Zehntes Kapitel

[151] Auch muss man prüfen, ob zu denselben Beugungen des Wortes auch dieselben Beugungen des Begriffes passen; ist z.B. das die Gesundheit Bewirkende nützlich, so nützt auch das, was die Gesundheit bewirkt und hat genützt, was die Gesundheit bewirkt hat.

Auch in Bezug auf die betreffende Idee muss man prüfen, ob die aufgestellte Definition zu ihr passt; denn mitunter trifft dies nicht zu, z.B. wenn Plato das Sterbliche in Anpassung an die Definitionen der Geschöpfe definirt; denn die Idee ist nicht sterblich, z.B. der Mensch-an-sich, und deshalb stimmt dann der Begriff nicht mit seiner Idee. Ueberhaupt können alle Definitionen, in welche etwas zu Bewirkendes oder zu Erleidendes aufgenommen ist, mit der Idee nicht übereinstimmen, denn die, welche das Dasein von Ideen behaupten, halten sie für leidlos und unveränderlich. Gegen solche Ansichten sind daher auch dergleichen Gesichtspunkte zu benutzen.

Ferner muss man prüfen, ob etwa der Gegner bei zweideutigen Worten einen Begriff für alle Bedeutungen des Wortes aufgestellt habe; denn nur bei Worten, die blos eine Bedeutung haben, kann ein Begriff aufgestellt werden; wenn also der bei zweideutigen Worten angegebene Begriff für alle seine Bedeutungen passt, so ist klar, dass er von keinem der zu diesem Worte gehörenden Gegenstände der Begriff sein kann. An diesem Fehler leidet auch die von Dionysios gegebene Definition des Lebens, wonach es die der Gattung von Natur anhaftende Bewegung sein soll; denn diese Definition passt ebenso für die Pflanzen, wie für die Thiere und das Wort: Leben bezeichnet wohl nicht blos ein Einfaches, sondern ist bei den Thieren etwas Anderes, als bei den Pflanzen. Man kann nun, wenn man will, den Begriff davon entweder so aufstellen, als wenn das Wort überhaupt nur das Leben der einen Art von Dingen bezeichnete; oder man kann auch, selbst wenn man die Zweideutigkeit kennt und den Begriff blos von der einen Art aufstellen will, es doch übersehen, dass man nicht den Begriff dieser Art, sondern den für beide Arten gemeinsam angiebt. Indess wird man trotzdem in beiden Fällen gefehlt[152] haben. Da indess die Zweideutigkeit mancher Worte nicht bemerkt zu werden pflegt, so muss man als Fragender dergleichen Worte so benutzen, als hätten sie nur eine Bedeutung (denn dann passt der Begriff von der einen Art nicht auf die andere Art, so dass der Gegner glauben wird, dass er nicht richtig definirt habe, weil Worte mit nur einer Bedeutung für alles zu ihnen Gehörige passen müssen); soll man aber selbst antworten, so muss man die verschiedenen Bedeutungen von einander trennen. Da indess manche Antwortende behaupten, dass ein Wort, was nur eine Bedeutung hat, mehrdeutig sei, sobald der von ihnen aufgestellte Begriff für alles unter das Wort Fallende nicht passt, und da sie umgekehrt zweideutige Worte für eindeutig erklären, wenn ihre Definition für jede der Bedeutungen passt, so muss man über diese Frage im Voraus entweder sich vereinigen, oder vorweg beweisen, dass das Wort, je nach seiner Natur, zweideutig oder eindeutig sei, denn der Gegner wird hier eher beitreten, wenn er das daraus weiter Folgende nicht bereits kennen gelernt hat. Wenn aber der Gegner hierbei nicht zustimmt und behauptet, dass das eindeutige Wort ein mehrdeutiges sei, weil der aufgestellte Begriff nicht auf einzelne bestimmte noch unter das Wort fallende Gegenstände passt, so muss man prüfen, ob der für diese letzteren Gegenstände aufzustellende Begriff auch für alle anderen, von dem Wort befassten Gegenstände passe, denn dann ist klar, dass das Wort ein eindeutiges ist, da dieser letzte Begriff für alles passt. Ist dies aber nicht der Fall, so ergäbe sich das Widersinnige, dass es dann für diese anderen Gegenstände des Wortes mehrere wahre Definitionen gäbe, da dann zwei Definitionen für diese passen würden, die zuerst aufgestellte und die spätere.

Wenn ferner jemand ein vieldeutiges Wort definirt hätte und diese Definition nicht auf Alles passte und er dann behauptete, das Wort sei nicht zweideutig, sondern passe nur nicht für Alles, und deswegen passe auch die Definition nicht für Alles, so muss man einem solchen entgegnen, dass man sich der überlieferten und gebräuchlichen Ausdrucksweise bedienen müsse und nicht daran rütteln dürfe, wenn man auch Einzelnes nicht so wie die Menge bezeichnen könne.

Quelle:
Aristoteles: Die Topik. Heidelberg 1882, S. 151-153.
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