Erstes Capitel

[173] Alles was sich bewegt, muß von etwas bewegt werden. Wenn es nämlich in sich selbst nicht hat den Ursprung der Bewegung, so ist ersichtlich, daß es durch ein Anderes bewegt wird. Wenn aber in sich selbst, so nehme man A B, welches sich bewegt nicht darum, weil etwas davon sich bewegt. Erstens nun ist anzunehmen, daß A B durch sich selbst sich bewegt, weil das Ganze sich bewegt, und durch nichts Aeußeres, gleich, als wenn man, wenn E D bewegt E F und selbst sich bewegt, annehmen wollte, daß E F durch sich selbst bewegte, weil man nicht gewahrt, welches von welchem bewegt wird, ob D E von E F, oder E F von D E. Ferner, was durch sich selbst sich bewegt, wird nie darum aufhören sich zu bewegen, weil ein Anderes in seiner Bewegung stillsteht. Nothwendig also muß, wenn etwas aufhört sich zu bewegen darum, weil ein Anderes stillsteht, dieses durch ein Anderes bewegt werden. Leuchtet aber dieses ein, so muß alles was sich bewegt, bewegt werden durch etwas. Da nämlich angenommen ist A B als sich bewegend, so wird es theilbar sein. Denn alles was sich bewegt, war theilbar. Es sei also getheilt mit C. Es muß dann, wenn B C ruht, ruhen auch A B. Denn wo nicht, so nehme man an, es bewege sich. Während[173] nun B C ruht, würde sich bewegen A C. Nicht also durch sich selbst bewegt sich A B. Allein es ward angenommen, daß es durch sich zuerst sich bewege. So erhellt denn, daß, wenn C B ruht, ruhen wird auch B A, und dann aufhören sich zu bewegen. Aber wenn etwas darum, weil ein Anderes ruht, stillsteht und aufhört sich zu bewegen, so wird dieses durch ein Anderes bewegt. Man sieht also, daß alles was sich bewegt, von etwas bewegt wird. Denn theilbar ist alles sich Bewegende, und wenn der Theil ruht, so wird ruhen auch das Ganze. Weil aber alles was sich bewegt, von etwas bewegt wird, so muß auch alles was im Raume sich bewegt, bewegt werden von einem Anderen. Und auch das Bewegende von einem Anderen, weil auch dieses sich bewegt; und wiederum dieses von einem Anderen.

Nicht jedoch geht es ins Unbegrenzte so fort, sondern irgendwo wird es stillstehen, und sein wird etwas, das zuerst Ursache ist des sich Bewegens. Denn wenn nicht, sondern ins Unendliche ein Fortgang statt findet: so sei A von B bewegt, B von C, C von D, und auf diese Weise gehe man ins Unbegrenzte fort. Da nun zugleich das Bewegende auch selbst sich bewegt, so erhellt, daß zugleich sich bewegen wird A und B. Denn indem B sich bewegt, wird auch A sich bewegen, und also indem B sich bewegt, auch C, und indem C, D. So wird denn zugleich sein die Bewegung von A, und von B und von C und von jedem der übrigen. Und jedes von diesen also werden wir setzen können. Denn wenn auch jedes durch jedes bewegt wird, so ist nichtsdestoweniger Eine der Zahl nach die Bewegung von jedem, und nicht unbegrenzt nach den letzten Theilen; da ja, was sich bewegt, von etwas zu etwas sich bewegt. – Entweder nämlich der Zahl nach kann die Bewegung die nämlich sein, oder der Gattung, oder der Art nach. Der Zahl nach nun nenne ich die nämliche Bewegung, die von dem Nämlichen zu dem der[174] Zahl nach Nämlichen, und in der Zeit, die der Zahl nach die nämliche ist; z.B. aus diesem Weißen, welches Eins ist der Zahl nach, in dieses Schwarze zu dieser Zeit, die Eins ist an Zahl. Denn wenn zu einer andern, so ist sie nicht mehr Eine der Zahl, sondern der Art nach. Der Gattung nach aber die nämliche Bewegung ist die innerhalb der nämlichen Hauptbenennung des Wesens oder der Gattung. Der Art nach aber, die von dem der Art nach Nämlichen zu dem der Art nach Nämlichen, z.B. aus dem Weißen in das Schwarze, oder aus dem Guten in das Ueble. Dieß aber ist besprochen worden auch in dem Vorhergehenden. Man nehme also die Bewegung von A, und es sei dieselbe E, und die von B, welche F sei, und die von C D, welche G H. Und die Zeit, worin A bewegt wird, K. Ist nun bestimmt die Bewegung von A, so wird auch bestimmt sein, und nicht unbegrenzt, die Zeit K. Aber in derselben Zeit bewegte sich A und B und jedes der übrigen. Es folgt sonach, daß die Bewegung E F G H, die unbegrenzt ist, in der bestimmten Zeit K geschehe. Denn in welcher A sich bewegt, in dieser bewegt sich auch das unbegrenzt Viele, das auf das A folgte. Also bewegt sich dieses in der nämlichen. Und es wird auch entweder gleich die Bewegung von A der von B sein, oder größer. Hiebei aber ist kein Unterschied. Denn auf jede Weise geschieht es, daß die unbegrenzte Bewegung in begrenzter Zeit erfolgt. Dieß aber ist unmöglich. – So nun könnte bewiesen zu werden scheinen das im Anfang Gesagte. Dennoch wird es nicht bewiesen, weil nichts Unstatthaftes erfolgt. Denn es kann wohl in begrenzter Zeit eine unbegrenzte Bewegung geben; nicht die nämliche jedoch, sondern eine andere und wieder eine andere, indem Vieles sich bewegt und Unbegrenztes: was denn sich begiebt auch mit den Jetzt. Aber wenn das zunächst Bewegte im Raume und körperlicher Bewegung, sich berühren muß oder stetig zusammenhängen mit dem Bewegenden; wie wir denn[175] sehen, daß bei Allem dieß so sich verhält (denn es ist aus Allem Eines das Ganze und stetig): so nehme man dieses als ein Mögliches an, und es sei die Ausdehnung oder das Stetige A B C D, die Bewegung aber von diesem: E F G H. Es ist aber kein Unterschied, ob begrenzt oder unbegrenzt. Denn auf gleiche Weise wird in der begrenzten K sich bewegen sowohl Unbegrenztes als Begrenztes; beides aber gehört zu dem Unmöglichen. Man sieht also, daß irgendwo stillstehen wird, und nicht ins Unbegrenzte vorwärts geht das stets von einem Andern Bewegtwerden, sondern es etwas geben wird, welches zuerst sich bewegt. Kein Unterschied aber braucht gemacht zu werden, wenn auch durch irgend eine Voraussetzung dieß bewiesen wird. Denn war das Mögliche gesetzt, so durfte nichts Unstatthaftes daraus folgen.

Quelle:
Aristoteles: Physik. Leipzig 1829, S. 173-176.
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