|
[65] Ich habe nunmehr die Untersuchung der Gesichtspunkte vorzunehmen, welche bei der Gattung oder bei einer Eigenthümlichkeit zu benutzen sind. Beide bilden die Unterlagen für die Gesichtspunkte bei den Definitionen, obgleich bei den Disputationen die Untersuchung selten auf die Gattung und das Eigenthümliche gerichtet wird.
Wenn man nun über die Gattung eines seienden Gegenstandes etwas behaupten will, so muss man zunächst auf alles diesem Gegenstande Zugehörige Rücksicht nehmen und sehen, ob die Gattung von einem ihm Zugehörigen nicht ausgesagt werden kann, wie dies bei nebensächlichen Bestimmungen allerdings der Fall sein kann. Ist z.B. das Gute als die Gattung der Lust aufgestellt worden, so prüfe man, ob es eine Lust giebt, die nicht gut ist; findet sich eine solche, so ist klar, dass das Gute nicht die Gattung für die Lust sein kann, da die Gattung von allen zu ihr gehörenden Arten ausgesagt wird. Sodann prüfe man, ob das Ausgesagte etwa nicht zu dem Was des Gegenstandes gehört, sondern ein Nebensächliches ist, wie z.B. das Weisse beim Schnee und das Sich-selbst-Be wegen bei der Seele. Denn der Schnee ist nicht das, was das Weiss ist, und deshalb auch das Weiss nicht die Gattung des Schnees, und die Seele ist nicht das, was das sich selbst Bewegende ist, sondern es trifft sich nur so, dass sie sich bewegt, wie es dem Geschöpf nebensächlich ist, dass es geht und gehend ist. Auch ist das Sich-Bewegen kein Was, sondern es bezeichnet nur ein Thun oder Leiden, und dasselbe gilt für das Weiss, denn es giebt nicht an, was der Schnee ist, sondern nur eine Beschaffenheit desselben; so dass also Beides nicht als ein Was des Gegenstandes ausgesagt wird.[65]
Vorzüglich muss man hierbei die Definition des Nebensächlichen im Auge behalten und prüfen, ob sie auf das als Gattung Angegebene passt, wie dies in den vorhin genannten Beispielen der Fall ist; denn es kann ein Gegenstand sich sowohl bewegen, wie nicht bewegen und ebenso weiss und nicht weiss sein. Deshalb ist keine dieser Bestimmungen die Gattung, sondern nur ein Nebensächliches, indem letzteres darin besteht, dass es in einem Gegenstande enthalten und auch nicht enthalten sein kann.
Dasselbe gilt, wenn Gattung und der Gegenstand nicht zu derselben Kategorie gehören, sondern das eine ein selbstständiges Ding, das andere eine Beschaffenheit ist, oder das eine eine Beziehung, das andere eine Beschaffenheit; so ist z.B. der Schnee und der Schwan ein selbstständiges Ding, das Weiss ist aber kein solches, sondern eine Beschaffenheit; deshalb kann das Weiss nicht die Gattung vom Schnee und auch nicht vom Schwan sein. Ebenso ist die Wissenschaft eine Beziehung, das Gute und das Schöne aber eine Beschaffenheit; deshalb kann das Gute und Schöne nicht die Gattung von der Wissenschaft sein; denn die Gattungen der Beziehungen müssen selbst Beziehungen sein, wie z.B. bei dem Doppelten; denn das Vielfache, was die Gattung von jenem ist, ist selbst eine Beziehung. Allgemein ausgedrückt müssen Gattung und Gegenstand oder Art zu derselben Kategorie gehören; ist also die Art ein Ding, so muss es auch die Gattung sein, und ist die Art eine Beschaffenheit, so muss es auch dessen Gattung sein; ist z.B. das Weiss eine Beschaffenheit, so ist es auch die Farbe, und dasselbe gilt für die übrigen Kategorien.
Ferner muss man prüfen, ob nothwendiger Weise oder möglicher Weise das, was als die Art einer Gattung aufgestellt worden, an dieser Gattung theilnehmen kann. Das Kennzeichen für dieses Theilnehmen ist es, wenn die Gattung den Begriff des Theilnehmenden annehmen kann. Nun ist aber klar, dass die Arten an der Gattung Theil nehmen, aber die Gattungen nicht an ihren Arten; denn die Art nimmt den Begriff ihrer Gattung an, aber die Gattung nicht den Begriff ihrer Arten. Man hat also zu prüfen, ob etwa die in dem Satz angegebene Gattung an ihrer Art Theil nimmt, oder doch Theil nehmen könnte;[66] z.B. wenn jemand von etwas als dessen Gattung das Seiende oder die Eins angäbe; denn dann wäre dies ein Fall, wo die Gattung an der Art Theil nähme, weil von jedem Seienden das Seiende und die Eins ausgesagt wird, also auch der Begriff desselben.
Ferner muss man prüfen, ob die angegebene Art zwar in Bezug auf einen Gegenstand sich als richtig erweist, aber nicht die Gattung; z.B. wenn das Seiende oder das Wissbare als Gattung des Gemeinten angegeben wird; denn das Gemeinte kann auch von dem Nicht-Seienden ausgesagt werden, da vieles Nicht-Seiende doch gemeint wird. Nun ist aber klar, dass das Seiende und das Wissbare von dem Nicht- Seienden nicht ausgesagt werden kann; daher ist weder das Seiende noch das Wissbare die Gattung von dem Gemeinten; denn von Allem, von welchen die Art ausgesagt wird, muss auch die Gattung ausgesagt werden können.
Ferner hat man zu prüfen, ob das, was als zu der Gattung gehörig behauptet worden, dennoch an keiner ihrer Arten Theil nehmen kann; denn das, was an keiner Art einer Gattung Theil nehmen kann, kann auch nicht zur Gattung gehören, es müsste denn eine von den am nächsten stehenden Arten sein, welche nicht an den Arten, sondern nur an der Gattung Theil nehmen. Wird z.B. die Bewegung als die Gattung der Lust behauptet, so muss man prüfen, ob die Lust etwa keine Ortsbewegung und keine Veränderung ist und auch keine von den sonst angenommenen Arten der Bewegung. Ist dies der Fall, so erhellt, dass die Lust an keiner Art von Bewegung Theil nimmt, also auch nicht an der Bewegung als Gattung, da nothwendiger Weise das, was an der Gattung Theil nimmt, auch an einer ihrer Arten Theil nehmen muss. Deshalb würde dann die Lust weder zu einer Art der Bewegung gehören, noch zu einem Einzelnen, welches einer Art der Bewegung angehört. Denn auch das Einzelne nimmt an der Art und der Gattung Theil; so nimmt z.B. dieser einzelne Mensch sowohl an der Art: Mensch, wie an der Gattung: Geschöpf Theil.
Ferner muss man prüfen, ob die in eine Gattung gestellte Art sich weiter als diese Gattung erstreckt, wie z.B. wenn das Gemeinte als eine Art des Seienden behauptet[67] wird; denn das Gemeinte befasst ebenso das Nicht-Seiende, wie das Seiende; es kann deshalb nicht eine Art von dem Seienden sein, denn die Gattung erstreckt sich immer weiter als die Art. Ferner muss man prüfen, ob die Art und die Gattung gleichen Umfang haben und von denselben Gegenständen ausgesagt werden, wie z.B. das Seiende und das Eine; denn jedwedem Gegenstande kommt das Seiende und das Eine zu, deshalb kann von letzteren beiden keines die Gattung des anderen sein, da sie von denselben Dingen in gleicher Weise ausgesagt werden. Ebenso würde es sein, wenn man das Erste und das Anfangende als Art und Gattung von einander behaupten wollte; denn das Anfangende ist das Erste und das Erste ist das Anfangende; deshalb sind entweder beide nur ein und dieselbe Gattung, oder keines ist die Gattung des anderen. Der letzte Grund für alles dies ist, dass die Gattung mehr befasst, als die Art und der Art-Unterschied; denn auch der Art – Unterschied wird von weniger Gegenständen als die Gattung ausgesagt.
Auch muss man sehen, ob von einem, der Art nach nicht verschiedenen Gegenstande die angegebene Gattung nicht gilt, oder der Meinung nach nicht gilt; will man aber selbst etwas begründen, so muss man sehen, ob von einem solchen die Gattung gilt; denn für alles, was sich der Art nach nicht unterscheidet, ist die Gattung dieselbe. Ist bei einem von solchen der Art nach gleichen Gegenständen gezeigt, dass die Gattung von ihm ausgesagt werden kann, so gilt dies dann für alle derselben Art, und ist bei einem Gegenstande gezeigt, dass die Gattung nicht für ihn gilt, so gilt sie für keinen Gegenstand dieser Art. Wenn z.B. von den Linien jemand behauptet, dass sie nicht weiter in Arten theilbar seien und deshalb behauptet, dass das Untheilbare ihre Gattung sei, so steht dem entgegen, dass die Linien sich eintheilen lassen und deshalb ist das Untheilbare nicht ihre Gattung, wenn auch die Arten der Linien nicht weiter theilbar sind; da z.B. alle geraden Linien einander der Art nach sämmtlich gleich sind.
Ausgewählte Ausgaben von
Organon
|
Buchempfehlung
»In der jetzigen Zeit, nicht der Völkerwanderung nach Außen, sondern der Völkerregungen nach Innen, wo Welttheile einander bewegen und ein Land um das andre zum Vaterlande reift, wird auch der Dichter mit fortgezogen und wenigstens das Herz will mit schlagen helfen. Wahrlich! man kann nicht anders, und ich achte keinen Mann, der sich jetzo blos der Kunst zuwendet, ohne die Kunst selbst gegen die Zeit zu kehren.« schreibt Jean Paul in dem der Ausgabe vorangestellten Motto. Eines der rund einhundert Lieder, die Hoffmann von Fallersleben 1843 anonym herausgibt, wird zur deutschen Nationalhymne werden.
90 Seiten, 5.80 Euro