibt, wo nicht sowohl der Größe nach über das Pflichtmäßige hinausgegangen wird, sondern wo man hervorglänzen möchte bei ungeeigneten Anlässen und in ungeeigneter Art und Weise. Wir werden später darauf zurückkommen.

Der Hochherzige macht den Eindruck zugleich des verständnisvollen Mannes. Denn er vermag zu ermessen, was das Geziemende ist, und große Mittel mit richtigem Urteil zu verwenden. Wie wir gleich im Anfang bemerkt haben, befestigte Gesinnung erlangt ihren bestimmten Charakter durch die Tätigkeiten, die man gepflegt hat, und die Gegenstände, auf die[76] sie sich beziehen. Die Opfer nun, die der Hochherzige bringt, sind groß und geziemend zugleich; das ist denn auch die Beschaffenheit der Gegenstände; denn so wird das große Opfer durch seinen Gegenstand zu einem geziemenden Opfer. Der Gegenstand muß also des Opfers und das Opfer des Gegenstandes würdig sein oder noch darüber hinausgehen. Solche Opfer wird ein hochherziger Mann darbringen um des edlen Zweckes willen, denn das ist bei allen sittlichen Eigenschaften das Gemeinsame; und er wird sie obendrein freudig und mit einem gewissen Luxus darbringen, denn genaues Rechnen wäre engherzig. Er wird mehr darauf bedacht sein, wie sich die Sache am herrlichsten und glänzendsten, als mit welchen Kosten und wie sie sich am billigsten herstellen läßt. Der Hochherzige muß also notwendig eine vornehme Gesinnung haben; denn ein vornehm gesinnter Mann verwendet gleichfalls seine Mittel für die rechten Zwecke und in der rechten Weise. Darin besteht nun beim Hochherzigen das Große, d.h. in der Größe des Opfers, während Freigebigkeit sich in denselben Dingen erweist, und auch wenn der Aufwand der gleiche ist, wird er damit eine besonders glänzende Ausstattung des Gegenstandes erzielen. Denn der eigentümliche Vorzug eines Vermögensstückes ist nicht derselbe wie der eines solchen zu errichtenden Werkes. Ein Vermögensstück ist am wertvollsten, wenn es den höchsten Marktpreis hat, z.B. das Gold; ein solches Werk aber wird wertvoll durch Größe und Schönheit. Denn dann erweckt es die Bewunderung des Betrachters, und solche Bewunderung zu erwecken ist das Großartige bestimmt. In der Größe also besteht das, was den Vorzug eines solchen Werkes, seine Großartigkeit ausmacht.

Zu den Aufwendungen, denen man ein besonderes Verdienst zuschreibt, zählen diejenigen zu Ehren der Götter: Weihgeschenke, Tempelbauten und Opfer, ebenso alles was einem religiösen Zweck dient und was in edlem Wetteifer für das Gemeinwesen dargebracht wird; so wenn man einen Chor glänzend auszustatten, ein Kriegsschiff auszurüsten oder auch den Mitbürgern eine Bewirtung darzubringen auf sich nimmt. In alledem kommt wie gesagt die Person des Leistenden, wer er ist und welches seine Umstände sind. In Betracht; zu diesen muß die Leistung im rechten Verhältnis stehen und nicht bloß dem Gegenstande, sondern auch der Person des Ausrichtenden angemessen sein. Ein armer Mann kann sich aus dem Grunde nicht hochherzig erweisen, weil er das Vermögen nicht hat, das dazu gehört, um eine große Ausgabe in angemessener Weise leisten zu können; und unternähme er es dennoch, so würde er etwas Verkehrtes tun. Es wäre weder[77] seiner Stellung noch seiner Pflicht entsprechend; sittlich aber ist nur das was mit vernünftigem Urteil getan wird. Dagegen sind zu solchen Aufwendungen diejenigen berufen, die selber oder deren Vorfahren oder Angehörige dergleichen schon früher dargebracht haben, Leute von edler Abkunft, hoher Stellung und ähnlichen Vorzügen. Denn alles das verleiht Bedeutung und Würde.

Dies also vor allem bezeichnet den hochherzigen Geber und von dieser Art sind die Aufwendungen, in denen, wie wir gezeigt haben, die Hochherzigkeit zur Erscheinung kommt. Sie sind die größten und sind auch die verdienstlichsten. Von den Aufwendungen im Privatleben gehören dahin die einmal vorkommenden, wie bei einer Hochzeit und dergleichen: ferner diejenigen, wo die ganze Staatsgemeinde oder doch die Leute in hoher Stellung miteinander wetteifern, in der Aufnahme fremder Gäste und Beschenkung derselben bei ihrer Entlassung, bei Geschenken und Erwiderung von Geschenken. Denn der hochherzige Mann treibt Aufwand nicht für seine Person, sondern für das Gemeinwesen, und seine Gaben haben eine Verwandtschaft mit Weihgeschenken. Im Charakter des im Ausgeben Hochherzigen liegt auch das, daß er sein Haus in einer seinem Reichtum angemessenen Weise ausstattet, / denn auch hier ist Raum für besondere Auszeichnung, / daß er Aufwand macht mehr für Dinge, die lange fortzudauern bestimmt sind, / denn diese sind die würdigsten, / und daß er überhaupt in allen Dingen das Angemessene trifft. Denn es paßt nicht dasselbe für Götter wie für Menschen, nicht dasselbe für einen Tempel wie für ein Grabmal. Und da die Größe jeder Aufwendung sich je nach der Gattung des Gegenstandes bemißt, so ist das schlechthin Großartigste ein großer Aufwand für einen großen Zweck, sonst aber jedesmal das, was in diesem besonderen Falle das Große ist. Und so ist denn das, was der Bedeutung der Sache nach groß ist, verschieden von dem, was dem Aufwande nach groß ist. Ein Ball, sei er auch noch so schön, oder eine Salbenflasche, mag eine gewisse Großartigkeit als Geschenk für einen Knaben besitzen: aber die Bedeutung ist gering, und von Freigebigkeit dabei nicht die Rede. Der in Geldangelegenheiten hochherzig Gesinnte zeigt sich also darin, daß er je nach der Art von Zwecken die er befriedigen will eine gewisse Großartigkeit anstrebt. / denn darin ist es nicht leicht zuweit zu gehen, und daß die Ausgabe zugleich seiner Habe und seiner Stellung gemäß bemessen ist.

So also verfährt der hochherzige Geber. Wer der Sache zuviel tut,[78] der Protzenhafte, überschreitet wie gesagt das Maß dadurch, daß er einen in der Sache nicht gerechtfertigten Aufwand macht. Er verwendet große Mittel da, wo der Ort für geringen Aufwand wäre, und treibt Prunk im Widerspruch mit dem guten Geschmack. So bewirtet er Vereinsbrüder, als gälte es eine Hochzeit auszurichten, und soll er in der Komödie einen Chor ausrüsten, so läßt er ihn gleich beim ersten Auftreten in Purpurgewändern erscheinen, wie es die Leute in Megara machen. Bei alledem läßt er sich auch nicht von der Rücksicht auf das sittlich Gebotene leiten, sondern will nur seinen Reichtum zur Schau tragen und meint, er werde dadurch die Augen auf sich lenken. Wo es geboten wäre viel aufzuwenden, wendet er wenig auf, und wo wenig geboten wäre, viel. Demgegenüber wird der engherzig Gesinnte in allen Beziehungen hinter dem rechten Maße zurückbleiben. Wo er den größten Aufwand macht, da wird er den Wert der Sache dadurch vernichten, daß er an einer Kleinigkeit zu knausern sucht. Was er auch macht, er muß sich alles erst mühsam abringen, und sein einziger Gedanke ist immer, wie er den Aufwand möglichst verringern kann; bei alledem klagt er und meint immer, er tue mehr als man irgend von ihm verlangen könne. Beide Arten von Gesinnung sind geradezu unsittlich, wenn sie auch nicht gerade Schande eintragen, weil sie dem Nächsten keinen Schaden bringen und auch nicht allzu widerwärtig in die Augen fallen.

Quelle:
Aristoteles: Nikomachische Ethik. Jena 1909, S. 76-79.
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