|
[102] Nach den bisher angegebenen Gesichtspunkten ist also zu prüfen, ob das Eigenthümliche richtig ausgedrückt worden ist; dagegen kann aus dem Nachfolgenden ersehen werden, ob die angegebene Bestimmung überhaupt eine Eigenthümlichkeit ist oder nicht ist. Die Gesichtspunkte, wonach das Eigenthümliche richtig ausgedrückt wird, fallen mit denen, woraus auch eine wahre Eigenthümlichkeit ergiebt, zusammen; jene werden also durch diese mit befasst. Behufs der Widerlegung hat man zunächst bei den einzelnen Gegenständen, von denen insgesammt eine Eigenthümlichkeit aufgestellt worden[102] ist, zu prüfen, ob sie etwa bei keinem derselben vorhanden ist, oder ob sie bei demselben nicht als solchem zutrifft, oder ob die Eigenthümlichkeit es nicht von jedem Gegenstande in dem Sinne ist, in welchem sie für den aufgestellten Gegenstand ausgesagt ist; denn in solchem Falle wird die aufgestellte Eigenthümlichkeit nicht die richtige sein. Wenn es z.B. bei dem Geometer nicht richtig ist, dass er in seinen Schlüssen sich nicht irren könne (denn der Geometer kann durch eine falsche Verzeichnung der Figur sich irren), so kann es nicht als die Eigenthümlichkeit eines wissenschaftlichen Mannes gelten, dass er sich nicht irre. Wenn dagegen die Begründung etwas als die Eigenthümlichkeit für alle erweist, und zwar in dem Sinne, wie sie dem Gegenstande beigelegt worden ist; dann ist die aufgestellte Eigenthümlichkeit die wahre. Wenn z.B. für jeden Menschen, und zwar als Menschen, als Eigenthümlichkeit gilt, dass er ein der Wissenschaft fähiges Geschöpf ist, so wird dies eine Eigenthümlichkeit des Menschen sein, dass er ein der Wissenschaft fähiges Geschöpf ist. Dagegen kann dieser Gesichtspunkt dann für die Widerlegung benutzt werden, wenn bei dem Gegenstande, wo der Name richtig ist, der Begriff nicht passt und wenn umgekehrt, da, wo der Begriff passt, der Name nicht der rechte ist; für die Begründung dient es aber, wenn da, wo der Name richtig ist, auch der Begriff passt und wenn da, wo der Begriff ausgesagt werden kann, auch der Name es kann.
Es dient ferner zur Widerlegung, wenn für die Gegenstände, für welche der Name gilt, der Begriff der angegebenen Eigenthümlichkeit nicht passt, oder wenn von dem, was der Begriff der angegebenen Eigenthümlichkeit befasst, der Name des Gegenstandes nicht ausgesagt werden kann. Wenn z.B. von der Gottheit in Wahrheit gesagt werden kann, dass sie ein an der Wissenschaft Theil habendes Wesen sei, so kann, da der Name Mensch die Gottheit nicht befasst, auch das an der Wissenschaft Theil-haben keine Eigenthümlichkeit des Menschen sein. Dagegen dient es zur Begründung, wenn da, wo der Begriff der Eigenthümlichkeit passt, auch der Name des Gegenstandes ausgesagt werden kann und wenn da, wo dieser Name passt, auch der Begriff des Eigenthümlichen ausgesagt werden kann; denn es wird dann die Eigenthümlichkeit[103] die wahre sein, wenn auch in dem vom Gegner aufgestellten Satze dies bestritten wird. Wenn z.B. da, wo das: eine – Seele – Haben richtig ist, auch der Name: Geschöpf passt, und wenn da, wo der Name: Geschöpf richtig ist, das: eine-Seele-Haben vorhanden ist, so ist das: »eine-Seele-Haben« eine Eigenthümlichkeit des Geschöpfes.
Ferner kann es zur Widerlegung benutzt werden, wenn ein Unterliegendes als das Eigenthümliche eines im Unterliegenden Enthaltenen aufgestellt wird; wenn z.B. als die Eigenthümlichkeit des leichtesten Körpers das Ferner- und somit das Unterliegende als die Eigenthümlichkeit eines von ihm Ausgesagten angegeben wird; denn das Feuer kann nicht eine Eigenthümlichkeit des leichtesten Körpers sein. Das Unterliegende kann nämlich deshalb nicht die Eigenthümlichkeit einer in ihm enthaltenen Bestimmung sein, weil letztere die Eigenthümlichkeit von mehreren und der Art nach verschiedenen Gegenständen bilden kann. Denn in ein und demselben Gegenstande sind mehrere der Art nach verschiedene Eigenschaften vorhanden, welche von ihm allein ausgesagt werden, und er würde das Eigenthümliche von allen diesen Eigenschaften bilden, wenn das Eigenthümliche in dieser Weise aufgestellt würde. Dagegen dient es der Begründung, wenn das in dem Unterliegenden Enthaltene als eine Eigenthümlichkeit des Unterliegenden ausgesagt wird; denn es wird dann das, was nach der Aufstellung des Gegners keine Eigenthümlichkeit ist, doch eine solche sein, sofern es nur von den Gegenständen allein ausgesagt wird; von denen es als Eigenthümliches behauptet wird. Hat z.B. jemand als Eigenthümlichkeit der Erde die Eigenschaft angegeben, dass sie der der Art nach schwerste Körper sei, so hat er diese Eigenschaft nur von dem Unterliegenden angegeben und von dem Gegenstande, von dem allein sie ausgesagt werden kann, und die Eigenthümlichkeit der Erde ist dann richtig angegeben.
Ferner kann es zur Widerlegung benutzt werden, wenn die Eigenthümlichkeit nach dem Teilhaben angegeben worden ist; denn ein so aufgestelltes Eigenthümliche ist keines; da das, was in der Weise des Theilhabens einem Gegenstande einwohnt, zu dem Was desselben gehört; es würde der Art-Unterschied in Bezug[104] auf eine besondere Art sein. Wenn z.B. jemand sagte: das »zweifüssig auf dem Lande lebend« sei die Eigenthümlichkeit des Menschen, so wäre dies falsch. Dagegen dient es der Begründung, wenn man die Eigenthümlichkeit weder nach seinem Theilhaben aufstellt, noch dieselbe das wesentliche Was des Gegenstandes anzeigt, wenn sie mit dem Gegenstande im Satze ausgetauscht wird. Denn dann wird es das Eigenthümliche sein, wenn auch der Gegner es leugnet. Hat z.B. jemand als Eigenthümlichkeit des Geschöpfes aufgestellt, dass es von Natur des Wahrnehmens fähig sei, so hat er sie weder nach dem Theilhaben aufgestellt, noch damit das Was des Gegenstandes ausgesagt, wenn sie mit dem Gegenstande im Satze ausgetauscht wird, und deshalb wird die von Natur bestehende Wahrnehmungsfähigkeit eine Eigenthümlichkeit des Geschöpfes sein.
Ferner dient, es zur Widerlegung, wenn die Eigenthümlichkeit nicht zugleich mit dem angegebenen Gegenstande besteht, sondern entweder später oder früher als der Gegenstand bestehen kann; denn ein solches ist entweder niemals oder nicht immer eine Eigenthümlichkeit. So kann z.B. das »über-den-Markt-Gehen« schon früher oder später als der Mensch bei einem Wesen statt haben, und es kann deshalb nicht eine Eigenthümlichkeit des Menschen sein und zwar entweder niemals, oder wenigstens nicht für alle Zeit. Dagegen dient es der Begründung, wenn die Eigenthümlichkeit immer gleichzeitig mit dem Gegenstande und zwar nothwendig besteht, und sie weder dessen Begriff noch ein Art-Unterschied desselben ist, denn dann wird sie, wenn sie auch in dem aufgestellten Streitsatze nicht als Eigenthümlichkeit anerkannt wird, doch immer ein Eigenthümliches sein. So besteht z.B. das der Wissenschaft fähige Geschöpf nothwendig immer zugleich mit dem Menschen, und jenes ist weder ein Art-Unterschied noch der Begriff des Menschen; deshalb wird das der Wissenschaft fähige Geschöpf die Eigenthümlichkeit des Menschen sein.
Zur Widerlegung dient es ferner, wenn von denselben Gegenständen, insoweit sie solche sind, das Eigenthümliche nicht bei allen dasselbe ist; denn dann ist die aufgestellte Bestimmung kein Eigenthümliches. Wenn z.B. es keine Eigenthümlichkeit des Begehrten ist, dass es Manchen[105] gut zu sein scheint, so wird diese Bestimmung auch keine Eigenthümlichkeit des Gewünschten sein; denn das Begehrte und Gewünschte sind ein und dasselbe. Dagegen gehört es zur Begründung, dass dieselbe Eigenthümlichkeit für alles gelte, was dasselbe und zwar als solches ist; denn dann wird es, auch wenn der Gegner dies bestreitet, ein Eigenthümliches sein. Wenn z.B. vom Menschen als solchem die Eigenthümlichkeit aufgestellt wird, dass er eine dreitheilige Seele habe, und dies von den Sterblichen als solchen gilt, so wird diese Bestimmung auch eine Eigenthümlichkeit jenes sein. Dieser Gesichtspunkt ist auch bei dem neben sächlich-Ausgesagten benutzbar; denn den einzelnen gleichen Dingen muss als solchen auch dasselbe Nebensächliche einwohnen oder nicht einwohnen.
Auch dient es der Widerlegung, wenn bei den der Art nach gleichen Dingen die Eigenthümlichkeit der Art nach nicht überall dieselbe ist. Denn dann ist die angegebene Bestimmung keine Eigenthümlichkeit des betreffenden Gegenstandes. So sind z.B. der Mensch und das Pferd der Gattung nach gleich; aber es ist keine stets gültige Eigenthümlichkeit des Pferdes, von selbst still zu stehen, und deshalb wird auch bei dem Menschen das sich-von-selbst-Bewegen keine Eigenthümlichkeit sein; denn das sich-von-selbst-Bewegen und von-selbst-Stehen-bleiben ist der Art nach dasselbe, insofern dem Geschöpf als solchen jedes von beiden zukommt. Dagegen dient es der Begründung, wenn bei der Art nach gleichen Dingen dieselbe Bestimmung als Eigenthümlichkeit gilt; denn dann wird trotz des entgegengesetzten Streitsatzes es eine Eigenthümlichkeit sein. So ist es dem Menschen eigenthümlich, dass er ein zweifüssiges auf dem Lande lebendes Geschöpf ist, und dem Vogel ist es eigenthümlich, dass er ein zweifüssiges Fliegendes ist; jedes von beiden ist der Art nach sich gleich, da der Mensch und der Vogel Arten ein und derselben Gattung sind, indem sie beide unter den Geschöpfen befasst sind und die letzteren Bestimmungen zu dem Art-Unterschiede des Geschöpfes gehören.
Indess führt dieser Gesichtspunkt zum Irrthum, wenn von den angegebenen Bestimmungen die eine nur einer Art zukommt, die andere aber mehreren Arten; wie[106] dies z.B. bei dem »vierfüssigen auf dem Lande lebenden« der Fall sein würde.
Da indess die Worte: Dasselbe und Verschieden vieldeutig sind, so ist es einem sophistischen Gegner gegenüber schwierig, das Eigenthümliche von einem Gegenstande und nur von diesem allein anzugeben. Denn das, was in einem Gegenstande enthalten ist, dem etwas Nebensächliches anhaftet, wird auch in dem Nebensächlichen zusammen mit seinem Gegenstande genommen enthalten sein. So wird das, was in dem Menschen enthalten ist, auch in dem weissen Menschen enthalten sein, wenn dieser Mensch ein weisser ist, und das, was in dem weissen Menschen enthalten ist, wird auch in dem Menschen überhaupt enthalten sein. Hier könnte nun der Sophist das Mehrere bei solchen Eigenthümlichkeiten verfälschen, indem er das Unterliegende für sich als ein Anderes wie das mit dem Nebensächlichen behaftete Unterliegende erklärte, und z.B. sagte, dass der Mensch und der weisse Mensch jedes ein Anderes wäre, indem der Sophist den Zustand und den danach benannten Gegenstand zu Verschiedenem machte, weil das, was in einem Zustande enthalten sei, auch dem danach benannten Gegenstande einwohne und umgekehrt das dem Gegenstande Einwohnende auch dem Zustande. Gälte z.B. jemand in Bezug auf eine Wissenschaft als ein Wissender, so wäre die Eigenschaft, wonach etwas durch keine Gründe zu einer anderen Ueberzeugung zu bringen ist, nicht die Eigenthümlichkeit der Wissenschaft; denn auch der Wissende sei einer, welcher zu keiner anderen Ueberzeugung zu bringen sei. Behufs der Vertheidigung muss man also dagegen geltend machen, dass der Gegenstand, dem eine Eigenschaft zukommt und diese Eigenschaft selbst mitsammt dem Gegenstande, dem sie zukommt, überhaupt hier nicht zwei verschiedene Dinge seien, sondern dass derselbe Gegenstand dann nur verschieden benannt werde, weil sein Sein verschieden ist; denn für den Menschen ist dessen Mensch-sein nicht dasselbe wie für den weissen Menschen dessen »weisser-Mensch-sein«.
Auch muss man auf die Wortbeugungen Acht haben und sagen, dass deshalb, weil der Wissende nicht Das durch Gründe nicht zu Ueberredende sei, auch die Wissenschaft nicht Das durch Gründe nicht zu Ueberredende[107] sei; sondern dass jener Der durch Gründe nicht zu Ueberredende und die Wissenschaft Die nicht durch Gründe zu Ueberredende sei; denn gegen den, der in jeder Weise mit Einwürfen kommt, muss man sich auch auf jede Weise vertheidigen.
Ausgewählte Ausgaben von
Organon
|
Buchempfehlung
Der junge Vagabund Florin kann dem Grafen Schwarzenberg während einer Jagd das Leben retten und begleitet ihn als Gast auf sein Schloß. Dort lernt er Juliane, die Tochter des Grafen, kennen, die aber ist mit Eduard von Usingen verlobt. Ob das gut geht?
134 Seiten, 7.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.
432 Seiten, 19.80 Euro