Dreizehntes Kapitel

[157] Auch muss man prüfen, ob die Definition den Gegenstand so aufstellt, als sei er Mehreres, oder bestehe aus Mehreren, oder sei Eines mit einem Andern. Wird der Gegenstand so aufgestellt, dass er Mehreres sei, so folgt, dass er in beiden und doch in keinem von beiden enthalten ist, z.B. wenn man die Gerechtigkeit als die Selbstbeherrschung[157] und als die Tapferkeit definirte. Denn wenn von zwei Personen jede die eine dieser Tugenden hat, so werden sie beide zusammengerecht sein, aber doch keiner allein, da sie beide zusammen wohl die Gerechtigkeit haben, aber keiner allein sie hat. Wenn nun auch dergleichen nicht als widersinnig gelten kann, weil es bei anderen Dingen vorkommen kann (denn es kann ja sein, dass Zwei eine Mine Goldes haben, aber keiner allein sie hat), so würde es doch durchaus widersinnig sein, wenn die entgegengesetzten Bestimmungen von ihnen ausgesagt würden, und dies würde eintreten, wenn dem Einen von ihnen die Selbstbeherrschung und die Feigheit zukäme und dem Andern die Tapferkeit und die Zuchtlosigkeit; denn dann kommt beiden die Gerechtigkeit und die Ungerechtigkeit zu; denn wenn die Gerechtigkeit in der Selbstbeherrschung und Tapferkeit besteht, so muss auch die Ungerechtigkeit aus der Zuchtlosigkeit und Feigheit bestehen. Ueberhaupt könnten alle die Fälle, wo man zeigen kann, dass die Theile nicht dasselbe sind, wie das Ganze, für den hier aufgestellten Gesichtspunkt benutzt werden; denn bei solchen Definitionen werden die Theile für dasselbe, wie das Ganze, erklärt. Am einleuchtendsten ist dies bei solchen Gegenständen, wo die Zusammensetzung der Theile klar vorliegt, wie z.B. beim Hause und ähnlichen Dingen; denn hier zeigt sich, dass, wenn auch alle Theile vorhanden sind, das Ganze doch nicht zu sein braucht, dass folglich die sämmtlichen Theile nicht dasselbe wie das Ganze sind.

Wird aber die Definition nicht in der Weise, dass der Gegenstand Mehreres sei, aufgestellt, sondern dass er aus Mehreren entstanden sei, so muss man zunächst prüfen, ob auch aus den angegebenen Einzelnen Eines entstehen kann; denn Mehreres verhält sich mitunter so zu einander, dass aus demselben Nichts entstehen kann, wie z.B. die Linie und die Zahl. Auch muss man prüfen, ob das zu Definirende seiner Natur nach aus einem Gegenstande ursprünglich entsteht, während nach der Definition es aus Mehreren hervorgehen soll, die nicht ursprünglich aus Einem hervorgehen, sondern Jedes aus einem Andern; denn dann kann offenbar auch das zu Definirende aus diesem Mehreren nicht hervorgehen; denn das, was die Theile enthält, muss auch das Ganze enthalten. Mithin[158] müsste das Ganze, wenn die aufgestellte Definition richtig sein sollte, nicht ursprünglich aus Einem, sondern ursprünglich aus Mehrerem hervorgehen. Sollten aber sowohl die Theile wie das Ganze ursprünglich aus Einem hervorgehen, so muss man prüfen, ob beide etwa nicht aus demselben, sondern das Ganze aus Diesem und die Theile aus Anderem hervorgehen. Ferner, ob mit dem Ganzen auch die Theile zu Grunde gehen; denn umgekehrt muss es wohl kommen, dass mit dem Untergange der Theile auch das Ganze untergeht; allein wenn das Ganze untergeht, brauchen nicht auch die Theile unterzugehen. Ferner hat man zu prüfen, ob das Ganze zwar gut, oder schlecht ist, die Theile aber keines von beiden, oder ob umgekehrt die Theile zwar gut oder schlecht sind, das Ganze aber keines von beiden; denn aus dem, was weder gut noch schlecht ist, kann nicht etwas werden, was gut oder schlecht ist, und aus dem, was schlecht oder gut ist, kann nicht etwas werden, was keines von beiden ist.

Ferner muss man prüfen, ob von den Theilen der eine mehr gut, als der andere schlecht ist, das Ganze aber nicht mehr gut als schlecht ist; z.B. wenn die Schamlosigkeit als aus der Tapferkeit und einer falschen Meinung hervorgehend definirt worden ist. Denn hier ist die Tapferkeit mehr gut, als die falsche Meinung schlecht ist; deshalb muss auch in dem daraus Hervorgehenden das Mehr sich so verhalten und entweder das Ganze einfach gut oder wenigstens mehr gut als schlecht sein. Indess dürfte dies wohl nur da nothwendig sein, wo jeder der Theile nicht an sich gut oder schlecht ist, denn es giebt Vieles, was für sich allein nicht gut ist, aber wohl, wenn es gemischt wird, und umgekehrt giebt es Vieles, wo das Einzelne gut ist, aber gemischt das Ganze schlecht oder keines von beiden. Am deutlichsten zeigt sich dies bei dem, was gesund oder krank macht; denn manche Arzneimittel sind der Art, dass jedes für sich gut ist, dass sie aber gemischt eingegeben schlecht wirken.

Man hat ferner zu prüfen, ob, wenn Etwas aus einem Besseren und einem Schlechteren hervorgehen soll, das Ganze auch schlechter ist als das Bessere und besser als das Schlechtere. Doch ist auch dies wohl da nicht[159] nothwendig, wo die Theile, aus denen das Ganze besteht, nicht an sich gut sind; denn dann kann das Ganze trotzdem nicht gut werden, wie z.B. in dem vorher angegebenen Falle.

Auch hat man zu prüfen, ob das Ganze mit dem einen der Dinge, aus denen es bestehen soll, dieselbe Bedeutung hat; denn dies darf nicht sein; auch nicht bei den Silben, denn die Silbe hat mit keinem der Buchstaben, aus denen sie besteht, gleiche Bedeutung.

Ferner muss auch die Art der Verbindung in der Definition angegeben sein, denn es genügt zur Erkenntniss des Gegenstandes nicht, dass man sagt, er entstehe aus diesen Stücken. Das Wesen der zusammengesetzten Dinge besteht nicht blos in diesem Werden aus Anderem, sondern in dem, wie sie daraus werden; wie z.B. bei dem Hause; denn ein solches entsteht nicht aus jeder beliebigen Zusammensetzung seiner Bestandtheile.

Ist nämlich bei einer Definition gesagt worden, dass Dieses mit Jenem den zu definirenden Gegenstand bilde, so muss man zunächst geltend machen, dass der Ausdruck: Dieses mit Jenem oder mit Jenen dasselbe besagt, wie der Ausdruck, dass der Gegenstand aus Diesen bestehe; denn wer sagt: Honig mit Wasser, meint entweder damit: Honig und Wasser oder das aus Honig und Wasser Werdende. Giebt hier der Gegner nun zu, dass das: »Dieses mit Jenem« dasselbe, wie einer dieser beiden letzten Ausdrücke bedeute, so wird dann auf seine Definition Dasselbe an Entgegnungen passen, was für diese beiden Ausdrücke vorher gesagt worden ist. Ist aber von ihm angegeben, in wie vielfacher Bedeutung der Ausdruck »das Eine mit dem Andern« gebraucht werde, so muss man prüfen, ob keine dieser Bedeutungen hier anwendbar ist; z.B. wenn »das Eine mit dem Andern« so gebraucht worden wie: »das Eine in einem, zu dessen Aufnahme fähigem Anderen«, wie z.B. die Gerechtigkeit und die Tapferkeit in der Seele sind oder wie Mehreres in demselben Orte oder in derselben Zeit ist. Für solche Verhältnisse kann der Ausdruck: »mit einander« durchaus nicht gebraucht werden, und deshalb ist die aufgestellte Definition dann für keines richtig, da in solchen Fällen das Eine nicht mit dem Andern ist. Wenn aber von den verschiedenen Bedeutungen jenes Ausdruckes die eine richtig dahin geht, dass jedes der Mehreren in demselben Zeitpunkte ist, so muss man[160] weiter prüfen, ob jedes der mehreren Gegenstände auf etwas Anderes bezogen werden kann. Hätte z.B. jemand die Tapferkeit als eine Kühnheit mit richtiger Kenntniss definirt, so lässt sich hier der Besitz der Kühnheit absondern und die richtige Kenntniss auf das Gesunde beziehen, und da wäre doch gewiss derjenige kein Tapferer, der zu derselben Zeit das eine mit dem anderen hätte. Auch prüfe man, ob beides sich auf dasselbe beziehen lässt, z.B. auf Arzneimittel; so kann jemand sehr wohl die Kühnheit, wie die richtige Kenntniss in Bezug auf Arzneimittel haben, und doch würde der, welcher so das eine mit dem anderen hätte, kein Tapferer sein; vielmehr dürfen nicht jedes auf etwas Anderes, noch beide auf jedes Beliebige sich beziehen lassen, sondern beide nur auf das Ziel der Tapferkeit, also auf die Gefahren im Kriege, oder auf das, was etwa sonst noch als Ziel der Tapferkeit gelten kann.

Auch fallen manche der so aufgestellten Definitionen durchaus nicht unter die besagten Eintheilungen des Ausdrucks »mit«; z.B. wenn der Zorn als ein Schmerz mit der Annahme, dass man gering geschätzt werde, definirt worden ist. Denn es soll zwar damit gesagt sein, dass der Schmerz durch eine solche Annahme verursacht werde, aber der Ausdruck, dass etwas durch ein anderes werde, besagt nach keiner der vorhergehenden Eintheilungen dasselbe mit dem: dass etwas mit einem anderen sei.

Quelle:
Aristoteles: Die Topik. Heidelberg 1882, S. 157-161.
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