Erstes Capitel

[75] Auf gleiche Weise muß auch von dem Raume der Naturforscher, wie von dem Unbegrenzten, untersuchen, ob er ist oder nicht, und wiefern er ist, und was er ist. Denn Alle nehmen an, daß, was ist, irgendwo ist. Nur was nicht ist, sei nirgends. Denn wo wäre ein Hirschbock, oder eine Sphinx? Auch von der Bewegung ist die gemeinste und eigentlichste die räumliche, welche wir Ortveränderung nennen. – Es hat aber viele Schwierigkeiten, zu sagen, was denn der Raum ist. Denn nicht als dasselbe erscheint er, wenn man ihn betrachtet nach allem dem verschiedenen, was gegeben ist. Ueberdieß haben wir auch bisher nichts von den Andern, was über ihn, sei es als Aufgabe oder als Lösung, beigebracht wäre.

Daß es nun zwar giebt einen Raum, scheint zu erhellen aus dem Wechsel der Lagen. Wo nämlich jetzt Wasser ist, da kann, wenn dieses sich entfernt wie aus einem Gefäße, wiederum Luft sein. Bisweilen aber hat diesen selben Ort irgend ein anderer Körper inne. Dieser nun gilt für einen von allem was eindringt und durch irgend eine Veränderung hineinkommt, verschiedenen. An welchem Orte nämlich jetzt Luft ist, an diesem war vorher Wasser. So daß erhellt, daß der Ort und[75] der Raum etwas anderes war als beide, in welchen und aus welchem die Veränderung geschah. – Ferner aber auch die räumlichen Bewegungen der natürlichen und einfachen Körper, wie des Feuers und der Erde und ähnlicher, zeigen nicht allein, daß es giebt einen Raum, sondern auch daß er eine gewisse Bedeutung besitzt. Es bewegt sich nämlich jedes Ding nach seinem Orte hin, sobald es nicht gehindert wird; eines nach oben, ein anderes nach unten. Dieß aber sind Raumes Theile und Arten, das Oben und das Unten, und die übrigen von den sechs Richtungen. Es ist aber alles dieses nicht nur in Bezug auf uns, das Rechte und das Linke, und das Oben und das Unten. Denn für uns ist es nicht stets das nämliche, sondern nach der Lage, wie wir uns wenden, richtet es sich. Darum ist Dasselbige oftmals rechts und links, und oben und unten, und vorn und hinten. In der Natur hingegen ist bestimmt für sich ein jedes. Nicht nämlich was sich trifft, ist das Oben, sondern wohin sich bewegt das Feuer und das Leichte. Eben so auch das Unten, nicht was sich trifft, sondern wohin das was Schwere hat, und das Irdische. So daß also nicht ein Unterschied der Lage nur, sondern auch der Bedeutung vorhanden ist. Dieß zeigt auch das Mathematische. Obgleich es nämlich nicht an einem Orte ist, so hat es doch nach seiner Lage zu uns ein Rechts und ein Links. So daß also hier nur die Lage als ein Gedachtes, nicht aber ein natürliches Bestehen von diesem allen statt findet. – Uebrigens die das Sein eines Leeren behaupten, meinen den Raum. Das Leere nämlich möchte sein ein Raum, der keinen Körper in sich faßt. – Daß es nun also giebt einen Raum außer den Körpern, und daß jeder sinnlich wahrnehmbare Körper an einem Orte ist, könnte man diesem zufolge annehmen. Es möchte sonach scheinen, als habe Hesiodus Recht, indem er zuerst das Weite sein läßt. Er sagt nämlich:[76]

Zwar von Allem zuerst war das Weite, aber darauf ward Erde mit weitem Busen.

Als müsse zuerst vorhanden sein Raum, für das was sein soll; der gewöhnlichen Meinung zufolge, daß Alles sei irgendwo und an einem Orte. Verhält sich dieß aber so, so wäre eine wunderwürdige die Bedeutung des Raumes, und Allem vorangehend. Denn ohne was nichts Anderes ist, was aber selbst ohne das Andere: dieses muß das Erste sein. Nicht nämlich geht unter der Raum, wenn, was in ihm ist, vergeht.

Nichtsdestoweniger fragt es sich noch immer, wenn er ist, was er ist: ob irgend eine körperliche Masse, oder sonst eine andere Natur. Aufzusuchen nämlich ist seine Gattung zunächst. – Hauptrichtungen nun hat er drei: Länge, Breite und Tiefe, durch die bestimmt wird jeder Körper. Nicht aber kann ein Körper der Raum sein. Denn in dem Nämlichen wären dann zwei Körper. – Ferner wenn es einen besondern Ort und Raum des Körpers giebt, so offenbar auch der Fläche und der übrigen Grenzbestimmungen; denn derselbe Begriff paßt dann darauf. Wo nämlich vorher des Wassers Flächen waren, da werden nun die der Luft sein. Allein wir haben doch keinen Unterschied zwischen Punct und Raum des Punctes. Wenn nun also dieser keinen von ihm verschiedenen Raum hat, so hat ihn auch keines von den andern, und es giebt außerhalb dieser aller keinen Raum. – Für was auch wollten wir ausgebenden Raum? Denn weder ein Element sein, noch aus Elementen bestehen kann er, wenn er eine solche Natur hat; weder den körperlichen, noch den unkörperlichen. Denn Größe zwar hat er, Körper aber keineswegs. Nun sind aber der sinnlich wahrnehmbarer Körper Elemente Körper; aus den bloß denkbaren Elementen aber entsteht keine Größe. – Ferner von was sollte man auch sagen, daß den Dingen Ursache sei der Raum? Denn keine von der vier Bedeutungen[77] des Begriffes Ursache paßt auf ihn. Weder nämlich als Stoff des Seienden ist er es, denn nichts ist aus ihm zusammengesetzt, noch als Formbestimmung und Begriff der Dinge, noch als Zweck, noch bewegt er die Dinge. Ueberdieß er selbst, wenn er zu den Dingen gehört, wo soll er sein? Der Einwurf des Zenon nämlich fordert eine Rechenschaft. Wenn nämlich alles was ist, im Raume ist, so muß offenbar auch für den Raum ein Raum sein. Und dieß geht fort ins Unbegrenzte. – Ferner wenn, wie jeder Körper im Raume, so auch in jedem Raume ein Körper sein muß: was werden wir dann sagen von dem Wachsenden? Es muß nämlich diesemnach mitwachsen ihr Raum, dafern weder kleiner noch größer der Raum eines jeden ist. – Aus diesen Gründen nun muß man zweifeln, nicht nur was es ist, sondern auch ob es ist.

Quelle:
Aristoteles: Physik. Leipzig 1829, S. 75-78.
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