Neunzehntes Kapitel

[37] Jeder Schluss geschieht vermittelst dreier Begriffe, und wenn man durch den Schluss beweisen kann, dass A in dem C enthalten ist, so geschieht es, weil A in dem B und dieses in C enthalten ist; während der verneinende Schluss darauf beruht, dass nach seinem einen Vordersatz Etwas in einem Andern enthalten ist, und dass nach seinem zweiten Etwas in einem Andern nicht enthalten ist. Es ist also klar, dass die obersten Grundsätze und die sogenannten Hypothesen von solcher Art sind; denn wenn man diese ansetzt, so kann man daraus mit Nothwendigkeit etwas beweisen; so wird z.B. der Satz, dass[37] A in C enthalten ist, durch B bewiesen; ferner wird der Satz, dass A in B enthalten, durch einen andern Mittelbegriff bewiesen und dass B in C enthalten ist, in gleicher Weise. Wenn man nun bei den Schlüssen die Sätze nur nach der Meinung aufstellt und nur dialektisch verfährt, so ist klar, dass man blos darauf zu sehen hat, dass der Schluss aus den glaubhaftesten Sätzen abgeleitet werde. Wenn also auch für die Begriffe A und B in Wahrheit kein Mittelbegriff besteht, aber doch zu bestehen scheint, so wird der, welcher auf einen solchen den Schluss baut, dialektisch geschlossen haben. Will man aber durch den Schluss die Wahrheit erreichen, so muss man auf das wirklich Seiende sein Augenmerk richten. Dies verhält sich aber folgendermaassen: Es giebt Bestimmungen die als solche von einem andern ausgesagt werden und nicht blos anhängend; (ich nenne es aber anhängend, wenn man z.B. sagt, jenes Weisse dort ist ein Mensch und doch nicht in gleicher Weise sagt: Der Mensch ist weiss; denn der Mensch ist nicht als etwas Anderes weiss, während in jenem Fall das Weiss ist, weil es einem Menschen anhängt, der weiss ist.) Nun giebt es manche Bestimmungen der Art, dass sie als solche ausgesagt werden können.

Es soll nun C der Art sein, dass es selbst in keinem andern enthalten ist, aber B soll in diesem Ersten enthalten sein, ohne dass ein Anderes als Mittleres dies vermittelt. Ferner soll E in Z ebenso enthalten sein und Z ebenso in B. Muss man nun hier stehen bleiben, oder kann man ins Endlose weiter gehen? Und wenn wieder von A an sich nichts ausgesagt wird, aber A in T als dem Ersten enthalten ist und kein Mittelbegriff hier vorausgeht und wenn T in H enthalten ist und dieses in B, muss man da auch hier anhalten oder kann man hier ebenfalls ohne Ende weiter schreiten?

Dieser zweite Fall ist von dem ersten in so weit unterschieden, dass das Eine zwar ist, und dass wenn man mit diesem beginnt, was in keinem andern enthalten ist, aber in dem Anderes enthalten ist, es möglich ist, ohne Ende weiter aufzusteigen. Beim ersten Fall beginnt man dagegen mit dem, was zwar von einem andern ausgesagt wird, aber von dem selbst kein Anderes ausgesagt[38] wird und man muss hier nach Unten schauen, ob es möglich ist, ohne Ende so weiter zu gehen.

Ist es ferner wohl möglich, dass wenn die beiden äussern Begriffe fest bestimmt sind, die Mittelbegriffe zwischen ihnen zahllos sein können? Ich meine dies so, dass wenn z.B. A in C enthalten ist und B ihr Mittelbegriff ist und wenn von B und A noch andere Mittelbegriffe vorhanden sind, ob auch diese Mittelbegriffe ohne Ende fortgehen können, oder ob dies unmöglich ist? Diese Untersuchung ist dieselbe mit der, ob die Beweise ohne Ende fortgehen und ob es einen Beweis für jeden Satz giebt oder ob die Beweise begrenzt sind?

Gleiches lässt sich auch über die verneinenden Schlüsse und Vordersätze sagen. Wenn z.B. A in keinem B enthalten ist, so ist dies entweder unvermittelt der Fall, oder es besteht zwischen ihnen ein Mittleres, in dem A schon zuvor nicht enthalten ist; wenn z.B. dies H ist, was dabei in dem ganzen B enthalten ist, und wenn ferner A noch vorher in einem dem H vorgehenden z.B. in T nicht enthalten ist, welches T aber in dem ganzen H enthalten ist. Denn auch bei solchen verneinenden Schlüssen gehen entweder die Mittelbegriffe, die den nachfolgenden Begriffen einwohnen, ohne Ende fort, oder es giebt irgendwo einen Stillstand.

Bei Sätzen, die sich umkehren lassen, verhält sich dies aber nicht ebenso. Bei solchen Sätzen, wo das Eine sich von dem Andern gegenseitig aussagen lässt, ist keines das erste oder das letzte. Hier verhalten sich alle Begriffe zu allen in gleicher Weise, mag das von dem Unterliegenden Ausgesagte oder mag das nach beiden Richtungen Gesagte ohne Ende fortgehen. Dies findet nur da nicht statt, wo die Umkehrung nicht in derselben Weise geschehen kann, sondern der eine Begriff nur ein Anhängendes und des Andere als ein An sich bei der Umkehrung erscheint.

Quelle:
Aristoteles: Zweite Analytiken oder: Lehre vom Erkennen. Leipzig [o.J.], S. 37-39.
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