[45] Es ist auch klar, wie man den sophistischen Widerlegungen, welche sich darauf stützen, dass Verschiedenes in der Sprache gleich behandelt wird, entgegenzutreten hat; dazu hat man nämlich die verschiedenen Gattungen der Kategorieen zu benutzen. Hier hat z.B. der Eine auf Befragen zugegeben, dass von dem, was ein selbstständiges Ding bezeichnet, keines von einem anderen Dinge ausgesagt werde; der Andere hat aber gezeigt, dass[45] etwas von den Beziehungen, oder von den Grossen auch von anderen Dingen ausgesagt werde und dabei nach der Ausdrucksweise etwas Selbstständiges bezeichne, wie dies z.B. in folgender Begründung der Fall ist: Ist es wohl möglich, dass man dasselbe zugleich thut und gethan hat? Antwort: Nein. Aber es ist doch möglich, dass man dasselbe und in Bezug auf dasselbe zugleich sieht und gesehen hat. Ferner: Ist einer von den leidenden Zuständen auch ein thuender Zustand? Antwort: Nein. Nun werden aber die Ausdrücke: Es wird zerschnitten, es wird verbrannt, es wird wahrgenommen in gleicher Weise gesprochen und bezeichnen alle ein Leiden. Ferner werden die Worte: Sprechen, Laufen, Sehen in gleicher Weise eines wie das andere gesprochen; nun ist aber das Sehen ein Wahrnehmen, und somit ist ein und dasselbe zugleich ein Leiden und ein Thun. – Wenn nun auch hier jemand zugiebt, dass es unmöglich sei, dass ein und dasselbe zugleich thue und gethan habe aber für das Sehen und Gesehen-haben dies als möglich zugiebt, so ist er deshalb doch noch nicht widerlegt, sofern er nur das Sehen nicht als ein Handeln, sondern nur als ein Leiden anerkennt. Denn eine hierauf gerichtete Frage ist zur Widerlegung noch nöthig. Indess wird von dem Gegner angenommen, dass der Gefragte dies zugestanden habe, weil er eingeräumt hat, dass das Schneiden ein Thun und das Geschnitten-haben ein Gethan-haben sei und dass Gleiches bei Allem gelte, was ebenso sprachlich behandelt werde; denn der Zuhörende setzt dann das Uebrige selbst hinzu, als wenn es sprachlich ebenso gemeint sei. Allein Manches wird nicht sprachlich gleich gemeint, sondern scheint nur so, wegen der Ausdrucksweise. Es ergiebt sich hier dasselbe, wie bei den zweideutigen Worten, da bei solchen der Antwortende, welcher die Zweideutigkeit nicht kennt, meint, die Sache und nicht das Wort verneint zu haben. Deshalb gehört hier zur Widerlegung noch die Frage, ob der Antwortende das zweideutige Wort in ein und demselben Sinne meine; nur wenn er dies zugiebt, kommt die Widerlegung zu Stande.
Diesen ähnlich sind folgende Redensarten: Ob derjenige das, was er hatte und nachher nicht mehr hat, verloren habe? Denn der, welcher nur einen Würfel[46] verliert, wird nicht mehr zehn Würfel haben. Allein ein Ding, was man nicht mehr hat, aber früher hatte, dieses hat man allerdings verloren; hat man aber nicht mehr so viel oder so viele, wie früher, so ist es nicht nothwendig, dass man ebenso viel verloren habe. Der, welcher nach dem fragt, was man hat, bezieht dies auf die Anzahl; denn die Zehn gehört zu den Grössen. Wenn also gleich im Anfange der Fragende gefragt hätte, ob, im Fall Jemand nicht mehr so Vieles habe, wie früher, er so Vieles verloren habe, so würde dies Niemand zugegeben haben, sondern nur, dass er entweder ebenso Vieles oder etwas davon verloren habe. – Ebenso ist es mit der Behauptung, dass Jemand das gebe, was er nicht habe; denn er habe nicht blos einen Würfel. Allein er hat nicht ein Ding gegeben, was er nicht hatte, sondern wie er es nicht hatte, nämlich den einen Würfel; denn das »blos« bezeichnet weder ein selbstständiges Ding, noch eine Beschaffenheit, noch eine Grösse, sondern ein Verhältniss zu Anderem, z.B. dass es nicht mit Anderem gemeinsam geschehen sei. Es ist ebenso, als wenn Jemand früge: Kann man das geben, was man nicht hat? und wenn dies nicht eingeräumt wird, er früge: Ob man das schnell geben könne, was man nicht schnell habe und er bei dessen Bejahung nun folgerte, dass man das gäbe, was man nicht habe. Dies ist offenbar kein Schluss, denn das »schnell« bezeichnet nicht das Geben einer Sache, sondern nur die Art des Gebens; und deshalb kann man allerdings etwas in einer Art geben, wie man es nicht hat, z.B. wenn man es gern hat und ungern weggiebt.
Dem ähnlich sind auch solche Schlüsse, wie die folgenden: Kann man wohl mit einer Hand schlagen, wenn man sie nicht hat? Oder: Kann man wohl mit einem Auge sehen, wenn man es nicht hat? Antwort: Allerdings, denn man hat nicht blos eine Hand und nicht blos ein Auge. Manche lösen diesen Fall so, dass sie sagen, auch der habe ein Auge oder sonst Eines, welcher deren mehrere habe. Manche lösen den Satz, dass einer, was er hat, bekommen habe, in der Weise, dass er es so habe, wie er es bekommen; denn jener habe blos ein Steinchen gegeben und dieser habe blos ein Steinchen von jenem bekommen. Andere wollen jedoch die Frage damit beseitigen, dass sie sagen, es sei sehr[47] wohl möglich, dass man das habe, was man nicht bekommen habe; so habe man süssen Wein bekommen, habe aber, da er währenddem verdorben sei, saueren. Indess gehen diese Lösungen, wie ich schon früher bemerkt habe, sämmtlich nicht gegen die Rede, sondern gegen die Person. Denn wenn dies eine wahre Lösung wäre, so könnte der, welcher denjenigen Satz zugiebt, dessen Unwahrheit die richtige Lösung darthut, den sophistischen Schluss nicht auflösen, und dies gilt auch für die anderen Fälle. Wenn z.B. die wahre Auflösung darin besteht, dass man das Gefragte nur theilweise zugiebt und theilweise nicht, so gelangt, wenn man die Frage unbeschränkt zugiebt, der Fragende in solchem Falle zu einem richtigen Schlusssatz, und es gelingt die von ihm unternommene Widerlegung. Wenn also selbst mit Beibehaltung dessen, worin nach der Auflösung des Antwortenden der Fehler liegen solle, kein widerlegender Schlusssatz sich ergiebt, so ist dann auch diese Auflösung eine falsche. Nun können in allen den vorerwähnten Beispielen alle Vordersätze zugegeben werden, und dennoch kann man nicht sagen, dass der Schluss sich daraus ergebe.
Auch folgende Fälle sind dieser Art: Was geschrieben ist, das hat Jemand geschrieben; nun steht jetzt geschrieben, dass Du sitzest; dies ist falsch; aber es war richtig, als es geschrieben wurde; also hat man etwas Falsches und zugleich Wahres geschrieben. Indess bezeichnet das »falsch« oder »wahr«, was eine Rede oder Meinung sein soll, keinen selbstständigen Gegenstand, sondern nur eine Beschaffenheit; derselbe Grund gilt auch für die Meinung. Ferner: Ist das, was der Lernende lernt, dasjenige, was er lernt? Antwort: Ja; aber er lernt doch das Langsame schnell. Also hat die Frage nicht den Gegenstand des Lernens, sondern die Art des Lernens gemein. Ferner: Betritt man das, was man durchgeht? Antwort: Ja. Er geht aber den ganzen Tag durch, also betritt er den Tag. – Hier ist aber nicht der Gegenstand, sondern die Zeit des Gehens in der Frage gemeint; wie man ja auch bei dem: Einen Becher trinken, nicht meint, dass man den Gegenstand trinke, sondern nur aus demselben. Ferner: Weiss Einer das, was er weiss, entweder durch Belehrung oder durch eigene Auffindung? Antwort: Ja. Aber was dann einer theils gelernt, theils selbst aufgefunden hat, das ist[48] keines von Beiden. – Allein hier wird einmal alles zusammen, und dann wieder jedes einzeln gemeint. Ferner, dass es noch einen dritten Menschen gebe, neben dem Menschen an sich und neben dem einzelnen Menschen. – Allein der Mensch und alles Gemeinsame bezeichnet nicht ein bestimmtes Dieses, sondern etwas Beschaffenes, oder Bezogenes, oder ein nur Seiendes, oder sonst etwas dergleichen. Es ist ebenso, wie mit dem Koriskos und dem gebildeten Koriskos bei der Frage, ob sie dieselben oder verschieden sind; das eine bezeichnet einen diesen, das andere einen so beschaffenen; man kann also letzteren nicht für sich als selbstständig heraussetzen. Indess macht nicht das Heraussetzen schon den dritten Menschen, sondern nur das Einräumen, dass er so einer, wie dieser einzelne Mensch sei; denn das: »Kallias-Sein« und das: »Mensch-Sein«, bezeichnet nicht das: »dieser einzelne Sein«. Auch macht es keinen Unterschied, wenn jemand sagt, das Herausgesetzte werde nicht als ein dieses, sondern als ein Beschaffenes gemeint, denn das »neben den Vielen« wird Eines sein, wie z.B. der Mensch. Es ist also klar, dass man nicht zugeben darf, dass das als ein Gemeinsames von allen Ausgesagte ein Dieses sei, sondern es sei ein Beschaffenes, oder ein Bezogenes, oder ein Grosses, oder sonst etwas der Art.
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