[569] 16. âtma-gṛihîtir itaravad uttarât
Nehmung des Âtman, wie anderweit, wegen des Folgenden.

Es heisst im Aitareyakam: »wahrlich diese Welt war zu Anfang der Âtman allein; es war nichts anderes da, die Augen aufzuschlagen. Er beabsichtigte: ›ich will nun Welten schaffen‹. Da schuf er diese Welten; [es sind:] die Flut, die Strahlen, der Tod, die Gewässer« u.s.w. (Ait. 1, 1, 1.) Hier erhebt sich der Zweifel, ob unter dem Worte »Âtman« an dieser Stelle der höchste Âtman zu verstehen ist oder irgend ein anderer.

Angenommen also, ›es könnte nicht der höchste Âtman sein, welcher mit dem Worte »Âtman« hier bezeichnet wird; warum? wegen des Zusammenhangs der Stelle‹. – Aber ist es nicht vielmehr gerade der Zusammenhang der Stelle, welcher auf den höchsten Âtman sich bezieht, sofern in ihr die Einheit des Âtman vor der Weltschöpfung behauptet, und sein nach vorherigem Beabsichtigen erfolgendes Schaffen erwähnt wird? – ›Nein‹, so könnte man sagen, | ›denn es ist nur von einer Schöpfung der Welten die Rede; denn wo der höchste Âtman als Schöpfer vorkommt, da muss zuerst die Schöpfung der Elemente (mahâbhûta) erwähnt werden; hier hingegen ist sogleich von einer Schöpfung der Welten die Rede; die Welten aber sind specielle Zusammenstellungen aus den Elementen, wie denn ja auch in unserer Stelle die Flut u.s.w. für die Welten [Welträume] erklärt werden, in den Worten: »jenes ist die Flut jenseits des Himmels« u.s.w. (Ait. 1, 1, 2.) Die[569] Schöpfung der Welträume aber wird, wie aus der Schrift und Smṛiti zu ersehen, von irgend einem dem höchsten Gotte untergebenen Götterherrn (îçvara) bewirkt (vgl. darüber Sûtram 1, 3, 30, Seite 178, 180.) In diesem Sinne sagt eine Schriftstelle: »zu Anfang war diese Welt der Âtman allein in Menschengestalt« u.s.w. (Bṛih. 1, 4, 1.) Und auch die Smṛiti sagt (Mârkaṇḍeya-purâṇam 45, 64):


»Er ist der Körperträger erster,

Er wird der Purusha (Mensch) genannt,

Der Erstlingsbildner aller Wesen,

Der als Gott Brahmán anfänglich entstand«;


und auch die Aitareyin's erwähnen in einem früheren Abschnitte, da wo es heisst: »nunmehr die Schöpfung des Samens; der Same des Prajâpati sind die Götter« (Ait. âr. 2, 1, 3, 1), dass die Schöpfung der mannigfachen Welt nur ein Werk des Prajâpati ist. Auch von diesem wird nämlich das Wort »Âtman« gebraucht; z.B. wenn es heisst: »zu Anfang war diese Welt der Âtman allein in Menschengestalt« (Bṛih. 1, 4, 1.) Und auch wenn von ihm behauptet wird, dass er vor der Weltschöpfung eine Einheit gewesen sei, so lässt sich dieses relativ, nämlich in Beziehung auf seine eigenen Umwandlungen, verstehen. Und auch das Beabsichtigen ist bei ihm, da er für geistig zu halten ist, angemessen. | Endlich auch, wenn es heisst: »diesen führte er eine Kuh vor, ... diesen führte er ein Pferd vor, ... diesen führte er einen Menschen vor; sie aber sprachen« (Ait. 1, 2, 2-3), so werden in diesen Worten mancherlei Thätigkeiten dem Âtman beigelegt, wie sie nur bei den empirischen, mit Unterschiedlichkeiten behafteten Âtman's vorzukommen pflegen. Deswegen scheint auch hier irgend ein mit Unterschiedlichkeiten behafteter Âtman verstanden werden zu müssen‹. –

Auf diese Annahme erwidern wir, dass es nur der höchste Âtman sein kann, welcher hier zu verstehen ist, »wie anderweit«; d.h.: ebenso gut wie in andern Schriftstellen von der Weltschöpfung, z.B. in der Stelle: »fürwahr aus diesem Âtman ist der Äther entstanden« (Taitt. 2, 1), der höchste Âtman zu verstehen ist, – und ebenso gut wie anderweit, beim weltlichen Gebrauche des Wortes Âtman, unter dem Âtman im eigentlichen Sinne nur die innere Seele verstanden werden darf, – ebenso muss es auch hier sein. Wenn hingegen in der Stelle: »zu Anfang war diese Welt der Âtman allein« (Bṛih. 1, 4, 1), ihm unter anderm die Menschengestalt, also eine ihm fremde Bestimmung, beigelegt wird, so mag man hier an einen mit Unterschieden behafteten Âtman denken; an unserer Stelle aber ergiebt sich auch aus dem weiter Folgenden eine Bestimmung, welche nur an den höchsten Âtman zu denken erlaubt, sofern es weiter heisst: »er beabsichtigte: ich will[570] nun Welten schaffen. Da schuf er diese Welten« u.s.w. (Ait. 1, 1, 1.) Darum ist es richtig, vielmehr ihn hier zu verstehen.

Quelle:
Die Sûtra's des Vedânta oder die Çârîraka-Mîmâṅsâ des Bâdarâyaṇa. Hildesheim 1966 [Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1887], S. 569-571.
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