Sechszehntes Kapitel

[35] Ich habe somit gesagt, woher bei den streitsüchtigen Erörterungen die Fragen zu entnehmen sind und wie man zu fragen hat; nunmehr habe ich über die Antworten zu sprechen und anzugeben, wie man die Widerlegungen des Fragenden zu entkräften und was man dabei zu beobachten hat; ferner, zu was dergleichen Erörterungen nützlich sind.

Für die Philosophie sind sie aus zwei Gründen nützlich. Da nämlich diese Erörterungen meistentheils sich auf die Ausdrucksweise stützen, so gewähren sie erstens eine grössere Gewandtheit in Bezug auf zweideutige Ausdrücke; man lernt schärfer unterscheiden, in welchen Punkten die Sachen und die Worte zu denselben und in welchen sie zu verschiedenen Folgerungen führen. Zweitens nützen sie auch für die Untersuchungen, die man für sich allein anstellt; denn wenn man leicht von einem Andern durch Fehlschlüsse irre geführt wird und dies nicht bemerkt, so kann man Gleiches oft auch in den für sich[35] allein angestellten Untersuchungen durch sich selbst erleiden. Aber es dient auch drittens dem eignen Ansehn, wenn es bekannt ist, dass man die Fähigkeit besitzt, über Alles in Erörterungen einzutreten, und dass man in jedem Gebiete bewandert ist. Denn wenn man in einer solchen Erörterung die Sätze des Gegners nur tadelt und ihre Mängel durch nichts aufdecken kann, so geräth man leicht in den Verdacht, als ob man ärgerlich geworden und zwar nicht um der Wahrheit willen, sondern wegen der eigenen Unerfahrenheit.

Wie aber der Gefragte solchen streitsüchtigen Begründungen entgegenzutreten hat, ist klar, sofern ich im Vorgehenden die Ursachen richtig dargelegt habe, aus welchen die Fehlschlüsse hervorgehen und das Irreführende der Fragen deutlich aufgezeigt habe. Es ist aber nicht dasselbe, eine Begründung vorzunehmen und da ihre Fehler zu erkennen und aufzulösen, wie als Antwortender dem Fragenden schnell entgegenzutreten. Denn oft erkennt man selbst das nicht, was man weiss, wenn dasselbe umgestellt worden ist. Auch hier, wie in andern Dingen, hängt die Schnelligkeit und Langsamkeit der Entgegnung von der Uebung ab. Weiss man also etwas, aber giebt man nicht Acht, so kommt man oft zu spät und versäumt die rechte Zeit. Auch begegnet einem bei diesen Erörterungen mitunter dasselbe wie bei den mathematischen Figuren; auch hier kann man oft den Beweis in seine Theile zerlegen, aber diese nicht wieder zusammensetzen. Ebenso weiss man bei den sophistischen Widerlegungen oft, wohinaus die Begründung führen wird, und doch vermag man nicht, dieselbe zu wider legen.

Quelle:
Aristoteles: Sophistische Widerlegungen. Heidelberg 1883, S. 35-36.
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