Fünftes Capitel

[206] Dieses aber wirkt doppelt. Entweder nämlich bewegt nicht durch sich das Bewegende selbst, sondern durch ein Anderes, welches bewegt das Bewegende; oder durch sich selbst. Und dieß entweder zunächst nach dem Letzten, oder durch mehres; z.B. der Stab bewegt den Stein, und wird bewegt von der Hand, welche bewegt wird von dem Menschen. Dieser aber nicht mehr dadurch, daß er von einem Anderen bewegt wird. Von beiden nun sagen wir, sie bewegen; sowohl von dem letzten als von dem ersten Bewegenden, aber mehr von dem ersten. Denn jenes bewegt das letzte, aber nicht dieses das erste. Und ohne das erste wird das letzte nicht bewegen, wohl aber jenes ohne dieses. Z.B. der Stab wird nicht bewegen, wenn der Mensch nicht bewegt. Wenn nun alles was sich bewegt, von etwas bewegt werden muß, so entweder von dem, was bewegt wird von einem Anderen, oder nicht. Und wenn von einem anderen, das bewegt wird, so muß ein zuerst Bewegendes sein, das nicht wieder von einem Anderen bewegt wird. Wenn aber so etwas das Erste ist,[206] so braucht es nicht ein Anderes zu sein. Denn es kann nicht ins Unbegrenzte gehen das was bewegt und selbst von einem Anderen bewegt wird: denn von dem Unbegrenzten ist nichts ein Erstes. Wenn nun alles was sich bewegt, von etwas bewegt wird; das zuerst Bewegende aber bewegt zwar wird, nicht aber von einem Anderen: so muß dieses von sich selbst bewegt werden. – Uebrigens kann man auch folgendergestalt auf dieselben Sätze kommen. Alles was bewegt, bewegt etwas und mit etwas. Entweder mit sich selbst bewegt das Bewegende, oder mit etwas Anderem; z.B. der Mensch mit sich selbst, oder mit dem Stabe, und der Wind wirft etwas herunter, entweder er selbst oder der Stein, den er trieb. Unmöglich aber kann ohne das was mit sich selbst bewegt, bewegen das mit dem etwas bewegt. Wenn aber etwas anderes ist das mit dem etwas bewegt, so wird es etwas geben, was nicht mit etwas, sondern mit sich selber bewegt; oder man geht ins Unbegrenzte. Wenn nun etwas das bewegt wird, bewegt, so muß man stillstehen, und nicht ins Unbegrenzte gehen. Wenn nämlich der Stab bewegt, weil er bewegt wird von der Hand, so bewegt die Hand den Stab. Wenn aber diese ein Anderes bewegt, so giebt es auch für diese etwas anderes Bewegendes. Wenn also mit etwas stets ein anderes bewegt, so muß es zuvor etwas geben, das mit sich selber bewegt. Wenn nun dieses zwar bewegt wird, nicht aber ein anderes ist, welches es bewegt, so muß es sich selbst bewegen. So daß auch nach dieser Beweisführung entweder sogleich das Bewegte von dem sich mit sich selbst Bewegenden bewegt wird, oder irgend einmal auf ein solches zurückkommt.

Ueber das Gesagte wird auch noch, wenn man es folgendergestalt untersucht, Dasselbe sich ergeben. Wenn nämlich von einem Bewegten alles Bewegte bewegt wird, so hängt entweder dieß den Dingen nebenbei an, so daß zwar das Bewegte bewegt, nicht jedoch weil es selbst bewegt wird[207] stets; oder nicht, sondern an und für sich. Zuvörderst nun wenn nebenbei, so ist nicht nothwendig, daß bewegt werde das was bewegt wird. Wenn aber dieß, so erhellt, daß es sich denken ließe, daß einst nichts von dem was ist, bewegt wird. Denn nicht ist nothwendig das Beiläufige, sondern fähig, nicht zu sein. Wenn wir nun setzen, daß dieß möglich sei, so ergiebt sich nichts Unmögliches, vielleicht aber etwas Falsches. Allein, daß Bewegung nicht sei, ist unmöglich. Denn es ist dieß vorhin gezeigt worden, daß Bewegung immer sein muß. Und ganz folgerichtig hat dieß sich ergeben. Dreierlei nämlich muß es geben: das Bewegte, das Bewegende, und das, womit es bewegt. Das Bewegte nun muß zwar bewegt werden; zu bewegen aber braucht es nicht. Das aber, womit es bewegt, muß sowohl bewegen, als bewegt werden. Denn es verändert sich dieses zugleich mit, indem es zusammen mit dem Bewegten und eben da ist. Es erhellt aber dieß aus dem was räumlich bewegt. Denn berühren muß es bis zu einer gewissen Stelle. Das Bewegende aber verhält sich so, daß es, wiefern es nicht das ist, womit es bewegt, unbeweglich ist. Da wir aber das Letzte sehen, was zwar bewegt werden kann, nicht aber einen Ursprung der Bewegung hat, und was zwar bewegt wird, aber von einem Anderen, und nicht von sich selbst, so ist es wohl begründet, um nicht zu sagen nothwendig, daß es auch ein Drittes gebe, was bewegt, indem es selber unbeweglich ist. Darum spricht auch Anaxagoras richtig, wenn er sagt, daß der Gedanke nicht leiden noch sich vermischen könne; da er ihn zum Ursprung der Bewegung macht. So nämlich allein könnte er bewegen, indem er unbeweglich, und bezwingen, indem er unvermischbar ist. – Allein wenn nicht nebenbei, sondern aus Nothwendigkeit bewegt wird das Bewegende; dafern aber es nicht bewegt würde, auch nicht bewegte: so muß das Bewegende, wiefern es bewegt wird, entweder dergestalt bewegt werden, wie nach[208] derselben Art, der Bewegung oder nach einer andern. Ich meine aber, daß entweder das Wärmende auch selbst gewärmt werden, und das Heilende geheilt werden, und das räumlich Bewegende bewegt werden, oder das Heilende räumlich bewegt werden, das räumlich Bewegende aber vermehrt werden muß. Aber offenbar ist dieß unmöglich. Denn man muß, bis zu dem Untheilbaren in der Theilung fortgehend, sagen, z.B. daß, wenn etwas messen lehrt, dieses Nämliche auch messen lerne, oder wenn etwas wirft, es auch geworfen werde nach der nämlichen Weise des Wurfes; oder so nicht, sondern nach einer andern Gattung der Bewegung: z.B. das räumlich Bewegende werde vermehrt, das dieses Vermehrende aber umgebildet von einem Anderen, das dieses Umbildende aber erleide wiederum eine andere Bewegung. Aber man muß irgendwo stehen bleiben, denn begrenzt sind die Bewegungen. Wiederum aber umzubeugen, und zu sagen, daß das Umbildende räumlich bewegt werde, wäre dasselbe, wie wenn man sogleich sagte, das räumlich Bewegende werde räumlich bewegt, und belehrt der Lehrende. Denn es ist klar, daß bewegt wird auch von dem weiter aufwärts Bewegenden das Bewegte, und zwar mehr noch von dem, was früher ist unter dem Bewegenden. Allein dieses nun ist unmöglich. Denn es folgt dann, daß das Lehrende lernt; von welchen beiden nothwendig das Eine Wissenschaft nicht hat, das Andere sie hat. Noch mehr aber als dieß ist widersinnig, daß folgt, alles zum Bewegen Geschickte sei beweglich, wofern alles Bewegte von einem Bewegten bewegt wird. Es wird nämlich dann beweglich sein. Wie wenn man sagte, daß alles zum Heilen Geschickte und Heilende auch heilbar sei, und das zum Bauen Geschickte auch baulich, entweder sogleich, oder durch Mehres hindurch. Ich meine es aber so, wie wenn beweglich zwar durch Anderes alles zum Bewegen Geschickte, aber nicht nach derjenigen Bewegung beweglich, in Bezug auf die es selbst das[209] Nächste bewegt, sondern nach einer andern, z.B. das zum Heilen Geschickte lernbar. Aber indem dieß so zurückgeht, wird es wiederum auf dieselbe Art kommen, wie wir vorhin sagten. Das eine hievon nun ist unmöglich, das andere träumerisch. Denn sonderbar wäre es, wenn das zum Umbilden Geschickte nothwendig vermehrbar sein sollte. – Nicht also braucht stets bewegt zu werden das Bewegte von einem Andern, welches ebenfalls bewegt wird. Es wird also ein Stillstand eintreten: so daß entweder von einem Ruhenden bewegt wird das zuerst Bewegte, oder sich selber bewegt. – Allein auch wenn man untersuchen müßte, ob Ursache und Ursprung der Bewegung das sich selbst Bewegende oder das von einem Andern Bewegte, so würde Jeder jenes nennen. Denn was an und für sich selbst Ursache ist, geht stets voran dem, was es nach einem Andern ist.

So haben wir denn dieses zu untersuchen, indem wir von einem anderen Anfang ausgehen: wenn etwas sich selbst bewegt, wie es bewegt, und auf welche Weise. Es muß doch wohl alles Bewegte theilbar sein in stets Theilbares. Dieses nämlich ist gezeigt worden zuvor in den allgemeinen Betrachtungen über die Natur, daß alles an und für sich Bewegte stetig ist. Unmöglich nun kann das sich selber Bewegende allenthalben sich selbst bewegen. Denn es würde dann zwar räumlich bewegt werden und bewegen nach derselben Bewegung, indem es Eins ist und untheilbar an Art, und umgebildet werden und umbilden. Also würde es lehren und belehrt werden zugleich, und heilen und geheilt werden in Bezug auf die nämliche Heilung. – Ferner ist die Bestimmung gegeben, daß bewegt wird das Bewegliche. Dieß aber ist das der Möglichkeit nach Bewegte; nicht der Wirklichkeit nach. Was aber der Möglichkeit nach, geht in die Wirklichkeit. Es ist aber die Bewegung unvollendete Wirklichkeit des Beweglichen. Was aber bewegt, ist schon der That nach: z.B. es wärmt das Warme, und überhaupt zeugt, was die Formbestimmung[210] hat. Also würde zugleich Dasselbe, und in derselben Hinsicht warm sein und nicht warm. Eben so auch alles Andere, bei welchem das Bewegende dasjenige hat, wovon es den Namen trägt. Ein Theil also bewegt, der andere wird bewegt, dessen, was sich selber bewegt. – Daß es aber nicht dergestalt sich verhält mit dem sich selber Bewegenden, daß jeder Theil von dem andern bewegt wird, ergiebt sich hieraus. Es würde nämlich gar kein zuerst Bewegendes geben, wenn jeder Theil bewegen sollte den andern. Denn das Frühere ist mehr Ursache des Bewegtwerdens als das darauf Folgende, und bewegt mehr. Doppelt nämlich konnte etwas bewegen: das Eine, indem es selbst von einem Andern bewegt ward, das Andere, indem es von sich selber. Näher aber ist das dem Bewegten Fernere dem Ursprung, als das dazwischen. – Ferner braucht nicht das Bewegende bewegt zu werden, wenn nicht von sich selbst. Nebenbei also bewegt entgegen das andere. So nehme ich nun an, daß es unmöglicherweise nicht bewegen könne. Es wäre also, das eine Bewegtes, das andere Bewegendes unbeweglich. Ferner braucht nicht das Bewegende hinwiederum bewegt zu werden, sondern entweder ein Unbewegliches muß bewegen, oder etwas, das von sich selbst bewegt wird; dafern es stets Bewegung geben muß. Ferner in Bezug auf welche Bewegung es bewegt, würde es auch bewegt werden: so daß das Wärmende gewärmt würde. – Allein auch nicht von dem zuerst sich selbst Bewegende wird weder ein Theil, noch mehr ein jeder sich selbst bewegen. Denn wenn das Ganze von sich selbst bewegt wird, so wird es entweder von einem Theile seiner bewegt werden, oder als Ganzes von dem Ganzen. Wenn nun also dadurch, daß ein Theil von sich selbst bewegt würde, so wäre dieser das zuerst sich selber Bewegende. Denn abgetrennt würde dieser sich selbst bewegen, das Ganze aber nicht mehr. Wenn es aber als Ganzes von dem Ganzen bewegt wird,[211] so würden nebenbei die Theile sich selber bewegen. Also wenn nicht nothwendig, so setze man, sie werden nicht von sich bewegt. Von dem Ganzen also wird ein Theil bewegen und unbeweglich sein; der andere aber bewegt werden. Denn nur so vermag etwas mit selbstständiger Bewegung zu sein. – Ferner wenn die ganze Linie sich selbst bewegt, so wird ein Theil von ihr bewegen, der andere bewegt werden. Die A B also wird von sich selbst bewegt werden und von der A. Da aber bewegt, Einiges als bewegt von einem Andern, Anderes aber als unbewegliches, und bewegt wird, Einiges als zugleich bewegend, Anderes ohne etwas zu bewegen: so muß das sich selber Bewegende aus Unbeweglichem bestehen, aber Bewegendem, und sodann aus Bewegtem, nicht aber nothwendig Bewegendem, sondern wie es sich trifft. Es sei nämlich A bewegend, aber unbeweglich, B bewegt von A und bewegend das C, dieses aber bewegt von B, nicht aber selbst irgend etwas bewegend. Denn wenn man auch oft durch Mehres erst zu dem C gelangt, so sei gesetzt doch nur durch Eines. Das ganz A B C nun bewegt sich selbst; aber wenn ich C wegnehme, so wird A B zwar sich selbst bewegen, denn A ist Bewegendes, B aber Bewegtes; C aber wird nicht sich selbst bewegen, noch überhaupt bewegt werden. Allein auch nicht die B C wird sich selbst bewegen ohne A. Denn B bewegt, weil es bewegt wird von einem Anderen, nicht weil von einem Theile seiner. A B allein also bewegt sich selbst. Nothwendig also hat das sich selbst Bewegende auch das Bewegende aber Unbewegliche, so wie das Bewegte aber nichts mit Nothwendigkeit Bewegende. Berühren aber werden sie entweder einander gegenseitig, oder eines das andere. Wenn nun stetig ist das Bewegende (denn das Bewegte muß stetig sein): so erhellt, daß das Ganze sich selbst bewegt, nicht weil ein Theil von ihm so beschaffen wäre, sich selbst zu bewegen; sondern das Gesammte bewegt[212] sich selbst, bewegt und bewegend, weil ein Theil von ihm das Bewegende und das Bewegte ist. Denn nicht das Ganze bewegt, noch wird bewegt das Ganze, sondern es bewegt A, es wird aber bewegt B allein, C aber von A nicht mehr. Denn dieß wäre unmöglich. – Einen Zweifel aber erleidet es, ob, wenn man wegnimmt entweder von der A ( dafern stetig ist das Bewegende aber Unbewegliche ), oder von der B, der bewegten, die übrige A bewegen, oder die übrige B bewegt werden wird. Denn wäre dieß, so wäre nicht zuerst von sich selbst bewegt die A B. Oder hindert vielleicht nichts, daß zwar die Möglichkeit nach beides oder das eine, das Bewegte, theilbar sei, der Wirklichkeit nach aber untheilbar? daß es vielmehr, wenn es getheilt ist, nicht mehr dieselbe Kraft habe? so daß nichts hindert, daß es der Möglichkeit nach Theilbarem zunächst inwohne. – Erstlich also ist hieraus, daß das zuerst Bewegende ein Unbewegliches ist. Denn mag sogleich zurückgeführt werden das Bewegte aber von etwas Bewegte, auf das erste Unbewegliche, oder auf ein Bewegtes zwar, aber sich selber Bewegendes und Letztes: so ergiebt sich auf beide Weise, daß das zuerst Bewegende in allem was bewegt wird, unbeweglich ist.

Quelle:
Aristoteles: Physik. Leipzig 1829, S. 206-213.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Physik
Aristoteles' Werke: Griechisch und Deutsch und mit sacherklärenden Anmerkungen. Band I. Acht Bücher Physik
Die Lehrschriften / Physik / Kleine Schriften zur Physik und Metaphysik
Philosophische Bibliothek Band 380: Aristoteles' Physik - Vorlesung über Natur - Erster Halbband: Bücher I-IV
Physik. I. Halbband (Bücher I - IV). ( Griechisch - Deutsch)
Philosophische Bibliothek, Band 381: Aristoteles' Physik - Halbband 2: Bücher V (E)- VIII(Th)

Buchempfehlung

Droste-Hülshoff, Annette von

Gedichte (Die Ausgabe von 1844)

Gedichte (Die Ausgabe von 1844)

Nach einem schmalen Band, den die Droste 1838 mit mäßigem Erfolg herausgab, erscheint 1844 bei Cotta ihre zweite und weit bedeutendere Lyrikausgabe. Die Ausgabe enthält ihre Heidebilder mit dem berühmten »Knaben im Moor«, die Balladen, darunter »Die Vergeltung« und neben vielen anderen die Gedichte »Am Turme« und »Das Spiegelbild«. Von dem Honorar für diese Ausgabe erwarb die Autorin ein idyllisches Weinbergshaus in Meersburg am Bodensee, wo sie vier Jahre später verstarb.

220 Seiten, 11.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon