Neunzehntes Kapitel

[135] Um nicht durch Schlüsse des Gegners widerlegt zu werden, muss man Acht haben, dass wenn- der Beweis ohne Schlussfolgerungen blos durch Fragen von ihm geführt wird, man nicht in den Vordersätzen zweimal denselben Begriff zugebe, da man ja weiss, dass ohne einen Mittelbegriff kein Schluss gezogen werden kann und der Mittelbegriff der ist, welcher mehrmals ausgesprochen wird. Wie man aber bei jedem Schlusssatze auf den Mittelbegriff zu achten habe, ergiebt sich aus der Kenntniss der Art, wie in jeder Figur der Beweis geschieht, und dies wird Niemandem verborgen sein, wenn er weiss, wie man einen Satz aufrecht zu erhalten habe.

Aber das, wovor man sich nach meiner Anweisung bei Antworten in Acht zu nehmen hat, darf man, wenn man selbst etwas durchführen will, möglichst nicht bemerken lassen. Dies geschieht zunächst dann, wenn die vorhergehenden Schlusssätze nicht hintereinander, wie sie zuletzt zu dem Beweissatze führen, gefragt werden, sondern bei Annahme der dazu nöthigen Vordersätze jene unbekannt gelassen werden. Ferner dann, wenn man in der Schlussreihe nicht die zunächst einander folgenden Sätze abfragt, sondern möglichst solche, die durch Mittelbegriffe noch nicht verknüpft sind. So soll z.B. bewiesen werden, dass A von Z auszusagen sei; die Mittelbegriffe sollen B, C, D, E sein; man hat also zu fragen, ob A in B enthalten sei, aber dann nicht, ob B in C enthalten, sondern ob D in E und erst dann, ob B in C enthalten sei und so weiter. Vollzieht sich der Schluss nur durch einen Mittelbegriff, so muss man mit dem Mittelbegriff anfangen; denn so bleibt das Ziel dem Antwortenden am meisten verborgen.

Quelle:
Aristoteles: Erste Analytiken oder: Lehre vom Schluss. Leipzig [o.J.], S. 135.
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