Dreizehntes Capitel

[114] Das Jetzt aber ist die Stetigkeit der Zeit; wie gesagt. Denn es verbindet die Zeit, die vergangene und die zukünftige, und ist überhaupt Bewegung der Zeit. Es ist nämlich von der einen Anfang, von der andern aber Ende. Allein dieses leuchtet nicht wie bei dem bleibenden Puncte sogleich ein. Es theilt aber auch der Möglichkeit nach, und, wiefern ein solches, ist stets ein anderes das Jetzt; wiefern es aber verknüpft, ist es stets dasselbe. Gleichwie bei den mathematischen Linien. Denn auch hier ist nicht[114] stets einer und derselbe der Punct für das Denken, denn wenn man sie trennt, wird er zu anderem; wiefern sie aber Eine ist, bleibt er überall der nämliche. So auch das Jetzt: von der einen Seite Theilung der Zeit der Möglichkeit nach, von der andern aber, Bewegung zweier Zeiten und Einheit. Es ist aber Dasselbe und in demselben Bezuge die Theilung und die Einheit; ihr Sein aber ist nicht dasselbe.

Auf Eine Weise nun wird Jetzt so gesagt. Auf an dere aber, wenn die Zeit von diesem nahe ist. Er wird jetzt kommen; wenn er heute kommen wird. Er kam jetzt, weil er heute kam. Die Begebenheiten vor Ilion aber geschehen nicht jetzt, noch war die allgemeine Ueberschwemmung jetzt. Und doch ist eine stetige Zeit dahin; aber weil sie nicht nah sind.

Das Einst aber ist eine Zeit, die bestimmt ist gegen das vorangehende Jetzt: z.B. einst ward Troja genommen, und einst wird die Ueberschwemmung sein. Denn es muß begrenzt sein gegen das Jetzt. Sein also wird eine Zeit von einer bestimmten Größe von diesem nach jenem, und es war eine nach dem vergangenen. Giebt es nun keine einzige Zeit, die nicht Einst ist, so wäre wohl alle Zeit begrenzt. Wird sie nun ausgehen; oder nicht, dafern es stets Bewegung giebt? Eine andere also, oder die nämliche zu wiederholten malen? Offenbar, wie die Bewegung, so auch die Zeit. Wenn nämlich eine und dieselbe stattfinden sollte, so wird auch die Zeit eine und dieselbe sein; wenn aber nicht, so wird sie es nicht. Weil aber das Jetzt Ende und Anfang der Zeit, aber nicht der nämlichen, sondern der vergangenen Ende, Anfang aber der zukünftigen: so möchte, wie bei dem Kreise in dem Nämlichen die Wölbung und die Hohlung ist, so auch die Zeit stets zugleich am Anfang und am Ende sein. Und darum gilt sie stets für eine andere: denn nicht von der nämlichen ist sowohl Anfang als auch Ende das Jetzt.[115] Denn zugleich wären dann, und in demselben Bezuge die Gegentheile. – Und auch nicht ausgehen wird sie: denn stets ist sie im Anfange.

Das Gleich aber ist der nahe an dem gegenwärtigen untheilbaren Jetzt liegende Theil der zukünftigen Zeit. Wann gehst du? Gleich: weil nahe die Zeit, in der es geschehen soll. Auch von der vergangenen Zeit, was nicht fern dem Jetzt ist. Wann wirst du gehen? Ich bin gleich gegangen. Ilion aber sagen wir nicht daß gleich erobert sei, weil es sehr fern ist von dem Jetzt. – Auch das Neulich ist, was nahe an dem gegenwärtigen Jetzt, und Theil der Vergangenheit ist. Wann kannst du? Neulich: wenn die Zeit nahe ist an dem gegenwärtigen Jetzt. – Ehemals aber, was fern ist. – Das Plötzlich aber bedeutet, was in einer wegen ihrer Kleinheit unwahrnehmbaren Zeit aus seiner Lage herausgeworfen wird. Alle Veränderung aber ist ein Herauswerfen aus der bisherigen Lage.

In der Zeit aber geschieht alles Entstehen und Vergehen. Darum auch nannten sie Einige die weise, der Pythagoreer Paron aber die unvernünftige, weil man in ihr auch vergißt: mit mehrem Rechte. – Es erhellt also, daß sie von dem Vergehen eher an und für sich Ursache ist als von dem Entstehen, wie auch zuvor gesagt: denn herauswerfend aus dem Bestehendem ist die Veränderung an und für sich selbst. Von dem Entstehen aber und Sein nebenbei. Ein hinreichender Beweis hievon ist, daß nichts zwar entsteht ohne eine gewisse Bewegung und Handlung, vergeht aber auch ohne alle Bewegung. Und dieß vornehmlich pflegen wir zu nennen Untergang durch die Zeit. Allein auch diesen nicht vollbringt die Zeit, sondern es trifft sich, daß in der Zeit geschieht auch diese Veränderung. – Daß es nun also giebt eine Zeit, und was da sei, und auf wie vielfache Weise wir sagen das Jetzt, uns was das Einst, und das Neulich, und das Gleich,[116] und das Ehemals, und das Plötzlich bedeutet, ist gesagt worden.

Quelle:
Aristoteles: Physik. Leipzig 1829, S. 114-117.
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