Zwölftes Kapitel

[156] Ferner ist es ein Mangel, wenn das Definirte zu dem Seienden gehört, das unter der Definition Befasste aber zu dem Nicht-seienden gehört; z.B. wenn das Weisse für eine mit Feuer gemischte Farbe erklärt worden ist. Denn das Unkörperliche lässt sich nicht mit Körperlichen vermischen, und deshalb kann auch die Farbe sich nicht mit dem Feuer vermischen; das Weisse ist aber etwas Seiendes.

Auch die, welche bei Beziehungen nicht unterscheiden, auf was der Gegenstand bezogen werde, sondern zu Vieles dafür angeben, stellen entweder eine durchaus falsche Definition auf, oder fehlen in einem einzelnen Punkte. Dies ist z.B. der Fall, wenn jemand die Heil-Wissenschaft als eine solche erklärt, die sich auf Seiendes bezieht. Denn bezieht sich dieselbe auf gar nichts Seiendes, so ist diese Definition ganz falsch; bezieht sich dieselbe aber auf einiges Seiende und auf anderes nicht, so ist die Definition in diesem Punkte falsch; denn sie muss sich auf alles Seiende beziehen, wenn sie an sich und nicht blos nebenbei als auf das Seiende sich beziehend erklärt wird, wie dies auch bei anderen Bezogenen der Fall ist; denn alles Wissbare heisst so in Bezug auf die Wissenschaft, und ebenso verhält es sich mit anderen Bezogenen, da bei allen Beziehungen die Bezogenen sich umkehren lassen. Sollte aber eine Definition, die das Bezogene nicht an sich, sondern nur nebenbei meint, als eine richtige gelten, so würde jede Beziehung nicht blos auf Eines, sondern auf Mehreres sich beziehen. Denn ein und dasselbe kann sowohl ein Seiendes, wie auch ein Weisses und ein Gutes sein; mithin würde jeder, welcher eines von diesen als das Bezogene aufstellte, richtig definirt haben, sofern die Definition, welche das Bezogene blos in einem nebensächlichen Sinne meint, eine richtige Definition sein soll. Auch wäre es dann unmöglich, dass eine solche Definition dem betreffenden Gegenstande eigenthümlich zukäme. Denn nicht blos die Heil-Wissenschaft,[156] sondern noch viele von den anderen Wissenschaften beziehen sich auf ein Seiendes, so dass also jede derselben eine Wissen schaft des Seienden wäre. Eine solche Definition ist daher von keiner Wissenschaft zulässig, da die Definition dem Definirten ausschliesslich zukommen muss.

Mitunter wird nicht der Gegenstand überhaupt definirt, sondern nur der, welcher in gutem oder vollkommenen Zustande sich befindet. Dahin gehört es, wenn der Redner als derjenige definirt wird, welcher in allen Fällen die überzeugenden Gründe erfasst und nichts davon übersieht, und wenn der Dieb als der definirt wird, welcher etwas heimlich an sich nimmt; denn dieser Art ist offenbar nur der gute Redner und der geschickte Dieb; denn Dieb überhaupt ist nicht der, welcher heimlich nimmt, sondern wer heimlich nehmen will.

Es ist ferner ein Fehler, wenn das um sein selbst willen Wünschenswerthe als ein etwas zu Stande zu Bringendes, oder als ein etwas Auszuführendes oder überhaupt als etwas definirt wird, was um eines andern willen wünschenswerth ist; z.B. wenn man die Gerechtigkeit als eine Erhalterin der Gesetze oder die Weisheit als die Bewirkerin der Glückseligkeit definirt; denn das, was nur etwas bewirkt, oder erhält, gehört zu dem, was um eines andern willen wünschenswerth ist. Nun hindert zwar nichts, dass das um sein selbst willen Wünschenswerthe auch um anderer Dinge willen wünschenswerth ist, aber dennoch bleibt eine solche Definition des um sein selbst willen Wünschenswerthen fehlerhaft; denn das Beste von jeder Sache ist in ihrem Wesen enthalten. Deshalb muss das um sein selbst willen Wünschenswerthe besser sein, als das um anderes willen und deshalb muss auch die Definition dies mehr hervorheben.

Quelle:
Aristoteles: Die Topik. Heidelberg 1882, S. 156-157.
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