Zweites Kapitel

[127] Eine Weise des unklaren Ausdrucks ist es, wenn die gebrauchten Worte zweideutig sind, wie z.B. wenn das Entstehen als eine Einführung in das Sein, oder wenn die Gesundheit als ein Zusammenstimmen des Warmen und Kalten definirt wird; denn die Ausdrücke: Einführung und Zusammenstimmen sind zweideutig, und man weiss nicht, welche von den mehreren Bedeutungen dieser Worte gemeint sein soll. Ebenso ist es ein Fehler, wenn der Name des zu Definirenden zweideutig ist und man nicht bestimmt, welche Bedeutung man im Sinne hat. Da dann nicht klar ist, von welcher Bedeutung des Wortes die Definition aufgestellt worden, so bleibt dem Gegner die boshafte Einrede, dass der aufgestellte Begriff nicht auf alles passe, wovon man die Definition aufgestellt habe.[127] Dem ist der Definirende vorzüglich da ausgesetzt, wo die Zweideutigkeit von ihm nicht bemerkt worden ist. Indess kann man auch dann, wenn der Definirende gesagt hat, in wie vielfachem Sinne das definirte Wort gebraucht werde, noch einen Schluss dagegen aufstellen; wenn nämlich die Definition für keine der verschiedenen Bedeutungen des Wortes zureicht, so wird sie auch für die hier gesetzte Bedeutung nicht genügen.

Ein anderer Fehler ist es, wenn die Definition bildlich ausgedrückt worden ist; z.B. wenn die Wissenschaft unerschütterlich, oder die Erde eine Amme oder die Selbstbeherrschung ein Zusammenstimmen genannt worden ist; denn jeder bildliche Ausdruck ist unklar. Ueberdem kann auch der, welcher solche bildliche Ausdrücke gebraucht, in der Weise bedrängt werden, dass man seine Worte so auffasst, als hätte er sie im eigentlichen Sinne gemeint; denn dann kann der aufgestellte Begriff, wie z.B. bei der Selbstbeherrschung, nicht passen, weil alles Zusammenstimmen im eigentlichen Sinne nur für Töne gilt. Auch würde, wenn das Zusammenstimmen die Gattung der Selbstbeherrschung sein sollte, derselbe Gegenstand in zwei Gattungen gehören, die einander nicht übergeordnet wären; denn weder das Zusammenstimmen ist der weitere Begriff und befasst die Tugend, noch ist die Tugend der weitere Begriff für das Zusammenstimmen.

Es ist ferner ein Fehler, wenn man sich bei der Definition nicht der gebräuchlichen Worte bedient, so nennt z.B. Plato das Auge »wimpernumschattet«; oder wenn man die Spinnen »faulbissig« oder das Mark »knochenerzeugt« nennt; denn alle ungewöhnlichen Ausdrücke sind unklar.

Manches wird weder zweideutig noch bildlich, noch mit den eigentlichen Worten ausgedrückt; z.B. wenn das Gesetz als das Mass oder Bild des von Natur Gerechten erklärt wird; allein dergleichen ist schlimmer als der Gebrauch bildlicher Ausdrücke, denn diese machen doch das Bezeichnete durch die Aehnlichkeit mit dem gebrauchten Bilde kenntlich, da jeder, welcher bildliche Ausdrücke gebraucht, dies nach einer gewissen Aehnlichkeit thut. Aber diese hier genannte Weise macht den Gegenstand nicht bekannter, denn es besteht keine Aehnlichkeit,[128] nach der das Gesetz ein Mass oder Bild genannt werden könnte, und ebenso pflegt man das Gesetz nicht eigentlich so zu nennen. Meint man es also im eigentlichen Sinne, dass das Gesetz ein Mass oder Bild sei, so spricht man unwahr; denn Bild ist das, welches durch Nachahmung entstellt, und eine solche Nachahmung ist bei dem Gesetze nicht vorhanden; ist es aber nicht im eigentlichen Sinne gemeint, so ist der Ausspruch offenbar undeutlich und schlechter, als irgend ein bildlicher Ausdruck.

Auch ist es ein Fehler, wenn aus der aufgestellten Definition nicht auch der Begriff des Gegentheiles klar wird; denn bei gut ausgedrückten Definitionen wird auch das dem definirten Gegenstande Entgegengesetzte mit deutlich. Auch ist es ein Fehler, wenn man aus der aufgestellten Definition für sich nicht ersehen kann, wessen Definition sie sein soll; eine solche gleicht den Werken der Maler aus alten Zeiten, wo man ohne Unterschied nicht erkennen konnte, was das Einzelne sein sollte.

Quelle:
Aristoteles: Die Topik. Heidelberg 1882, S. 127-129.
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