Sechsunddreissigstes Kapitel

[79] Das Enthaltensein des Ersten in dem Mittleren und dieses in dem äusseren Begriffe darf man nicht so ausdrücken wollen, als wenn immer eines von dem anderen ausgesagt werden müsse, oder als wenn das Erste von dem Mittleren und ebenso wie dieses von dem Aeussersten ausgesagt werden müsse. Dies gilt auch ebenso für das Nicht-enthalten-sein. Vielmehr muss man festhalten, dass in wie vielerlei Sinne das »Sein« und das »für wahr erklären« gebraucht wird, eben so vielerlei Bedeutung das »enthalten sein« hat; so z.B. bei dem Satze, dass von Entgegengesetztem nur eine Wissenschaft ist; denn A sei die eine Wissenschaft, B das einander Entgegengesetzte. Hier ist das A in dem B nicht so enthalten, als wenn das: »eine Wissenschaft sein« etwas Entgegengesetztes wäre, sondern so, wie man in Wahrheit sagen kann, dass in Bezug auf sie nur eine Wissenschaft ist.

E kommt auch vor, dass das Erste von dem Mittleren ausgesagt wird, aber das Mittlere nicht in dieser Weise von dem Dritten; so ist z.B. die Weisheit eine Wissenschaft und die Weisheit hat das Gute zum Gegenstande; der Schluss ist hier, dass es von dem Guten eine Wissenschaft giebt; hier ist das Gute keine Wissenschaft, aber die Weisheit ist eine Wissenschaft. Manchmal wird das Mittlere von dem Dritten ausgesagt, aber das Erste nicht von dem Mittleren; wenn z.B. von Jedwedem, was es auch sei, oder von dem Entgegengesetzten eine Wissenschaft besteht und das Gute ein Entgegengesetztes und ein irgend Etwas ist, so folgt zwar als Schluss, dass eine Wissenschaft des Guten ist (besteht), aber weder ist das Gute, noch das Etwas, noch das Entgegengesetzte eine Wissenschaft, wohl aber ist das Gute letzteres beides. Es kommt auch vor, dass weder das Erste von dem Mittleren, noch dieses von dem Dritten ausgesagt wird, während das Erste von dem Dritten bald ausgesagt, bald nicht ausgesagt werden kann. Wenn z.B. von dem,[79] wovon es eine Wissenschaft giebt, es eine Gattung giebt und es von dem Guten eine Wissenschaft giebt, so folgt der Schluss, dass es von dem Guten eine Gattung giebt. Dennoch wird keines von dem anderen ausgesagt. Wenn aber das, wovon es eine Wissenschaft giebt, eine Gattung ist und es eine Wissenschaft des Guten giebt, so folgt als Schluss, dass das Gute eine Gattung ist; hier wird das Erste von dem Letzten ausgesagt, aber die Aussenbegriffe werden nicht von einander ausgesagt. In derselben Weise sind die Fälle aufzufassen, wo es sich um das Nicht-Enthaltensein handelt.

Nicht immer bedeutet nämlich der Satz, dass dieses in Jenen nicht enthalten sei, so viel, als dass dieses nicht Jenes sei, sondern manchmal bedeutet es, dass dies nicht zu jenem gehört oder dass Dieses Jenes nicht ist; z.B. der Satz, dass es keine Bewegung der Bewegung giebt, oder kein Werden des Werdens, aber wohl eine Bewegung und ein Werden der Lust; deshalb ist aber die Lust kein Werden. Ferner ist, weil es ein Zeichen des Lachens giebt, aber kein Zeichen des Zeichens, das Lachen kein Zeichen. Ebenso ist es in allen andern Fällen, wo der Beweis-Satz verneint wird, weil die Geltung von ihm in einer gewissen Weise ausgedrückt wird; z.B. dass die Gelegenheit nicht die gehörige Zeit ist, weil es für Gott zwar Gelegenheit giebt, aber keine gehörige Zeit, indem es für Gott nichts Nützliches giebt. Man hat hier zwar als die Begriffe des Schlusses: Gelegenheit, gehörige Zeit und Gott zu setzen, aber der Vordersatz muss der Beugung des Hauptwortes gemäss angesetzt werden; denn so spricht man schlechthin von allen Dingen, mithin sind die Begriffe immer den Nominativ des Hauptwortes entsprechend anzusetzen; also z.B.: entsprechend den Nominativ: der Mensch oder: das Gute oder: die Gegentheile, aber nicht entsprechend der Beugung: des Menschen, des Gutes oder der Gegentheile; dagegen sind die Vordersätze entsprechend der Beugung eines jeden Hauptwortes anzusetzen; also dass Etwas diesem einwohnt, z.B. das Gleiche, oder dass es dessen ist, z.B. das Doppelte, oder dass es diesen ist, z.B. schlagend oder sehend, oder dass es dieses ist, z.B. der Mensch ein Geschöpf, oder wie sonst der[80] Beugungsfall des Hauptworts sich nach der Satzverbindung gestaltet.

Quelle:
Aristoteles: Erste Analytiken oder: Lehre vom Schluss. Leipzig [o.J.], S. 79-81.
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