Drittes Kapitel

[56] Das Zeitwort ist ein Wort, was auch noch die Zeit bezeichnet und dessen Theile nichts besonderes bedeuten und welches immer das von einem Andern Ausgesagte bezeichnet. Ich sage also, dass es auch die Zeit noch anzeigt; so ist z.B. die Gesundheit ein Hauptwort und das: »er ist gesund«, ein Zeitwort, denn es bezeichnet noch, dass das Gesunde jetzt vor handen ist. Es ist ferner immer die Bezeichnung eines von einem andern Ausgesagten, z.B. eines von einem Unterliegenden oder in einem Unterliegenden Ausgesagten.

Dagegen nenne ich das: er ist nicht gesund, oder: erkrankt nicht, kein Zeitwort; es bezeichnet zwar auch die Zeit und wird immer von Etwas ausgesagt, doch giebt es für den Art-Unterschied desselben keinen Namen; es soll deshalb ein unbestimmtes Zeitwort heissen; weil es von allem Möglichen gleichmässig ausgesagt werden kann, mag es sein oder nicht-sein. Ebenso sind das: er war gesund, und das: er wird gesund werden, keine Zeitworte, sondern Beugungen eines Zeitwortes. Sie unterscheiden sich von dem Zeitwort dadurch, dass dieses die gegenwärtige Zeit bezeichnet, jenes aber die Zeit vor oder nach der gegenwärtigen.

Wenn die Zeitworte rein für sich ausgesprochen werden, so sind sie Hauptworte und bezeichnen zwar etwas (denn der Sprechende hält dabei sein Denken an und der Hörende verharrt dabei), aber sie sagen nicht, ob dieses Etwas ist oder nicht ist; denn sie bezeichnen weder das Sein, noch das Nichtsein des Gegenstandes und dies gilt selbst dann, wenn man das Wort: Seiendes ohne Zusatz für sich ausspricht, denn als solches ist es noch nichts, vielmehr deutet es nur eine Verbindung im Voraus an, die man aber ohne das damit Verbundene sich noch nicht vorstellen kann.

Quelle:
Aristoteles: Kategorien oder Lehre von den Grundbegriffen. Aristoteles: Hermeneutica oder Lehre vom Urtheil. Leipzig 1876, S. 56-57.
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