Achtes Buch

[171] Ich durfte sie in ihrer Schöne sehn

Die himmlische Enthaltsamkeit der Frommen!

In Thränen ist der Seele Sturm verschwommen,

Und jetzt, ach jetzt ist wahr vor dir mein Flehn.

Du lässest deiner Gnade Ruf ergehn,

Von Engellippen ist er mir gekommen,

Sie sangen fröhlich, ich sei aufgenommen

Und hießen mich in neuem Muth erstehn.

Ich nahm dich auf, der nie mehr ist gegangen,

Du hieltest aus in meiner schwachen Brust,

Und läßest deine Stärke mich erlangen.

Ich kost' in dir die reine Himmelslust,

In deinem Worte darf ich dich empfangen,

Und bin nur deiner Liebe mir bewußt.[171]


I.

Mein Gott, dein will ich denken in preisendem Dank, und bekennen, wie du mein dich erbarmtest! Durchströmt sollen meine Gebeine werden von deiner Liebe, und sagen: Herr, wer ist wie du? Du hast gesprengt meine Bande, und dir sei geopfert das Opfer meines Lobes. Erzählen will ich, wie du sie sprengtest, dann werden sagen Alle, die dich anbeten, so sie's hören: »Gepriesen sei der Herr im Himmel und auf Erden! Groß und wunderbar ist sein Name!« – Es hafteten in meinem Herzen deine Worte, und rings umschirmt war ich von dir. Gewis war ich deines ewigen Lebens, obwohl ich's erschaute nur wie in einem Räthsel und wie durch einen Spiegel; genommen von mir war jeder Zweifel in dein unwandelbares Wesen, aus dem jedes Wesen hervorgeht. Nicht verlangte ich, deiner gewisser zu sein, aber standhafter zu sein in dir. In meinem irdischen Leben wankte noch Alles, vom alten Sauerteige mußte mein Herz gereinigt werden. Der Heiland, der selbst der Weg ist, gefiel mir, aber noch war der Gang auf seiner engen Bahn mir widerlich. Da legtest du es mir in's Herz, und dünkte es mir gut vor meinen Augen, zu gehen zu Simplician, den ich kannte als deinen treuen Knecht, an dem offenbar war deine Gnade. Auch hatte ich über ihn vernommen, daß er von Jugend an nur dir sein Leben geweiht. Er war ein Greis geworden, und ich dachte, der hat im langen Leben voll treuen Eifers für deines Weges Nachfolge wohl viel erfahren und gelernt. Und wahrlich, so war er. Damit, das war mein Wunsch, sollte er mir zeigen, wie ein sturmvoll bedrängtes Herz, gleich dem meinen, deinen Weg zu wandeln vermöchte; denn auf verschiedene Weise gieng ihm die Menge der Kinder deiner Kirche.[173] Mein menschliches Treiben war mir misfällig und zur schweren Last geworden, und nicht mehr entflammte mich die gewohnte Lust, um in Hoffnung auf Gold und Ehren diese schwere Sklavenbürde noch zu tragen. Sie hatte ihren Reiz verloren vor deiner Süßigkeit und vor deiner Herrlichkeit deines Hauses, das ich lieben gelernt. Nur an das Weib, das mir verlobte, war ich noch festgebunden; nicht verbot mir ja dein Apostel die Ehe, obgleich er zu Beßerem rieth und so sehr wollte, daß alle Menschen wären, wie er war. Aber zu schwach, wählte ich die weichlichere Lage, und wegen dieses Einen wurde ich träger für das Uebrige und ermattete in verzehrenden Sorgen, weil mich das eheliche Leben, an dem ich haften blieb, an Dinge wieder band, die ich nicht mehr ertragen wollte. Vernommen hatte ich aus der Wahrheit Munde auch: es gäbe jungfräuliche Seelen, welche für das Himmelreich ihre Jungfrauschaft bewahrten; aber nur wer es faßen könne, möge es faßen. (Matth. 19, 12) Es sind zwar alle Menschen natürlich eitel, die von Gott nichts wißen und an den sichtbaren Gütern den nicht erkennen, der ist. Aber ich war nicht mehr in solcher Eitelkeit, überschritten hatte ich sie, und unter dem Zeugnis deiner ganzen Schöpfung hatte ich dich gefunden, unsern Schöpfer, hatte gefunden dein Wort, das Gott ist in dir und Gott ist mit dir, und durch das schuftest du Alles, was ist. Aber es gibt noch eine andere Art von Gottlosen, welche Gott erkennen und ihn nicht ehren als Gott, und ihm nicht danken, und zu diesen hatte ich mich verirrt; aber deine Rechte faßte mich und zog mich hin an den Ort, da ich genesen konnte und dein Wort vernahm: »Die Gottesfurcht ist die Weisheit. Hiob. 28, 28. Dünke dich nicht weise zu sein. Sprüchw. 3. 7. Da sie sich für weise hielten, sind sie zu Narren geworden. Röm. 1, 22.« – Da hatte ich die[174] köstliche Perle gefunden, sie war zu erkaufen um alle meine Habe, und ich stand an und zweifelte.


II.

So trat ich zu Simplician, dem väterlichen Berather des Bischofs Ambrosius, der ihn wie einen Vater liebte. Ich erzählte ihm die Umwege, auf die mich meine Irrtümer getrieben hatten; als ich aber erwähnte, ich habe einige Bücher der Platoniker gelesen, von dem ehemaligen römischen Redner Victorinus, der als Christ starb, in die lateinische Sprache übersetzt, wünschte er mir Glück, daß ich nicht in andere philosophische Schriften voll weltlichen Truges und Täuschung gerathen, während in diesen allenthalben auf Gott und auf sein ewiges Wort gedeutet werde. Hierauf, um mich zur demüthigen Nachfolge Christi zu bewegen, die den Weisen verborgen und den Unmündigen geoffenbart ist, kam er auf Victorinus selbst zu reden, mit dem er zu Rom in vertrauter Freundschaft gelebt hatte, und erzählte mir von ihm, was ich nicht verschweigen will; denn hoch zu preisen ist über diesem Mann deine Gnade. Ein hochgelehrter Greis, erfahren in allen Wißenschaften war er, hatte so viele philosophische Schriften gelesen und beleuchtet, war der Lehrer vieler angesehener Senatoren, so daß dem trefflichen Meister die in den Augen der Welt so hohe Ehre widerfuhr, daß man ihm ein Standblid auf Roms Forum errichtete. Aber bis ins Greisenalter war er ein Verehrer der Götzenbilder, und ihrem gottlosen Dienst mit ergeben, von dem beinahe der ganze römische Adel angesteckt war, durch welchen das Volk die Ungeheuer aller Arten von Göttern überkam samt dem hundsköpfigen Anrubis, welche von Aegypten stammend die altrömischen Götter Neptun, Venus und Minerva ausstachen. Aegypten war von Rom besiegt und nun betete er dessen Götter an.[175] Und Victorinus, der Greis, hatte sie so viele Jahre mit Verderben tönendem Munde vertheidigt. Und dieser Mann schämte sich nicht, einer der Unmündigen Christi, ein Säugling seines Gnadenquells zu werden, beugte den Nacken unter der Demuth Joch, und zähmte den Stolz unter der Schmach des Kreuzes! – O Herr, Herr, der du neigtest die Himmel und fuhrest herab, der du die Berge berührtest, daß sie rauchten: wie bahntest du den Eingang dir in dieses Herz? Er las, wie mir Simplician sagte, die heilige Schrift, durchforschte eifrigst alle Bücher der Christen, und dann sprach er heimlich, im Vertrauen, zu Simplician: »wiße, jetzt bin ich ein Christ!« – Jener gab ihm zur Antwort: »ich glaube es nicht und zähle dich nicht zu den Christen Zahl, es sei denn, daß ich dich in der Kirche Christi sehe.« – Victorin erwiderte lächelnd: »so machen denn die Wände den Christen aus?« – Diese Worte wiederholten sich oft bei ihnen, denn er scheute sich, seine vornehmen, den Dämonen dienenden Freunde zu beleidigen, und fürchtete ihre Feindschaft, von der er glaubte, sie würde sich in ihrem babylonischen Uebermuth auf ihn stürzen, denn sie stunden stolz, wie Libanons vom Herrn noch nicht gebrochene Cedern. Nachdem er aber durch weiteres Lesen und Forschen Stärke erlangt hatte, fürchtete er, einst von Christus vor allen seinen heiligen Engeln verläugnet zu werden, wenn er sich scheute, ihn vor den Menschen zu bekennen, fürchtete, sich schwer zu verschulden, wenn er sich des Dienstes an deinem ewigen Worte schämte, während er sich doch nicht geschämt, götzendienerisch dem Stolze der bösen Geister, als ihres Stolzes Nachahmer, sich zu ergeben, Erröthend über seine Eitelkeit und schamroth vor deiner Wahrheit, sprach er plötzlich unvermuthet zu Simplician: »laß uns zur Kirche gehen, ich will ein Christ[176] werden!« – Und jener ging mit ihm, kaum sich vor Freude faßend. Er gesellte sich zu denen, welche den ersten Unterricht empfiengen, und bald war er unter der Zahle derer, welche durch die Taufe wiedergeboren zu werden verlangten; Rom staunte und die Kirche freute sich. Die Stolzen knirschten mit den Zähnen in ohnmächtiger Wuth, aber du, Herr, bliebtest seine Hoffnung und nimmer kehrte er sich an den alten, unsinnigen Trug. Und als die Stunde kam, in der er seinen Glauben bekennen sollte – von erhabener Stätte, im Angesicht des glaubigen Volkes, geschieht dieß in Rom nach einer auswendig gelernten Formel von denen, die deiner Gnade nahen wollen – so wurde von den Geistlichen ihm der Antrag gemacht, sein Bekenntniß heimlich anzuhören, wie man das oft Solchen zugestand, von welchen man fürchtete, sie möchten sich unsicheraus Schüchternheit benehmen; er aber zog es vor, sich zu seinem Heil öffentlich vor der Gemeinde der Heiligen zu bekennen. Denn das Heil war es nicht, das er sonst als Lehrer der Beredsamkeit lehrte, und doch hat er das öffentlich gethan; wie sollte er, zu deinem Worte sich bekennend, deine sanfte Heerde scheuen, der einst bei seinen Vorträgern die Horde der Unsinnigen nicht gescheut! Als er daher die erhöhte Stätte bestieg, um sein Bekenntniß abzulegen, riefen sich Alle, die ihn kannten, glückwünschend und mit lautem Jubel seinen Namen zu; und wer war da, der ihn nicht gekannt hätte? Und Victorinus, Victorinus! schallte es einstimmig aus der Freudigen Munde. Plötzlich wie sie ihn sahen, brach ihr Jubel aus, und plötzlich schwiegen sie, um ihn zu hören. Mit hoher Zuversicht legte er das Bekenntnis des wahrhaftigen Glaubens ab. Da zogen ihn alle ins freudig jauchzende Herz hinein, und ihre Liebe und ihre Freude waren ihre umschlingenden Arme.
[177]

III.

O mein gütiger Gott, wie kommt es, daß sich der Mensch mehr des Glücks seiner Seele freut, wenn sie nimmer darauf hoffte und von großer Gefahr befreit wurde, als wenn sie immer ohne je in große Gefahr gekommen zu sein, gehofft hatte? Auch du ja, erbarmender Vater, freust dich mehr über den Sünder, der zurückkehrt, als über neun und neunzig Gerechte die der Buße nicht bedürfen. Und wir hören mit Wonne vom verirrten Lamm, das der treue Hirte im Jubel seiner Freunde auf seinen Schultern zurückbrachte, und wie unter der Mitfreude der Nachbarn das Weib den wiederfundenen Groschen zu ihrem Schatze legte. Thränen entlockt uns die festliche Freude deines Hauses, da wir in deinem Hause von jenem jüngeren Sohne lesen: er war todt und ist wieder lebendig geworden. Er war verloren und wurde wieder gefunden. Ja, du freuest dich in uns und in deinen Engeln, die da geheiligt sind durch heilige Liebe. Du bist immer derselbe, und kennst das, was weder immer ist, noch stets dasselbe ist, doch immer nur auf gleich Weise. Warum nun freut sich die Seele mehr des Geliebten, das sie wieder findet, als dessen, das sie stets besaß? Daß dem so ist, zeigen alle menschlichen Dinge. Es triumphirt der siegbeglückte Feldherr und hätte ohne Kampf nicht gesiegt; je größer seine Schlachtgefahr, desto größer ist seine Siegesfreude. Den Seefahrer peitschen die Stürme, der Schiffbruch droht; erblaßt erwarten alle ihr ende, aber ruhig werden Luft und Meer, und ohne Maaß, wie ihre Furcht war, ist ihre Freude. Ein Freund ist erkrankt, sein fieberischer Puls ist der Anzeiger schweren Uebels, und die Herzen Aller, die ihn gesund wünschen, erkranken mit ihm; ihm wird beßer, noch wandelt er nicht mit der vorigen Kraft, und jetzt ist die Freude größer, als sie es war, da er[178] rüstig und gesund einst wandelte. Selbst ihre Vergnügungen erwerben sich die Menschen nicht durch Beschwerden, die unvermuthet und wider ihren Willen hereinbrechen, sondern durch gesuchte. Eßen und Trinken ergötzen nicht, es gehe ihnen denn die Beschwernis des Hungers und Durstes voran. Der Trunkliebende nimmt ein scharfes Reizmittel zu sich, damit ihm die Abkühlung des brennenden Schlundes im Trunk zur Lust gereiche. Die verlobte Braut gibt sich nicht alsbald dem Manne hin, damit er sie nicht gering achte, wenn er nicht zuvor nach der Zögernden seufzte. Das finden wir in der sündlichen, wie in der erlaubten Lust, ja in der reinsten Liebe, finden es in Dem, der gestorben war und wieder lebendig ward, verloren war und sich wieder fand. Allenthalben bahnt ein größere Schmerz die größere Wonne an. Wie kommt das, mein Gott, da du dir selbst die ewige Freude bist und da es Geister gibt in deiner seligen Nähe, die von nichts wißen, als von der Freude an dir? Warum wechselt bei Andern Schaden und Gewinn, sich Verlieren und Wiederfinden? Ist das die Bedingung ihres Lebens, o du, der du all deinem Guten und allen deinen heiligen Werken ihre Stätte anwiesest und ihre Zeit, von der Himmel Höhe bis zu der Erde Tiefen, vom Anfang bis zum Ende der Zeiten, vom Engel bis zum Wurm, von der ersten bis zur letzten Regung des Lebens? O wie hoch bist du in der Höhe und wie tief in den Tiefen, nirgends wendest du dich hinweg, und kaum kehren wir zurück zu dir!


IV.

Wohlan Herr, vollführe es! Rühre uns und rufe uns zurück, erhebe dich und reiße uns mit dir, entflamme uns und werd' uns wonnereich, daß wir dich lieben und zu dir eilen! Aber so Viele kehren aus einer tiefern Höhe der Verblendung[179] zu dir zurück, als Victorinus, erheben sich in deines Lichts Empfang, das sie zu deinen Kindern macht; doch wenn sie weniger berühmt im Volke sind, so freuen sich ihrer Rückkehr selbst ihre Bekannten weniger. Ist aber die Freude vielfach, so wird sie auch reichlicher in den Einzelnen, weil einander Alle wechselweise mit ihr durch bringen. Sind daher die Rückkehrenden Vielen bekannt, so wirkt ihr Beispiel in Vielen das Heil, und gehen sie zu ihm Vielen voran; darum freuen sich ihrer so reichlich auch Diejenigen, die selbst schon vorangiengen, denn sie haben sich nicht über sie allein zu freuen. Aber mit Nichten nimmst du die Reichen vor den Armen und die Vornehmen vor den Niedringen auf in dein Heiligthum, sondern was schwach ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, daß er zu Schanden mache, was stark ist. Und das Unedle vor der Welt und das Verachtete hast du erwählet, und das da nichts ist, daß du zu Nichte machest, was etwas ist (1. Cor. 1, 28). Und doch wollte selbst der geringste Apostel, durch den du diese Worte sprachest, statt Saulus Paulus heißen, des herrlichen Sieges wegen an Paulus, dem Proconsul, dessen Stolz er durch seinen heiligen Dienst überwand, da er ihn beugte unter das sanfte Joch deines Gesalbten, und ihn zum Stadthalter eines höheren Königs machte. Denn mehr wird der Feind in dem besiegt, den er fester in Banden hielt und durch den er Viele gefangen hatte; und fester hält er die Stolzen durch ihren hohen Rang unter den Menschen, durch den so Viele an ihn gefeßelt werden. Mit je größerem Danke deiner Kinder eines Victorinus Herz schauten, das der Satan gleich einem undurchbrechlichen Vollwerke beseßen, mit je größerem Danke sie die Sprache eines Victorinus jetzt vernahmen, die Satans scharfer Pfeil gegen Viele gewesen: desto voller mußt der Jubel ausbrechen, weil unser König den Starken band, weil sie das ihm entrißene Gefäß[180] gereinigt sahen und geschickt gemacht für deine Ehre, nützlich seinem Herrn zu jedem guten Werke.


V.

Als mir Simplician, dein Heiliger, dieß von Victorius erzählte, entbrannte ich im Eifer, ihm nachzuahmen, und darum hatte er es mir auch erzählt. Dazu berichtete er mir, als zu des Kaisers Julian Zeiten ein Gesetz gegeben wurde, welches den Christen den Unterricht in Wißenschaften und Beredsamkeit verbot, habe Victorinus lieber die geschwätzige Schule verlaßen, als dein Wort, mit dem du der Unmündigen Zungen beredt machst. Da fand ich ihn nicht minder glücklich als stark, weil er nun Gelegenheit hatte, ganz dir zu leben. Und nach dem auch seufzte ich, nicht mit eisernen Ketten, nur mit meinem eisernen Willen gebunden; ach diesen hatte der Feind befangen und mir daraus dir umwindende Kette geschmiedet. Denn aus verkehrtem Willen entsteht böse Begierde und wird dieser gefröhnt, so wird sie zur Gewohnheit, die, wenn man ihr nicht widersteht, sich in Nöthigung verschlimmert. Dieß waren die Ringe der Ketten, die mich in harter Knechtschaft hielt. Der neue Wille aber, mit dem ich begann, dich dankbar zu ehren, mit dem ich verlangte, dein zu genießen, o Gott, der du allein wahre Wonne bist, der war noch nicht stark genug, um den alten durch Gewohnheit erstarkten, Willen zu überwinden. Zwei Willen bestritten sich in mir,[181] ein neuer und ein alter, jener geistig, dieser fleischlich, und verwirrten in Zwietracht meine Seele; und so mußte ich an mir erfahren, wie das Fleisch wider den Geist und den Geist wider das Fleisch gelüstet. Von beiden wurde ich gehalten, dort mehr von dem, das ich billigte, als hier von dem, das ich misbilligte; auch war ich hier es nicht selbst mehr, da ich des Fleisches Gelüsten mehr wider Willen litt, als mit willen übte. Aber durch mich ward die Gewohnheit so mächtig in mir, und hatte mich in meinem Willen zu dem gerißen, was ich nicht wollte. Wer wollte sich daher beschweren, wenn dieß als seiner Sünden gerechte Strafe folgt? Nicht mit deiner Wahrheit unsicherer Erkenntnis konnte ich mich entschuldigen, daß ich fortfuhr, statt dir, der Welt zu dienen; denn heil und sicher war deine Wahrheit mir geworden. Gebunden an die Welt zögerte ich, in deine Dienst zu treten, und fürchtete so mich von allen Hindernissen loszureißen, wie diese Hindernisse selbst zu fürchten sind. So lag der Welt Last sanft, wie auf einem Schlafen den, auf mir, und die Gedanken, womit ich dein gedachte, waren gleich dem Streben derer, die gern aufstehn möchten, und von des Schlummers Macht gehalten wieder zurückfinden. Obwohl der Mensch oft verschiebt, den Schlaf abzuschütteln, indem große Schläfrigkeit auf seinen Glieder liegt, die zu der Zeit des Aufstehens selbst wider Willen ihr festbannt: so ist doch Keiner, der immer schlafen möchte, denn nach gesundem Urteil ist Wachen beßer; und ebenso war ich gewiß, beßer wäre es, mich deiner Liebe zu ergeben, als meinen Lüsten nachzugehen. Aber jenes gefiel und behiehlt Recht, dieß wirkte Lust und feßelte. Keine Antwort hatte ich auf deinem Ruf: wache auf, der du schläfst, vom Tod erstehe, so wird dich Christus erleuchten. – Du zeigtest überall, daß wahr du redest, und besiegt von der Wahrheit, hatte ich nichts zu antworten, als träge, schläfrige Worte: »sogleich, ja[182] sogleich, wart' ein wenig!« Aber das Sogleich und Sogleich hatte kein Ende, und das: wart' ein wenig! zog sich in die Länge. Vergebens hatte ich Lust an deinem Gesetze nach de inwendigen Menschen, da ein ander Gesetz in meinen Gliedern wider das Gesetz meines Geistes war, und mich gefangen führte unter das Gesetz der Sünde in meinen Gliedern. Denn das Gesetz der Sünde besteht in der bösen Macht der Gewohnheit, die den Geist auch wider seinen Willen lenkt und beherrscht, zum Lohn, daß er sich freiwillig in sie warf. Wer sollte mich Elenden retten aus dem Leibe dieses Todes, als deine Gnade durch Jesus Christus, unsern Herrn?


IV.

Loben will ich deinen Namen, Herr, du mein Helfer und Erretter, und erzählen, wie du mich befreitest von der beherrschenden Sinnenglut und dem weltlichen Treiben. Ich that, was ich zu thun mir angewöhnt, aber mein Bangen wuchs und täglich seufzte ich zu dir, deine Kirche besuchte ich, so oft es die Arbeit erlaubte, unter deren Last ich ächzte. Alypius wohnte bei mir und hatte Muße nach den Arbeiten des Rechtsgelehrten, nachdem er darin das Amt eines Besitzers bei den Gerichten begleitet hatte. Er wartete auf diejenigen, an die er seinen Rechtsbeistand verkaufen konnte, wie ich meine Beredsamkeit als Lehrer zu Kaufe bot. Nebridius hatte es uns zu Liebe gethan, daß er einem unserer vertrautesten Freunde als Lehrgehilfe beistund, nämlich dem Verekundus, einem Bürger und Litteraturlehrer in Mailand, welcher eines Beistandes gar sehr bedurfte und ihn aus unserem Kreise verlangte, sich auf sein Freundesrecht dabei berufend. Nicht durch Gewinnsucht ließ sich Nebridius überreden, er hätte für sich allein Größeres zu er reichen vermocht, sondern der sanfte, hingegeben Freund folgte[183] unserem Verlangen aus liebendem Pflichtgefühl. Und sehr weislich that er, den Weltruhm vermeidend und die damit verbundene Unruhe, denn frei und unabhängig wollte er der Herr seiner Zeit bleiben, um in dem was weise macht, sich durch Forschen, Lesen und Zuhören zu unterrichten. Einst, als ich mit Alypius zusammen war, besuchte uns Pontitian, unser Landsmann aus Afrika, der einen ansehnlichen Dienst am Hoflager bekleidete. Als wir mit ihm im Gespräche saßen, bemerkte er zufällig auf dem Tische vor uns ein Buch, öffnete es und fand, ihm unvermuthet, die Schriften des Apostels Paulus; denn er glaubte eines der Bücher über die Beredsamkeit, die mein Gewerbe war, zu finden. Lächelnd sah er mich an, verwundernd wünschte er mir Glück, weil er nun dieß, weil er kein anderes als dieß Büchlein bei mir gefunden, von dem ich ihm sagte, daß ich mich jetzt ausschließlich damit beschäftigte. Denn er war ein aufrichtiger Christ, de sich oft vor dir, o Gott, in deiner Kirche niederwarf und dich anhaltend anrief. Im Gespräch kam er auf den Antonius, den ägyptischen Mönch, dessen Gedächtnis bei deinen Verehrern in hoher Ehre steht, von dem wir aber bis dahin nichts gewußt hatten. Mit Staunen vernahmen wir, wie nahe an unsern Tagen, im ächten Glauben deiner Kirche, sich so unzweifelhaft Wunderbares ereignet habe; und ebenso staunte der Erzähler, daß wir von all dem nichts wußten. Seine Rede verbreitete sich nun weiter[184] über die Menge der Klöster, über die gottgefälligen Sitten derselben, über das Prangen ihrer Einöden in Geistesfrüchten, von welch Allem wir nichts kannten. Selbst vor Mailands Mauern war unter des Ambrosius Pflege ein solches Kloster frommer Brüder, und wir wußten nichts davon. Pontitian, nun schon einmal am Klosterleben, erzählte weiter: er habe sich einst mit dem Kaiser im Amphitheater in Trier befunden, um der nachmittägigen Spiele willen. Das habe er mit drei Freunden verlassen, um in den der Stadt nahen Gärten zu lustwandeln, wo sie sich zu zwei Paaren auf ihrem Spaziergang getrennt hätten. Die beiden Andern seien bei ihrem Umherschweifen auf eine Hütte gestoßen, die von geistlich armen Gottesdienern, derer das Himmelreich ist, bewohnt wurde; und dort haben sie eine Schrift gefunden, welche das Leben des Antonius enthalten. Als einer von ihnen in ihr las, staunte er tief bewegt, und kam unter dem Lesen auf den Gedanken, ein solches Leben zu ergreifen und den Dienst der Welt mit deinem Dienste zu vertauschen; beide waren nämlich kaiserliche Provinzialbeamte. Plötzlich erfüllt von heiliger Liebe, und in geistlicher Schaam sich selbst zürnend, warf er die Blicke auf den Freund und sprach zu ihm: »Sag du mir, wohin gelangen wir mit allen unsern Anstrengungen? Was suchen wir? Weshalb dienen wir? Ist das unsere größte Hoffnung, daß wir in näheres Verhältnis mit dem Kaiser kommen? Aber auch dann, ist da nicht Alles hinfälliger noch und gefahrvoller? Durch die vielen Gefahren streben wir nach noch größeren Gefahren? Und wann erreichen wir das Ziel? Will ich aber Gottes Freund sein, siehe, sogleich kann ich es werden!« – So sprach er und in den Geburtswehen seines neuen Lebens heftete er die Augen auf das Buch und las weiter, bis er verwandelt war im Innersten, in das du siehst, und sein Herz von der Welt befreite, wie sich bald[185] ergab. Denn während er liest und es im Herzen ihm wogt und stürmt, immer nach Beßerem ringend, und schon dein, spricht er zum Freunde: »Ich habe mich losgerißen von all unserm Hoffen, meinem Gott will ich dienen, und beginnen will ich's an diesem Ort, in dieser Stunde. Willst du mir nicht nachahmen, so sei mir nicht entgegen.« Aber jener antwortete ihm, er wolle mit ihm Ein Herz und Eine Seele werden, in solchem Dienst, um solchen Preis. So schnell wurden sie dein, und erbauten sich die Hütte, ihren sicheren Thurm vor der Welt, alles verlaßend und dir nachfolgend. Pontitian und seine Begleiter fanden sie an diesem Ort nach langem Suchen, und ermahnten sie, zurückzukehren, weil der Tag sich geneigt habe. Aber jene erzählten ihnen ihren Entschluß und die Ursache seiner Entstehung und Befestigung, und baten, sie nicht zu beschweren, wenn sie sich nicht ausschließen wollten. Diese blieben, obwohl sie selbst darüber beweinend, in ihrem alten Stande, wünschten ihnen Heil und empfahlen sich ihrem Gebete; und ihr Herz zur Erde lenkend, kehrten sie in den Palast zurück; jene aber blieben in der Hütte, das Herz zum Himmel richtend. Beide hatten Bräute, die sich nun auch dir verlobten.


VII.

Das erzählte Pontitian. Du aber, Herr, drängtest mich bei diesen Worten zu mir selbst zurück, erhobest mich, der ich mich niedergelegt hatte und nicht erheben wollte, und stelltest mich vor mich selbst, daß ich sähe, wie schändlich ich wäre, wie verwildert und verunreinigt, wie befleckt, ach, und verwundert! Ich sah und schauderte und fand den Ort nicht, wohin ich fliehen könnte vor mir selbst. Und wenn ich von mir selbst den Anblick wenden wollte, da erzählte Jener und erzählte, und du stelltest mich mir selbst wieder gegenüber, und triebest mich selbst[186] vor meinen Anblick, damit ich meine Ungerechtigkeit erkennte und haßte. Wohl kannte ich sie zuvor, aber ich entschuldigte mich, wendete mich weg von ihr und vergaß sie. Jetzt aber, je glühender ich die heiligen Regungen liebte, mit welchen sich jene deine Knechte ganz in dein Heil hingaben, um so flammender haßte ich mich, wenn ich mit ihnen mich verglich. Denn schon waren zwölf Jahre dahin, seit ich im ein und zwanzigsten Jahre meines Lebens den Hortensius des Cicero gelesen hatte und durch ihn zum Erlernen der Weisheit angeregt wurde, und noch verzog ich, mit Verachtung des Erdenglücks, mich ihr ganz zu weihen, die ich nicht nur suchen, die ich in ihrem Werth schätzen und lieben lernen sollte, selbst wenn ich alle Schätze und Reiche dieser Welt gefunden hätte und auf meine Wink mir alle sinnlichen Lüste dienten. Aber schon als Jüngling war ich elend genug, um beim Erwachen der unreinen Jugendlüste dich um die Gabe der Keuschheit und Zucht erst für eine spätere Zeit zu bitten; denn ich fürchtete, bald erhört und geheilt zu werden von der verzehrenden Sinnenglut, die ich lieber ganz erschöpfen, als erlöschen wollte. So wandelte ich auf der Sünde und des Aberglaubens Wege, ohne auf ihm Ueberzeugung zu finden, aber ihn den andren Wegen vorziehend, die ich nicht redlich suchte, sondern feindselig bekämpfte. Und ich miente mich von Tag zu Tag abzuquälen in Verachtung weltlicher Hoffnung und dir allein zu folgen, weil ich nach nichts Gewissem meinen Lauf richten konnte, bis der Tag kam, an dem ich mich sah in meiner Blöße, in dem mein Gewißen mich anrief: »Wie willst du dich entschuldigen? Wohl sagtest du so oft, weil dir die Wahrheit noch nicht gewiß sei, so wolltest du deiner Eitelkeit Bürde nicht ablegen; aber siehe, nun ist sie dir gewis und noch drückt dich die Bürde, während Solche auf die freie Schulter Flügel empfangen, die nicht, wie du, sich zehen Jahre und[187] mehr nur in thatenloses Grübeln versenken.« – So wurde von Pontitians Erzählung mein Innerstes zerrißen und von tiefster Schaam erdrückt. Wie drang in mich, was ich zu mir sprach, als er gegangen war, mit welch strafenden Gründen schlug ich meine Seele, daß sie nachkomme meinem Vorhaben, dir zu folgen? Wie sie widerstund – sie hatte keine Entschuldigung mehr, nur das stumme Zagen blieb ihr übrig, mit dem sie das Entnommenwerden aus der Todesfluth der Gewohnheit fürchtete, wie den Tod.


VIII.

Und in diesem großen Kampfe, den ich tief im Herzen gegen meine Seele aufgenommen, Sturm in den Mienen und im Herzen, breche ich gegen Alypius los und rufe aus: »Wie geschieht uns? Was ist das? Was hast du gehört? Die Ungelehrten erheben sich und reißen das Himmelreich an sich, und wir, mit unserer herzlosen Gelehrsamkeit, siehe wie wir uns wälzen in Fleisch und Blut! Schämen wir uns, weil sie es uns zuvorgethan, und schämen uns nicht, ihnen nicht zu folgen?« So ungefähr waren meine Worte; dann riß ich mich los von ihm in meiner Aufregung, der schweigend und tief ergriffen mich ansah; denn nicht sprach ich, wie ich gewöhnt war; mehr als meine Worte sprachen die glühende Stirne, Wangen und Augen und das Beben meiner Stimme die Bewegung meiner Seele aus. – Es war ein Gärtchen an unserer Miethwohnung, das uns, sowie das ganze Haus, zur Verfügung stund, denn des Hauses Wirth und Herr wohnte nicht darin; dorthin trieb mich der Aufruhr meiner Brust, daß Niemand den heißen Streit störe, in dem ich mit mir rang, bis er im Frieden endete in der Stunde, die nur die bekannt war; denn mir zum Heile diente mein kämpfender Zorn, ich starb dem Leben[188] entgegen, nur wißend, wie schlecht ich war, nicht wie gut ich werden sollte über ein Kleines. Ich begab mich in den Garten und Alypius folgte mir auf dem Fuße nach; denn er störte mich nicht in meinem tiefen Leid, und wie konnte er mich in solcher Aufregung verlaßen? Entfernt vom Hause saßen wir; ich ergrimmte im Geist, voll stürmischen Unwillens, daß ich nicht eingegangen in den vereinenden Bund mit dir, mein Gott; und alle meine Gebeine schrieen: da mußt du hin! und erhoben zum Himmel dieses Bundes Preis. Aber nicht geht man in ihn zu Schiffe, oder zu Wagen, oder zu Fuße, nicht einmal so weit, wie aus dem Hause zur Stätte, da wir saßen; denn Hingehen oder Hingelangen ist da nichts Anderes, als hingehen Wollen, aber Wollen mit ganzer Kraft, nicht zu wanken und hin und her sich zu werfen mit zerscheitertem Willen, der bald sich aufrichtet, bald niedersinkt im Kampfe. Wohl begann ich auch viel mit dem Körper in der Gluth meiner Unentschiedenheit, was die Menschen angeblich versuchen, wenn ihnen die dazu nöthigen Glieder fehlen, oder wenn diese in Fesseln geschlagen, durch Mattigkeit abgespannt oder sonst wie verhindert sind, denn der Körper drückt den Jammer der Seele aus. Wenn ich meine Haare ausraufte, meine Stirne schlug und die Knie umschlang mit gefalteten Händen, so that ich's, weil ich es wollte. So Vieles that ich, wo der Wille selbst kleiner war, als das Vermögen; warum that ich das nicht, was mir so unaussprechlich wohl gefiel, und das vermochte ich doch, sobald ich es wollte, da ja, durch innigen Willen, Wollen und Thun plötzlich eins geworden wären? So folgte mein Körper leichter dem leisesten Wink meiner Seele, als die Seele selbst ihrem hohen Willen folgte, zu dessen Ausführung sie nur des Wollens selbst bedurfte.
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IX.

Woher und warum diese Unnatürlichkeit? Laß leuchten dein Erbarmen, denn fragen will ich, ob die verborgenen Strafgerichte der Menschen und die dunklen Bedrängnisse der Söhne Adams mir Antwort geben können. Woher diese Unnatur und warum? Die Seele gebeut dem Körper, und sogleich wird ihr gehorcht; die Seele befiehlt sich selbst und ihr wird widerstanden. Die Seele befiehlt, daß die Hand sich bewegen soll, und so leicht geschieht es, daß Befehl und Folge kaum sich unterscheiden laßen. Die Seele befiehlt, daß die Seele es wollen soll, und keine andere ist's und thut es doch nicht. Woher diese Unnatur und warum? Die Seele befiehlt, daß sie es wolle, sie würde es nicht befehlen, wenn sie es nicht wollte, und doch geschieht nicht, was sie befiehlt. Aber sie will es nicht mit ganzer Kraft, daher befiehlt sie es nicht mit ihr, denn nur so weit befiehlt sie es, als sie es nicht will. Der Wille befiehlt, weil er es will und kein anderer; befiehlt er nicht mit ganzer Kraft, so hat er nicht, da er zu befehlen hätte; und befähle er mit ganzer Kraft, so brauchte er nicht zu befehlen, daß etwas geschehe, denn schon wäre es geschehen. So ist dies Schwanken zwischen Wollen und nicht Wollen nichts Unnatürliches, sonder eine Krankheit der Seele, weil sie, von der Gewohnheit belastet, sich nicht ganz an der Wahrheit Hand erheben kann. Und zweierlei Willen hat sie, weil der deine Wille nicht ihr ganzer Wille ist, und der eine nur das hat, was dem andern fehlt.


X.

Vergehen müßen vor deinem Angesicht, o Gott, als die da Eitles reden und Herzen verführen, welche, da sie zwei[190] Willen in ihres Herzen Rath vernehmen, zwei geistige Naturen, eine gute und eine böse, und zweierlei Geist behaupten. Derselbe Mensch ist böse, so lange sein Trachten böse ist, und gut, wenn er nach deiner Wahrheit trachtet, wie dein Apostel sagt: »ihr waret einst Finsterniß, und seid nun Licht im Herrn geworden.« (Eph. 5, 8) – Wollen sie Licht werden in sich und nicht in Gott, da sie wähnen, die natürliche Seele sei das, was Gott ist, so werden sie nur dichtere Finsternis, weil sie in gräulichem Stolz nur weiter weg von dir wandten, von dir, dem wahren Licht, das jeden Menschen erleuchtet, der in diese Welt kommt. Merket auf eure Rede und erröthet über sie, erhebet euch zu ihm, und ihr werdet Licht und euer Antlitz wird nimmer erröthen. – Da ich mit mir zu Rathe gieng, ob ich nun dienen wollte dem Herrn meinem Gott, wie ich so lange schon mir vorgenommen, so war ich es, der da wollte, ich, der da nicht wollte, ich, ich war es. Nicht wollte ich völlig, noch wollte ich völlig nicht; so stritt ich mit mir selbst und wurde von mir selbst verwirrt; und ob ich selbst auch diese Verwirrung nicht wollte, so kann sie doch nicht aus einem fremden Gemüthe, sie war die Strafe des meinen. Und so habe nicht ich sie versucht, sondern die Sünde, die in mir wohnte; vom ersten Sündenfalle her, denen ich war Adams Sohn. Wenn so viele einander entgegengesetzte Naturen sind, als sich Willen widersprechen, so sind nicht nur zwei, sondern mehrere. Wenn einer Anstand nimmt, ob er in den Conventikel der Manichäer oder ins Theater gehen soll, so schreien die Manichäer: da siehst du die zwei Naturen! die eine ist gut und führt dahin, die andere ist böse und führt dorthin; denn woher jenes Zaudern der beiden einander widersprechenden Willensrichtungen? In meinen Augen sind die beide schlecht, sowohl diejenige, welche in den Conventikel, als diejenige, die ins Theater will. Aber das[191] glaube sie nicht, wenn man den Willen nicht gut nennt, der zu ihnen führt. Und wie nun, wenn Einer der Unsern unter dem Streit seiner beiden Willensrichtungen mit sich beräth, ob er ins Theater gehe oder in unsere Kirche, werden nicht auch diejenigen, die ihm rathen sollen, in Ungewißheit schwanken? Entweder werden sie bekennen, was sie nicht wollen, es werde mit vollem Willen in unsere Kirche gegangen, wie es diejenigen thun, welche von ihren Gnadengütern hingerißen sich an sie gebunden fühlen, oder sie werden glauben, in einem und demselben Menschen seien zwei böse Naturen und zwei böse Gemüther mit einander im Streit, und es wird nicht wahr sein, was sie zu behaupten pflegen, daß eine Natur gut, die andere böse sei; oder sie werden sich zur Wahrheit bekehren und anerkennen, wenn Jemand mit sich zu Rathe gehe, so sei es nur eine und dieselbe Seele, welche in verschiedenen Willensrichtungen sich umtreibe. So sollen sie also nicht behaupten, wenn sie zwei einander widersprechende Willen in sich spüren, zwei verschiedene Gemüther, ein gutes und ein böses, streiten miteinander, weil sie aus zwei entgegengesetzten Grundlagen kommen. Denn du, wahrhaftiger Gott, verwirrst die und überweisest sie gleichsam an ihre beiden bösen Willen. Jemand geht mit sich zu Rathe, ob er in Menschen mit Gift oder mit dem Schwerte morden soll; ob er in dieses oder in jenes Landgut einbreche, da er nicht in beide zugleich kann; ob er in verschwenderischen Lüsten lebe oder sein Geld habsüchtig zusammenhäufe; ob er auf die Rennbahn oder in's Schauspielhaus gehe, wenn beide an Einem Tage offen sind; ob er noch zu diesen Beiden als Drittes einen gelegenen Hausdiebstahl, als Viertes einen Ehebruch begebe, der sich ihm eben darbeut; wünscht er das Alles nicht mit gleicher böser Lust, wenn er auch nicht Eines nach dem Andern üben kann, weil sie alle auf Einen Augenblick zusammenkommen? Sie zerreißen[192] sich das Herz mit dem einander widerstrebenden vier Willensrichtungen oder mit mehreren, da so vielerlei begehrt werden kann, und doch behaupten sie keine so große Zahl von Grundlagen der Seele, sondern nur ihrer zwei. Dasselbe findet statt bei guten Willen: frage ich, was besser sei, sich an Paulus, am Evangelium oder an den Psalmen mit Lesen zu erquicken, so wird man wohl von jedem sagen, es sei gut. Wie nun, wenn sie alle zu gleicher Zeit in gleichem Grad uns erfreuen? Bringen da nicht verschiedene Willensansichten das Herz mit sich selbst in Zwiespalt, wenn wir berathen, was wir zuerst ergreifen sollen? Alle sind gut und streiten doch unter sich, bis das Eine erwählt wird, an das der ganze, eine Wille komme, der zuvor in mehrere Willen getheilt war. – Wenn nun die Ewigkeit das Höhere, die Erdenlust das Niedere in uns reizt, so trifft der Reiz dieselbe Seele, die nur nicht mit ganzem, vollem Willen Dieses oder Jenes will und so zerrißen wird in schwerem Druck, das Höhere vorziehend, dessen Wahrheit sie erkannte und noch das Niedere nicht laßend, mit dem sie so vertraut ist.


XI.

So elend war ich und gequält, mich schärfer verklagend las je, mich drehend und windend an meiner Kette, bis sie ganz von mir falle, die mich nicht ganz mehr, aber doch noch fest hielt. Und du, Herr, warest in meinem verborgenen Herzen, mit strengem Erbarmen, mit der doppelten Geißel der Furcht und Scham, daß ich nicht wieder ablaße im schmerzlichen Ringen und die lockere Kette nicht wieder fester mich umschnüre. Da sprach ich zu meinem Herzen: o siehe, bald, ach bald nun wird's geschehen! Schon bekannte mein Mund meine Willigkeit, nahe war ich der That und that sie doch nicht, doch stürzte ich[193] nicht zurück in's Alte, nahe stund ich, tief aufathmend in Verlangen und Müdigkeit. Ich wiederholte den Versuch und schon war ich um ein Weniges entfernter und hielt mich schon weniger fest; ach nimmer war ich da und nimmer hielt ich mich, schwankend zwischen dem ewig tödtenden Sterben und dem ewig belebenden Leben; mehr vermochte in mir das Schlechtere, mir Angewachsene, als das Beßere, mir so Neue. Und der Augenblick, in dem ich ein Anderer werden sollte, je näher ich ihm entgegentrat, desto mehr schreckte er mich; er zog mich, ich konnte nicht nahen noch weichen. Zurück riefen mich die nichtigen Spielereien und die Eitelkeiten der eitlen Welt, meine alten Freundinnen zerrten mich an meinem Fleisch, wie an einem Kleide und lispelten: »Uns willst du von dir laßen? Und von dem Augenblick an werden wir nicht mehr bei dir sein in Ewigkeit, und von dem Augenblick an wird deine Wahl nicht frei sein in alle Ewigkeit!« – Aber, o Gott, was war es, das sie mir vorsetzten zur Wahl! Von deinem Knecht wende dein Erbarmen den Unrath weg und die Schmach, die sie mir vorsetzten. Schon hörte ich sie nimmer zur Hälfte an, schon sprachen sie, meinen Weg betretend, weniger frei zu mir, murrten nur hinter meinem Rücken, und zupften heimlich den Entweichenden, daß er zurücksehe. Aber sie verzögerten meinen Gang zu dem, der mich rief, denn die verderblichen Gewohnheit sprach: glaubst du es zu können ohne sie? Aber auch diese sprach schon läßiger, denn dorther, wohin ich mein Antlitz wandte und doch bebte hinzugehen, von dort her enthüllte sich mir die keusche Herrlichkeit der Zucht; heiter und so friedenvoll froh, so mit liebreizenden Wort mich lachend, daß ich doch komme und nicht mehr zage; nach mir breitend die segnenden Hände und die Arme all ihrer heiligen Frommen, die da umfangen und umschlugen waren, wie ich es werden sollte: Knaben und Mägdlein, der[194] Jugendlichen reiche Zahl, ach! jedes Alter, vielgeprüfte Witwen, Alte im jungfräulichen Reize, der nimmt welkt. Und in Allen, Allen die selige Keuschheit, die gesegnete Mutter der himmlischen Freuden, gezeugt mit dir, o Herr, in deinem Umfaßen. Und sie legte den heiligen Spott in ihr Mahnen, als sagte sie: »Und du vermagst nicht, was diese vermochten? Nicht durch sich haben es diese vermocht, sie vermochten es in ihrem Herrn und Gott. Ja, ihr Gott, ihr Herr hat mich ihnen gegeben. Was suchst du in dir zu beharren, und siehe, du kannst es ja doch nicht! Wirf dich hinein in ihn, fürchte dich nicht, er entzieht sich dir nicht und läßt dich nicht fallen; wirf dich in ihn im Frieden, er wird dich aufnehmen, er wird dich heilen!« – O wie mußte ich erröthen, denn noch hörte ich das Murmeln jener Nichtswürdigkeit, noch hieng ich am Zaudern. Und wieder nahte die Himmlische: »Sei taub gegen des Fleisches und der Erde Reiz und er wird ersterben. Er verheißet dir Freuden, aber die Freuden nicht, die das Gesetz des Herrn, deines Gottes hat.« – So rang und kämpfte mein Herz mit sich; staunend saß Alypius mir zur Seite, und erwartete schweigend, wohin es kommen sollte mit der ungewöhnlichen Bewegung meiner Seele.


XII.

Als sich aber aus geheimnisvollen Tiefe die ernste Betrachtung sammelte und mein Herz mein ganzes Elend schauen ließ, brach es aus in mir, wie ein nie erfahrener Sturm und löste sich auf in einem Strom von Thränen. Ihn ganz zu ergießen, mit allen seinen Lauten, erhob ich mich von des Alypius Seite; denn passender schien mir die Einsamkeit für solche Thränen. Ich entfernte mich so weit, daß mir seine Gegenwart nicht mehr lästig werden konnte. Staunend blieb ich zurück, schon zuvor bemerkend, daß zurückgehaltene Thränen meine Stimme[195] dämpften. Ich warf mich unter einen Feigenbaum nieder, da ließ ich meinen Thränen den Lauf, und ein dir wohlgefällig Opfer ergoßen sich die Quellen meiner Augen. Und Vieles rief ich zu dir, nicht mit diesen Worten, aber dieses Sinnes: »Und du, Herr, wie so lange! Wie lange, Herr, willst du zürnen! Sei nicht eingedenk unserer vorigen Missethat!« – Denn von ihr fühlte ich mich gehalten, und entsandte meine Klagelaute: »Wie lange? Wie lange? Morgen ach und wieder Morgen! Warum nicht jetzt? Warum in dieser Stunde nicht das Ende meiner Schmach?« – So reif ich und weinte bitterlich in der Zerknirschung meines Herzens. Und siehe, da höre ich eine Stimme vom benachbarten Hause her; sie klang wie die Stimme eines singenden Knaben oder Mägdleins, und wiederholte oft die Worte: »Nimm und lies! Nimm und lies!« Ich entfärbte mich und sann nach, ob etwa Kinder in einem ihren Spiele diese Worte zu singen pflegten, aber ich erinnerte mich nicht, dergleichen je gehört zu haben. Da drängte ich zurück meine Thränen, sprang auf, und konnte diese Stimme mir nur erklären als ein Geheiß von Gott, sein Buch zu öffnen, und zu lesen, auf was ich träfe, sogleich beim ersten Aufrollen der Schrift. – Denn ich hatte von Antonius gehört, er sei einst in eine Kirche getreten, als eben das evangelische Wort gelesen wurde: »Gehe hin, verkaufe Alles, was du hast, und gib's den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben, und komm und folge mir nach.« (Matth. 19, 21) – Und er habe das Wort angewendet, als wäre es zu ihm gesagt, und habe es, als eine Gottesstimme, sogleich befolgt. – Eilig gehe ich hin, wo Alypius sitzt und wo ich die Briefe des Paulus zurückgelaßen. Ich ergreife das Buch, öffne es, und lese für mich den Abschnitt, der mir zuerst in die Augen fällt: – »Nicht in Gelagen und Trunkenheit, nicht in Kammern und Unzucht, nicht in Hader und Neid;[196] sonder ziehet an den Herrn Jesus Christ und wartet des Leibes nicht zur Stillung fleischlicher Lüste.« (Röm. 13, 13) Nicht las ich weiter, mehr bedurfte ich nicht. Ich hatte gelesen und das Licht des Friedens kam über mein Herz, und alle Zweifelsnächte flohen. Ich bezeichnete die Stelle mit dem Finger, oder irgend einem andern Zeichen, schloß das Buch und erzählte mit ruhiger Miene dem Alypius, was mir geschehen. Er aber zeigte, was in ihm, mir verborgen, vorgieng, zeigte es damit, daß er zu sehen wünschte, was ich gelesen, und als ich's ihm aufschlug, las er das Folgende: »den Schwachen im Glauben nehmet auf,« (Röm. 14, 1.) es auf sich deutend und mir eröffnend. Diese Worte stärkten ihn; friedenvoll, ohne von Zweifeln bestürmt, zu werden, vereinigte er sich mit mir in gleichem Entschluß, seinen Sitten so gemäß, in welchen er stets viel reiner war, als ich. Nun gieng es zu Mutter; wir erzählen ihr, was geschehen, sie jauchzt und frohlockt, und preist dich, der überschwänglich mehr thun kann, als wir bitten und verstehen. Sie sah ja, wie sie weit mehr von dir für mich erhalten, als sie gebeten hatte im Flehen ihrer Seufzer und Thränen; denn du hattest mich zu dir bekehrt, keiner Ehe Band, keine weltliche Hoffnung suchte ich mehr, fest stand ich auf der Regel des Glaubens, auf welcher du mich vor vielen Jahren ihr im Traumgesichte gezeigt hattest. Du wandeltest ihre Trauer in Freude, thatest es reichlicher, als sie je gehofft, und holdseliger und reiner, als sie es erwartet, da sie durch mich auf Enkel gehofft.[197]

Quelle:
Augustinus: Die Bekenntnisse. Stuttgart 41863, S. 171-199.
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