Elftes Kapitel

[118] Es ist nun klar, was die Umkehrung ist, wie sie in jeder Figur geschieht und welcher Schluss dabei entsteht. Der Beweis bei dem Schluss vermittelst des Unmöglichen erfolgt, wenn der widersprechende Gegensatz des Schlusssatzes als Vordersatz gesetzt wird und der eine Vordersatz hinzugenommen wird, und dieser Schluss kann in allen Figuren geschehen; denn er gleicht der Umkehrung, ausgenommen dass die Umkehrung stattfindet, wenn der Schluss gebildet worden und die Vordersätze aufgestellt sind, während die Abführung in das Unmögliche nicht nach vorhergängigem Einverständniss über den widersprechenden Gegensatz erfolgt, sondern weil dessen Wahrheit offenbar ist. Dagegen verhalten sich die Begriffe in beiden gleich und werden auch in gleicher Weise benutzt. Wenn z.B. A in allen B enthalten ist und C den Mittelbegriff bildet, und wenn dann angenommen wird, dass A entweder nicht in allen B oder in keinem B enthalten sei, aber in allen C, welches letztere richtig war, so folgt, dass A entweder in keinem B oder nicht in allen B enthalten ist; diess ist aber unmöglich, und deshalb ist die Annahme falsch und mithin der widersprechende Gegensatz wahr. Aehnlich verhält es sich bei den anderen Figuren. So weit sie eine Umkehrung gestatten, so weit gestatten sie auch einen Beweis durch die Unmöglichkeit. Alle aufgestellten Sätze lassen sich durch diese Unmöglichkeit in allen Figuren beweisen, doch kann ein allgemein bejahender Satz dadurch blos in der zweiten und dritten Figur bewiesen werden, aber in der ersten geht dies nicht an. Denn man setze, dass A entweder nicht in allen oder in keinem B enthalten sei, und man nehme einen Vordersatz, welcher es sei, hinzu, entweder dass C in allen A, oder das B in allen D enthalten sei, so würde dies die erste Figur sein. Lautet nun der erste Vordersatz dahin, dass A nicht in allen C enthalten sei, so ergiebt sich kein Schluss, von woher man auch den zweiten Vordersatz hinzunehme. Lautet aber der erste Vordersatz dahin, dass A in keinem B enthalten sei, und nimmt man den Satz B D hinzu, so wird zwar ein falscher Schluss gebildet, aber der aufgestellte[119] Satz wird damit nicht bewiesen; denn wenn A in keinem B und B in allen D enthalten ist, so folgt nur, dass A in keinem D enthalten ist. Dies sei nun unmöglich und folglich falsch, dass A in keinem B enthalten. Allein wenn dies falsch ist, so ist der Satz, dass A in allen B enthalten, deshalb noch nicht wahr. Nimmt man aber den Satz, dass C in allen A enthalten, hinzu, so giebt es keinen Schluss, selbst dann nicht, wenn angenommen wird, dass A nicht in allen B enthalten sei. Hieraus erhellt, dass das »in allen enthalten sein« in der ersten Figur durch einen Schluss auf das Unmögliche nicht bewiesen werden kann.

Aber das »enthalten sein in Einigem« oder »in Keinem« oder »in Nicht-allen« lässt sich dadurch beweisen. Denn man nehme an, um den Satz: A in einigen B durch die Unmöglichkeit zu beweisen, A sei in keinen B enthalten und man nehme, B sei entweder in allen C, oder in einigen C enthalten, so folgt, dass A in keinem C oder nicht in allen C enthalten ist. Dies ist aber unmöglich; denn es soll als wahr und offenbar gelten, dass A allen C zukommt; wenn also jener Schluss dies als falsch ergiebt, so folgt, dass A in einigen B enthalten sein muss. Nimmt man aber zu dem ersten Satz mit A den andern Vordersatz, so giebt es keinen Schluss Auch giebt es keinen, wenn man das Gegentheil vom Schlusssatz annimmt, d.h. das »in einigen nicht sein«. Damit erhellt, dass man den widersprechenden Gegensatz annehmen muss.

Es soll nun wieder A in einigen B enthalten sein, und man nehme, dass C in allen A enthalten; hier folgt, dass C in einigen B enthalten ist; dies soll aber unmöglich sein, folglich ist das Angenommene falsch, und ist dies der Fall, so ist der Satz wahr, dass C keinen A zukommt. Ebenso verhält es sich, wenn der Satz C A verneinend gesetzt wird. Nimmt man aber den Vordersatz mit B, so giebt es keinen Schluss. Nimmt man nur das Gegentheil behufs Führung des Unmöglichkeitsbeweises an, so ergiebt sich zwar ein Schluss und etwas Unmögliches, aber es wird damit nicht das Beabsichtigte bewiesen. Denn man setze, dass A in allen B enthalten sei und nehme den Satz C in allen A hinzu, so folgt, dass C in allen B enthalten ist. Nun ist aber[120] dies unmöglich folglich falsch, dass A in allen B enthalten sei. Aber wenn sonach auch A nicht in allen B enthalten ist, so folgt daraus noch nicht, dass es in keinem B enthalten, Aehnlich verhält es sich, wenn der andere Vordersatz mit B hinzugenommen wird; auch hier giebt es zwar einen Schluss und ein Unmögliches, aber keine Widerlegung des angenommenen Satzes. Man muss deshalb den widersprechenden Gegensatz voraussetzen. Um aber zu beweisen, dass A nicht in allen B enthalten, muss man annehmen, es sei in allen B enthalten. Denn wenn A in allen B und das C in allen A enthalten, so ist auch C in allen B enthalten; ist nun dies unmöglich, so folgt, dass der angenommene Obersatz falsch ist. Aehnlich verhält es sich, wenn zu dem Satze mit B der andere Vordersatz hinzugenommen wird. Auch wenn der Satz C A verneinend lautet, findet dasselbe statt, da auch dann ein Schluss sich ergiebt. Ist aber der Satz mit B verneinend, so kann nichts bewiesen werden. Wenn angenommen wird, dass A nicht in allen, sondern in einigen B enthalten sei, so wird damit nur bewiesen, dass A in keinem B, aber nicht, dass A nicht in allen B enthalten sei. Denn wenn A in einigen B und C in allen A enthalten, so wird C auch in einigen B enthalten sein. Wenn dies unmöglich ist, so ist es auch falsch, dass A in einigen B enthalten, folglich wahr, dass A in keinem B enthalten ist. Mit diesem Beweis wird aber auch der wahre Satz aufgehoben, denn A war zwar in einigen B enthalten, aber auch in einigen B nicht. Auch kann ein Unmögliches nicht aus der Annahme hier sieh ergeben, denn dann müsste diese Annahme A in einigen B falsch sein, da man aus Wahrem nichts Falsches schliessen kann. Nun ist sie aber wahr, denn A ist in einigen ü enthalten. Man muss demnach nicht annehmen, dass A in einigen B, sondern in allen B enthalten sei. Aehnlich verhält es sich, wenn man beweisen will, dass A in einigen B nicht enthalten ist; denn da es dasselbe ist, ob Etwas in Einigen von einem Andern nicht ist, oder ob es nicht in allem Andern enthalten ist, so bleibt der Beweis für diese beiden Fälle derselbe.

Es erhellt also, dass man bei allen diesen Unmöglichkeits-Schlüssen nicht das Gegentheil, sondern den widersprechenden Gegensatz ansetzen muss; denn nur so ergiebt[121] sich eine Nothwendigkeit und wird der angenommene Satz glaubwürdig; da, wenn die Bejahung und die Verneinung Alles umfasst und gezeigt worden, dass die Verneinung nicht wahr ist, nothwendig die Bejahung wahr sein muss; und wenn umgekehrt die Bejahung nicht als- wahr angenommen wird, so ist es natürlich, die Verneinung als wahr anzusetzen. Dagegen kann man das Gegentheil in beiden Fällen nicht als wahr ansetzen, weil es nicht nothwendig ist, dass, wenn das »in Keinem enthalten sein« falsch ist, dann das »in Allen enthalten sein« wahr ist und es auch nicht annehmbar ist, dass wenn das Eine falsch ist, das andere wahr sei.

Quelle:
Aristoteles: Erste Analytiken oder: Lehre vom Schluss. Leipzig [o.J.], S. 118-122.
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