Drittes Buch.

[41] Gefallen bin ich, und ich lag so tief,

Von falscher Liebe sündenvoll umfangen,

Und konnte nie der Liebe Ruh erlangen,

Ob mich der Weisheit ernster Drang ergrif.

Denn eine falsche war es, die mich rief,

Sie kam in ihrer Truggestalten Prangen,

Ich bin ihr stolz und brünstig angehangen,

Ich träumte lange, ohne daß ich schlief.

In Wollust und im Pfuhl der Ketzerlehren

Floß meine ganze, heiße Jugend hin –

Spät, als ein Mann erst, mocht ich wiederkehren.

Warum so lang in eitlen Sündenmüh'n?

Ich hab' ein Herz, und konnte dich entbehren!

O Wunderhuld, daß ich dein eigen bin![41]


I.

Ich kam nach Karthago, und mich umrauschte überall das Gewirre lasterhafter Liebeshändel. Noch liebte ich nicht und begehrte zu lieben, und in tief verhüllter Bedürftigkeit zürnte ich mir, daß ich mich nicht liebebedürftiger fühlte. Der Liebe hold sucht ich den Gegenstand meiner Liebe, aber ich haßte den Seelenfrieden und den von Fallstricken freien Weg. Der Hunger war mir eingepflanzt von dir selbst, meiner innerlichen Speise und ich hungerte doch nicht nach dir, mein Gott, war ohne Verlangen nach der unvergänglichen Nahrung, nicht als wär' ich voll von dir gewesen, je leerer ich von ihr war, desto mehr widerte sie mich an. Uebel gieng es meiner Seele, wund schon warf sie sich hinaus in die eitle Sinnenwelt in elender Gier nach dem Sinnenkitzel, um meiner Wunden Pein an ihm abzureiben. Freilich würde auch das Sinnliche nicht geliebt, wenn es keine Seele hätte, aber Lieben und Geliebtwerden war mir am süßesten, wenn ich auch der Körperreize der Liebenden genoß. So beflecke ich den Quell der Zuneigung mit unreiner Begehrlichkeit und umwölkte ihr Licht mit der höllischen Wollust. Und doch geberdete ich mich, der ich so schmutzig und verunehrt war, ganz fein und artig in meiner überströmenden Eitelkeit. So stürzte ich denn in die Liebe, von der ich gefangen zu werden wünschte. Mein Gott und mein Erbarmer, mit welch bitterer Galle und mit welch süßer Huld hast du mir diesen Genuß vergällt, da ich geliebt wurde und so unvermerkt in die Feßeln des Genußes fiel, in meiner Freude gebunden von schmerzbringenden Banden, in denen ich geschlagen ward von den glühenden Eisenruthen der Eifersucht, des Argwohns, der Furcht, des Zorns und des Streites!


II.

[43] Auch die Spiele des Theaters rißen mich hin, weil sie voll waren von den Bildern meines Elends und von dem Zunder zu meinen sündigen Flammen. Was ist es, daß dort der Mensch im Anblick des trauervoll Tragischen Schmerzen sucht, die er selbst nicht erdulden möchte? Und doch will der Zuschauer sich davon schmerzen lassen, und ist dieser Schmerz selbst seine Lust. Der kläglichen Thorheit! Nur um so mehr wird Jemand davon gerührt, je weniger er von der Leidenschaft für sie frei ist, mag er sie gleich nur Leiden nennen, wenn er sie selbst erduldet, und Mitleiden, wenn er sie duldet mit Andern. Aber was kann das für ein Mitleiden sein, das nur bei erdichteten Schauspielen empfunden wird? Da wird der Hörer nicht zu Hilfe gerufen, nur zum Schmerz geladen, da ist er dem Schauspieler um so günstiger, je mehr den ihn schmerzt. Und wenn jene ehemaligen, oder ganz erdichteten Menschenleiden bei ihrer Darstellung nicht des Zuschauers Schmerz erregen, so geht er gelangweilt und tadelnd von dannen; erregen sie seinen Schmerz, dann nimmt er aufmerksam Antheil und freut sich in Thränen. Also werden auch die Schmerzen geliebt, während Jedermann doch Freude sucht? Und wenn auch das Leiden Keinem gefällt, so gefällt doch das Mitleid, und weil dieß nicht ohne Schmerzen ist, so werden vielleicht nur die Schmerzen des Mitleids geliebt. Doch der Schmerz durchrinnt auch die Zuneigung. Warum verrinnt ihre Quelle in einen glühenden Pechstrom, der die Gräuel häßlicher Begierden heraufbrodelt, in die sich von Willkür die Liebe wandelt und sich wegreißt von ihrer himmlischer Heiterkeit. – Sollen wir das Mitleid verwerfen? Mit nichten, und so können zuweilen die Schmerzen geliebt werden. – Aber hüte dich vor der Unreinigkeit, meine[44] Seele, hüte dich unter dem Schirm meines Gottes, des Gottes unserer Väter, des Preiswürdigen, in allen Ewigkeiten Erhabenen. – Auch jetzt noch fühl' ich Mitleid; aber damals freute ich im Schauspielhaus mit den Verliebten mich, daß sie des Lasters Freuden an einander fanden, ob sie's auch nur nachahmend spielten; mitleidsvoll wurde ich mitbetrübt, wenn sie ein ander verloren; und doch ergötzte mich Beides. Nun aber bedaure ich den mehr, der sich im Laster freut, als den, der Schweres leidet, sei sein Leiden die Folge schändlicher Lust oder der Verlust seines beklagenswerthen Glücks. Dies ist gewis das ächtere Mitleid fühlt, aber in ihm findet der Schmerz keine Ergötzung. Denn wenn auch Menschenliebe des Mitleidigen Schmerzen billigt, so wünschte doch Jeder, der brüderliches Mitleid fühlt, viel lieber, es möchte dieser Schmerz gar nicht vorhanden sein. Nur wenn es das Unmögliche, wenn es ein übelwollendes Wohlwollen gäbe, könnte der des waren, innigen Mitleids Fähige wünschen, es möge Elende geben, damit er sie bedauern könne. Mancher Schmerz ist somit zu billigen, aber keiner ist zu lieben. Darum, mein Herr und mein Gott, liebst auch du die Seelen weit reiner als wir, und erbarmst dich ihrer viel ächter; denn du nur wirst von keinem Schmerz verwundet. Doch wer ist hiezu tüchtig? Und ich elender liebte den Schmerz einst, und suchte auf, was mich schmerzte, da mir der Schauspieler in seinem fremden, unwahren, vorgegaukelten Schmerz desto beßer gefiel, je mehr er mir Thränen entlockte. So ward ich elendes Lamm – und wie war es zu verwundern – verunreinigt mit schändlichem Aussatz, seit ich von deiner Herde mich verlor und deiner Hut mich entzog. Daher meine Liebe zum Schmerz. Doch nicht tiefer wollt' ich ihn eingehen, wünschte das nicht zu leiden, was ich zu sehen gewünscht, wollte nur oberflächlich von der angehörten Dichtung[45] gerührt werden. Und doch folgte dieser Thorheit wie von zerfleischenden Klauen ein entzündendes Schwellen, Entkräftung und scheußlicher Eiter. So war mein Leben, und o mein Gott, war das ein Leben? –


III.

Aber dein treues Erbarmen schwebte über mir von Ferne! Ueberall züchtigtest du mich, in welchen Pfuhl von Schändlichkeiten ich mich auch warf, welch gottloser Neugier ich auch folgte, wie sie mich, der dich verlaßen, in den trüglichen Abgrund warf und ich den Dienst der bösen Geister, denen ich opferte mit meinen Uebelthaten. Wagt' ich ja selbst, in deinem Haus, im feierlichen Gottesdienst, mich um die Todesfrucht meiner Begierden, um sinnlicher Liebe Gewährung, zu bewerben. Dafür hast du mit schweren Strafen mich geschlagen, und nichts doch diente zur Erkenntnis meiner Schuld, o du, mein großes Erbarmen, mein Gott, meine Zuflucht vor den schändlichen Verderben, denen ich vertrauend den Nacken bot, um nur recht weit von dir zu weichen, da ich in flüchtiger Freiheit meine Wege liebte, nicht die deinen!

Auch jene wissenschaftlichen Bestrebungen, für so ehrenvoll gehalten, reizten mich nur in Rücksicht auf die Verhandlungen der Gerichtsplätze, wo man, je trüglicher, desto löblicher, sich hervorthut; denn so verblendet sind die Menschen, daß sie auch ihrer Verblendung sich rühmen. Schon nahm ich in der Rednerschule zu; und freute mich des in schwellendem Stolz. Doch war ich, du weißest es, Herr – noch weit gemäßigter, hielt mich entfernt von dem Unheil, welches damals Karthago's zügellose Studirende verübten, die man deshalb Verderber nannte. Und gilt diese Benennung albern und doch teuflisch genug jetzt noch als Bezeichnung seiner Lebensart. Unter ihnen lebte ich mit[46] der schaamlosen Schaam, daß ich nicht war wie sie. Mit ihnen war ich, und freute mich der Freundschaft derer, vor deren verderblichen Thaten ich erschrak, mit welchen sie der Einfalt Unerfahrener Schlingen legten, um sie verführerisch um ihren Frieden zu bringen, und ihre boshafte Lust daran zu weiden. Nichts fürwahr ist den Thaten der bösen Geister ähnlicher und ganz nach der Wahrheit heißen sie Verderber, selbst verderbt und verkehrt von den höllischen Geistern, eben in dem, mit welchem sie Andere, sich selbst zum Vergnügen, zum Verderben umgarnen.


IV.

Unter solchen Menschen legte ich mich in meiner unmündigen Jugend auf die Schriften der Beredsamkeit, in welchen ich die Stillung der Eitelkeit suchte, die mein verwerfliches, trügliches Ziel war. Im Unterricht schon weiter fortgeschritten, gerieth ich an die Schrift eines Cicero, dessen Sprache, weniger dessen Geist man allgemein bewundert. Jenes Buch aber enthielt eine Einladung zur Philosophie und hieß Hortensius. Es änderte meinen Sinn, kehrte, o Herr, mein Gebet zu dir und lebte ganz andere Wünsche in mein Herz. Plötzlich sanken jene eitlen Hoffnungen, mit heißer Seelengluth sehnte ich mich nach unsterblicher Weisheit und machte mich auf zur Rückkehr zu dir. Das geschah zwei Jahre nach dem Tod meines Vaters in meinem neunzehnten Lebensjahre. Und nicht der Sprachübung wegen nahm ich dieß Buch vor; nicht seine Redeweise, sondern sein Inhalt hatte mich gewonnen. Wie glühte ich, mein Gott, mich zu dir wieder zu erheben vom Irdischen, und wußte nicht, was du mit mir thuest. Bei dir ist die Weisheit, aber Menschen gibt es, die uns durch Philosophie, der Weisheit Wissenschaft verführen, indem sie ihre Irrthümer färben und schminken mit prahlenden, einschmeichelnden Worten. Beinahe[47] alle diese, wie aus Cicero's, so aus frühern Zeiten, werden in seinem Buche berührt und beurtheilt. Auch dort wird deines Geistes heilsame Mahnung bestätigt, die du sprachest durch deinen frommen und getreuten Knecht: »Sehet zu, daß euch Niemand beraube durch die Philosophie und lose Verführung nach der Menschen Lehre und nach der Welt Satzungen, und nicht nach Christo. Denn in ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig.« (Koloss. 2, 8. 9.) Du weißest es, Licht meines Herzens, daß ich, dem damals jenes apostolische Wort noch nicht bekannt war, mich an jener Ermahnung Cicero's erfreute, weil ich nicht diese oder jene Secte, weil ich die Weisheit selbst, in welcher Form sie kommen mochte, liebte suchte, ihr folgte und sie eifrig ergrif. Entzündet wurde ich von dieser Schrift, nur dämpfte es meine Glut, daß Christi Namen nicht in ihr war. Denn nach deiner Erbarmung hatte mein junges Herz schon mit der Muttermilch meines Erlösers, deines Sohnes, Namen eingesogen und werthgehalten, und auch das Gelehrteste, Ausgebildetste und wahr Gesprochene gewann nicht ganz mich, wenn ihm jener Name fehlte.


V.

Darum beschloß ich, mich an die heilige Schrift zu wenden, um zu sehen, was an ihr sei. Und siehe, ich sah, was den Stolzen verborgen ist und nicht offenbaret den Buben; so niedrig im Anfang, so erhaben in der Folge, so reizend verhüllt mit heiligen Geheimnissen. Nicht so war ich, daß ich vermocht hätte, in sie einzugehen und den Nacken zu beugen nach ihrem Gang. Ich fühlte nicht wie jetzt; die heilige Schrift schien mir, mit jener Cicero's, keiner Vergleichung werth. Meine Aufgeblasenheit stieß sich an ihrer Weise, und meine Augen drangen nicht in ihre Tiefen. Und doch war es sie, welche[48] wachsen will mit den Kleinen. Aber ich verschmähte, einer zu sein von diesen Kleinen, und dünkte mich groß in meinem Uebermuth.


VI.

Dadurch gerieth ich zu übermüthigen Menschen voll Fleischeslust und voll Geschwätzigkeit, in deren Mund die Stricke des Teufels, mit dem Scheine deines Namens, des Namens deines Sohnes und unseres Trösters, deines Geistes. Alle diese[49] Namen tönten stets aus ihnen und von deiner Wahrheit. Und sie sprachen Wahrheit und Wahrheit, mir viel von ihr sagend, die in ihnen niemals war. Aber Lügen sprachen sie, von dir nicht nur, der du in Wahrheit die Wahrheit bist, auch von den Elementen dieser Welt, deiner Schöpfung, über welche ich selbst die wahreren Lehren der Philosophen verlaßen mußte, seit ich die Liebe fand zu dir, mein bester Vater, du Schönheit aller Schönheiten. O Wahrheit, Wahrheit, wie seufzte mein Herz nach dir, als jene mir mit Wort und Schrift so viel und häufig von dir sprachen! Nur Lockspeisen waren es, mit welchen sie mir, dem nach dir Hungernden, an deiner Statt Mond und Sonne reichten, deine schönen Werke, doch deine Werke nur, nicht selber du, noch selber deine ersten. Denn vor jenen körperlichen Werken, wie herrlich sie am Himmel strahlen, waren deine geistigen Doch ich hungerte und dürstete auch nach jenen ersten Werken nicht, nur nach dir selbst, du Wahrheit, die sich nie verändert, nie verdunkelt! Und mir wurden bei jenen Gerichten noch gleißende Traumbilder vorgesetzt! Beßer noch hätte ich jener Sonne begehrt, die doch wahrhaft da von unsern Augen ist, als jener Truggebilde, mit der vom Schein berückten Seele. Und dennoch, weil ich sie für dich hielt, ergriff ich sie, zwar nicht mit großer Begierde, da du in mir nicht nach deinem wahren Wesen schmecktest; sie waren nicht du, von ihnen ward ich nicht genährt, nur noch mehr erschöpft. So ist die Speise, die wir im Traume eßen, der Speise der Wachenden ganz ähnlich, und doch werden die Schlafenden nicht von ihr genährt, denn sie schlafen.[50] Aber jene Trugbilder waren dir, der du jetzt offenbar bist, auf keine Weise ähnlich, sie waren nur erdichtete Körper, die himmlischen und die irdischen, die wir mit unsern leiblichen Augen sehen. Auch das Thier des Feldes sieht sie und der Vogel im Flug, und doch sind sie gewisser als jene eingebildeten karge Vorstellung noch der Wahrheit näher, als diejenigen, die wir aus ihnen uns als Wesen höherer Stufen, ja als unendliche zusammendichten, während sie gar nichts sind. Auch mit diesen Leerheiten ward ich gespeist. Aber du meine Liebe, gegen welche ich schwach bin, damit ich stark sei, du bestehst nicht aus jenen Körpern, die wir sehen, ob auch am Himmel, noch aus denen, die wir nicht sehen, denn du hast sie erschaffen und zählst sie nicht zu deinen höchsten Werken. Wie weit bist du gar von jenen meinen Trugbildern, die gar nichts sind! Selbst die Seele bist du nicht, die das Leben der Körper ist, wenn auch diese Seele, dieß Leben der Körper beßer ist, als diese. Du bist das Leben der Leben, die Seele der Seelen, du lebest dich selbst, du Unveränderlicher, der du auch das Leben meiner Seele bist. Wo warest du damals, und wie weit entfernt! Weit weg von dir war ich gezogen, selbst die Träbern, womit ich die Schweine nährte, waren mir versagt. Wie viel beßer sind selbst noch die Fabeln der Dichter, als jene Schlingen; denn Vers und Gedicht und die schwebende Medea sind noch nützlicher, als jene fünf verschieden gefärbten Elemente an den fünf Grotten der Finsterniß, die gar nichts sind und den zu Grunde richten, der an sie glaubt. Jene Verse[51] und Gedichte wurden mir zur ächten Geistesnahrung. Jene schwebende Medea eignete ich mir nicht als etwas Wahres an, auch wenn ich sie sang, und glaubte nicht an sie, auch wenn man mir sie vorsang, an jene Trugbilder aber glaubte ich. Weh, weh, auf welchen Stufen ward ich geführt zu den Tiefen der Hölle, sauer mich abmüdend im Mangel des Wahren, da ich dich, mein Gott, suchte mit fleischlichem Sinn und nicht mit Geistesaugen, mit denen du mich über das Thier erheben wolltest! Das bekenne ich dir, der du mein dich erbarmtest, da ich dich noch nicht bekannte. Du aber warest innerlicher, als mein Innerstes, und warest höher, als mein Höchstes ist. Ich traf jenes freche, thörichte Weib, jenes Räthsel Salomo's, die auf dem Stuhl in der Straße saß und sprach: die gestohlenen Waßer sind süße und wohlschmeckend sind die versteckten Brote. (Sprüche 9, 17.) Diese hat mich verführt, da sie mich draußen fand, mit meinen fleischlichen Blicken, wo ich wiederkäute, was ich mit ihnen verschlang.


VII.

Von nichts fast wußte ich, was es wirklich ist, und wurde beinahe tändelnd veranlaßt, mich von aberwizigen Betrügern fangen zu laßen, da sie mich fragten: woher das Böse denn[52] rühre, ob Gott begränzt werde durch Körpergestalt, ob er Haare und Nägel habe, ob die im alten Bund für gerecht zu halten seien, die mehrere Weiber zugleich gehabt, Menschen getödtet und Thiere geopfert. In diesen Dingen unerfahren, ward ich verwirrt; von der Wahrheit mich entfernend, meinte ich in sie einzugehen, weil ich nicht erkannte, daß das Böse ein Raub am Guten ist und so weit führt, bis es das Gute vernichtet. Wie sollte ich's erkennen, da meiner Augen Erkennen auf Körper nur und meiner Seele Erkennen auf Trugbilder gerichtet war? Nicht wußte ich, Gott sei ein Geist, der keine sich in den Raum ausdehnende Glieder hat und keine Körperlichkeit ist, weil diese kleiner in ihren Theilen ist, als in ihrem ganzen Gehalt, ja weil sie, selbst wenn sie unendlich ist, in einem Theile doch von einem Raume beschränkt wird, darin also kleiner ist, als ihr Unendliches, und damit nicht überall in ihrer Ganzheit ist, wie Gott es ist, der Geist ist. Ganz unbekannt war mir, was in uns sei, durch das wir Gott ähnlich werden, weshalb uns die Schrift mit Recht Gottes Bild nennt. Unverständlich war mir die wahre Gerechtigkeit, die nicht nach Gewohnheiten und Sitten richtet, sondern nach dem untrüglichen Gesetz des allmächtigen Gottes, nach welchem die Sitten der Länder und Zeiten sich eben nach jenen Ländern und Zeiten formen, während es selbst überall stets unverändert ist. Nach diesem sind Abraham und Isaak, Jakob, Moses und David, und Alle gerecht, die der Mund Gottes gerecht nennt. Nur von den Unerfahrenen werden sie für ungerecht gehalten, weil diese richten nach einem menschlichen Tage und alle Sitten des Menschengeschlechts nur nach ihrer Sitte beurtheilen. Aber darf ein in Waffen Ungeübter, der nicht weiß, was für jedes Glied passt, darf er murren, daß ihm nichts passe, wenn er mit den Fußschienen das Haupt bedeckt und mit dem Helm sich beschuht? Darf Einer schelten,[53] wenn er auf einer auf den Nachmittag angesagten Gerichtsfeier nichts zum Verkauf ausstellen darf, da es ihm am Morgen erlaubt war, oder daß ein Diener mit seinen Händen etwas verrichtet, das nur dem Mundschenk zu unreinlich wäre; oder daß etwas hinter dem Stall geschieht, das nur vor dem Tische nicht schicklich ist? Darfst du zürnen, daß in einer Familie nicht Allen ganz das Gleiche zur Ausrichtung zugetheilt wird? Was tadeln denn Jene, daß damals den Gerechten erlaubt war, was jetzt ihnen nicht erlaubt ist, und daß Gott Diesen und Jenen Verschiedenes befahl nach den Umständen der Zeit, während sie beide doch derselben Gerechtigkeit dienten? Ist die Gerechtigkeit veränderlich und unbeständig, wenn wir an einem Menschen, an einem Tage, in einem Hause ein für jedes Glied, für jede Stunde, für jeden Bewohner eigenthümlich Geeignetes sehen; wenn viel schon lange Erlaubtes nach einer Stunde nicht mehr erlaubt ist; wenn etwas erlaubt und befohlen wird an einem Ort, das man verbietet und bestraft an einem andern? Nur die Zeiten, welchen die Gerechtigkeit vorsteht, gehen ungleich, denn es sind Zeiten; sie sind veränderlich, aber die Gerechtigkeit ist unveränderlich. Und die Menschen, mit ihrem kurzen Erdenleben, vermögen die Bräuche und Sitten frühere Jahrhunderte nicht mit den ihren zu faßen, ob sie auch an jedem Körper, Tage oder Hause zu erforschen wißen, was jedem Gliede schicklich sei, so wie jedem Augenblick und jedem Mitglied des Hauses: Diesem sich fügend, stoßen sie sich an Jenem. Das bot sich überall mir dar und ich mochte es nicht erkennen. So fertigte ich Gedichte und mußte nach des Versmaßes Ordnung hier so, dort anders verfahren, durfte selbst, wo das Versmaß dasselbe blieb, nicht an allen Stellen das gleiche Glied des Verses setzen, und doch enthielt mein Gedicht nicht nur diese oder jene Versart, sondern alle zugleich. Was sah ich nicht ein, daß die Gerechtigkeit,[54] welcher heilige Menschen gehorchen, auf viel erhabenere Weise Alles zugleich enthalte, was Gott besieht, daß sie dieselbe bleibt unveränderlich, wenn sie such verschiedenen Zeiten nicht Alles zugleich, sondern nur das ihnen Zukommende besieht und ertheilt? Verblendet also tadelte ich die heiligen Väter, die Gott so hoch erhob, wenn er sie nicht nur für ihre Gegenwart mit seinem Geist erfüllte, wenn er sie selbst als Weißager der Zukunft offenbarte.


VIII.

Immer und überall gilt das Gebot, zu lieben Gott von ganzem Herzen und von ganzer Seele, mit allen Kräften, und seinen Nächsten wie sich selbst. Und darum sind die Verbrechen gegen die Natur immer und überall zu verabscheuen gleich Sodoms Gräueln. Begiengen diese alle Völker, so würden sie nach Gottes Gesetz alle auch der nemlichen Strafe, wie Sodom, unterliegen; denn unsere Verbindung mit Gott wird verletzt, wenn die Natur, deren Urheber er ist, auf verkehrte Weise befleckt wird. Die Sünden aber, welche nur gegen die Sitten der Menschen sind, sind zu vermeiden nach der Verschiedenheit dieser Sitten; es soll der Brauch, den Gemeinde oder Volk durch Verjährung oder durch Gesetz bestimmte, durch keines Bürgers, keines Fremdlings Uebertretung verletzt werden, denn jenes Glied ist schändlich, das seinem Ganzen nicht entspricht. Wenn aber Gott gegen Sitten und Vertrag einiger Menschen Befehle gibt, so ist ein Gebot zu vollführen, wenn Gleiches dort auch nie vollführt worden, ist zu erneuen, wenn es unterlaßen ward, und einzuführen, wenn nicht eingeführt. Schon einem Könige steht es zu, seinem Volke etwas zu besehlen, was weder Jemand vor ihm, noch er selbst jemals befahl, und es ist nicht gegen die Ordnung der bürgerlichen Gesellschaft, wenn ihm gefolgt wird,[55] aber gegen sie ist's, wenn man ihm nicht folgt, denn Gehorsam gegen die Könige ist der allgemeine Rechtsbrauch der menschlichen Gesellschaft. Um wie viel mehr ist Gott, dem König der Schöpfung in Allem zu gehorchen ohne Widerrede, was er auch gebieten mag. Wie unter den Gewalten der Welt die größere der kleineren vorsteht, damit ihr von dieser gehorcht werde, so stehet Gott über Allen. – Gegen die Nächstenpflichten aber wird gefrevelt bei allen Schandthaten, welche zu schaden suchen durch Zufügung von Schmach und Unrecht, oder der Rache wegen gar durch beides, wie es der Feind gegen den Feind thut; oder um des Andern Gut sich zuzueignen, wie der Räuber auftritt gegen den Wanderer; oder um Uebel zu vermeiden, da, der es fürchtet, dem, den er fürchtet, schadet; oder aus Neid, da der Elende dem Glücklichen Schaden bringt; ja beim glücklichen Fortgang einer Sache, aus Furcht oder aus Aerger über den Wetteifer eines Andern, oder aus bloßem Vergnügen an fremdem Schmerz, wie die Zuschauer es fühlen bei den Fechterspielen, und die Spötter und Neckischer aller Art. Das sind die Häupter der Sünde, welche aus der Sucht zu herrschen, zu schauen und zu fühlen, entweder aus einer, oder aus zweien, oder aus allen diesen zugleich, herauswachsen. – So wird schlecht gelebt wider die drei Gebote der Pflichten gegen dich und wider die sieben Gebote der Pflichten gegen den Nächsten, wider deinen zehnsaitigen Psalter, deine zehen Gebote, du höchster und süßester Gott! Aber können denn Schandthaten gegen dich geschehen, der du nie verletzt wirst, dem Niemand schaden kann? Nein, du strafst das, was die Menschen gegen sich selbst begehen, weil sie gegen dich sündigend, an ihrer eigenen Seele sündig handeln. die Ungerechtigkeit mit ihrer trüglichen Macht verderbt und verkehrt die von dir geschaffene, gelenkte Menschennatur, bis sie das Erlaubte unmäßig genießt, oder bis sie entbrennt nach des[56] Verbotenen widernatürlichem Genuß. Auch fallen sie in Schuld, wenn sie mit Herz und Worten gegen deine Lenkungen toben und wider den Stachel ausschlagen, der sie treibt. Oder sie zerreißen die Ordnung der Gesellschaft durch selbstsüchtige Trennungen und Verbindungen, je nachdem sie etwas beleidigt und ergötzt. So kommt es, wenn du, des Lebens Quelle, du einiger wahrer Lenker der ganzen Welt, veranlaßen wirst, und wenn man im selbstsüchtigen Hochmuth das Einzelne liebt, das falsch und trüglich ist, so es nicht geliebt wird in dir. Nur durch Kindesdemuth kehrt man zurück zu dir; dann reinigst du uns von der bösen Gewohnheit, siehst gnädig auf die Sünden der Bekennenden und hörest die Seufzer der Gefeßelten, du erlösest und von den Ketten, die wir selbst um uns wanden, wenn wir nicht mehr gegen dein sanftes Joch in Zügellosigkeit das Horn erheben, nicht mehr in der Gier, nur mehr zu besitzen, beharren, die uns in Gefahr bringt, Alles zu verlieren, und wenn wir mehr nicht unser Eigenes lieben, als dich, du Gut aller Güter, durch den alles Gute gut ist.


IX.

Unter der Sündenmenge sind auch noch die Unvollkommenheiten der im Guten Vorschreitenden, die nach dem Maßstab der Vollkommenheit getadelt, aber in der Hoffnung, sie dürften gute Frucht einst bringen, gebilligt werden, gleich des Feldes jungen Saaten. Auch sieht gar Manches wie Sünde aus, und ist es nicht, weil es weder dich, unsern Herrn und Gott beleidigt, noch die menschliche Gesellschaft. So wird Manches zeitgemäß zum Nutzen fürs Leben erworben, von dem es ungewiß ist, ob es aus Habsucht geschieht; Manches wird von der eingesetzten Gewalt, in der Absicht zu beßern, bestraft, von dem man nicht[57] weiß, ob es nicht mit Lust bestraft wird nur um wehzuthun. Viel nach dem Urtheil der Menschen Verwerfliches, ist nach deiner Zustimmung zu billigen, und Vieles wird von dir verdammt, das von den Menschen gelobt wird. Denn oft verhält sich das äußere Ansehen einer That ganz anders, als des Handelnden Gemüth und wird von ihm in einem Zeitpunkt gethan, dessen Umstände uns verborgen sind. Wenn die Menschengesellschaft gerecht ist, die dir gehorcht, wer möchte dann zweifeln, daß gethan werden müße, was du, auch plötzlich, neu und ungewöhnlich besiehlst, selbst wenn du sonst es verboten hättest und die Ursache deines Befehls noch verbärgest, ja selbst wenn es gegen den geselligen Brauch mancher Menschen wäre. Glücklich, die wißen, daß du es besahlest; denn alles, was deine Diener so thun, geschieht entweder, um zu üben, was der Gegenwart Noth thut, oder um in die Zukunft zu weisen und sie anzubahnen.


X.

Dieß nicht erkennend, verlachte ich deine heiligen Knechte und Propheten. Aber da ich sie verlachte, wurde ich lächerlich vor dir. Denn allmählich kam ich im manichäischen Irrthum so weit, daß ich glaubte, die Feige sammt ihrem mütterlichen Baume weine milchweiße Thränen, wenn sie gepflückt werde. Wenn jedoch ein auserwählter, für heilig gehaltener Manichäer eine solche Feige gegeßen, und sich nur selbst nicht durch ihr Abpflücken versündigt habe, und wenn er sie nun verdaue, so hauche es aus ihr Engel, ja Theilchen Gottes aus, während er zwischen seinen Reden gähne, aufseufze oder es ihm aufstoße. Diese Theilchen des höchstwahren Gottes wären, meinte ich, an jene Frucht gebunden geblieben, wenn sie nicht die Auserwählten[58] mit ihren Zähnen und ihrem Magen erlöst hätten! So glaubte ich Elender, man müße den Früchten der Erde mehr Mitleid als den Menschen zollen, wegen derer sie erschaffen sind. denn wenn ein Nichtmanichäer hungernd nach Speise begehrte, so hätten wir den Bißen gleichsam für verdammt gehalten, den wir ihm gerreicht hätten.


XI.

Und du recktest deine Hand aus der Höhe und rißest aus dieser tiefen Nacht meine Seele, da für mich meine Mutter, dir so treu, inniger zu dir weinte, als sonst Mütter ihre leiblich Todten beweinen. Sie sah mich dem Glauben und dem Geist gestorben, die sie von dir empfangen hatte, und du erhörtest sie. Du erhörtest sie und hast nicht verachtet ihre Thränen, mit welchen[59] ihre Augen die Erde netzten, wo sie zu dir rief. O treues Erbarmen, und du erhörtest sie! Denn woher kam ihr jener tröstliche Traum, durch den sie mir wieder gestattete, mit ihr zu leben und ihren Tisch zu theilen, was sie mir verweigert hatte in der verabscheuenden Verwerfung meines lästernden Irrthums? – Ihr war, als stünde sie auf einem Richtscheite und träte zu ihr ein glänzender Jüngling, der heiter die vom Gram Erdrückte anlächelte und sie fragte um den Grund ihrer Thränen und ihrer täglichen Trauer, nicht um sie zu erfahren, sondern um zu belehren, wie das deine Gesichte thun. Und als ihm antwortete, mein Verderben beweine sie, gebot er ihr darüber ruhig zu sein und aufzublicken: »wo sie stehe, da stehe auch ich«. Und als sie aufblickte, sah sie mich neben sich auf dem Richtscheit stehen. – Woher dieser Traum, als von dir, der du erhörend dich zu ihrem Herzen neigtest! O du allmächtige Güte, der du dich eines Jeden von uns also annimmst, als nehmest du dich seiner allein an, und so Aller dich zusammt annimmst, wie jedes Einzelnen! – Und da sie mir ihr Traumgesicht erzählte, und ich mich erfrechte, dahin es zu deuten, sie dürfe die Hoffnung nicht aufgeben, einst dahin zu gelangen, wo ich sei: woher, als von dir ihr Wort, mit dem sie mir sagte ohne Bedenken: »Nicht wurde mir gesagt, wo er stehet, da stehest auch du, sondern, wo du stehest, da stehet auch er?« Nach meiner Erinnerung gesteh ich dir Herr, was ich auch sonst nicht verschwieg, daß ich mehr als durch ihren Traum selbst, durch deine Antwort bewegt wurde, die du mir durch die sorgsame Mutter gabst, weil sie durch meine falsche, so nahe liegende Auslegung verwirrt wurde und so schnell das Wahre fand, das mir vor ihrer Antwort verborgen geblieben war. So hast du gar lang zuvor der frommen Frau die tröstende Freude verheißen, die ihrem Grame folgen sollte. Denn neun Jahre folgten, in welchen[60] ich in jenem Abgrund, in jenes Truges Nacht umhergeworfen wurde, aus der ich so oft mich erheben wollte, und doch nur fester gebunden ward. Während all' dieser Zeit hörte die fromme, weise Witwe – o, wie liebst du eine solche! – nicht auf, in allen ihren Gebeten über mich zu dir zu weinen. Schon durch Hoffnung ermuthigt, wurde sie doch nicht läßiger in ihrem Weinen und Seufzen. Zu dir drang ihr Flehen, aber noch ließest du mich in jener Finsterniß umhergewälzt werden, die um mich ihre Hüllen breitete.


XII.

Inzwischen aber gabest du eine andere Antwort, deren ich noch wohl gedenke, Vieles übergehend, weil ich zu dem Dringenden eile, das ich dir bekennen muß und auch Manches vergaß. Jene Antwort gabst du durch deinen Priester, einen frommen Bischof, dessen Geist in deiner Kirche geübt und genähret war in deinem Wort. Ihn hat die Mutter, er möge einer Unterredung mich würdigen, um meine Irrthümer zu zerstreuen, mich vom Bösen wegzuführen und dem Guten zuzuführen. Und so bat sie Jeden, den sie dazu für tauglich hielt. Er jedoch verweigerte dieß, und wie ich später erkannte, war seine Weigerung weise. Denn er gab ihr zur Antwort, ich sei noch keiner Belehrung fähig, weil ich noch von der Neuheit jener Ketzerei befangen und stolz darauf sei, mit meinen verfänglichen Fragen der Unerfahrenen Viele schon verwirrt zu haben, wie sie ihm selbst ja anvertraut habe. – »Laß ihn dort,« sprach er, »und bete du zum Herrn für ihn, er wird durch Lesen selbst wohl finden, was Jener Irrthum, und wie groß dessen Gottlosigkeit ist.« Dabei erzählte er, wie er noch klein, von seiner verführten Mutter den Manichäern übergeben worden, alle ihre Bücher gelesen, sogar abgeschrieben, und dann von selbst,[61] daß Jemand ihn überwiesen, eingesehen habe, wie verderblich diese Lehre sei, von der er sich dann losgemacht. Als sie sich dennoch nicht zufrieden geben, und mit vielen Thränen weiter in ihn dringen wollte, daß er mich sehe und spreche, erwiederte er mit scheinbarem Unwillen: »laß mich, es ist, so wahr du lebst, nicht möglich, daß ein Sohn solcher Thränen verloren gehe!« Oft erzählte mir meine Mutter, dieß Wort habe sie ergriffen, als wäre es vom Himmel erklungen.[62]

Quelle:
Augustinus: Die Bekenntnisse. Stuttgart 41863, S. 41-63.
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Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

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