Viertes Kapitel

[5] Nachdem dies auseinandergesetzt worden, will ich nun darlegen, wodurch und wenn und wie alle Schlüsse zu Stande kommen. Später habe ich dann über den Beweis zu sprechen; vor dem Beweis habe ich aber über den Schluss zu sprechen, weil der Schluss das Allgemeinere ist, denn der Beweis ist wohl eine Art des Schlusses, aber nicht jeder Schluss ist ein Beweis.

Wenn sich nun drei Begriffe so zu einander verhalten, dass der unterste Begriff in dem ganzen mittleren Begriff und der mittlere in dem ganzen oberen Begriff enthalten oder nicht enthalten ist, so muss sich für die beiden äusseren Begriffe ein Schluss ergeben. Mittel-Begriff nenne ich den, welcher sowohl selbst in einem anderen, als in welchem wieder ein anderer enthalten ist und welcher auch bei dem Ansatze der mittlere wird. Aeussere Begriffe nenne ich aber sowohl den, welcher in einem anderen enthalten ist, wie den, in welchem ein anderer enthalten ist. Denn wenn A von allen B und B von allen C ausgesagt wird, so muss auch A von allen C ausgesagt werden. Wie ich das »von allen ausgesagt werden« verstehe, habe ich bereits früher gesagt. Ebenso erhellt, dass wenn das A von keinem B und B von allen C ausgesagt wird, A in keinem C enthalten sein wird. Wenn aber der Oberbegriff in dem ganzen mittleren, der Mittelbegriff aber in keinem des Unterbegriffes enthalten ist, so entsteht für die äusseren Begriffe kein Schluss, weil bei solcher Beschaffenheit derselben sich nichts Nothwendiges ergiebt, denn der Oberbegriff kann dann ebenso gut in den ganzen Unterbegriff, wie in keinem desselben enthalten sein; es ergiebt sich also weder ein beschränkter, noch ein allgemeiner Schlusssatz als nothwendig, und wenn aus solchen Begriffen sich nichts als nothwendig ergiebt, so ist auch kein Schluss vorhanden. Als Beispiele für die Bejahung können hier dienen die Begriffe: Geschöpf, Mensch, Pferd; und für die Verneinung: Geschöpf, Mensch, Stein. Auch dann, wenn der Oberbegriff nicht in dem mittleren und dieser nicht in dem Unterbegriff enthalten ist, giebt es keinen Schluss. Als Beispiel für den bejahenden Satz dienen: Wissenschaft,[6] Linie, Arzneikunde; für den verneinenden Satz: Wissenschaft, Linie, Eins. Wenn hiernach von den Begriffen etwas allgemein ausgesagt wird, so erhellt, dass dann bei dieser Schlussfigur sich manchmal ein Schluss ergeben und manchmal nicht ergeben wird; und wenn ein Schluss sich ergiebt, so müssen die Begriffe sich so, wie ich angegeben, verhalten und umgekehrt muss, wenn sie sich so verhalten, ein Schluss sich ergeben.

Wird aber von dem einen Begriffe etwas allgemein, von dem anderen aber nur beschränkt ausgesagt, so ergiebt sich dann ein vollkommener Schluss, wenn das Allgemeine zu dem Oberbegriff gesetzt wird, sei es bejahend oder verneinend und das Beschränkte zu dem Unterbegriff bejahend; dagegen entsteht kein Schluss, wenn das Allgemeine zu dem Unterbegriff gesetzt wird oder die Begriffe überhaupt sich anders zu einander verhalten. Unter den Oberbegriffe meine ich den, in dessen Umfang sich der Mittelbegriff befindet und unter dem Unterbegriffe den, welcher unter dem mittleren enthalten ist. Es sei also A in dem ganzen B und B in einigen C enthalten, so muss demgemäss, wenn das »von allen ausgesagt werden« den früher angegebenen Sinn hat, das A in einigen C enthalten sein; und wenn A in keinem B enthalten ist, aber B in einigen C, so muss A in einigen C nicht enthalten sein; denn wie das »in keinem enthalten sein« zu verstehen ist, habe ich auch erklärt und es wird also auch hier ein vollständiger Schluss vorhanden sein. Dasselbe gilt, wenn der Satz B C unbestimmt, aber bejahend lautet; denn der Schluss bleibt derselbe, mag der Untersatz unbestimmt oder beschränkt lauten. Wird aber das Allgemeine zu dem Unterbegriff, sei es bejahend oder verneinend gesetzt, so giebt es keinen Schluss, mag der Obersatz bejahen oder verneinen, sobald er unbestimmt oder beschränkt lautet. Wenn z.B. A in einigen B enthalten, oder nicht enthalten ist, B aber in dem ganzen C enthalten ist, so können als Beispiele für die Bejahung die Begriffe dienen: Gut, Gemüthsrichtung, Klugheit, und für die Verneinung: Gut, Gemüthsrichtung, Unwissenheit. Ebenso giebt es auch keinen Schluss, wenn B in keinem von C enthalten und A in einigen B enthalten oder nicht enthalten ist oder wenn es nicht in dem ganzen B enthalten ist. Als[7] Beispiele kann man die Begriffe benutzen: Weisses, Pferd, Schwan, und Weisses, Pferd, Rabe. Dieselben Begriffe können auch für den Fall dienen, dass der Satz A B ein unbestimmter ist. Auch giebt es keinen Schluss, wenn zwar der Obersatz allgemein, sei es bejahend oder verneinend, der Untersatz aber beschränkt und verneinend lautet, mag er unbestimmt oder ausdrücklich beschränkt lauten; also z.B. wenn A in dem ganzen B enthalten ist, aber B in einigen C nicht, oder nicht in dem ganzen C enthalten ist; denn in dem Theile des Unterbegriffes, in welchem der Mittelbegriff nicht enthalten ist, kann der Oberbegriff bald ganz, bald gar nicht enthalten sein. Man setze z.B. die Begriffe: Geschöpf, Mensch, weiss und dann als den Theil des Weissen, in dem der Mensch nicht enthalten ist, einmal Schwan und dann Schnee. In diesem Falle muss das Geschöpf von jedem Schwan ausgesagt und von jedem Schnee verneint werden; woraus erhellt, dass hier kein Schluss vorhanden ist. Ferner soll A in keinem B enthalten sein und B in einigen C nicht enthalten sein; für diesen Fall nehme man die Begriffe Leblos, Mensch, Weiss und dann als Theil des Weissen, in dem der Mensch nicht enthalten ist, einmal den Schwan und dann den Schnee; hier wird das Leblose von dem ganzen nicht im Menschen enthaltenen Theil des Weissen einmal ausgesagt und das anderemal verneint. Da ferner der Satz, dass B in einigen C nicht enthalten sei, ein unbestimmter ist, weil sowohl dann, wenn B in keinem C enthalten ist, wie dann, wenn B nicht in allen C enthalten ist, man in Wahrheit sagen kann, dass B in einigen C nicht enthalten sei, so ergiebt sich auch kein Schluss, wenn man solche unbestimmte Sätze so nimmt, dass B in keinem C enthalten ist; denn dies habe ich schon früher dargelegt. Somit erhellt, dass wenn die Begriffe sich so zu einander verhalten, kein Schluss sich ergiebt. Denn auch dort ergab sich keiner. In derselben Weise kann der Beweis geführt werden, wenn der Obersatz allgemein verneinend lautet.

Eben so wenig giebt es einen Schluss, wenn beide Vordersätze beschränkt lauten, sei es bejahend oder verneinend, oder wenn der eine bejahend und der andere verneinend lautet, oder wenn der eine unbestimmt und der andere bestimmt lautet, oder wenn beide unbestimmt[8] lauten. Als Beispiele für alle diese Fälle können dienen die Begriffe: Geschöpf, Weiss, Pferd, und: Geschöpf, Weiss, Stein.

Aus dem Gesagten ergiebt sich also, dass wenn in dieser Figur ein beschränkter Schlusssatz sich ergeben soll, die Begriffe sich so, wie ich gesagt, zu einander verhalten müssen und dass, wenn sie sich anders verhalten, kein Schluss sich ergiebt. Auch erhellt, dass in dieser Figur alle Schlüsse zu den vollkommenen gehören; denn alle vollziehen sich lediglich auf Grund der gleich anfangs angenommenen Vordersätze. Auch werden alle Aufgaben durch diese Schlussfigur bewiesen, sowohl dass ein Begriff in allen oder in keinem oder in einigen oder nicht in einigen eines anderen Begriffes enthalten ist. Ich nenne diese Figur die erste.

Quelle:
Aristoteles: Erste Analytiken oder: Lehre vom Schluss. Leipzig [o.J.], S. 5-9.
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