Dreizehntes Kapitel

[75] Die bisherigen Bestimmungen folgen nun einander ihrer Bedeutung nach, wenn sie, wie nachstehend, zusammengestellt werden; denn das Möglich – sein tauscht sich mit dem Statthaft – sein aus und dieses mit jenem; ebenso tauschen sich mit ihnen das Nicht-unmöglich sein und das Nicht-nothwendig sein aus. Ferner tauschen sich das Möglich nicht-sein und das Statthaft nicht-sein mit dem Nicht-nothwendig nicht-sein und mit dem Nicht-unmöglich nicht-sein aus; ferner tauschen sich das Nicht-möglich sein und das Nicht-Statthaft sein mit dem Nothwendig nicht-sein und mit dem Unmöglich sein aus; und ebenso das Nicht – möglich nicht – sein und das Nicht-statthaft nicht-sein mit dem Nothwendig sein und mit dem Unmöglich nicht-sein.

Man mag aus der folgenden Zusammenstellung er sehen, wie ich dies meine:


Möglich sein Nicht-möglich sein

Statthaft sein Nicht-statthaft sein

Nicht-unmöglich sein Unmöglich sein

Nicht-nothwendig sein Nothwendig nicht-sein

- -

Möglich nicht-sein Nicht-möglich nicht-sein

Statthaft nicht-sein Nicht-statthaft nicht-sein

Nicht-unmöglich nicht-sein Unmöglich nicht-sein

Nicht-nothwendig nicht-sein Nothwendig sein.


Das Unmögliche und das Nicht-unmögliche folgen sich also und zwar jenes dem Nicht-Statthaften und dem Nicht-möglichen und dieses dem Statthaften und Möglichen[75] und zwar so, dass danach die bejahenden Bestimmungen sich mit den verneinenden derselben Reihe austauschen; denn mit dem Möglich-sein tauscht sich die Verneinung des Unmöglichen aus und mit dem Nicht-möglich-sein tauscht sich das Unmöglich – sein aus; denn das Unmöglich sein ist eine Bejahung und das Nicht-möglich sein eine Verneinung.

Wir haben nun zu sehen, wie das Nothwendige sich verhält. Offenbar nicht so, wie die bisherigen Bestimmungen; sondern hier tauschen sich die Gegentheile aus und die einander widersprechenden Bestimmungen nicht. Denn von dem Nothwendig nicht – sein ist die Verneinung nicht: Nicht-nothwendig sein, da beides für denselben Gegenstand wahr sein kann; denn was nothwendig nicht-ist, muss auch nicht-nothwendig sein.

Der Grund, weshalb bei dem Nothwendigen das Austauschen sich nicht ebenso, wie bei den vorigen Bestimmungen vollzieht, ist, weil das Unmögliche dem Nothwendigen entgegengestellt wird, obgleich sie beide ein Nothwendiges bezeichnen; denn wenn etwas unmöglich ist, so ist nothwendig, zwar nicht, dass es ist, aber nothwendig, dass es nicht-ist und wenn von etwas unmöglich ist, dass es nicht-ist, so muss es nothwendig sein. Wenn also bei den vorigen Bestimmungen sowohl für das Mögliche, wie das Nicht-mögliche die also austauschbaren Bestimmungen sich in gleicher Weise ergaben, so tauschen sich hier die entgegengesetzten Bestimmungen aus, weil das Nothwendige und das Unmögliche nicht dasselbe bedeuten, aber wie gesagt, wenn sie entgegengesetzt ausgedrückt werden, sich austauschen lassen.

Oder sollte es etwa unmöglich sein, dass die Verneinung des Nothwendigen sich so verhalte? Denn es muss ja das Nothwendige auch möglich sein; denn wenn dies nicht der Fall wäre, so müsste die Verneinung des Möglichen sich mit dem Nothwendigen austauschen, da entweder die Bejahung oder die Verneinung des Möglichen sich mit dem Nothwendigen austauschen muss. Dann wäre also das Nothwendige nicht – möglich, also unmöglich. Allein dass das Nothwendige nicht-möglich sei, ist widersinnig. Nun tauscht sich aber das Möglich sein mit dem Nicht-unmöglich sein aus und mit diesem das Nicht-nothwendig sein und somit ergäbe sich, dass das Nothwendig[76] sein nicht nothwendig wäre, was widersinnig ist. Indess tauscht sich weder das Nothwendig-sein noch das Nothwendig nicht-sein mit dem Möglich-sein aus; denn bei dem Möglichen ist beides, das Sein und das Nicht-sein statthaft; aber wenn das eine z.B. das Sein bei einem von jenen beiden wahr ist, so kann es nicht auch das andere z.B. das Nicht-sein sein. Das Mögliche kann nämlich sowohl sein, wie nicht-sein; wenn aber Etwas nothwendig sein oder nicht – sein muss, so kann es nicht dies beides sein. Sonach bleibt also nur übrig, dass das: Nicht-nothwendig nicht-sein sich mit dem Möglich-sein austauscht, denn dies Austauschen mit dem Möglichen ist auch für das Nothwendig-sein richtig. Diese Bestimmung: Nicht-nothwendig nicht-sein ist auch der Gegensatz zu dem Nothwendig nicht-sein, welcher sich mit dem Nicht-möglich sein austauscht; den mit dem Nicht-möglich sein tauscht sich das Unmöglich-sein und das Nothwendig nicht-sein aus, dessen Verneinung das Nicht-nothwendig nicht-sein ist. Hiernach tauschen sich also diese Gegensätze in der angegebenen Weise aus und wenn sie so gestellt werden, ergiebt sich nichts unmögliches.

Man könnte vielleicht zweifeln, ob das Nothwendig sein sich mit dem Möglich sein austausche; allein wenn dies nicht der Fall wäre, so würde die Verneinung, also das Nicht-mögliche sich mit dem Nothwendigen austauschen; und wenn man dies nicht als die Verneinung von Nothwendig-sein gelten lassen wollte, so müsste man das Möglich nicht-sein als die Verneinung von Nothwendig-sein anerkennen; allein beides sind falsche Gegensätze von Nothwendig sein. Indess scheint doch wieder bei ein und demselben Gegenstande als möglich, dass er geschnitten und nicht geschnitten werde und dass er ist und nicht-ist, so dass mithin das Nothwendig sein, wenn es sich mit dem Möglich-sein austauschte, auch fähig wäre nicht zu sein, was doch falsch ist. Es ist demnach klar, dass nicht alles Mögliche sein und gehen auch nicht sein und nicht gehen kann, sondern es giebt Mögliches, wo dies nicht richtig ist. Zunächst gehören hierher die Gegenstände, deren Vermögen kein Vernünftiges ist; so ist z.B. das Feuer vermögend zu erwärmen, aber sein Vermögen ist unvernünftig. Die vernünftigen Vermögen sind dagegen zu[77] Mehrerern und zu dem Entgegengesetzten vermögend; von den unvernünftigen aber nicht alle, sondern das Feuer z.B. ist, wie gesagt, nicht vermögend zu wärmen und auch nicht zu wärmen und eben dies gilt von allen Anderm, was immer wirkend ist. Indess kann auch Einiges mit unvernünftigem Vermögen das Entgegengesetzte erfassen. Dies wird indess nur deshalb hier bemerkt, weil nicht jedes Vermögen das Entgegengesetzte bewirken kann, selbst wenn sie auch zu derselben Art gehören.

Manche Vermögen sind jedoch zweideutiger Natur und das Mögliche hat nicht immer dieselbe Bedeutung. Manches heisst so, weil es wirklich und thätig ist; so ist bei Jemand das Gehen möglich, weil er geht und überhaupt heisst etwas möglich, weil es schon wirklich das ist, wozu es möglich genannt wird; anderes nennt man so, weil es in Wirklichkeit treten könnte; so nennt man bei Jemand das Gehen möglich, weil er gehen könnte. Diese letztere Möglichkeit kommt nur bei den veränderlichen Dingen vor; jene dagegen bei den unveränderlichen. Für beide Fälle, sowohl wenn Jemand geht und thätig ist, als wenn er blos fähig ist zu gehen, kann man in Wahrheit sagen, dass das gehen oder sein nicht unmöglich sei. Die letztere Art von Möglichkeit kann man dem schlechthin Notwendigen nicht beilegen, wohl aber die andere. So wie nun dem Besonderen das Allgemeine zukommt, so kommt auch dem Nothwendigen das Mögliche zu; indess gilt dies nicht allgemein. Auch ist wohl das Nothwendige und das Nicht-Nothwendige der Anfang von allem Sein und Nicht-Sein und man muss deshalb das Uebrige als diesem Nothwendigen und Nicht-nothwendigen folgend ansehen.

Es ist somit nach dem Gesagten klar, dass das Nothwendig-Seiende es in Bezug auf seine Wirklichkeit ist und wenn die ewigen Dinge die früheren sind, so ist auch die Wirklichkeit früher als die Möglichkeit. Manches ist wirklich, ohne die Möglichkeit, wie die höchsten und obersten Dinge; anderes ist wirklich und auch möglich, wie das von Natur Frühere, aber der Zeit nach Spätere; Anderes endlich ist niemals wirklich, sondern blos möglich.

Quelle:
Aristoteles: Kategorien oder Lehre von den Grundbegriffen. Aristoteles: Hermeneutica oder Lehre vom Urtheil. Leipzig 1876, S. 75-78.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Organon
Philosophische Bibliothek, Bd.13, Sophistische Widerlegungen (Organon VI)
Organon Band 2. Kategorien. Hermeneutik oder vom sprachlichen Ausdruck. Griechisch - Deutsch
Das Organon (German Edition)

Buchempfehlung

Meyer, Conrad Ferdinand

Gustav Adolfs Page

Gustav Adolfs Page

Im Dreißigjährigen Krieg bejubeln die deutschen Protestanten den Schwedenkönig Gustav Adolf. Leubelfing schwärmt geradezu für ihn und schafft es endlich, als Page in seine persönlichen Dienste zu treten. Was niemand ahnt: sie ist ein Mädchen.

42 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon