Zweiundzwanzigstes Kapitel

[42] Bei denjenigen Ausgesagten, welche das Was der Dinge bezeichnen, ist dies klar; denn wenn das wesentliche Was der Dinge definirbar oder erkennbar ist und wenn das Unbegrenzte nicht ganz durchgangen werden kann, so müssen nothwendig die Bestimmungen, welche das Was einer Sache enthalten, in sich begrenzt sein. Ueberhaupt meine ich es so, dass man in Wahrheit sagen kann: Das Weisse geht und jenes Grosse ist Holz und wieder: Jenes Holz ist gross und der Mensch geht. Allein ob man in dieser oder jener Weise spricht, das ist nicht dasselbe; denn wenn ich sage, das Weisse sei Holz, so sage ich, dass Das, bei welchem es sich getroffen hat, dass es weiss ist, Holz ist, aber ich meine nicht, dass das Weisse das dem Holze Unterliegende sei; denn nicht das Weisse, noch etwas als Weisses ist Holz geworden; deshalb ist das Weise nichts Anderes als ein dem Holze Anhängendes. Wenn ich dagegen sage, dass das Holz weiss sei, so meine ich nicht, dass ein besonderes Weisse bestehe, welches nebenbei Holz geworden ist. Es ist ebenso, als wenn ich einen Musiker weiss nenne; denn hier geschieht es, weil der Mensch weiss ist und dieser nebenbei ein Musiker ist. Vielmehr ist also das Holz das Unterliegende, was auch als Weisses nichts anderes geworden[42] ist, als Holz oder ein Stück Holz. Will man hier bestimmte Regeln aufstellen, so darf nur diese letztere Ausdrucksweise als ein Aussagen gelten; dagegen ist jene Ausdrucksweise entweder gar kein Aussagen, oder kein eigentliches Aussagen, sondern nur ein nebensächliches Aussagen. Bei den eigentlichen Aussagen ist Weiss die ausgesagte Bestimmung und Holz der Gegenstand, von dem es ausgesagt wird; und es soll also feststehen, dass die ausgesagte Bestimmung immer von dem Gegenstande im eigentlichen Sinne und nicht blos nebensächlich ausgesagt werde; denn nur so liefern die Beweise einen Beweis. Wenn also eine Bestimmung von einem Gegenstande ausgesagt wird, so muss sie entweder das Was desselben aussagen, oder wie er beschaffen, oder wie gross er ist, oder worauf er sich bezieht, oder ob er etwas bewirkt, oder etwas erleidet, oder wo und wenn er ist.

Ferner bezeichnen die Ausdrücke, welche ein Ding entweder allgemein oder als ein einzelnes bezeichnen, dasjenige, von dem etwas ausgesagt wird; alle Ausdrücke aber, welche kein Ding bezeichnen, sondern von einem Anderen, als Unterliegenden, ausgesagt werden, also etwas, was nicht besteht und nicht ein Ding entweder allgemein oder als ein einzelnes ist, bezeichnen ein blos Anhängendes; so z.B. das Weiss bei dem Menschen; denn der Mensch ist nicht das Weisse oder ein Weisses, aber wohl ein Geschöpf und der Mensch ist als solcher ein Geschöpf. Was aber kein selbstständiges Ding bezeichnet, muss von einem Gegenstande ausgesagt werden und darf nicht wie das Weisse sein, was als etwas Anderes seiend weiss ist. Denn den Ideen muss man den Abschied geben; es sind nur leere Laute und beständen die Ideen wirklich, so wären sie doch nichts für die Begründungen, und bei den Beweisen handelt es sich doch um diese Begründungen.

Wenn ferner das Eine nicht die Beschaffenheit von einem Andern und zugleich dies Andere die Beschaffenheit von jenem ist und es überhaupt keine Beschaffenheit von Beschaffenheiten giebt, so kann das Eine von dem Andern nicht wechselsweise ausgesagt werden; man kann dann wohl in Wahrheit das Eine von dem Andern aussagen, aber nicht umgekehrt. Aber, wird man sagen,[43] es kann doch etwas als Ding zweiter Ordnung ausgesagt werden, z.B. wenn es die Gattung oder der Art-Unterschied des Ausgesagten ist. Aber bei diesen ist gezeigt worden, dass sie nicht ohne Ende fortgehen, weder nach Unten noch nach Oben. So ist z.B. der Mensch ein Zweifüssiges; dieses ist ein Geschöpf und dieses wieder ein Anderes; ebensowenig kann man nach Unten ohne Ende das Geschöpf von dem Menschen und den Menschen vom Kallias und diesen von einem andern Seienden aussagen; viel mehr kann man jedes solches Ding definiren, während man das Endlose im Denken nicht bis zu Ende durchwandern kann. Mithin sind jene Dinge weder nach oben noch nach unten ohne Grenze; denn das, von welchem Endloses ausgesagt werden kann, lässt sich nicht definiren.

Als Gattungen können somit diese Bestimmungen nicht wechselsweise von einander ausgesagt werden, denn sonst würde etwas als das ausgesagt, was es selbst ist. Auch bei den Beschaffenheiten und den übrigen Kategorien kann dies nicht geschehen, sie müssten denn blos als ein Nebenbei ausgesagt werden; denn alle diese Kategorien haften an einem Selbstständigen und werden von Dingen ausgesagt. Aber auch nach oben können die Kategorien nicht ohne Ende fortgehen; denn sie sagen von jedem Dinge aus, was es bedeutet, entweder eine Beschaffenheit oder eine Grösse oder eine andere solche Kategorie oder das, was in dem Dinge enthalten ist; diese Bestimmungen sind aber begrenzt und auch die Gattungen der Kategorien sind nur in einer bestimmten Anzahl vorhanden, denn sie sind entweder eine Beschaffenheit, oder eine Grösse, oder eine Beziehung, oder eine Wirksamkeit, oder ein Leiden, oder ein Wo oder ein Wenn. Nun steht aber fest, dass eines von Einem ausgesagt wird, und dass diese Kategorien nicht von einander ausgesagt werden können, da sie keine Dinge sind; vielmehr hängen sie alle einem Dinge an, entweder als ein An sich oder in einer andern Weise. Von allen diesen sage ich, dass sie von einem Unterliegenden ausgesagt werden und dass das blos Anhängende kein Unterliegendes ist; denn von keinem solchen Anhängenden nimmt man an, dass es nicht an einem Anderen sei, was so benannt wird; vielmehr kommt das[44] eine diesem Dinge, das andere einem andern Dinge zu und so fort.

Es wird also weder nach oben noch nach unten ohne Ende Eins vom Andern ausgesagt werden können; denn die Dinge sind, so weit von ihnen das ihrem Wesen nach ihnen Anhaftende ausgesagt wird, nicht ohne Ende; nach oben aber sind sowohl die Begriffe der Dinge, wie das ihnen Anhaftende auch nicht ohne Ende. Folglich muss etwas bestehen, von dem, als Erstem etwas ausgesagt wird; dieses kann dann weiter von etwas ausgesagt werden und man muss auch hier zuletzt zu Etwas als dem Letzten gelangen. Mithin muss sowohl Etwas bestehen, was nicht mehr von einem andern Früheren ausgesagt werden kann, wie etwas, von dem ein anderes Frühere nicht mehr ausgesagt werden kann.

Dies ist nun die eine Art, wie man dies beweisen kann; es giebt aber noch eine andere Art. Alles nämlich, von dem ein Früheres irgend wie ausgesagt wird, lässt sich beweisen; was sich aber beweisen lässt, kann man nicht in einer bessern Weise als durch Wissen innehaben und wissen kann man es nicht ohne Beweis. Wenn nun Etwas durch Anderes uns bekannt werden kann, aber wir dieses Andere nicht wissen, noch in einer andern Weise, die besser als das Wissen ist, inne haben können, so werden wir auch das durch dieses Andere zu Erfassende nicht wissen. Wenn nun Etwas durch Beweis schlechthin gewusst werden kann, und dies Wissen nicht auf einzelnen Fällen beruht, noch auf blossen Voraussetzungen, so müssen die als Mittelbegriff bei dem Beweis eintretenden Kategorien der Zahl nach begrenzt sein. Denn wenn dies nicht der Fall wäre, sondern man immer noch höhere Mittelbegriffe annehmen könnte, so könnte zwar von Allem ein Beweis geführt werden, aber da man das Zahllose nicht einzeln bis aus Ende durchwandern kann, so würde man das Beweisbare dennoch nicht auf Grund von Beweisen wissen. Da man nun die Dinge auch nicht in einer bessern Weise, als wie durch Wissen inne haben, so würde man dann überhaupt nichts durch Beweis schlechthin wissen, sondern nur auf Grund von Voraussetzungen.

Schon von allgemeinen Gesichtspunkten aus wird man hiernach meiner Behauptung Glauben schenken; indess[45] lässt sich auch analytisch im folgender Weise kürzer darthun, dass für das beweisbare Wissen, um das es sich hier handelt, die zum Beweise nöthigen Begriffe weder nach oben, noch nach unten ohne Ende fortgehen. Denn der Beweis geht nur auf diejenigen Bestimmungen, welche an-sich in den Dingen enthalten sind. Das An-sich ist aber doppelt; es gehören dazu alle Bestimmungen, welche in dem Was der Dinge enthalten sind und zweitens diese Dinge, welche in dem Was jener Bestimmungen enthalten sind. So ist z.B. das Ungerade in der Zahl enthalten und die Zahl selbst ist wieder in dem Begriff des Ungeraden enthalten und ebenso ist die Menge oder das Diskrete in dem Begriffe der Zahl enthalten. Keines von diesen beiden kann aber unbegrenzt sein, wie dies auch bei dem Ungeraden der Zahl nicht der Fall sein kann; denn dann würde in dem Ungeraden ein Anderes enthalten sein, welchem wieder das Ungerade zukommt und wenn dies ist, so wird die Zahl als Erstes den in ihr enthaltenen Bestimmungen zukommen. Wenn also dies bei Einem nicht endlos sein kann, so werden auch nach oben hin die Begriffe nicht endlos sein.

Sonach müssen alle obern Begriffe in einem Ersten enthalten sein, wie z.B. in der Zahl und umgekehrt muss auch die Zahl in ihnen enthalten sein, so dass sie sich austauschen lassen und keines über das Andere hinausgeht. Also sind auch alle Bestimmungen, die in dem Was eines Dinges enthalten sind, nicht zahllos, denn sonst könnte keine Definition gegeben werden. Wenn somit alle ausgesagten Bestimmungen zu dem An sich des Dinges gehören und diese Bestimmungen nicht zahllos sind, so wird das Beweisen sowohl nach Oben, wie nach Unten einen Endpunkt haben.

Ist dies aber der Fall, so wird auch die Zahl der Mittelbegriffe zwischen den beiden äussern Begriffen eines Schlusses immer begrenzt sein, und wenn dies sich so verhält, so ist klar, dass auch bei den Beweisen es gewisse oberste Grundsätze geben muss und dass nicht Alles bewiesen werden kann, obgleich, wie erwähnt, Einige dies auch von solchen Grundsätzen behaupten. Giebt es nämlich oberste Grundsätze, so kann weder für Alles ein Beweis geführt werden und ebenso wenig kann der Beweis ins Endlose verlaufen. Fände eines von diesen[46] beiden statt, so hiesse das so viel, als dass es überhaupt keinen Satz gebe, der unvermittelt und unauflösbar wäre, sondern jeder Satz müsste sich auf Mittelbegriffe stützen. Denn ein zu beweisender Satz wird nicht durch Hinzunahme äusserer Begriffe, sondern durch Einschiebung von Mittelbegriffen bewiesen. Wenn man also mit dem Beweisen eines Satzes ohne Ende weiter gehen könnte, so müssten auch die zwischen zwei äusseren Begriffen vorhandenen Mittelbegriffe zahllos sein. Dies ist jedoch nicht möglich, wenn die Begriffe nach Oben und nach Unten ein Ende haben und dass dies der Fall ist, habe ich vorhin aus allgemeinen Gesichtspunkten und jetzt analytisch dargethan.

Quelle:
Aristoteles: Zweite Analytiken oder: Lehre vom Erkennen. Leipzig [o.J.], S. 42-47.
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