Dreissigstes Kapitel

[57] Gegen die Widerlegungen, dass mehrere Fragen wie eine gestellt werden, muss man gleich im Beginn diesen Unterschied geltend machen. Die Frage ist nur dann eine, wenn auch eine Antwort auf sie gegeben werden kann; also darf man nicht mehrere Antworten auf eine Frage geben, auch mehrere Fragen nicht mit einer Antwort erledigen; vielmehr muss man eine Frage nur mit einer Antwort bejahen oder verneinen. Wie nun bei verschiedenen Dingen, die einen Namen haben, der Antwortende keine Widerlegung erleidet, wenn beiden oder keinem dieser Dinge die betreffende Eigenschaft zukommt und er einfach antwortet, obgleich die Frage keine einfache ist, so ist es auch hier der Fall. Ist nämlich das Mehrere bei dem einen Dinge vorhanden, oder die eine Eigenschaft bei mehreren Dingen, so trifft den Antwortenden keine Widerlegung, wenn er auch den Fehler begeht und nur einfach antwortet. Wenn aber die betreffende Eigenschaft nur dem einen Dinge anhaftet, dem anderen aber nicht, und wenn mehrere Eigenschaften mehreren Dingen zukommen, aber bald so, dass beides beiden zukommt, bald so, dass dies nicht statt hat, so muss man sich hier in Acht nehmen; z.B. in folgenden Fällen: Wenn das Eine gut und das Andere schlecht ist und man auf die Frage, ob beide gut oder schlecht sind, einfach antwortet: gut, oder einfach: schlecht, so kann der Gegner folgern, dass man in Wahrheit sagen könne, ein und dasselbe sei gut und schlecht, und dann wieder, es sei weder gut, noch schlecht; denn nicht jedes von beiden ist beides, so dass es sowohl gut und schlecht, wie weder gut noch schlecht wäre. – Wenn ferner man zugiebt, dass das Eine mit sich selbst dasselbe und von dem Anderen verschieden sei, so folgt, da die beiden nicht mit anderen, sondern mit sich selbst dieselben und auch von einander verschieden sind, dass dieselben Dinge zugleich mit sich dieselbig und verschieden sind. Ferner, wenn das Gute schlecht wird und das Schlechte zufällig gut ist, so werden es zwei; von zwei einander nicht-gleichen Dingen ist aber jedes sich selbst gleich; also sind sie einander gleich und auch nicht-gleich.[58]

Solche Widerlegungen fallen auch noch unter andere Auflösungen; denn das: Beide und das: Alles haben mehrfache Bedeutungen; es folgt also bei solchen Schlüssen nur, dass man nur denselben Namen, aber nicht denselben Gegenstand zugleich bejaht oder verneint, was keine Widerlegung ergiebt. Wird dagegen nicht blos eine Frage über Mehreres gestellt, sondern eine Frage über jedes Einzelne und diese bejaht oder verneint, so ergiebt sich nichts Unmögliches.

Quelle:
Aristoteles: Sophistische Widerlegungen. Heidelberg 1883, S. 57-59.
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