|
[138] Man muss ferner rücksichtlich der Art – Unterschiede prüfen, ob auch die der Gattung zukommenden Unterschiede angegeben worden sind. Denn wenn die Definition die eigenthümlichen Art-Unterschiede des Gegenstandes nicht angiebt oder Bestimmungen als solche aufstellt, welche überhaupt kein Art-Unterschied sein können, wie z.B. das Geschöpf, oder das Wesen, so hat man offenbar nicht definirt, da dergleichen überhaupt keine Art-Unterschiede von irgend etwas sind. Auch muss man prüfen, ob ein entgegengesetzter Art – Unterschied zu dem angegebenen vorhanden ist; ist dies nicht der Fall, so ist der angegebene offenbar kein Unterschied innerhalb der betreffenden Gattung, da jede Gattung durch entgegengesetzte Unterschiede in ihre Arten eingetheilt wird; das Geschöpf z.B. durch die Unterschiede: auf[138] dem Lande lebend, geflügelt, im Wasser lebend und zweifüssig.
Man muss auch prüfen, ob der Art-Unterschied, wenn er auch seinen Gegensatz hat, doch nicht zu der Gattung gehört, denn dann kann keiner von beiden zur Gattung wahrhaft gehören, da alle gegensätzlichen Art-Unterschiede ihrer eigenen Gattung zukommen müssen. Aber selbst wen der gegensätzliche Unterschied in der Gattung enthalten ist, kann es kommen, dass er doch durch seinen Zusatz zur Gattung keine Art hervorbringt; auch dann ist offenbar diese Bestimmung kein artbildender Unterschied innerhalb der Gattung, und ist diese Bestimmung kein Art-Unterschied, so ist es auch die aufgestellte nicht, da jene den Gegensatz zu dieser bildet.
Auch muss man prüfen, ob die Gattung etwa durch eine Verneinung eingetheilt wird, wie dies z.B. geschieht, wenn man die Linie als eine breitlose Länge definirt; denn dies sagt nichts anderes, als dass sie keine Breite habe. Dann nimmt die Gattung an der Art Theil, da jede Länge entweder Breite oder keine Breite hat, weil bei jedem Gegenstande entweder die Bejahung oder die Verneinung einer Bestimmung wahr sein muss, und mithin wird auch die Gattung der Linie eine Länge sein, die entweder Breite hat oder nicht hat. Die Länge ohne Breite ist aber der Begriff einer Art, ebenso wie die Länge, welche eine Breite hat, denn das Breite Habende oder nicht Habende sind die Art-Unterschiede. Nun besteht der Begriff der Art aus der Gattung und dem Art-Unterschied, mithin würde die Gattung an dem Begriff der Art Theil nehmen. Ebenso würde dies mit dem Art-Unterschied der Fall sein, da einer der beiden Unterschiede nothwendig von der Gattung ausgesagt wird.
Dieser Gesichtspunkt kann gegen diejenigen benutzt werden, welche das Dasein von Ideen behaupten. Giebt es nämlich eine Länge an sich, wie könnte man da von der Gattung aussagen, dass sie Breite habe oder keine? Jede Länge muss doch eines von beiden sein, wenn sie der Gattung wahrhaft zugehören soll. Dies geht aber bei der Idee der Länge nicht an, denn es giebt Längen, die Breite haben und welche, die keine haben. Deshalb ist dieser Gesichtspunkt nur gegen die zu benutzen, welche von der Gattung behaupten, dass sie ein der Zahl nach[139] Einzelnes sei, und dies thun die, welche Ideen annehmen, denn sie behaupten, dass die Länge an sich und das Geschöpf an sich Gattungen seien.
Mitunter mag es wohl nothwendig sein, bei den Definitionen auch Verneinungen zu benutzen; z.B. bei denen der Beraubungen; denn blind ist der, welcher das Gesicht nicht hat, obgleich er seiner Natur nach es haben sollte. Auch ist es gleich, ob man eine Gattung durch eine solche bejahende, welcher nothwendig die verneinende behufs der Eintheilung entgegengestellt werden muss. Wird z.B. eine Art als eine Länge definirt, die keine Breite hat, so muss dieser die eine Breite habende Länge als zweite Art entgegengestellt werden und keine andere Art weiter, so dass doch die Verneinung bei der Eintheilung der Gattung benutzt wird.
Auch ist es ein Fehler, wenn die Art als Art-Unterschied benutzt wird; z.B. wenn die Beschimpfung als eine Beleidigung mit Verspottung definirt wird; denn die Verspottung ist eine Art der Beleidigung; sie ist deshalb kein Unterschied, sondern eine Art selbst.
Auch muss man prüfen, ob etwa die Gattung als Art-Unterschied benutzt worden ist; z.B. wenn man die Tugend als eine gute oder sittliche Gemüthsrichtung definirt; denn das Gute ist die Gattung der Tugend; oder vielmehr ist es nicht die Gattung, sondern der Art-Unterschied, wenn es richtig ist, dass ein und dasselbe nicht zu zwei Gattungen gehören kann, sofern diese einander nicht untergeordnet sind. Hier ist nun weder das Gute die höhere Gattung von der Gemüthsrichtung, noch diese die höhere von dem Guten; denn nicht jede Gemüthsrichtung ist gut und nicht jedes Gute ist eine Gemüthsrichtung, deshalb kann keine von beiden eine der andern übergeordnete Gattung sein. Ist nun die Gemüthsrichtung die Gattung von der Tugend, so erhellt, dass das »gut« nicht die Gattung, sondern den Art-Unterschied bezeichnet. Auch giebt die Gemüthsrichtung das Was der Tugend an, während das Gute kein Was, sondern eine Beschaffenheit bezeichnet, da der Art-Unterschied immer eine Beschaffenheit anzeigt. Deshalb muss man auch untersuchen, ob der angegebene Art-Unterschied etwa keine Beschaffenheit,[140] sondern einen Gegenstand bedeutet; denn jeder Art-Unterschied dürfte eine Beschaffenheit bezeichnen.
Auch muss man prüfen, ob der angegebene Unterschied dem definirten Gegenstande nur nebensächlich anhaftet; denn kein Art-Unterschied gehört zu den nebensächlichen Bestimmungen eines Gegenstandes so wenig wie die Gattung; der Art-Unterschied kann nicht den zur Art gehörigen Gegenständen anhaften und auch nicht anhaften.
Auch ist es keine richtige Definition, wenn der Art-Unterschied, oder die Art oder eine der Unterarten der Gattung beigelegt wird; denn diese Bestimmungen können von der Gattung nicht ausgesagt werden, da die Gattung einen grösseren Umfang, als alle diese, hat. Ebenso ist es ein Fehler wenn die Gattung dem Art-Unterschied beigelegt wird; denn die Gattung kann nicht von dem Art-Unterschied, sondern von den Gegenständen, denen der Art-Unterschied beigelegt wird, ausgesagt werden. So wird z.B. das Geschöpf von den Menschen und vom Stier und von den andern Landthieren ausgesagt, aber nicht von dem Art-Unterschiede selbst, der dieser Art zukommt. Könnte das Geschöpf von jedem seiner einzelnen Art-Unterschiede ausgesagt werden, so würden viele Geschöpfe von der Art ausgesagt werden, denn die Art-Unterschiede werden von der Art ausgesagt.
Auch würden alle Art-Unterschiede dann Arten oder Einzelgegenstände sein, wenn sie Geschöpfe wären, da jedes Geschöpf entweder eine Art oder ein Einzelgegenstand ist.
Ebenso muss man prüfen, ob etwa die Art oder etwas von ihren Unterarten von dem Art-Unterschied ausgesagt wird; denn dies ist unstatthaft, da der Art-Unterschied von mehr Gegenständen, als die Art, ausgesagt wird. Auch würde dann der Art-Unterschied selbst zu einer Art werden, da eine von den Arten von ihm ausgesagt wird; denn wenn der Mensch von dem Art-Unterschied ausgesagt wird, so ist offenbar der Art-Unterschied ein Mensch. Auch muss man prüfen ob auch der Art-Unterschied das Frühere gegen die Art ist; denn er muss das Spätere in Bezug auf die Gattung und das Frühere in Bezug auf die Art sein.
Auch muss man prüfen, ob etwa der aufgestellte Art-Unterschied zu einer anderen Gattung gehört, welche[141] der wahren weder über- noch untergeordnet ist; denn derselbe Art-Unterschied kann wohl nicht zwei, einander nicht untergeordneten Gattungen angehören, sonst würde, wenn dies zulässig wäre, auch die Art selbst zu zwei, einander nicht untergeordneten Gattungen gehören; denn jeder Art-Unterschied bringt die ihm zugehörige Gattung mit hinzu; wie z.B. das »mit Füssen versehen« und das Zweifüssige das Geschöpf mit hinzubringt. Deshalb würden dem Gegenstande, von dem der Art-Unterschied ausgesagt wird, auch jede der beiden Gattungen zukommen. Indess ist es doch wohl nicht unmöglich, dass der Art-Unterschied zu zwei einander nicht untergeordneten Gattungen gehört; vielmehr muss man noch hinzusetzen, dass dies nur dann nicht möglich sei, wenn beide Gattungen auch nicht unter derselben höheren Gattung stehen. So sind beide, das Füsse habende Geschöpf und das Flügel habende Geschöpf, Gattungen, die einander nicht untergeordnet sind, und dennoch gilt bei beiden das Zweifüssige als ein Art-Unterschied. Deshalb muss man noch hinzusetzen, dass beide Gattungen auch nicht unter einer höheren stehen dürfen; denn die hier genannten stehen beide unter der Gattung Geschöpf. Hieraus ergiebt sich auch, dass nicht nothwendig jeder Art-Unterschied die ihm eigenthümliche Gattung mit sich führt, weil ein und derselbe Unterschied zweien, einander nicht untergeordneten Gattungen angehören kann; vielmehr muss der Art-Unterschied wenigstens die eine Gattung und die ihr übergeordneten Gattungen mit sich führen, wie z.B. das zweifüssige Geflügelte und das zweifüssige Landthier das Geschöpf mit sich führen.
Auch muss man prüfen, ob etwa bei der Definition als Art-Unterschied des Wesens eine Ortsbestimmung aufgestellt worden ist; denn das Wesen eines Dinges kann sich von dem eines andern nicht durch einen Unterschied im Orte unterscheiden. Deshalb tadelt man es auch, wenn die Geschöpfe in Land- und Wasser-Geschöpfe eingetheilt werden, weil dieser Unterschied nur einen Unterschied des Ortes angiebt. Indess ist der Tadel hier wohl nicht begründet, denn das »im Wasser lebend« bedeutet weder, dass etwas in einem Wasser oder an einem Orte lebe, sondern vielmehr eine Beschaffenheit; denn selbst wenn das Geschöpf auf dem Trocknen ist, bleibt es doch ein[142] Wasserthier, und ebenso bleibt ein Landthier selbst im Wasser ein Landthier und wird kein Wasserthier. Dessen-ungeachtet bleibt es ein Fehler, wenn der Umstand wirklich einen Unterschied im Orte bezeichnet.
Auch ist es ein Fehler, wenn ein Zustand des definirten Gegenstandes als Art – Unterschied desselben aufgestellt wird. Denn jeder Zustand tritt, wenn er über einen bestimmten Grad gesteigert wird, aus dem Wesen des Gegenstandes heraus, während der Art-Unterschied dies nicht thut; denn der Art-Unterschied dient mehr der Erhaltung seines Gegenstandes und kein Gegenstand kann ohne den ihm zugehörigen Art-Unterschied bestehen; denn wenn es kein auf dem Lande Lebendes giebt, giebt es auch keinen Menschen. Ueberhaupt ist alles, wodurch ein Gegenstand zu einem anderen wird, niemals ein Art-Unterschied desselben, weil ein solcher durch seine Steigerung aus dem Wesen des Gegenstandes hinaustritt. Ist also so etwas als Art-Unterschied aufgestellt worden, so ist es ein Fehler, denn durch die Art-Unterschiede werden wir niemals ein anderes Ding.
Auch ist es ein Fehler, wenn bei der Definition eines bezogenen Gegenstandes der Art-Unterschied nicht auch als eine Beziehung aufgestellt wird; denn bei Beziehungen, wie dies z.B. für die Wissenschaften gilt; denn man nennt sie theoretische, oder praktische oder technische, und jeder dieser Unterschiede bezeichnet eine Beziehung; das Theoretische ist theoretisch in Bezug auf etwas und das Technische technisch in Bezug auf etwas und ebenso das Praktische.
Man muss auch prüfen, ob der Definirende bei einem, auf etwas sich beziehenden Gegenstande das, wozu er von Natur bestimmt ist, als solches angegeben hat, denn Manches von solchen Gegenständen lässt sich nur zu dem benutzen, zu welchem es von Natur bestimmt ist und zu sonst nichts weiter; Manches kann aber auch noch anderweit benutzt werden. So kann man z.B. das Gesicht nur zum Sehen gebrauchen, die Striegel aber wohl auch zum Wasserschöpfen. Danach wäre es ein Fehler, wenn jemand die Striegel als ein Instrument zum Wasserschöpfen definirte, denn es ist dazu seiner Natur nach nicht bestimmt. Diese natürliche Bestimmung wird daran erkannt,[143] dass der verständige Mann als solcher, oder die Wissenschaft, welcher der Gegenstand eigenthümlich angehört, denselben so gebrauchen würde.
Auch ist es ein Fehler, wenn bei einem Gegenstande, der zu Mehrerem gerechnet werden kann, nicht das nächste in der Definition genannt wird; z.B. wenn man die Klugheit als die des Menschen, oder der Seele und nicht als die des denkenden Theiles der Seele bezeichnet; denn zunächst ist die Klugheit eine Tugend des denkenden Theiles der Seele, und in Bezug auf diesen Theil sagt man, dass die Seele oder der Mensch klug sei.
Ferner ist es ein Fehler, wenn der Gegenstand, von dem das Definirte als dessen Zustand oder Erleiden, oder sonst wie definirt worden ist, dieses Zustandes nicht fähig ist; denn jeder Zustand und jedes Erleiden kann von Natur nur in dem entstehen, dessen Zustand oder Erleiden es ist; so kann die Wissenschaft nur in der Seele entstehen, da sie ein Zustand derselben ist. Mitunter wird hierbei gefehlt, z.B. wenn man den Schlaf als ein Unvermögen wahrzunehmen, oder den Zweifel als die Gleichheit entgegengesetzter Gründe, oder den Schmerz als eine gewaltsame Trennung zusammengewachsener Theile definirt, denn der Schlaf ist nicht in dem Wahrnehmen enthalten und doch müsste er dies sein, wenn er ein Unvermögen des Wahrnehmens sein soll. Ebenso ist der Zweifel nicht in den entgegengesetzten Gründen enthalten und der Schmerz nicht in den zusammengewachsenen Theilen; denn sonst müsste auch das Leblose Schmerz empfinden, wenn der Schmerz überhaupt bei ihnen vorkommen kann. Auch die Definition der Gesundheit ist dieser Art, wenn sie als die Zusammenstimmung des Warmen und Kalten definirt wird; denn dann müsste das Warme und Kalte gesund sein; denn das Zusammenstimmen bei einem Gegenstande ist in den Bestimmungen enthalten, deren Zusammenstimmung es ist, und deshalb wäre die Gesundheit in diesen enthalten. Auch kommt es bei solchen Definitionen vor, dass die Wirkung in die Ursache, oder umgekehrt, verlegt wird; denn die Trennung der zusammengewachsenen Theile ist nicht der Schmerz selbst, sondern sie bewirkt nur denselben, und ebenso ist das Unvermögen wahrzunehmen nicht der Schlaf, sondern das eine bewirkt das andere; denn wir schlafen[144] entweder in Folge des Unvermögens wahrzunehmen, oder wir sind unvermögend wahrzunehmen in Folge des Schlafes. Ebenso dürfte die Gleichheit der entgegengesetzten Gründe nur die Ursache des Zweifels sein, denn erst dann, wenn bei der Ueberlegung der beiderseitigen Folgen dieselben nach jeder der beiden Seiten als gleich erscheinen, schwankt man darüber, was man thun soll.
Auch muss man sehen, ob die verschiedenen Zeiten etwa nicht zusammenpassen, wie dies z.B. der Fall wäre, wenn man das Unsterbliche als ein jetzt unvergängliches Wesen definirte; denn das jetzt unvergängliche Wesen ist blos jetzt unsterblich. Oder sollte dies doch wohl nicht in diesen Worten liegen? denn das jetzt Unvergängliche ist ein zweideutiger Ausdruck; er bedeutet entweder, dass der Gegenstand jetzt nicht vergeht, oder dass er jetzt nicht vergehen kann, oder dass er jetzt so beschaffen ist, dass er niemals vergehen kann. Sagt man also, dass ein Geschöpf jetzt unvergänglich sei, so sagt man damit, dass es der Art sei, dass es niemals vergehen könne. Dies ist aber dasselbe, wie das unsterblich sein, und deshalb folgt daraus nicht, dass es nur jetzt unsterblich sei. Aber immerhin kann es kommen, dass die ausgesagte Bestimmung nur jetzt oder früher in dem Gegenstande enthalten ist, der Gegenstand selbst aber nicht der Art ist; dann wird die Definition nicht dasselbe mit dem Gegenstande sein. Man hat deshalb diesen Gesichtspunkt so, wie ich gesagt habe, zu benutzen.
Ausgewählte Ausgaben von
Organon
|
Buchempfehlung
Nachdem Musarion sich mit ihrem Freund Phanias gestrittet hat, flüchtet sich dieser in sinnenfeindliche Meditation und hängt zwei radikalen philosophischen Lehrern an. Musarion provoziert eine Diskussion zwischen den Philosophen, die in einer Prügelei mündet und Phanias erkennen lässt, dass die beiden »nicht ganz so weise als ihr System sind.«
52 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.
432 Seiten, 19.80 Euro