Fünftes Capitel

[61] Daß nun trennbar sei das Unbegrenzte von dem Empfindbaren, ist, dafern an und für sich etwas unbegrenzt sein soll, nicht statthaft. Wenn nämlich weder eine Größe noch eine Menge, sondern ein Wesen dieses an sich Unbegrenzte ist, und nicht ein Anhängendes, so muß es untheilbar sein. Denn das Theilbare ist entweder stetige Größe, oder Menge. Ist es aber untheilbar, so ist es nicht unbegrenzt, außer wie die Stimme unsichtbar. Aber auf diese Weise meinen es weder diejenigen, welche das Sein des Unbegrenzten behaupten, noch suchen wir es, sondern als Undurchgängliches. Ist aber nur als Anhägendes das Unbegrenzte, so wäre es nicht ein Grundwesen der Dinge als Unbegrenztes; so wie auch nicht das Unsichtbare der Sprache, obgleich die Stimme unsichtbar ist. – Nun weiter wie vermag etwas an sich das Unbegrenzte[61] zu sein, wenn nicht auch Zahl und Größe, von denen an sich ein Zustand das Unbegrenzte ist? Weniger noch ist es ein solches nothwendig, als die Zahl und die Größe. Man sieht aber auch hieraus, daß nicht vermag zu sein das Unbegrenzte, als ein der That nach Seiendes, und als Wesen und Ursprüngliches. Es wird alles, was man von ihm nimmt, ein Unbegrenztes, wofern es theilbar ist. Denn dem Unbegrenzten anzugehören und Unbegrenztes zu sein, ist einerlei, dafern Wesen ist das Unbegrenzte, und nicht einem zum Grunde liegenden angehörend. So wäre es dann entweder untheilbar, oder in solche Theile, die selbst Unbegrenzte sind, theilbar. Allein viele Unbegrenzte kann doch nicht das Eine und selbe sein. Und demnach, wie Theil der Luft Luft ist, so auch Unbegrenztes des Unbegrenzten, wenn es Wesen ist und Ursprüngliches. Unzusammengesetzt also müßte es sein und untheilbar. Dieß aber kann unmöglich das der Wirklichkeit nach Unbegrenzte sein. Denn eine Größe ist dieß nothwendig. – Auf Art eines Anhängenden also besteht das Unbegrenzte. Aber wenn so, so ist gesagt worden, daß man es nicht darf Ursprüngliches nennen; sondern vielmehr jenes, dem es anhängt, wie Luft oder das Gerade. So daß also sonderbar wohl sich diejenigen ausdrücken, die so, wie die Pythagoreer, davon reden. Denn zugleich zu einem Wesen machen sie das Unbegrenzte, und behaupten seine Theilbarkeit.

Doch vielleicht gehört diese Untersuchung mehr dem Allgemeinen an, ob das Unbegrenzte zufällig sei auch in dem Mathematischen, in dem Gebiete des reinen Gedankens, und in dem, was keine Größe hat. Wir aber fragen von dem Empfindbaren und von dem, worauf wir hier ausgehen, ob es in ihm giebt oder nicht giebt einem Körper unbegrenzt in Bezug auf die Vermehrung. Dem bloßen Begriffe nach betrachtet, könnte es ungefähr aus[62] Folgendem scheinen, keinen zu geben. Wenn der Begriff eines Körpers ist, das auf einer Fläche Bestimmte, so möchte es keinen unbegrenzten Körper geben, weder denkbaren, noch empfindbaren. Ja auch keine Zahl zugleich für sich bestehend und unbegrenzt. Denn Zählbares ist die Zahl oder was Zahl hat. Wenn nun das Zahlbare gezählt werden mag, so müßte auch durchgegangen werden können das Unbegrenzte. – Mehr naturwissenschaftlich betrachtet aber aus diesem. Weder ein zusammengesetzter darf es sein, noch ein einfacher, denn als zusammengesetzten zwar wird es keinen unbegrenzten Körper geben, wenn begrenzt an Menge seine Elemente sein sollen. Denn es müßten dann mehre sein, und im Gleichgewicht stets die entgegenstehenden, und keines unter ihnen ein unbegrenztes. Denn wenn auch irgendwie die Kraft des einen Körpers geringer ist als die des andern, z.B. wenn, das Feuer als begrenzt, die Luft als unbegrenzt gesetzt, ein Theil Feuer ein gleiches Theil Luft um ein gewisses Maß an Kraft übertrifft, nur daß dieses Maß ein durch Zahl ausdrückbares ist: so ist dennoch ersichtlich, daß der unbegrenzte Körper überwältigen und aufzehren wird den begrenzten. Daß aber jeder Bestandtheil unbegrenzt sei, ist unmöglich. Denn ein Körper ist, was eine nach allen Seiten bestimmte Ausdehnung hat; das Unbegrenzte aber, das unendlich Ausgedehnte: so daß der unbegrenzte Körper nach allen zu ausgedehnt sein wird ins Unbegrenzte. Aber auch nicht ein einiger und einfacher sein kann der unbegrenzte Körper, weder so, wie Einige das außerhalb der Elemente beschreiben, woraus sie diese entstehen lassen, noch schlechthin. Es giebt nämlich Einige, die dieß das Unbegrenzte sein lassen, und nicht Luft oder Wasser, damit nicht das Uebrige zu Grunde gehe unter ihrem Unbegrenzten. Denn diese Dinge stehen zu einander im Gegensatz, z.B. die Luft ist kalt, das Wasser naß, das Feuer warm; wäre also Eines von ihnen unendlich, so wäre[63] es geschehen um das Uebrige. So aber sagen sie, es sei ein anderes, vor und über diesen. Es kann aber kein solches sein, nicht nur als Unbegrenztes (denn hierüber gilt ein gleiches von allem zusammen, der Luft, dem Wasser und jedem andern), sondern, weil es gar keinen solchen empfindbaren Körper außer den sogenannten Elementen giebt. Denn woraus jedes Ding ist, darein wird es auch aufgelöst; so daß also hier außer Luft, Feuer, Erde und Wasser noch ein anderes sein müßte. Aber auch weder Feuer noch irgend ein anderes der Elemente kann ein unbegrenztes sein. Ueberhaupt nämlich und unabhängig von der Unbegrenztheit eines unter ihnen, kann unmöglich das All, auch wenn es begrenzt wäre, eines derselben sein oder werden, wie Heraklit sagt: Alles werde einst Feuer. Dasselbe gilt auch von dem Einen, wie es außerhalb der Elemente die Naturforscher bestehen lassen. Denn alles verwandelt sich aus dem Gegentheil in das Gegentheil, wie aus Warmem in Kaltes.

Es muß aber im Allgemeinen noch aus Folgendem zugesehen werden, ob es möglich oder nicht möglich ist, daß es einen empfindbaren unbegrenzten Körper gebe. Daß nun ganz unmöglich ist das Sein eines empfindbaren unbegrenzten Körpers, ist hieraus klar. Es ist allem sinnlich Wahrnehmbaren wesentlich, irgendwo zu sein, und es hat seinen Ort jedes Ding. Und der nämliche ist der Ort des Theils und des Ganzen, z.B. der ganzen Erde und der einzelnen Scholle, des Feuers und des Funkens. Wenn nun also der Körper ein gleichartiger ist, so wird er entweder unbeweglich sein, oder stets bewegt werden. Allein dieß ist unmöglich. Denn worin soll hier das Oben und Unten, und jedes räumliche Verhältniß bestehen? Ich meine es aber so. Setzen wir als Theil von ihm, eine Scholle. Wo soll diese sich bewegen, oder wo verweilen? Denn der Raum des Körpers, dem sie angehört, ist ein unbegrenzter. Soll sie nun in[64] diesem ganzen Raume gleichmäßig ihre Stelle haben? Und wie soll dieß zugehen? Welche also und wo ist ihre Bewegung? Soll sie überall stehen bleiben können? So wird sie sich nicht bewegen. Oder soll sie sich überall hin bewegen? So wird sie nie still stehen. – Ist aber ungleich das Ganze, so werden ungleich auch die Räume sein. Zuvörderst nun ist dann nicht auf andere Art Einer der Körper des Ganzen, als durch Berührung. Sodann sind entweder begrenzt seine Bestandtheile oder unbegrenzt in ihrer Formbestimmung. Begrenzt nun können sie nicht sein. Denn es müssen, wenn nicht alle, doch einige unbegrenzt sein, wenn das Ganze unbegrenzt ist, z.B. das Feuer oder das Wasser. Untergang aber ist so etwas seinem Gegentheile, wie zuvor gesagt. Darum auch hat keiner von den Naturforschern das Eine und Unbegrenzte Feuer sein lassen oder Erde; sondern entweder Wasser, oder Luft, oder das Mittlere zwischen ihnen, weil der Ort von jenen beiden sich als ein bestimmter zeigte, diese aber sich gleichgültig verhalten hinsichtlich des Oben und Unten. – Sind sie aber unbegrenzt und einfach, so sind auch die Räume unbegrenzt, und es giebt unbegrenzte Elemente. Ist aber dieses unmöglich, und sind begrenzt die Räume, so muß auch das Ganze begrenzt sein. Denn nicht kann man als ungleich denken den Raum und den Körper. Weder nämlich ist der ganze Raum größer, als so weit auch der Körper mit ihm zugleich sein kann, (ist er aber mit ihm zugleich, so ist er nicht unbegrenzt), noch der Körper größer als der Raum. Denn in dem einen Fall entstünde ein Leeres, in dem andern ein Körper mit der Bestimmung, nirgends zu sein.

Anaxagoras aber spricht seltsam über das Feststehendes Unbegrenzten. Er sagt nämlich, daß sich selbst feststelle das Unbegrenzte; und dieß, weil es in sich ist. Denn nichts anderes umgiebt es, so daß es an einem durch das Dasein irgend eines Dinges bezeichneten Orte[65] seiner Natur nach sein müßte. Dieß aber ist nicht wahr. Denn es könnte ja irgendwo sein durch Gewalt, und nicht vermöge seiner Natur. Soll sich nun einmal nicht bewegen das Ganze (denn das sich in sich Befestigende und in sich Seiende muß ein Unbewegliches sein), so wäre doch jedenfalls zu sagen, warum es so bewegungslos beschaffen sein muß. Nicht genügt es nämlich, mit solcher Rede abzubrechen. Denn es könnte ja wohl auch irgend etwas Anderes geben, was nicht sich bewegte, wobei nichts hindert, daß dieses seiner eignen Natur nach zur Bewegung nicht geeignet wäre. Hat ja doch auch die Erde keine räumliche Bewegung, und wenn sie unbegrenzt wäre; darum jedoch, weil sie von dem Mittelpuncte zurückgehalten wird. Also nicht, als wäre nichts Anderes vorhanden, wohin sie sich bewegen könnte, sondern in der That ihrer Natur nach. Hier könnte man nun mit demselben Rechte sagen, daß sie sich selbst feststellte. Kann dieß aber bei der Erde nicht als Ursache gelten, auch vorausgesetzt, sie sei unbegrenzt, sondern vielmehr ihre Schwere, indem das Schwere feststeht in dem Mittelpunct, und die Erde feststeht in dem Mittelpunct: so steht auf gleiche Weise auch das Unbegrenzte in sich fest aus irgend einer andern Ursache, und nicht, weil es unbegrenzt ist und sich selbst feststellt. – Zugleich aber erhellt, daß dann auch jedweder Theil feststehen müßte. Wie nämlich das Unbegrenzte auf sich selbst beruht, indem es sich feststellt, eben so wird auch, wenn man irgend einen Theil von ihm nimmt, dieser auf sich beruhen. Denn von dem Ganzen und dem Theile sind gleichartig die Orte; z.B. von der ganzen Erde und der Scholle das Unten, und von allem Feuer und dem Funken das Oben. So daß, wenn des Unbegrenzten Ort in sich selbst ist, auch des Theiles Ort derselbe sein und dieser also feststehen würde in sich selbst. – Ueberhaupt aber erhellt, daß es unstatthaft ist, zugleich einen unbegrenzten Körper anzunehmen, und das Sein eines Ortes[66] für die Körper, daraus, daß jeder empfindbare Körper entweder Schwere hat oder Leichtigkeit, und wenn er schwer ist, nach dem Mittelpuncte von Natur hat die Bewegung, wenn aber leicht, nach oben. Nothwendig nämlich auch der unbegrenzte Körper. Dennoch aber kann er nicht, weder ganz eine oder die andere von beiden, noch nach seinen Hälften jede von beiden Bewegungen erleiden. Denn wie will man hier unterscheiden; oder wie soll von dem Unbegrenzten dieses Oben, jenes Unten, oder ein Aeußerstes oder Mittleres sein? Uebrigens ist jeder empfindbare Körper im Raume; der Raum aber hat zu Arten und Unterschieden das Oben und Unten, und Vorn und Hinten, und Rechts und Links; und diese Bestimmungen gelten nicht bloß in Bezug auf uns, und dem Verhältnisse nach, sondern in dem Ganzen selbst. Nicht aber kann dieß in dem Unbegrenzten stattfinden. Ein für allemal aber, wenn es keinen unbegrenzten Ort geben kann, an einem Orte aber jeder Körper sein muß, so kann es auch keinen unbegrenzten Körper geben. Nun ist der Raum als Art und Weise des körperlichen Seins wesentlich Ort, und der Ort Raum. Wie also das Unbegrenzte keine Größe sein kann; denn eine Größe ist z.B. was zwei Ellen oder drei Ellen hat; dergleichen nämlich bezeichnet der allgemeine Ausdruck Größe: so gilt dieß auch von dem Sein an einem Orte, d.h. dem räumlichen Sein, dieß aber ist das Oben oder Unten, oder in einer andern der sechs Richtungen. Alles dieß aber bezeichnet eine Begrenzung. Daß es nun also der That nach keinen unbegrenzten Körper giebt, ist hieraus ersichtlich.

Quelle:
Aristoteles: Physik. Leipzig 1829, S. 61-67.
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