Vierundzwanzigstes Kapitel

[50] Für die auf das Nebensächliche sich stützenden sophistischen Widerlegungen giebt es nur eine Art der Lösung für alle. Denn da es unbestimmt ist, ob das dem Nebensächlichen Zukommende auch von der Sache selbst ausgesagt werden könne und dies zwar in einzelnen Fällen statt hat und behauptet wird, bei anderen Fällen aber nicht, so muss man entgegnen, dass das dem Nebensächlichen Zukommende nicht nothwendig auch der Sache allemal zukomme; doch muss man Beispiele dafür zur Hand haben. Die hier folgenden Fälle stützen sich sämmtlich auf das Nebensächliche; nämlich: Weisst Du, was ich Dich fragen werde? Kennst Du den Vorübergehenden oder den Verhüllten? Ist die Bildsäule Dein Werk? Ist der Hund Dein, Vater? Ist das Wenigemal-Wenig wenig?

Es ist klar, dass in allen diesen Fällen das für das Nebensächliche Geltende nicht auch für den Gegenstand selbst gilt. Nur wenn das Nebensächliche und der Gegenstand selbst dem Wesen nach dasselbe und eine sind, so kommt alles, was jenem zukommt, auch diesem zu;[50] nun ist aber für das Gut sein dessen Gut sein und das Gefragtwerden nicht dasselbe. Ferner ist es für den Herankommenden oder für den Verhüllten nicht ein und dasselbe, ein Herankommender und ein Koriskos zu sein. Wenn ich daher auch den Koriskos kenne und den Herankommenden nicht kenne, so wird doch derselbe Gegenstand nicht von mir zugleich gekannt und nicht gekannt. Ebenso ist, wenn diese Sache mein ist und die Sache ein Werk ist, deshalb die Sache noch nicht mein Werk, sondern mein Besitzthum, oder meine Sache, oder sie ist sonst wie mein. Ebendies gilt auch für die anderen Fälle.

Manche lösen diese Fälle dadurch, dass sie die Frage aufheben. Sie behaupten nämlich, dass man denselben Gegenstand sowohl wissen oder kennen, wie nicht wissen oder nicht kennen kann. Wenn man also den Herankommenden nicht kenne, aber den Koriskos kenne, so behaupten sie, dass man denselben Gegenstand sowohl kenne, wie nicht kenne, nur nicht in Beziehung auf ein und dieselbe Bestimmung. Indess muss, wie ich schon gesagt habe, für alle Begründungen, die sich auf dieses Mittel stützen, auch ein und dieselbe Art der Lösung statt finden; dies würde aber nicht der Fall sein, wenn derselbe Satz nicht für das Wissen oder Kennen, sondern für das Sein oder für ein sonstiges Verhalten aufgestellt wird; z.B. wenn gesagt wird: Wenn dieser Hund Vater ist, so ist er dein Vater. Wenn auch in manchen Fällen es wahr und möglich ist, dass man denselben Gegenstand kennt und nicht kennt, so ist doch hier diese Auflösung nicht anwendbar. – Auch kann ja eine Begründung an mehreren Fehlern leiden, und es ist dann die Offenlegung irgendwelches einzelnen Fehlers noch keine Lösung, da man sehr wohl darlegen kann, dass der Gegner Falsches geschlossen habe, ohne dass man doch gezeigt hat, durch was dies geschehen; wie z.B. bei des Zeno Beweis, dass es keine Bewegung gebe. Selbst wenn jemand hier versuchte, die Unmöglichkeit des von Zeno Behaupteten darzulegen, so wäre dies doch keine Lösung, selbst wenn er tausendmal dies bewiesen hätte, da dies keine Lösung ist. Diese hat nämlich die falsche Stelle des Schlusses offen zu legen, wodurch er falsch wird; ist also nicht logisch richtig vom Gegner geschlossen worden, gleichviel ob er einen wahren oder falschen Satz damit begründen[51] will, so liegt die Lösung doch allein in der Offenlegung des logisch mangelhaften Verfahrens. Wenn nun auch diese von Manchen behauptete Lösung mitunter zutreffen mag, so würde dies doch nicht einmal bei dem obigen Beispiel der Fall sein, denn der Betreffende weiss, dass Koriskos Koriskos ist und dass der Herankommende ein Herankommender ist. Indess ist es wohl möglich, dass man ein und denselben kennt und nicht kennt; z.B. dass man weiss, dass er von heller Farbe ist und nicht weiss, dass er gebildet ist; in dieser Weise kann man denselben Gegenstand zugleich kennen und nicht kennen, nur nicht in Beziehung auf dieselbe Bestimmung, da gegen kennt man den Herankommenden und den Koriskos, nämlich man weiss, das jener herankommt und dieser Koriskos ist.

Aehnlich ist der Fehler derer, welche den früher erwähnten Fall dahin lösen, dass jede Zahl auch wenig sei. Ist nämlich überhaupt nicht richtig geschlossen worden, so fehlen sie darin, dass sie dies bei Seite lassen und den Schlusssatz für einen wahren erklären, da Alles ebensowohl viel, wie wenig sei.

Andere wollen solche Beweise, wie z.B., dass der Vater, oder der Sohn, oder der Sklave deiner sei, damit widerlegen, dass sie einen Doppelsinn in denselben behaupten. Allein offenbar muss bei einer Widerlegung, welche sich auf die Mehrdeutigkeit stützt, das Wort, oder die Rede im eigentlichen Sinne mehrdeutig sein; wenn aber jemand sagt, dieser sei das Kind von jenem, so gebraucht er diese Worte, wenn jener der Herr desselben ist, nicht im eigentlichen Sinne, es ist also hier keine Zweideutigkeit vorhanden, sondern der sophistische Schluss stützt sich auf die falsche Benutzung eines blos Nebensächlichen, oder auf eine falsche Verbindung der Worte; denn der Beweis lautet: Ist dieser da dein? Ja; es ist aber dieser ein Kind, also ist es dein Kind. Hier ist allerdings dieser Mensch nebensächlich der deine und auch ein Kind, aber nicht dein Kind.

Ebenso ist es bei dem Schluss, dass von den Uebeln eines ein Gut sei, weil die Klugheit eine Kenntniss der Uebel sei; denn dass dieses eines jener sei, ist nicht eine zweideutige Rede, sondern bezeichnet das Zugehören. Aber selbst wenn diese Ausdrucksweise zweideutig wäre (denn man sagt ja auch, dass von den Geschöpfen eines der[52] Mensch sei, ohne dass er deshalb denselben zugehören solle), so wäre, wenn etwas zu den Uebeln mit der obigen Ausdrucksweise gerechnet wird, dies auch nur vermittelst eines anderen Umstandes ein Uebel, aber nicht als solches ein Uebel. Der falsche Schluss liegt also in der Vertauschung des Beziehungsweisen und des Ansich. Indess kann allerdings der Satz, dass ein Gut eines von den Uebeln sei, wohl zweideutig sein, aber nicht bei jener Ausdrucksweise, sondern eher dann, wenn der Gegenstand der gute Sklave eines Schlechten wäre; indess wäre wohl auch hier keine Zweideutigkeit vorhanden; denn wenn etwas gut ist und diesem gehört, so ist es nicht ein von diesem ausgesagtes Gut. Ebenso wenig ist der Ausspruch zweideutig, dass der Geschöpfe eines der Mensch ist; denn es ist keine Zweideutigkeit, wenn man etwas unter Weglassung einzelner Worte andeutet, z.B. wenn man auch nur die Hälfte des Anfangs von der Iliade sagt, also, gieb mir: Singe O Göttin den Zorn, statt: gieb mir die Iliade.

Quelle:
Aristoteles: Sophistische Widerlegungen. Heidelberg 1883, S. 50-53.
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