Siebentes Capitel

[161] Da aber alles, was sich bewegt, in einer Zeit sich bewegt, und in längerer durch eine größere Ausdehnung, so kann in unbegrenzter Zeit nicht einen begrenzten Raum etwas durchgehen, vorausgesetzt, daß es nicht den nämlichen stets, oder einen Theil desselben, sondern in der ganzen den ganzen durchgehen soll. Daß nun, wenn etwas mit gleicher Schnelle sich bewegt, es das Begrenzte in begrenzter Zeit durchgehen muß, ist klar. Denn nimmt man einen Theil, welcher ausmißt das Ganze in eben so viel Zeiten als Theilen sind, so durchgeht er das Ganze. Also weil diese begrenzt sind, sowohl der Größe der einzelnen, als der Zahl aller nach, möchte wohl auch die Zeit sein[161] begrenzt. Denn eben so viel mal wird sie so lang sein, wie lang die Zeit des Theils vervielfacht durch die Zahl der Theile. – Allein auch wenn nicht mit gleicher Schnelle, so macht dieß keinen Unterschied. Es sei nämlich A und B ein begrenzter Zwischenraum, wodurch etwas sich bewegt hat in unbegrenzter Zeit, die unbegrenzte Zeit C D. Wenn es nun früher durch eines als durch das andere sich bewegt haben muß, so ist dieses klar, daß in dem Früheren und dem Späteren der Zeit es durch anderes sich bewegt hat. Denn stets wird es in der längeren durch anderes sich bewegt haben, sowohl wenn es gleich schnell als wenn es nicht gleich schnell übergeht; sowohl wenn sich anspannt die Bewegung, als wenn sie nachläßt, und wenn sie bleibt nicht weniger. Man nehme nun etwas von dem Zwischenraume A B, A E, welches Maß sein soll für das A B. Dieses nun wird in irgend einem Theile der unbegrenzten Zeit durchgangen werden. Denn daß in der unbegrenzten, wäre unstatthaft, da das Ganze in unbegrenzter durchgangen wird. Und wiederum ein anderer Theil, wenn ich ihn nehme so groß wie A E, nothwendig in begrenzter Zeit; da das Ganze in unbegrenzter. Und wenn ich so fortfahre, so wird, weil für das Unbegrenzte es keinen Theil giebt, der es ausmessen kann, (denn unmöglich kann das Unbegrenzte bestehen aus begrenzten Theilen, sie es gleichen oder ungleichen, weil ausgemessen wird, was begrenzt ist an Zahl und Ausdehnung, von einem Einigen, mag jenes nun gleich sein oder ungleich, wenn es nur bestimmt ist der Ausdehnung nach), der begrenzte Zwischenraum aber durch bestimmte Größen A E gemessen wird, in begrenzter Zeit durch A B erfolgen die Bewegung. Eben so auch bei der Ruhe. Also kann weder entstehen immer, noch vergehen etwas, welches eines und dasselbe ist. – Auf dieselbe Art wird bewiesen, daß auch nicht in begrenzter Zeit etwas auf unbegrenzte Art sich bewegen mag, noch ruhen; sei es, daß es gleichmäßig sich bewege, oder ungleichmäßig.[162] Darum nimmt man einen Theil, welcher Maß sei für die ganze Zeit, so wird es in diesem einen bestimmten Theil durchgehen von der Ausdehnung, und nicht die ganze. In der ganzen nämlich die ganze. Und wiederum in dem gleichen einen andern Theil, und in jedem auf gleiche Weise, sei es einen dem anfänglichen gleichen oder ungleichen Theil. Denn nichts kommt darauf an, wenn nur begrenzt ist ein jeder. Denn offenbar wird, wenn aufgeht die Zeit, das Unbegrenzte nicht aufgehen, da begrenzt die Wegnahme ist, sowohl dem Wieviel, als dem Wieoft nach. Also durchgeht es nicht in begrenzter Zeit das Unbegrenzte. Nichts aber kommt darauf an, ob die Ausdehnung nach einer oder nach beiden Seiten hin unbegrenzt sei. Denn das Wesentliche ist dasselbe. – Nach diesem Beweise nun sieht man, daß auch nicht die begrenzte Ausdehnung das Unbegrenzte zu durchgehen vermag in begrenzter Zeit, aus der nämlichen Ursache. Denn in dem Theile der Zeit durchgeht es etwas Begrenztes, und in jedem eben so; so daß in der ganzen ein Begrenztes. Da aber das Begrenzte nicht durchgeht das Unbegrenzte in begrenzter Zeit, so offenbar auch nicht das Unbegrenzte das Begrenzte. Wenn nämlich das Unbegrenzte das Begrenzte, so müßte auch das Begrenzte durchgehen das Unbegrenzte. Denn nichts kommt darauf an, welches von beiden sei das sich Bewegende: auf beide Arten nämlich durchgeht das Begrenzte das Unbegrenzte. Denn wenn sich bewegt das unbegrenzte A, so wird ein Theil von ihm sich in dem begrenzten B befinden, z.B. E D, und wiederum ein anderer und noch ein anderer und stets so fort. Also wird es sich zugleich begeben, daß das Unbegrenzte sich bewegt durch das Begrenzte, und daß das Begrenzte durchgeht das Unbegrenzte: denn nicht einmal möglich ist es vielleicht, daß das Unbegrenzte auf andere Art sich bewege durch das Begrenzte, als indem das Begrenzte durchgeht das Unbegrenzte, entweder in räumlicher[163] Bewegung, oder im Ausmessen. Also, weil dieß unmöglich, so möchte wohl nicht durchgeben das Unbegrenzte das Begrenzte. – Allein auch nicht das Unbegrenzte durchgeht in begrenzter Zeit das Unbegrenzte. Denn wenn das Unbegrenzte, so auch das Begrenzte. Und ferner auch wenn man die Zeit nimmt, so gilt der nämliche Beweis. – Da aber weder das Begrenzte das Unbegrenzte durchgeht, noch das Unbegrenzte das Begrenzte, noch das Unbegrenzte in begrenzter Zeit sich bewegt, so sieht man, daß es gar keine Bewegung geben kann, die unbegrenzt wäre, in der begrenzten Zeit. Denn was ist für ein Unterschied, die Bewegung oder die Ausdehnung unbegrenzt zu machen? Denn nothwendig muß mit der einen auch die andere unbegrenzt sein; da alle Ortveränderung im Raume ist.

Quelle:
Aristoteles: Physik. Leipzig 1829, S. 161-164.
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