Fünftes Capitel

[87] Welcher Körper nun also außer sich einen Körper hat, der ihn umgiebt, dieser ist an einem Orte und im Raume: welcher aber keinen hat, der nicht. Darum, wäre auch Wasser ein solcher, so würden seine Theile zwar sich bewegen, denn sie sind umgeben gegenseitig durch einander; das Ganze aber würde gewissermaßen zwar sich bewegen, gewissermaßen aber auch nicht. Denn als All bewegt es sich im Raume nicht zugleich; im Kreise aber würde es sich bewegen, denn für die Theile ist dieß der Ort. Und nach oben und unten nicht, wohl aber im Kreise bewegt sich Einiges; nach oben und unten aber, was auch der Verdichtung und Verdünnung empfänglich ist. – Wie nun gesagt, so ist Einiges im Raume der Möglichkeit, Anderes der That nach. Darum sind bei dem Stetigen[87] und aus gleichen Theilen Bestehenden der Möglichkeit nach im Raume die Theile. Sind sie hingegen abgesondert, aber doch sich berührend wie ein Haufe, der That nach. – Und Einiges an und für sich; z.B. ein ganzer Körper, entweder räumlich, oder dem Wachsthum nach beweglich, ist an und für sich irgendwo. – Der Himmel aber, wie gesagt, ist nirgends als ganzer, noch irgend einem Raume, dafern nämlich kein Körper ihn umgiebt. In welcher Hinsicht er aber bewegt wird, in dieser ist er auch Raum für seine Theile. Denn einer hängt mit den andern zusammen von den Theilen. – Anderes aber nebenbei: z.B. die Seele und der Himmel. Seine Theile nämlich sind gewissermaßen alle im Raume; denn im Kreise umfaßt eines das andere. Deshalb bewegt sich im Kreise nur das Obere, das Ganze aber ist nirgends. Denn was irgendwo sein soll, muß theils selbst sein, theils etwas außer sich haben, was es umgiebt. Außer dem All und Ganzen aber ist nichts außerhalb des All. Und deswegen nun ist in dem Himmel Alles. Der Himmel nämlich ist wohl das All. Es ist aber der Ort nicht der Himmel, sondern etwas von dem Himmel, die äußerste und den beweglichen Körper berührende ruhende Grenze. Und deswegen ist die Erde in dem Wasser, diese in der Luft, diese in dem Aether, der Aether in dem Himmel, der Himmel aber nicht wieder in dem Anderen.

Man sieht aber hieraus, daß auch die Zweifel alle sich lösen möchten, wenn man dergestalt bestimmt den Raum. Weder nämlich zugleich mit wachsen muß so der Raum, noch der Punct einen Raum einnehmen, noch zwei Körper in demselben Raume sein, noch giebt es einen körperlichen Zwischenraum. Denn Körper ist, was von dem Raume dazwischen ist, nicht Zwischenraum eines Körpers. Und es ist auch der Raum irgendwo, nicht aber wie an einem Orte, sondern wie die Grenze an dem Begrenzten. Denn nicht alles was ist, ist im Raume, sondern[88] der bewegliche Körper. Und es bewegt sich auch nach seinem Orte jedes Ding; ganz natürlich. Was nämlich benachbart und berührend nicht durch Gewalt ist, das ist verwandt. Und was von Natur zusammengehört, leidet nichts von einander; was aber sich berührt, leidet von einander und wirkt auf einander. Und es bleibt auch von Natur alles an seinem eigenthümlichen Orte, jedes einzelne nicht ohne Grund. Denn dieser ist als Theil in den ganzen Raume in dem Verhältnisse des trennbaren Theils zu dem Ganzen. Dieß sieht man, wenn man ein Theilchen des Wassers bewegt, oder der Luft. Eben so verhält sich auch die Luft zu dem Wasser: nämlich als Stoff, das andere aber als Formbestimmung. Das Wasser gilt als Stoff der Luft, die Luft aber als eine Thätigkeit von jenem. Das Wasser nämlich ist der Möglichkeit nach Luft; die Luft aber der Möglichkeit nach Wasser auf andere Weise. Nähere Bestimmungen hierüber sind späterhin zu geben. Nur des Zusammenhangs wegen muß es hier erwähnt werden; was aber jetzt undeutlich bleibt, wird später deutlich werden. Wenn nun dasselbe ist der Stoff und die Wirklichkeit, Wasser nämlich beides, aber das eine der Möglichkeit, das andere der Wirklichkeit nach: so möchte es sich verhalten, wie Theil zum Ganzen. Darum auch findet unter diesem Berührung statt; Gemeinschaft der Natur aber, wenn beide der That nach Eins werden. – Ueber den Raum nun, daß er ist, und was er ist, ist genug gesprochen.

Quelle:
Aristoteles: Physik. Leipzig 1829, S. 87-89.
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