Erstes Kapitel

[94] Ich habe somit durchgegangen und ermittelt, in wie viel Figuren und durch welche und durch wie viele Vordersätze ein Schluss und wie er zu Stande kommt; ferner auf was man bei dem Beweisen und Widerlegen zu sehen hat und wie man nach jedweder Methode für einen aufgestellten Satz das Nöthige zu suchen hat; endlich auf welchen Wegen man zu den obersten Grundsätzen für jeden Satz gelangen kann.

Die Schlüsse lauten entweder allgemein oder beschränkt und davon erschliessen die allgemeinen sämmtlich mehr, und von den beschränkten erschliessen die bejahenden mehr, die verneinenden aber nur gerade den Schlusssatz. Denn alle andern Vorder-Sätze lassen sich umkehren, nur die verneinenden nicht und der Schlusssatz sagt etwas von einem Andern aus, weshalb die andern Schlüsse mehr erschliessen. Z.B. wenn bewiesen worden, dass A allen oder einigen B zukommt, so muss auch B nothwendig in einigen A enthalten sein; und wenn A keinem B zukommt, so kommt auch B keinem A zu, welcher Satz etwas anderes besagt, als der vorhergehende. Wenn aber A in einigen B nicht enthalten ist, so ist es nicht nothwendig, dass auch B in einigen A nicht enthalten ist, vielmehr ist es statthaft, dass es in allen A enthalten ist.

Dieser Grund gilt sowohl für die allgemeinen, wie für die beschränkten Schlüsse. Für die allgemeinen Schlüsse kann man es jedoch noch in anderer Weise darlegen. Denn von allem, was unter den Mittelbegriff oder das Subjekt des Schlusssatzes fällt, gilt derselbe Schlusssatz, wenn man dasselbe an Stelle des Mittelbegriffs oder Unterbegriffs in den Schluss einstellt. Wenn z.B. der Schlusssatz A B durch C vermittelt wird, so muss von Allem, was unter B oder C fällt, nothwendig A ausgesagt werden; denn wenn z.B. D in[94] dem Umfange von B und B in dem Umfange von A enthalten ist, so ist auch D in dem Umfange von A enthalten. Wenn ferner E in dem Umfange von C und C in dem Umfange von A enthalten ist, so ist auch E in dem Umfange von A enthalten. Ebenso verhält es sich, wenn der Schlusssatz verneinend lautet.

Bei der zweiten Figur kann der Schlusssatz nur auf die unter dem Subjekt enthaltenen Dinge ausgedehnt werden. Wenn z.B. A in keinem B, aber in allen. C enthalten ist, so lautet der Schlusssatz, dass B in keinem C enthalten ist. Wenn nun D unter das C fällt, so ist klar, dass B auch nicht in D enthalten sein kann; dass aber B nicht in den unter A fallenden Dingen enthalten ist, erhellt aus dem Schlusssatze nicht. Den noch wird B nicht in E enthalten sein, wenn E unter A enthalten ist. Aber das Nicht-enthalten-sein des B in dem C ist durch den Schluss gezeigt worden; dass dagegen B nicht in dem A enthalten, ist ohne Beweis nur angenommen worden und deshalb beruht der Satz, dass B nicht in dem E enthalten, nicht auf dem Schlusssatze.

Bei den beschränkten Schlüssen ergiebt sich für die unter das Subjekt des Schlusssatzes fallenden Dinge keine Nothwendigkeit (denn es ergiebst sich kein Schluss, wenn der mit diesem Begriff gebildete Satz nur beschränkt lautet, aber für alle unter den Mittelbegriff fallenden Dinge gilt der Schlusssatz, nur beruht dies nicht auf dem Schlüsse. Wenn z.B. A in dem ganzen B und B in einigen C enthalten ist, so kann für die unter C fallenden Dinge kein Schluss gezogen werden, wohl aber für die unter B fallenden, aber nicht vermittelst des vorausgegangenen Schlusses. Ebenso verhält es sich mit den beschränkten Schlüssen in den anderen Figuren; es ergiebt sich auch da für die unter den Subjekt-Begriff des Schlusssatzes fallenden Dinge keine Nothwendigkeit, aber wohl für die unter den anderen Begriff fallenden Dinge; nur ergiebt sich dies nicht aus dem Schlusssatze, wie auch schon bei den allgemeinen Schlüssen gezeigt worden ist, dass die Ausdehnung auf die unter den Mittelbegriff enthaltenen Dinge nur auf dem unbewiesenen Obersatz beruht. Entweder gilt dies also auch nicht für die allgemeinen Schlüsse, oder wenn es dort gilt, so gilt es auch für die beschränkten.

Quelle:
Aristoteles: Erste Analytiken oder: Lehre vom Schluss. Leipzig [o.J.], S. 94-95.
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