Erstes Capitel

[191] Ist einst geworden die Bewegung, da sie zuvor nicht war, und geht sie wiederum unter, so daß sich nichts bewegt: oder ward sie weder, noch geht sie unter, sondern war stets und wird stets sein; und kommt dieß unsterblich und unaufhörlich allem was ist, zu; wie ein Leben inwohnend allem, was von Natur besteht? Daß es nun Bewegung gebe, sagen Alle, die über Natur etwas sprechen; indem sie eine Welt erbauen, und über Werden und Vergehen alle ihre Betrachtung ist: welches nicht statt finden kann, wenn es keine Bewegung giebt. Aber welche sagen, daß es unbegrenzt viele Welten giebt, und daß sie einen werden, die andern vergehen von diesen Welten: diese sagen, daß es stets Bewegung gebe. Denn nothwendig muß die Entstehung und der Untergang derselben mit Bewegung verbunden sein. Welche aber Einen und immer, oder Einen und nicht immer: diese setzen auch von der Bewegung Entsprechendes voraus. – Wenn es nun möglich ist, daß nichts sich bewege, so müßte dieß auf doppelte Weise sich begeben: entweder, wie Anaxagoras spricht: es sagt nämlich jener, daß, indem Alles zusammen war und ruhte in der unbegrenzten Zeit, habe Bewegung darin hervorgebracht der Gedanke, und es geschieden; oder wie Empedokles, daß theilweise Bewegung statt finde, theilweise[191] Ruhe; Bewegung, wenn die Freundschaft aus Vielem das Eine hervorbringe, oder die Feindschaft Vieles aus Einem; Ruhe aber in den Zeiten dazwischen. Er sagt so:


Wenn durch Macht der Natur aus Mehreren Eines,

Und wenn wieder durch Trennung des Eins die Mehreren werden,

Dann entstehen die Dinge; nicht haben sie ewige Dauer.

Aber wiefern stets wiederkehrt unablässiger Wechsel,

Sofern sind unbeweglich sie stets, in Gestalt eines Kreises.


Denn das: unablässiger Wechsel, ist von der Veränderung der Richtung zu verstehen. – Es ist also hierüber zu untersuchen, wie es sich verhält. Denn es ist von Wichtigkeit, nicht nur für die Betrachtung über die Natur, die Wahrheit zu sehen, sondern auch für die Untersuchung über den ersten Anfang. Beginnen wir zuvörderst mit dem, was wir früher in den Büchern von der Naturwissenschaft ausgemacht haben. Wir sagen nun: die Bewegung sei die Wirksamkeit des Beweglichen, wiefern es beweglich. Es müssen also vorhanden sein die Dinge, welche bewegt werden können in Bezug auf eine jede Bewegung. Auch abgesehen aber von dieser Erklärung der Bewegung würde jedermann als nothwendig zugeben, daß sich bewege das, was fähig ist sich zu bewegen, in Bezug auf jede Bewegung; z.B. sich umbilde das Umbildsame; den Ort verändere das räumlich Bewegliche. So daß etwas eher brennbar sein muß als brennen, und eher des Zündens fähig als zündend. Müssen nun nicht auch diese Eigenschaften entweder entstehen, da sie früher nicht waren, oder ewig sein? Wenn nun also einst ward jedes der beweglichen und zum Bewegen fähigen Dinge, so muß vor der angenommenen eine andere Bewegung und Veränderung geschehen sein, nach welchen es fähig ward, zu bewegen oder sich zu bewegen. Wenn sie aber als seiende[192] stets vor dem Dasein der Bewegung vorhanden waren, so ergiebt sich auch hieraus etwas Widersinniges für den Betrachter. Allein noch mehr muß dieß , wenn man noch weiter fortgeht, begegnen. Wenn nämlich Einiges beweglich ist, Anderes zum Bewegen geschickt, und bald etwas zuerst Bewegendes ist, das andere aber Bewegtes, bald aber nichts, sondern es ruht: so muß dieses zuvor sich verändert haben. Denn es war eine Ursache der Ruhe. Die Ruhe nämlich ist Verneinung der Bewegung. So daß also vor der ersten Veränderung es eine frühere Veränderung geben wird. Einiges nämlich bewegt nur auf einerlei Art; Anderes aber nach den entgegengesetzten Bewegungen. Z.B. das Feuer wärmt, kältet aber nicht. Die Erkenntniß hingegen scheint von den Gegensätzen nur Eine zu sein. Es scheint nun wohl auch dort etwas statt zu finden von ähnlicher Art. Das Kalte nämlich wärmt, indem es sich abwendet und entfernt, gleichwie auch freiwillig irrt der Wissende, wenn er einen verkehrten Gebrauch macht von seiner Einsicht. Aber nun, was fähig ist zu thun und zu leiden, und zu bewegen oder bewegt zu werden, ist nicht überhaupt fähig, sondern wenn es auf gewisse Weise sich verhält und sich einander nähert. Also wenn sie sich nähern, so bewegt das eine, und das andere wird bewegt; und wenn dieß vorhanden ist, daß das eine zur Bewegung geschickt, das andere aber beweglich ist. Wenn sie also nicht stets sich bewegten, so erhellt, daß sie sich nicht so verhielten, als fähig, das eine zu bewegen, das andere bewegt zu werden; sondern es müßte eine Veränderung statt finden mit dem einen davon. Es muß nämlich mit dem, was in einem Verhältniße besteht, sich dieses zutragen; z.B. wenn etwas erst ein Doppeltes war, und nun nicht ein Doppeltes ist, so muß es sich verändert haben; oder wenn nicht beides, doch eines von beiden. Es wird also eine Veränderung geben, die eher ist als die erste. – Ueberdieß aber wie soll ein Früher und Später statt finden,[193] wenn es keine Zeit giebt, oder die Zeit, wenn es keine Bewegung giebt? Wenn aber die Zeit ist Zahl von Bewegung oder eine gewisse Bewegung, und stets Zeit ist, so muß auch stets Bewegung sein. Allein über die Zeit zeigt es sich, daß außer Einem, Alle sich einstimmig verhalten. Daß sie nämlich ohne Anfang sei, sagen sie. Und hiedurch zeigt Demokrit, daß nicht kann Alles entstanden sein. Denn die Zeit sei ohne Anfang. Platon allein aber läßt sie entstehen. Zugleich nämlich mit dem Himmel sei sie entstanden; der Himmel aber sei entstanden, sagt er. Wenn es nun unmöglich ist, daß da sei, und daß gedacht werde eine Zeit ohne das Jetzt; das Jetzt aber eine Mitte ist und was Anfang und Ende zusammen hat, aber Anfang zwar der zukünftigen Zeit, Ende aber der vergangenen: so folgt die Nothwendigkeit, daß die Zeit immer sei. Denn das Aeußerste der als letzte angenommenen Zeit wird in einem der Jetzt sein. Denn nichts läßt sich setzen in der Zeit außer dem Jetzt. Also weil Anfang und Ende ist das Jetzt, so muß nach beiden seiner Seiten hin stets Zeit sein. – Aber wenn Zeit, so ist ersichtlich, daß auch Bewegung sein muß, dafern die Zeit ein Zustand der Bewegung ist. Dasselbe gilt auch von dem Unvergänglichsein der Bewegung. Gleichwie bei dem Entstehen der Bewegung es sich ergab, daß eine frühere Veränderung war als die erste, so hier eine spätere als die letzte. Denn nicht zugleich wird etwas aufhören, bewegt und beweglich zu sein, oder brennend oder brennbar (denn es kann etwas brennbar sein, ohne zu brennen), noch zum Bewegen geschickt und bewegend. Und das Vergängliche wird untergegangen sein müssen, wenn es untergeht; und das, was dessen Untergang bewirken kann, wiederum nachher. Denn auch der Untergang ist eine Veränderung. Wenn nun alles dieß unmöglich ist, so erhellt, daß Bewegung ewig ist, und nicht bald war, bald aber nicht. Und es scheint auch, so zu sprechen, mehr eine Erfindung zu sein. Eben[194] so auch, zu sagen, daß es natürlicher Weise so ist, und dieß für den Anfang gehalten werden muß: was Empedokles etwa zu sagen scheint, daß das theilweise Bezwingen und Bewegen als die Freundschaft und die Feindschaft in den Dingen aus Nothwendigkeit vorhanden ist; Ruhe aber in der Zeit dazwischen statt finde. Vielleicht möchten auch diejenigen, die Einen Anfang annehmen, wie auch Anaxagoras, so sprechen. Allein nichts ist ungeordnet von dem, was von Natur oder naturgemäß ist. Denn die Natur ist Allem Ursache der Ordnung. Das Unbegrenzte nun steht zu dem Unbegrenzten in keinem Verhältniß. Alle Ordnung aber ist ein Verhältniß. Unbegrenzte Zeit aber hindurch zu ruhen, dann einmal sich zu bewegen, ohne daß ein Unterschied vorhanden ist, warum jetzt mehr als vorher, noch wiederum irgend eine Ordnung haben, ist nicht mehr der Natur Werk. Denn entweder einfach verhalten muß sich das was von Natur ist, und nicht bald so, bald anders; wie z.B. das Feuer nach oben von Natur sich bewegt, und nicht das einemal zwar, anderemal aber nicht; oder in einem Verhältniße stehen, sofern es nicht einfach ist. Darum ist es besser, wie Empedokles und wenn sonst ein Anderer sagt, daß es so sich verhalte, daß theilweise das Ganze ruhe, und wiederum sich bewege. Denn eine gewisse Ordnung schon hat so etwas. Aber auch dieß muß, wer es sagt, nicht bloß aussprechen, sondern auch den Grund davon angeben, und nichts setzen noch behaupten als grundlosen Satz, sondern entweder durch Beispiele oder durch Schlüsse es beweisen. Denn das selbst ist nicht der Grund, was angenommen wird; noch war dieß das Sein der Freundschaft oder der Feindschaft: sondern von der einen das Zusammenführen, von der andern das Scheiden. Wenn aber in der Bestimmung hinzugesetzt wird das Theilweise, so ist zu sagen, wobei es sich so verhält, z.B. daß etwas ist, was die Menschen zusammenführt, die Freundschaft, und daß einander die[195] Feinde fliehen. Hievon nämlich wird angenommen, daß es auch in dem Ganzen so sei; denn es zeigt sich bei Einigem so. Auch das: zu gleicher Zeit aber, bedarf gleichfalls der Angabe eines Verhältnisses. Ueberhaupt nun für einen hinreichenden Anfang es zu halten, daß es stets so ist oder geschieht, ist keine sich richtig verhaltende Annahme; worauf Demokrit zurückführt die die Natur betreffenden Ursachen, daß es auch sonst geschah. Von dem Stets aber hält er es nicht für nöthig, einen Anfang aufzusuchen. So spricht er denn über Einiges richtig; sieht man aber auf das Ganze, nicht richtig. Denn auch das Dreieck hat zwei Rechten stets seine Winkel gleich; aber dennoch giebt es von dieser Ewigkeit einen andern Grund. Von den Anfängen jedoch giebt es keinen andern Grund, die gleichfalls ewig sind. Daß nun keine Zeit war, noch sein wird, da es keine Bewegung gab oder geben wird: darüber mag so viel gesagt sein.

Quelle:
Aristoteles: Physik. Leipzig 1829, S. 191-196.
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