Sechstes Capitel

[89] Auf dieselbe Weise ist anzunehmen, daß der Naturforscher Betrachtung anzustellen hat auch über das Leere, ob es ist oder nicht, und wie es ist und was es ist, gleichwie auch über den Raum. Denn auf sehr ähnliche Weise kann man auch hieran zweifeln oder glauben, in Folge dessen,[89] was darüber vorausgesetzt wird. Denn gleich als einen Raum und Gefäß betrachten das Leere die, so es annehmen. Es gilt aber etwas für erfüllt, wenn es faßt die Masse, die es aufzunehmen vermag; wenn es aber ohne diese ist, für leer; als sei Dasselbe Leeres und Erfülltes und Raum, und nur die Art des Seins sei für sie verschieden. Begonnen aber werden muß die Untersuchung, indem dargelegt wird, was diejenigen sagen, die sein Sein behaupten und wiederum was die sagen, die es läugnen, und drittens die allgemeinen Meinungen über sie.

Welche nun zu beweisen versuchen, daß es nicht ist, diese heben nicht dasjenige Leere auf, was die Menschen sagen wollen, sondern wovon man aus Irrthum spricht, wie z.B. Anaxagoras und die auf diese Weise Widerlegenden. Sie beweisen nämlich, daß etwas sei die Luft, indem sie die Schläuche drehen, und zeigen, daß eine Stärke hat die Luft; und indem sie sie auffangen, in den Wasserröhren. Die Menschen aber meinen einen leeren Zwischenraum, worin kein sinnlich wahrnehmbarer Körper sei. Indem sie glauben, daß, was ist, alles Körper ist, sagen sie, daß, worin durchaus nichts ist, dieß sei leer. Darum sei das von Luft erfüllte leer. – Nicht also dieß muß man beweisen, daß etwas ist die Luft, sondern daß es überhaupt keinen Zwischenraum der Körper giebt, weder trennbar, noch der Wirklichkeit nach seiend, welcher trennt den ganzen Körper, so daß dieser nicht stetig ist; wie da sagen Demokrit und Leukipp und viele Andere der Naturforscher; oder auch wenn es etwas außerhalb des ganzen Körpers geben sollte, insofern dieser stetig ist. – Diese nun sind nicht einmal bis zur Schwelle der Aufgabe gelangt. Eher diejenigen, die das Sein behaupten. Sie sagen aber, einmal, daß die räumliche Bewegung sonst nicht sein könnte. Diese aber ist Ortveränderung und Vermehrung. Nicht nämlich könnte es zu geben scheinen eine Bewegung, wenn nicht sei ein Leeres; denn daß das Erfüllte[90] aufnehme, sei unmöglich. Sollte es aber aufnehmen, und so zwei in dem Nämlichen sein, so müßte auch jede beliebige Menge von Körpern zugleich sein können. Denn der Unterschied, warum nicht sein könne das Gesagte, sei nicht anzugeben. Gilt aber dieß für statthaft, so kann auch das Kleinste aufnehmen das Größte. Denn vieles Kleine ist das Große. Also wenn vieles Gleiche vermag in Einem und demselben zu sein, auch vieles Ungleiche. – Melissos nun beweißt auch, daß das All unbeweglich, aus diesem. Denn soll es bewegt werden, so muß, sagt er, ein Leeres sein; das Leere aber ist nicht unter dem Seienden. – Auf eine Art nun beweisen sie so, daß es giebt ein Leeres. Auf eine andere aber daraus, daß Einiges erscheint als zusammengehend und der Verdichtung empfänglich. So wie man sagt, daß auch den Wein mit seinen Schläuchen die Fässer aufnehmen. In die darin enthaltenen leeren Räume nämlich gehe der verdichtete Körper zusammen. – Auch das Wachsen halten Alle für geschehend mittels des Leeren. Die Nahrung nämlich sei ein Körper; zwei Körper aber können nicht zugleich sein. Als Beweis brauchen sie auch, was mit der Asche sich begiebt, welche eben so viel Wasser aufnimmt, wie das leere Gefäß. – Daß es ein Leeres gebe, behaupteten auch die Pythagoreer, und daß dieses hereinkomme in den Himmel mittels des unbegrenzten Athems, wie einer der athmet. Und das Leere sei es, welches bestimme die Naturen. Denn das Leere sei eine Trennung des der Reihe nach auf einander Folgenden, wie auch die Bestimmung. Und dieß sei das Erste in den Zahlen. Das Leere nämlich bestimme ihr Natur. – Wonach nun die Einen es behaupten, die Andern läugnen, ist ungefähr dieß und dergleichen.

Quelle:
Aristoteles: Physik. Leipzig 1829, S. 89-91.
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