[571] 17. anvayâd, iti cet? syâd! avadhâraṇât
wegen des Zusammenhanges, meint ihr! Doch! wegen der Versicherung.

Wenn weiter behauptet wurde, dass wegen des Zusammenhanges der Stelle nicht der höchste Âtman verstanden werden dürfe, so widerspricht dem der Lehrer, indem er sagt: »doch, wegen der Versicherung«; d.h. es muss doch richtig sein, hier den höchsten | Âtman zu verstehen; warum? »wegen der Versicherung«; denn nur wenn man den höchsten Âtman versteht (lies: -grahaṇe), kann die Versicherung, dass der Âtman vor der Weltschöpfung eine Einheit gebildet habe, zu Rechte bestehen, und im andern Falle würde dieses ohne Berechtigung dastehen. Wenn aber weiter nur von einer Schöpfung der »Welträume« geredet wird, so fassen wir dies so, dass sie als eine Folge der aus andern Schriftstellen bekannten Schöpfung der Elemente anzusehen ist; und es ist damit ebenso wie bei der Stelle: »dasselbige erschuf das Feuer« (Chând. 6, 2, 3), welche wir so auffassten, dass die aus andern Schriftstellen bekannte Schöpfung des Äthers und Windes als ihr vorhergegangen zu betrachten war (vgl. Sûtram 2, 4, 1 fg.) Nämlich wo in Bezug auf denselben Gegenstand in irgend einer Schriftstelle eine Bestimmung vorkommt, da ist diese bei den andern Schriftstellen zu ergänzen. Wenn man ferner in den Worten: »diesen führte er eine Kuh vor« u.s.w. (Ait. 1, 2, 2), dem Âtman specielle Handlungen zugeschrieben findet, so muss man auch dieses so auffassen, dass es zusammenstimmt mit den Behauptungen über das, worauf es eigentlich ankommt. Dasjenige nämlich, worauf es hier ankommt, kann nicht die Erzählung der ganzen Legende sein, weil eine Annahme derselben den Zweck des Menschen nicht fördern würde. Vielmehr ist dasjenige, worauf es ankommt, nur die Lehre, dass Brahman die Seele ist. Darum lehrt die Stelle zunächst die Schöpfung der Welträume, nämlich der Flut u.s.w., und der Welthüter, des Agni u.s.w., und geht dann auf die Organe und den Leib als den Träger der Organe über, um sodann weiter zu zeigen, wie eben jener Weltschöpfer, in der Erwägung: »wie könnte dies wohl ohne mich bestehen« (Ait. 1, 3, 11), in diesen Leib eingeht, indem es heisst: »er öffnete hier diese Scheitelnaht und ging durch diese Pforte hinein« (Ait. 1, 3, 12.) Und wiederum heisst es: »[er erwog:] wenn | der Rede das Reden, wenn dem Odem das Atmen eigen ist« u.s.w., – hier wird[571] die Thätigkeit der Organe von ihm unterschieden, – »wer bin denn aber ich?« (Ait. 1, 3, 11.) Und nachdem er also erwogen hatte, »da erkannte er, dass diese [seine] Person das von Brahman Durchsetzteste« [brahma-tatamam angeblich für brahma-tata-tamam; vgl. durnishprapataram, Chând. 5, 10, 6, oben Seite 497] »sei« (Ait. 1, 3, 13), – wodurch die Anschauung, dass der Âtman das Brahman ist, ihre Bestätigung erhält. Und wenn es weiter heisst: »er ist Brahman, er ist Indra« und hierbei das gesamte vielheitliche Sein mitsamt den Elementen aufgezählt, und sodann gesagt wird: »alles dieses hat die Erkenntnis als Lenkerin, ist in dem Erkennen gegründet; die Erkenntnis als Lenkerin habend ist diese Welt, die Erkenntnis als Grundlage habend; das Erkennen aber ist brahmanhaft (brahmam)« (Ait. 3, 3), so bestätigen diese Worte die Anschauung, dass der Âtman (die Seele) das Brahman ist. Somit liegt an dieser Stelle ohne Widerrede eine »Nehmung des Âtman« (Sûtram 3, 3, 16) vor.


* * *


Hier folgt noch eine andere Auslegung [der Sûtra's 3, 3, 16-17]:


âtma-gṛihîtir itaravad uttarât


Nehmung des Âtman, wie anderweit, wegen des Folgenden.


Wenn es im Vâjasaneyakam heisst: »was ist das für ein Selbst (âtman)? – Es ist unter den Lebensorganen der aus Erkenntnis bestehende, in dem Herzen innerlich leuchtende Geist« (Bṛih. 4, 3, 7), so hebt diese Stelle sogleich an mit dem Worte Âtman und lehrt weiterhin, indem sie von eben demselben zeigt, wie er von allem Haften [am Irdischen] frei ist, dass der Âtman seinem Wesen nach Brahman ist; und in diesem Sinne heisst es zusammenfassend am Schlusse: »fürwahr dieser grosse ungeborene Âtman, nicht alternd, nicht welkend, unsterblich und ohne Furcht ist das Brahman« (Bṛih. 4, 4, 25.) – Anders hingegen liegt die Sache im Chândogyam; denn wenn es daselbst heisst: »seiend nur, o Teurer, war diese Welt zu Anfang, eines nur und ohne zweites« (Chând. 6, 2, 1), so wird hier ohne Anwendung des Wortes Âtman begonnen, und erst in dem Refrain: »das ist der Âtman, das bist du« (Chând. 6, 8, 7 fg.) wird auf die Wesenseinheit mit ihm verwiesen. – Hier erhebt sich der Zweifel, ob wohl diese beiden Schriftstellen einen gleichartigen Inhalt, oder ob sie nicht vielmehr einen ungleichartigen Inhalt haben? – Angenommen also, ›sie hätten einen ungleichartigen Inhalt, wegen der Ungleichartigkeit der beiden Erwähnungen; | denn wo in der Darlegung eine Ungleichheit liegt, da darf man nicht eine Gleichheit der Sache annehmen, weil die Auffassung der Sache nach der Art der Darlegung sich zu richten[572] hat. Im Vâjasaneyakam nun, wo sofort ausgegangen wird von dem Worte Âtman, versteht es sich, dass wir eine Belehrung über die Wesenheit des Âtman vor uns haben. Im Chândogyam hingegen ist der Ausgangspunkt ein anderer, und somit muss doch auch wohl die Lehre hier eine andere sein.‹ – Aber sagten wir nicht, dass auch bei den Chandoga's im Refrain die Darlegung der Wesenseinheit sich findet? – ›Allerdings sagtet ihr dies, aber da das Ende einer Stelle durch den Anfang bedingt wird, so ist hier die Annahme, als werde die Wesenseinheit gelehrt, nicht zutreffend.‹ So meint der Opponent. – Auf diese Annahme wird erwidert: »eine Nehmung des Âtman« muss auch bei den Chandoga's in den Worten: »seiend nur, o Teurer, war diese Welt zu Anfang« (Chând. 6, 2, 1) gefunden werden; wie anderweit, d.h. ebenso wie in der Stelle der Vâjasaneyin's: »was ist das für ein Âtman« (Bṛih. 4, 3, 7), eine »Nehmung des Âtman« zugegeben wurde; warum? »wegen des Folgenden«, in welchem eine Belehrung über die Wesenseinheit erteilt wird.


anvayâd, iti cet? syâd avadhâraṇât


wegen des Zusammenhanges, meint ihr? Doch, wegen der Versicherung.


›Aber wie wollt ihr der Behauptung begegnen, dass »wegen des Zusammenhanges« [des Schlusses] mit dem Eingange, und da doch im Eingange eine Erwähnung des Âtman nicht vorliegt, hier keine »Nehmung des Âtman« zuzugeben sei?‹ – Hierauf dient zur Antwort: »doch! wegen der Versicherung«, d.h. es ist trotzdem hier das Richtige, eine »Nehmung des Âtman« zuzugeben, »wegen der Versicherung«. Nämlich in den Worten: »wodurch das Ungehörte ein [schon] Gehörtes, das Unverstandene ein Verstandenes, das Unerkannte ein Erkanntes wird« (Chând. 6, 1, 3) liegt die Versicherung, dass durch die Erkenntnis des Einen Alles erkannt werden solle, und um dieses zu bewerkstelligen heisst es: »seiend nur« u.s.w. (Chând. 6, 2, 1); und dieses passt nur dann, wenn man eine »Nehmung des Âtman« voraussetzt; denn sonst würde ja der Âtman im eigentlichen Sinne des Wortes | nicht erkannt werden, und somit nicht zutreffen, dass [durch ihn] alles erkannt worden sei. Hierzu kommt »die Versicherung« seiner Einheit vor der Weltschöpfung; ferner die Erwähnung der individuellen Seele als des »Âtman« und die Auseinandersetzung, wie dieselbe im Stande des Schlafes in ihre eigene Wesenheit eingehe; endlich noch die auf die Bitte [um weitere Belehrung] hin immer wieder und wieder gegebene »Versicherung« der Worte: »das bist du« (Chând. 6, 8, 7 fg.); alles dieses ist nur dann in Ordnung, wenn die Wesenseinheit hier wirklich gelehrt wird, nicht, wenn diese Wesenseinheit als eine blosse Folge erscheint. Auch ist es nicht berechtigt, sich hier auf die Abhängigkeit des Inhaltes vom[573] Eingange zu berufen; denn in dem Eingange ist weder davon die Rede, dass der Âtman behandelt werden solle, noch auch, dass er nicht behandelt werden solle; eine solche Allgemeinheit des Einganges steht mit der Specifikation durch das Folgende nicht in Widerspruch; denn das Allgemeine erfordert eine solche Specifikation. Und auch die Bezeichnung als »das Seiende« passt, wenn man sie näher ins Auge fasst, auf nichts anderes als auf den Âtman im eigentlichen Sinne, weil alle von ihm verschiedenen und gewordenen Dinge durch das [darauf folgende] Wort von dem sich-Anklammern (vgl. Sûtram 2, 1, 14) als nicht-real bezeichnet werden. Auch die Ungleichartigkeit der Darlegung bedingt nicht notwendig eine Ungleichartigkeit des Inhaltes; vielmehr kann sie, wie die Ausdrücke: »hole die Schale« und »die Schale hole« beweisen, auch bei Gleichartigkeit des Inhaltes bestehen. Somit steht es fest, dass in den Stellen dieser Art, wennschon die Art der Darlegung eine verschiedene ist, doch der darzulegende Inhalt sich nicht voneinander unterscheidet.

Quelle:
Die Sûtra's des Vedânta oder die Çârîraka-Mîmâṅsâ des Bâdarâyaṇa. Hildesheim 1966 [Nachdruck der Ausgabe Leipzig 1887], S. 571-574.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Christen, Ada

Gedichte. Lieder einer Verlorenen / Aus der Asche / Schatten / Aus der Tiefe

Gedichte. Lieder einer Verlorenen / Aus der Asche / Schatten / Aus der Tiefe

Diese Ausgabe gibt das lyrische Werk der Autorin wieder, die 1868 auf Vermittlung ihres guten Freundes Ferdinand v. Saar ihren ersten Gedichtband »Lieder einer Verlorenen« bei Hoffmann & Campe unterbringen konnte. Über den letzten der vier Bände, »Aus der Tiefe« schrieb Theodor Storm: »Es ist ein sehr ernstes, auch oft bittres Buch; aber es ist kein faselicher Weltschmerz, man fühlt, es steht ein Lebendiges dahinter.«

142 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon